Ein_Liberaler schrieb:
Da weiß ich nicht mehr weiter. Ich drehe den Satz und wende ihn, aber ich finde keinen Ansatzpunkt. Es ist einfach so - ich empfinde Zwang sehr wohl als etwa schlimmes. Nicht den Zwang, den die Umstände ausüben, sondern den, den Menschen ausüben.
Na - da haben wir wohl einen Kern in unser unterschiedlichen Wahrnehmung gefunden.
Für mich ist Zwang etwas selbstverständliches... ja... etwas natürliches. Die Natur "zwingt" mich ständig zu irgendwelchen Reaktionen... ganz simple Dinge, wie Licht anmachen, wenns dunkel wird... sich warm anziehen, wenns kalt wird. Meine eigene Biologie zwingt mich ständig zu irgendwelchen Dingen... Freiheit als absoluter Begriff ist für mich eine Illusion.
Aber auch die Interaktion mit anderen Menschen hat für mich oft irgendeinen "Zwang" zu folge. Ich bin z.B. Fußgänger und Bahnfahrer... da erlebe ich ständig "Zwang", weil ich oft genug gerade nicht da hin kann, wo ich hinwill - da steht oder sitzt nämlich schon jemand
Sobald ich mit Menschen zu tun habe, erlebe ich Zwang bzw ich erlebe eine Beschneidung in meiner Auswahl... und wenn die beschnittene Auswahl ein großer Wunsch von mir wäre, dann fühle ich mich nunmal einge"zwängt". Das alles sind für mich gewisse "Zwänge", da ich in meiner Freiheit eingeschränkt bin... und das sind eben Zwänge, die Menschen ausüben, weil sie einfach da sind... oder weil sie etwas tun, was ich gerad nicht leiden mag.
Wenn ich auf der Arbeit bin, werde ich von Kunden ständig in bestimmte Verhaltensweisen "gezwungen" - das ist nur normal. Als Kind wird man ständig von seinen Eltern "gezwungen" - in einer Beziehung von seinem Partner. Das ist halt Interaktion. Das ist das Leben. Die Situationen, wo mich quasi jemand in richtig "böser" Weise zu etwas zwingt sind dagegen extrem selten in meinem Leben.
Ich muß die Konsequenzen meines Handelns tragen, und sobald ich mit jemand gemeinsam etwas tun will, d.h. sobald ich erreichen will, daß jemand das tut, was ich will, muß ich ihn davon überzeugen, das zu tun, oder ihn überreden.
Sorry, aber das ist Quatsch. Wenn Du über jeden kleinen Mini-Konflikt mit den Leuten reden willst, kommste aus dem Reden nicht mehr heraus. Gerade da wo es voll ist, gibts ständig Mini-Konflikte in der Masse... da wird gedrängelt und geschubbst... das ist dann halt die Kommunikation. Und genau dieses Drängeln und Schubbsen wird auch im wirtschaftlichen Sinne oft genug an den Tag gelegt. Ganz konktet auf meiner Arbeit erlebe ich das in Hau-Ruck-Projekten sehr oft, daß gar nicht genug Zeit da ist, mit allen Ringelpitz mit Anfassen zu spielen.
Das wird in aller Regel Kompromisse erfordern, ja. Grundsätzlich bin ich aber frei, so zu handlen, wie es mir paßt.
Nein - eben nicht. Allein die Biologie zwingt Dich zu ner Menge Dinge. Sie zwingt Dich auf die Toilette zu gehen, Dir ständig Energie zuzuführen, zu schlafen, Frauenärschen hinterherzuglotzen, etc etc... Die Anwesenheit von anderen Menschen lässt Dein Gehirn auch direkt in einen anderen Modus schalten. Du passt Dich den Situationen entsprechend an, ohne mit den Leuten auf die Du da gerade triffst, eine offizielle Vereinbarung zu treffen.
In der Industrie wird aber nur ein Angebot geändert oder eingestellt, und es steht jedem frei, anstelle des bisherigen Anbieters das alte Angebot zu machen.
Das seh ich nun wieder vollkommen anders. Es gibt dermassen viele Industriebereiche, die Voraussetzungen bedürfen, die ganz sicher nicht "jeder" erbringen kann... teilweise gibt es Voraussetzung, die so gut wie niemand erbringen kann. Das beginnt bei sowas simplen, wie materiellen Ressourcen und endet bei etwas komplexen wie speziellen Wissen. Ein Markt ist genauso wenig "frei", wie die Natur oder die menschliche Gesellschaft. Es gibt ständig und überall Zwänge - aber diese Zwänge können und müssen bewertet werden, indem man die Auswirkung der Zwänge bewertet... genau wie bei selbstverständlichen Verhalten von Menschen. Wenn mich jemand im Gewühl anrempelt und ich falle hin, ist das ärgerlich, aber nicht weiter schlimm - wenn mich jemand mitten auf der Strasse umrempelt, und anschließend fährt mich ein Auto an, ist es das.
Ich sehe einfach keine Einschränkung meiner Entscheidungsfreiheit darin, wenn ich nicht alle Produktionsgeheimnisse kenne.
Du behauptest immer, daß ich als Kunde die Entscheidung treffen kann, welches Produkt ich kaufen will. Wenn für mich einer der wichtigsten Entscheidungsmerkmale nunmal die Art der Herstellung ist - die Art des Umgangs mit den Mitarbeitern - die Art des Umgangs mit Industriepartnern... dann kann ich diese Merkmale nicht ansatzweise beurteilen, da mir die Informationen fehlen. Das Hauptmerkmal heutzutage ist beim Kauf der Preis... und vielleicht ein/zwei Tests in irgendwelchen Zeitungen, wo aber nur das Produkt an Hand einiger weniger Kriterien auf Güte getestet wird. Ob dieses Produkt von Kinderarbeitern in Indien, Sklavenarbeitern in Afrika oder zufriedenen Angestellten in Argentien hergestellt wurde, weiss ich nicht. Und von den Zulieferbauteilen weiss ich das noch viel weniger. Und das sind nur extrem grobe Unterteilungen.
Viel komplizierter wirds z.b. bei recht ähnlichen Herstellungssituationen: Wie will ich zwischen einem Audi A4 und einem BMW urteilen, wenn ich nicht genau weiss, in welchem Werk zu welchen Bedingungen gebaut wird?! Genau... gar nicht... also geht der Käufer nach Preis, Bauchgefühl und scheinbarem Status des Produkts. Jedoch hat kein Käufer die Chance intensiv nach sozialen Gesichtspunkten zu urteilen. Somit wird es niemals einen Konkurrenzkampf in dieser Hinsicht unter den Herstellern geben, da die Kunden gar keine aktive Wahl treffen können - selbst wenn sie wollten (was zZ nicht der Fall ist)-
Im großen und ganzen vermutlich ja... ob sie die MENSCHLICHEREN Ergebnisse erzielen, ist eine ganz andere Frage.
Wenn ich mir ansehe, mit welchen Untaten die politischen Eingriffe in die Wirtschaft verbunden sind...
Ich glaube ja auch, daß weder das eine noch das andere Extrem sinnvoll ist - zumindest noch für eine längere Zeit. Im Einzelfall kann man da sicher streiten... und um Prozente hier und da... aber wenn ich z.b. von einer Staatsquote um 50% höre, klingt das in meinen Augen nach einer Teilung der Gesellschaft... vielleicht eine nicht ganz unvernünftige.
Das passiert täglich. Nicht umsonst gibt es das Wort von der schöpferischen Zerstörung.
Für manchen Menschen kann das die Zerstörung seines Lebens sein, zumal in unserer Gesellschaft Freiheit abhängig von Deinem Konto ist.
Das Bessere ist der Feind des Guten. Normalerweise wird der Prozess ein schleichender sein.
Aber bei weitem nicht immer - z.b. wenn eine relativ gut laufende Firma vom Besitzer an einen Fonds verkauft wird, und dann die Filletierung beginnt. Da können sowohl im Mitarbeiter als auch im Kundenbereich ganze Existenzen in finanzieller Hinsicht sehr plötzlich vernichtet werden. Ich habe in Erinnerung, daß Banken ihre Privatkredite an anderen Kreditunternehmer verscherbelt haben, und die Kreditnehmer dann plötzlich Änderungen der Verträge hinnehmen mussten, die aus deren finanzieller Sicht ziemlich übel waren.
Freiheit ist die Möglichkeit, tun und lassen zu können, was man will. Sie findet ihre Grenzen in den Rechten der Anderen. Diese Rechte sind: Leben, körperliche Unversehrtheit, Eigentum.
Siehe oben - sie findet auch Grenzen in der Natur, Grenzen in unserer Biologie, Grenzen im Bankkonto (in einer Gesellschaft, die mit Geld funktioniert) - es gibt haufenweise Grenzen... oder... Zwänge.
Ich bitte das alles nur als Verdeutlichung meines Standpunktes zu verstehen, nicht als Überzeugungsversuch. Ich weiß nämlich nicht, ob ich hier noch einmal antworte oder mir einen Urlaub vom Forum nehme.
Ich glaube auch, daß wir im Prinzip unsere Standpunkte klar gemacht haben. Du glaubst an eine sehr umfassende Freiheit - ich glaube nur an eine relativ stark eingeschränkte Freiheit.
Interessanterweise gibt es in jeder grösseren Gesellschaft bestimmte "Ränge", die es Individuen ermöglichen einen höhere Freiheit in bestimmter Hinsicht zu genießen - das gilt übrigens auch für andere Säugetiere (oder Insektenvölker). Der Rudelboß hat eine andere Freiheit als ein Mitläufer. Der Multimillionär-Erbe hat eine andere Freiheit als der Sohn eines alkoholkranken Sozialhilfeempfängers.
Wir leben in Zwängen... und meine Utopie für die menschliche Gesellschaft ist es, bestimmte Zwänge weiter zu verkleinern, bzw bestimmte freiheitlichen Möglichkeiten zu vergrössern. Dazu ist es meines Erachtens unumgänglich, bestimmte andere Freiheiten zu verkleinern. Und die kann meines Erachtens nur funktionieren, wenn nahezu alle Menschen die Verkleinerung bestimmter Freiheiten auch wollen... quasi... sich "frei" dazu entscheiden
... indem sie zu akzeptieren lernen, daß es sinnvoll, auch für einen selber ist.
Du stehst offenbar auf dem Standpunkt, daß es prinzipiell für jeden Menschen quasi eine identische oder sehr ähnliche Freiheit gäbe, wenn eine weitest gehend sich selbst organisierende Marktwirtschaft global existieren würde. Ich glaube dies nicht.
Allerdings muss man eines ganz klar feststellen: Letztlich können wir beide nicht wissen, wie sich eine solche grösstmögliche, globale Marktwirtschaft entwickeln würde. Von daher kann ich natürlich auch völlig falsch liegen
gruß
Booth