Das ist wirklich ein bemerkenswerter Thread. Zum einen, weil hier in sehr demokratischer und zivilisierter Weise eine Diskussion geführt wird, statt sich nur in gegenseitigen Beschimpfungen oder Drohgebärden zu ergehen, wie das leider sonst in Auseinandersetzungen mit Anhängern der Rechten zu beobachten ist.
Zum anderen, weil der Diskurs meiner Meinung nach trotzdem in die Falle tappt, die die NPD aufgestellt hat, denn die Diskussion läuft vorhersehbar in genau jene Zone semantischer Widersprüchlichkeiten, aus denen die Rechte als Sieger hervorgehen kann, indem sie die Pose der "einzigen Partei, die unterdrückte Wahrheiten deutlich beim Namen nennt" einnimmt.
Woran liegt das?
Nehmen wir das Beispiel "Holocaust".
Dieses Wort hat eine semantische (Bedeutungs-) Ebene und eine konnotative (emotionale) Ebene.
Auf der semantischen Ebene herrscht - Duden hin oder her - keine eindeutige Verwendungsvorschrift vor. Zwar wird es häufig für den Genozid an den Juden durch die Nazis verwendet, aber eben auch für andere Völkermorde oder für Massenmorde, die streng genommen keine Völkermorde sind. Das ist eigentlich nicht zu bedauern, denn es ist das Kennzeichen einer jeden lebenden Sprache, dass sie nun mal im Fluss ist und ihre Bedeutungen nicht für alle Zeiten in Stein gemeisselt, sondern für verschiedene Sprachgebräuche offen sind.
Auf der konnotativen Ebene ist es hingegen einfacher: Holocaust wird - unabhängig von seiner spezifischen semantischen Verwendung - durchgängig als etwas zutiefst Negatives und zu Verurteilendes angesehen.
Für den Genozid an den Juden und die Bombardierung von Dresden gilt mit Sicherheit, dass wir alle diese Ereignisse als etwas zutiefst Negatives und zu Verurteilendes ansehen. Und ich denke, das gilt auch für Briten, z.B. jenen britischen Historiker, der in Dresden sprach. Es gilt bestimmt auch für die Juden, die Ausschwitz überlebten und auch für die Dresdner, die die BOmbardierung überlebten.
Ob man Dresden nun als "Holocaust" bezeichnet oder nicht, ist eigentlich egal, finde ich. Denn es gibt nun mal keine verbindliche Sprachregelung und in einem freien Land sollte es sie auch nicht geben. Man kann das mögen oder nicht, aber letztendlich geht davon die Kultur nicht unter.
Aufregen (und zwar zu Recht) sollte man sich hingegen, wenn z.B. jemand eine Position wie die folgende verträte:
"Da man sowohl die Bombardierung und den Genozid an den Juden als Holocaust bezeichnen kann & es für die Bombardierung Dresdens legitime Gründe gab, gab es auch für den Genozid an den Juden legitime Gründe".
Bislang hat das hier aber noch keiner getan.
Und genau das ist eine Art von Falle, wie sie auch von der NPD in öffentlichen Diskursen aufgestellt wird. Sie benützt einen kalkuliert eingesetzte Begriffsverwendung, der eine hochemotionale Diskussion provoziert, die aber im Sande verläuft - weil sie sich tatsächlich um semantische Feinheiten rauft, die nicht lange die Aufmerksamkeit fesseln und früher oder später ein ennui erzeugen.
Gleichzeitig kann sie Punkte bei denjenigen machen, die durchaus auch bereit wären, die Bombardierung Dresdens als Holocaust zu bezeichnen - und zwar ausschliesslich deshalb, weil sie ihn erlebt haben oder Verwandte dabei verloren und dies für sie als Betroffene die gleiche emotionale Qualität hat wie für einen Juden die Erinnerungen an das KZ oder der Gedanke an einen Verwandten, der im KZ ermordet wurde.
Auf der emotionalen Ebene "denken" wir alle nun mal sehr undifferenziert. Und auf der emotionalen Ebene macht es auch nicht den geringsten Sinn, das eine Leid gegen das andere zu verrechnen. Beides ist unerträglich.
Und schon ist die NPD der Anwalt all der "ungehörten" Bombenopfer, die ihrem Schmerz auch mal Ausdruck geben wollen.
Daher lautet meine Ansicht zu diesem Vorfall im sächsichen Landtag:
- Wenn die NPD die Bombardierung als Holocaust bezeichnen will, dann soll sie doch.
- Wenn sie während einer Gedenkminute aus dem Landtag geht, dann soll sie doch.
Fakt ist doch, dass sie über keinerlei Macht verfügen.
Daher geht geht unsere Demokratie nicht von solchen Mätzchen unter & auch nicht von den paar Prozent für die NPD. Dieser Staat hat schon ganz andere Sachen ausgehalten, und darauf können wir durchaus stolz sein.
All das ist nicht wichtig. Wichtig ist, worüber die NPD nicht spricht (zumindest nicht öffentlich). Und auch nicht zu sprechen braucht, weil ihr alle aufrechten Demokraten schon vorher über den Mund fahren, so dass sie wunderschön die verfolgte Unschuld mimen kann.
Lasst sie doch mal sagen, was sie eigentlich SONST NOCH WILL. Und dann kann man auch um die wesentlichen Standpunkte streiten. Wenn wir uns über Belanglosigkeiten streiten, hört niemand mehr zu, wenn's ans Eingemachte geht.