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Rede von Sahra Wagenknecht in der Haushaltsdebatte des Bundestages am 23.11.2016 (inklusive Zwischenrufe)Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Es ist schon verblüffend, wie Politik manchmal funktioniert.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
- Ich weiß gar nicht, was Sie daran so lustig finden. - In Deutschland wachsen soziale Ungleichheit und Verunsicherung und mit ihnen die Zahl der Wählerstimmen der AfD.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Gleich im ersten Satz! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Kaufen Sie sich doch mal eine neue Platte! Die ist kaputt!)
In Europa ist die deutsche Regierung so isoliert wie lange nicht mehr.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Der zweite Satz ist auch nicht besser!)
Als bevorzugten Partner hat sich die Kanzlerin ausgerechnet einen türkischen Diktator ausgesucht, der Journalisten und Oppositionelle ins Gefängnis werfen lässt und die Todesstrafe großartig findet.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
[...]
Als vor zwei Wochen die US-Bürger für Trump statt für Ihre gemeinsame Favoritin Clinton stimmten, waren Sie wieder alle geschockt.
(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Für wen waren Sie denn?)
Aber Ihre einzige Schlussfolgerung scheint zu sein, jetzt einen europäischen Hochrüstungswettlauf zu starten. Glauben Sie wirklich, das ist es, worauf die Millionen Abstiegsgefährdeten in Europa und die verlorene Generation in den Krisenländern gewartet haben? Offenbar hat selbst ein Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie.
(Lachen bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Der neue Rassismus!)
Denn immerhin hat der Mann begriffen,
(Thomas Oppermann (SPD): Neuer Bündnispartner!)
dass staatliche Industriepolitik besser ist als billige Dienstleistungsjobs und dass gegen Krise und marode Infrastruktur nicht Kürzungspolitik hilft, sondern ein groß angelegtes öffentliches Investitionsprogramm.
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jurk (SPD): Vor 27 Jahren ist das in der DDR zusammengebrochen! – Thomas Oppermann (SPD): Sie haben jetzt den richtigen Partner gefunden!)
Weil schon die Ankündigung dieses Programms zu höheren Zinsen in den USA geführt hat, wird Europa unter Ihrer Führung wohl lieber mit seinem Geld neue Brücken und moderne Netze in den USA finanzieren, statt den Niedergang der europäischen Infrastruktur endlich zu stoppen und Industriearbeitsplätze auch in Frankreich und Italien zu verteidigen und zu retten. Aber merken Sie denn gar nicht, dass es genau diese fatale Politik ist, die Europa spaltet und immer mehr kaputtgehen lässt?
Sollte im nächsten Jahr tatsächlich Marine Le Pen französische Präsidentin werden, dann werden Sie wieder alle geschockt sein, und wahrscheinlich beklagen Sie dann wieder die Verführungsmacht geschickter Populisten und das Zeitalter des Postfaktischen. Aber wenn etwas postfaktisch ist, dann sind das nicht die Emotionen der Menschen, die sich von Ihrer Politik im Stich gelassen fühlen, sondern die Lügenmärchen, die Sie ihnen erzählen, um zu begründen, dass diese Politik angeblich alternativlos ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen? Die US-Bürger haben doch gar nicht in erster Linie den Milliardär Donald Trump gewählt.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was Sie alles wissen!)
Sie haben das Weiter-so abgewählt, und dafür hatten sie in einem Land, wo die mittleren Löhne heute unter dem Niveau der 80er-Jahre liegen, natürlich allen Grund.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Genau! Sie haben eine enge Beziehung zu den USA, oder?)
Auch in Deutschland haben immer mehr Menschen gute Gründe, enttäuscht und wütend zu sein: über eine großkoalitionäre Einheitspolitik, die sich für ihre elementaren Lebensinteressen und Zukunftsängste überhaupt nicht mehr interessiert,
(Thomas Jurk (SPD): Das stimmt doch gar nicht! Das ist Quatsch!)
sondern gleichgültig und emotionslos immer wieder Entscheidungen fällt, die die Reichen noch reicher, die Konzerne noch unverschämter und das Leben der arbeitenden Mitte und der Ärmeren noch unsicherer und prekärer machen. Ich finde, eine solche Politik ist unglaublich, und sie ist verantwortungslos.
[...]
Auch der jahrelange Personalabbau bei der Polizei hat ganze Wohnviertel zu nächtlichen No-go-Areas gemacht. In den baufälligen Schulen dieser Viertel werden von überlasteten Lehrern auch nicht die hochqualifizierten Fachkräfte der Zukunft ausgebildet, sondern junge Menschen, von denen viele im Leben nie eine Chance bekommen werden, weil das chronisch unterfinanzierte Bildungssystem dieses reichen Landes noch nicht einmal in der Lage ist, ihnen elementare Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten beizubringen. 21 Milliarden Euro weniger als der Durchschnitt der OECD-Staaten gibt Deutschland jährlich für seine Schulen und Universitäten aus. Was für ein Armutszeugnis, Frau Merkel.
(Beifall bei der LINKEN - Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Unerträglich!)