Ein_Liberaler
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racingrudi schrieb:tjo, dass marktwirtschaft für wohlstand sorgt ist unbestritten, dass allerdings komplett freie, von allen sozialen prämissen losgelöste marktwirtschaft das non-plus-ultra schlechthin sei, diese ansicht kann und will ich nicht teilen.
Marktwirtschaft macht fast alle reich (naja, vergleichsweise), weil sie
- den Gesamtwohlstand ungeheuer erhöht
- es belohnt, Arme zu versorgen (Aldi ist reicher als Käfer)
- sie Anreize setzt, jedermanns arbeitskraft auszunutzen.
Unsere "soziale" Marktwirtschaft wirkt dem entgegen, indem sie zum Beispiel die Beschäftigung Geringqualifizierter so verteuert, daß sie sich nicht mehr lohnt oder Dumping verbietet.
Es liegt daher nahe, daß eine freie Marktwirtschft die bessere Lösubng wäre.
Unbestritten ist natürlich, daß die Marktwirtschaft diejenigen nicht versorgen kann, die keine Tauschmittel haben. Ihnen nützt sie nur indirekt, denn wer reicher ist, der gibt natürlich den Erwerbslosen großzügiger als wer selber nichts hat. Die Tauschmittellosen sind aber in jeder Form der Wirtschaft auf Hilfe angewiesen. Diese moralisch geforderte Hilfe würde nichts an der Einstufung der Wirtschaft als freie Marktwirtschft ändern.
vor allem ist es auch eine glaubensfrage, denn wie du selbst schon festgestellt hast gibt es nirgends auf der welt die komplett freie marktwirtschaft, zumal wenn du den staat als liberalen-dämon weghaben willst. ein staat ist teilnehmer am wirtschaftskreislauf und greift insofern immer ins geschehen ein. ansonsten lässt sich freie MW nur im labor beobachten.
Ich finde, es andelt sich weniger um eine Glaubensfrage als um Logik. Den Staat will ich nicht ganz weghaben.
wenn du etwas genauer hinsiehst, dann stammen aussagen wie "zeit ist geld" nicht vom angeprangerten "sozialstaat", sondern aus der wirtschaft. dann kommt der schrei nach flexibilität aus der ökonomenecke, was gerade die von dir angesprochenen traditionellen werte torpediert.
Ich mache eigentlich die Beobachtung, daß die traditionellen Werte in den USA höher gehalten werden als bei uns.
ich male mir ein szenario aus, das die kinderzeugungsrate weiter schrumpfen lässt, sobald der staat sich aus der sache raushält und keine finanziellen anreize mehr schafft. frauen werden sich dann noch mehr überlegen, opportunitätsgewinne in form von verdienst durch karriere auszulassen.
Ja, und? Sollen sie doch, ist ihre freie Wahl. Wieso glaubst Du, daß eine bestimmte Kindermenge wünschenswert ist?
du stellst die marktwirtschaft in den absoluten mittelpunkt des lebens.
Die Wirtschaft ist ein wichiger Bestandteil des Lebens, egal ob ich als Wildbeuter von vier Stunden arbeit am Tag von der Hand in den Mund lebe, ob ich acht Stunden am Fließband stehe oder ob ich als Unternehmer zwölf Stunden arbeite. Ich stelle sie nicht in den Mittelpunkt. Familie und kulturelles Leben sind ebenso wichtig.
genau die sozialen themen werden eben nicht und niemals von der marktwirtschaft belegt werden. ist auch nicht sinn der sache.
Wir genießen heute zum Beispiel den Luxus, beim Heiraten nicht mehr prüfen zu müssen, ob die Äcker zusammenpassen. Gut, wenn wir die Wirtschaft aus unseren sozialen Beziehungen immer mehr verdrängen können, sage ich.
der soziale part MUSS in meinen augen der staat übernehmen. ich hab's öfter schon angesprochen: der staat als klammer für die ganzen binären einheiten namens familie.
Da bin ich ganz anderer Ansicht. Ich möchte in meinem sozialen Umfeld vom Staat in Frieden gelassen werden.
wer sorgt in einer staatenlosen vermarktwirtschaftlichten welt für die innere sicherheit? muss man sich dann security guards einkaufen? oder muss die die nachbarschaft selbst übernehmen?
Die Anarchokapitalisten sagen, das macht man entweder selbst, zusammen mit den Nachbarn, oder eine Versicherung. Ich sage, das macht der Nachtwächterstaat. Da er dabei versagen wird, braucht man trotzdem eine Versicherung und am besten einen Revolver unter dem Kopfkissen.
der (finanziell) stärkere hat das recht, wie es ja jetzt schon deutlich zu sehen ist. hauen und stechen.
Nur, wenn ihm der Staat die Waffen leiht.
Aphorismus schrieb:Das ist die staatliche Ebene, was ist mit der internationalen Ebene, der Globalisierung? Wenn denn freie Marktwirtschaft tatsächlich zu einer Nivellierung und Ökonomisierung der Verhältnisse führen würde, ja gerade dann müssten doch wir hier in Deutschland immer weniger durch unsere Arbeit verdienen, weil irgendwelche armen Kinder in Südostasien die Turnschuhe billiger herstellen können, oder nicht?
Genau andersherum. Die Kinder in Südostasien werden immer mehr verdienen, bis am Ende ihre Eltern genug verdienen, um sie nicht mehr arbeiten schicken zu müssen. Zwischenzeitlich werden allerdings bei uns Übertreibungen rückgängig gemacht und es muß tatsächlich zu Lohnrückgang kommen - aber nicht für immer und ewig.
Je länger wir uns allerdings der Globalisierung widersetzen, desto länger dauert die momentane Krise.
Wie interessant. Mir ging es darum, dass es damals wie heute ein Gros an Menschen gibt, die sich lediglich eine Grundversorgung leisten können. Ob ein Volkempfänger im Block, das erste Spülklosett in der Strasse, oder die erste Playstation im Plattenbau ist mir da herzlich fumpe.
Aber Du bestreitest doch nicht, daß die "Grundversorgung" heute wesentlich üppiger ist als früher, oder? Mir wäre es natürlich lieber, wenn jedermann Kapital bilden könnte, aber dafür ist unsere Wirtschaft nicht frei genug, und vor allem schwankt die Konjunktur zu sehr. Der kleine Mann, der nicht diversifizieren kann, hat an unseren Börsen keine Chance, da mag ein Schwätzer wie Kostolany reden, soviel er will.
Wieder so ein Perspektiv-Ding. In Deutschland vielleicht. Auf internationaler Ebene mit Sicherheit nicht.
International haben wir ja auch alles andere als eine freie Marktwirtschaft. Deutschland steht auf den einschlägigen Indices immer noch ziemlich weit oben.
Booth schrieb:Das halte ich für stark einseitig, da in Ländern ohne so ausgeprägten Sozialstaat ebenfalls traditionelle Bindungen zerschlagen wurden und das Verhältnis der Menschen ökonomisiert ist.
In Afrika sind andere Umverteilungsmechanismen als der sozialstaat an die Stelle der Familie getretn, der kleptokratische Beamtenstaat nämlich. In den ehemals kommunistischen Ländern wurden sie sogar bewußt zerschlagen.
Ich denke sogar, daß die "traditionellen Bindungen" in der Vergangenheit sehr stark von "ökonomischen" Motiven geprägt waren.
Das waren sie auch nach meiner Ansicht. Der Wohlstand hat diese Bindungen gelockert, uns weniger abhängig davon gemacht. Er hat sie eigentlich erst zu vornehmlich sozialen Bindungen ohne großen ökonomischen Anteil machen können.
Zudem gibt es viele andere Gründe, die "traditionelle Bindungen" ge-/zerstört haben. Von der Innovation der Verhütung (wie die meisten Innovationen sicherlich von Dir, aber definitiv von mir hochgeschätzt)
Tja, wenn ich in Grenzwerten denke, und daß stünde mir ja gut an, hast Du recht. Ich sehe aber auch dauernd Ehen mit Kindern scheitern. Der Einfluß der Verhütung auf die Bindungslosigkeit des modernen Menschen scheint mir wirklich eher marginal.
bis hin zur Ökonomisierung der kleinsten Privatsphäre durch Werbefernsehen. Auch darf man sozio-kulturelle Entwicklungen, wie die Gleichberechtigung der Frauen nicht unterschlagen.
Alles in allem halte ich Deine Argumentation weiter oben nicht für realitätsnah.
Auch würde ich an einen Satz zwei wesentliche Verbesserungen einbringen wollen: Zitat:
freie Markwirtschaft sorgt [langfristig] für Wohlstand, indem sie immer mehr und immer billigere Güter bereitstellt. Der Sozialstaat sorgt [langfristig]für Armut,
Ich dachte, es wäre selbstverständlich, daß es um langfristige Wirkungen geht.
Denn kurzfristig sorgt der Sozialstaat für Wohlstand bei denen, die kurzfristig durch die Martkwirtschaft von Armut bedroht sind (weil sie bspw den Job verlieren, oder den Job durch eine Behinderung nicht mehr ausüben können, etc).
Ja, aber er schafft keinen Wohlstand, sondern er verteilt ihn. Er macht die einen wohlhabender und die anderen ärmer. Marktwirtschaft macht alle wohlhabender.
Aber selbst mit dieser Verbesserung stehe ich der allgemeinen Form dieser Aussage kritisch gegenüber. Es gibt einfach bislang in der Geschichte der Menschheit keine Phase wirklich freier Marktwirtschaft - eine längere schon gar nicht. Von daher ist die Aussage eine These, nichts weiter.
Tendenziell hat bisher aber immer freiere Wirtschaft für höheren Wohlstand gesorgt, und das Gegenteil ist noch augenfälliger.
Und zum Thema Innovationen:
Man sollte Innovationen nicht nur in Form von Auto, Computer und Fernseher sehen, sondern gerade auch in Form von Heizung, Warmwasser, günstige Reinigungsmittel (und damit einhergehende Hygiene), medizinische Versorgung, und anderes.
Das tue ich. Für solche Beispiele bin ich aber auch schon veralbert worden.
So, mal sehen, wann ich wieder Zeit habe. Ich bin Euch durchaus Antworten schuldig.