EXTREMISMUS
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Doppelstrategie
Werbung für
deutsche Staatsbürgerschaft
H E S S I S C H E R V E R F A S S U N G S S C H U T Z B E R I C H T 2 0 0 3
AUSLÄNDEREXTREMISMUS
Für die IGMG war es auf jeden Fall ein wichtiger Erfolg, dass die türkische Regierung im April in einem Runderlass ihre Auslandsvertretungen aufforderte, die Organisation zu unterstützen. Der türkische Außenminister rief dazu auf, die Botschafter sollten an IGMG-Veranstaltungen teilnehmen und Vertreter der Organisation bei Botschaftsempfängen eingeladen werden.
Auch der türkische Ministerpräsident Erdogan empfing bei seinem Deutschland-Besuch im September hochrangige IGMG-Funktionäre, darunter den Vorsitzenden. Als mitgliederstärkste islamistische Kraft will die IGMG Einfluss und Macht in Deutschland nicht mit gewaltsam-revolutionären Mitteln, sondern auf politischem Wege erringen. Sie verfolgt dabei eine Doppelstrategie. Nach außen spricht sie von Integration,
Religionsfreiheit, stellt sich gemäßigt sowie dialogbereit dar und gibt verbale Bekenntnisse zum Grundgesetz ab. Sie verschleiert ihre verfassungsfeindlichen Ziele. Aus taktischen Erwägungen vermeidet sie in der Öffentlichkeit extremistische Aussagen, nicht zuletzt auch, um den Verfassungsschutzbehörden keine Angriffsflächen zu bieten. Intern wird – basierend auf einer islamistischen Interpretation von Koran und Scharia – gegen die westlich-demokratischen Werte agitiert. Auch wenn die Innere Sicherheit stark durch den islamistischen Terrorismus bedroht wird, stellt die Strategie des nicht-militanten Islamismus, insbesondere
der IGMG, langfristig eine größere Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar.
Die IGMG propagiert bei ihren Mitgliedern weiter den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft.
Dadurch wird der rechtliche Status verbessert, es kann größerer politischer Einfluss ausgeübt werden; für islamistische Positionen können so bessere Durchsetzungsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Organisation unterstützt ihre Mitglieder bei Einbürgerungsverfahren.
Auf Ablehnungen der Einbürgerungsanträge wird bundesweit mit einheitlich und koordiniert ausgearbeiteten umfangreichen Klagen reagiert. für die Anhänger in der Milli Gazete deutliche Worte gefunden: „Ein Mann, der nicht das Bedürfnis hat, die Faust gegen den Nichtmuslim zu erheben und ihn aufs Auge zu treffen, kann weder im religiösen noch im terminologischen Sinne als Mann bezeichnet werden“.
(Milli Gazete, 22. Juli 2003)
Dass Aussagen zur Integration reine Lippenbekenntnisse sind und lediglich der Täuschung dienen, wird auch deutlich an einem kaum verhüllten Aufruf zu einer islamistischen Parallelgesellschaft. Unter der Überschrift „Entfernt Euch nicht aus der Umgebung der Moscheen“ wird in der Milli Gazete beklagt, dass einige „Brüder“ Häuser kaufen würden, die weit von den Moscheen angesiedelt sind. „Töchter“ und „Söhne“ müssten somit das muslimische Umfeld und muslimische Freunde entbehren. So entstehe die Zwangslage, Freundschaften mit Personen zu führen, die nicht die gleiche Meinung und den gleichen Glauben haben. Der Autor des Berichtes bittet ausdrücklich, „dass die Muslime in der Nähe der Moscheen wohnen, sich in der islamischen Umgebung aufhalten und sich von der Moschee und der Gemeinde nicht entfernen sollen.“
(Milli Gazete, 27. Dezember 2002)
Die hessische Jugendorganisation der IGMG veranstaltete am 24. Mai in der Kongresshalle in Gießen eine Feier zum „Tag der Eroberung und Tag der Jugend“ mit rund 600 Personen. An der „Eroberungsfeier“, so Milli Gazete, nahmen auch der IGMG-Generalvorsitzende und ein hochrangiger SP-Funktionär aus der Türkei teil.
Die geistig-politische Bedeutung einer derartigen Fatih-Veranstaltung, dem Symbol der gewaltsamen Eroberung für den Islam, ist keineswegs zu unterschätzen. Mit Feiern zu Fatih betreibt die IGMG, die sich staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen
gegenüber als integrationsfördernd geriert, eine neo-osmanische Nostalgie, die zumindest geeignet ist, Zivilisationskonflikte herbeizuführen und junge Menschen türkischer Herkunft Europa zu entfremden.
Als Fatih, d.h. Eroberer, wird Sultan Mehmet II. bezeichnet. Am 29. Mai 1453 kam es durch den Mauersturm der Janitscharen zum Fall Konstantinopels, des heutigen Istanbuls, und zum Untergang des christlichen Byzantinischen Reiches.
Für einzelne Zielgruppen unterhält die IGMGeigene Organisationen, wobei sie einen besonderen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Einflussnahme auf türkischstämmige Kinder und Jugendliche setzt, die sie auch mit zahlreichen Freizeitangeboten und Aktivitäten an sich zu binden versucht. Sie bietet in den Schulferien Korankurse, die sowohl als Tageskurse sowie auch als Internatskurse durchgeführt werden, und während des Schuljahres Hausaufgaben- und Nachhilfekurse an. Die IGMG will so die Heranwachsenden von der von ihr
verachteten Gesellschaft möglichst fernhalten.
Massiv wurde dazu aufgefordert, die Kinder in die IGMG-Sommerschulen zu schicken. Wie alljährlich erschienen auch im Berichtsjahr zu Beginn der Sommerferien zahlreiche Aufrufe in der Milli Gazete, Termine und Veranstalter wurden bekannt gegeben. Das Ziel der Kindererziehung nennt die IGMG, die nach außen permanent von Integration spricht, intern klar und unverholen aggressiv beim Namen: „Dass die schmutzigen
Burgen des Westens vor unseren Kindern nicht mehr standhalten und nach und nach zusammenbrechen
werden“ (Milli Gazete 6./7. September). Den Koran zu lernen und zu lehren sei das größte Glück für einen Menschen. Der Koran sei die Quelle des Glücks auf der Welt und im Jenseits. Eine Reihe von „abgeirrten“ Vereinigungen, „vor allem die jüdischen und christlichen Komitees“, würden nur auf eine Gelegenheit warten,
„um uns unsere Kinder wegzunehmen. Wir sollten nicht dulden, dass unsere Kinder diesen verrückten wilden Tieren zum Fraß werden.“ (Milli Gazete, 5./6. Juli). Der Vorsitzende einer von der IGMG erheblich beeinflussten Organisation erklärte nach Abschluss der Sommerkurse: „Das wichtigste Ereignis für mich ist,
dass meine Tochter nach dem Besuch dieses Kurses freiwillig ein Kopftuch tragen will. Das ist das größte Geschenk, das mir gemacht wird.“ (Milli Gazete, 4. September)
Das Tragen des Kopftuchs sei für muslimische Mädchen ein Befehl Gottes, dekretierte die IGMG in der Milli Gazete (27. Dezember 2002). Die Mädchen würden es „ehrenvoll wie eine Fahne“ tragen. Dabei gehen die Bekleidungsvorschriften der IGMG noch viel weiter: Mädchen, die eine Hose tragen, seien in Wirklichkeit nicht bedeckt. Kopftuchtragende Mädchen mit Hosenanzügen würden ihre Körperkonturen nicht vorschriftsgemäßverdecken. Sie müssten zusätzlich darüber „unbedingt“ einen weiten Mantel tragen.