nicolecarina
Erleuchteter
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force schrieb:wie kommt es, dass die medien scheinbar gesteuert sind, dass sie so konform laufen mit dem system obwohl doch eigentlich die medien einigermaßen gut gegen manipulation geschützt sind? es ist ja nicht so, dass in unserem land ( im gegensatz zu z.b. italien wo el presidente ja auch gleich der größte medienmodul im lande ist ) der kanzler einfach in die redaktion stürmen könnte um zu sagen "he... das schreibt ihr so nicht!!"
ich sehe hier eine wirkung der so gern beschworenen segensreichen eigenschaften der unsichtbaren hand, die ja bekannterweise die dinge lenkt.
es macht marktwirtschaftlich sinn genau diese art von sendungen zu bringen, die eben gebracht werden... es macht marktwirtschaftlich sinn uns in dieser realität zu halten, uns etwas zu geben über das wir uns aufregen können.
Ausgehend von Force´s Post im Hartz-Thread möchte ich gern mal Meinungen zu genau dieser Fragestellung diskutieren.
Da ich selbst in der Medienbranche arbeite, gibt es hin und wieder ganz deutliche Beispiele dafür, dass eben nicht alles gedruckt wird, was die Journalisten so schreiben. Vor allem die Freien müssen sich glaube ich noch stärker entscheiden: Vogel friss oder stirb, soll heißen, entweder ich schaffe es mit eigenen Themen - und dazu braucht es langen, langen Atem, gute Kontakte und Profil - oder ich mach halt schweren Herzens mit, weil´s halt sonst nichts gibt. Und was sind das dann für Themen? Meist unreflektiert übernommen von Nachrichtenagenturen und Pressebüros, das was halt reinkommt oder der hundertste Bericht über Sinn und Unsinn eines Fitnesstudios, Reiseberichte oder was ausgelaugte Mediennutzer sonst noch gerne konsumieren. Bad news passen da gut rein, da fühlt sich jeder gleich ein bisschen verstanden, kann sich aufregen und fühlt sich etwas lebendiger als noch am Arbeitsplatz vorher. So sieht für die meisten wohl die Realität aus. Kein Wunder gibt es unter klassischen Freien die größte Solidarität.
So, demgegenüber steht der Pressekonzern, der klip und klar entscheidet, was ins Blatt kommt - und zwar nach wirtschaftlichen Kriterien. Stimmt der Verkauf oder die Anzeigenqutoe nicht, werden da von heute auf morgen Leute entlassen - Freie zuerst, außer sie dienen der Redaktion seit 20 Jahren. Vor allem Anzeigenblätter sind auf Ihre Kunden angewiesen. Das muss Journalist erst mal lernen, der interessiert sich nämlich im Regelfall für ganz andere Themen, weshalb bis vor einigen Jahren und in vielen Redaktionen heute noch, die kaufmännische Abteilung strikt von der Redaktion getrennt war, um eben die geistige Freiheit zu sichern. Diese Freiheit ist so kaum mehr gegeben, die Grenzen zwischen Werbung und Journalismus verschwimmen so, dass sich sogar ein neuer Berufszweig gebildet hat: die PR-Fachleute, die oft genug früher auf der anderen Seite des Schreibtisches gesessen haben. Vor allem bei Medien, die täglich erscheinen, macht diese Trennung aber unbedingt Sinn, weil der Redakteur sonst nämlich überfordert ist. Und das ist er aufgrund der Info-Flut die bewältigt werden will eh fast immer: der Kleintierzüchterverein will die Hocketse angekündigt wissen, der Polizeibericht soll noch redigiert werden und dann muss da noch ein Foto her und dort noch der Termin nachgefragt werden - das ist journalistischer Alltag.
Dann gibt es noch die Hype-Medien-Macher und die "BWLer" unter den Medienleuten, die möglichst große Namen, Kameras und Bussi-Bussi wollen - die wenigsten schaffen das und viele landen deshalb in der Brisant-Redaktion als Moderatorin und grinsen zu den wie ich finde allerunglaublichsten Nachrichten noch munter in die Kamera. Nicht weil sie Hoffnung machen wollen, sondern weil das die Ignoranz und der Aberwitz unserer Zeit ist. Nachdenklich macht mich das aber schon. Zum Beispiel wenn ich so was erlebe (ebenfalls ein Zitat aus dem Hartz-Thread):
"nic" schrieb:...das beste beispiel für dieses gehabe hatte ich neulich: von einem kindergarten machte ich zwei berichte: einmal über die wirklich originelle sprachförderungsgruppe mit einer handpuppe und den zweiten über die aktion, bei der eine erzieherin mit einigen kindern schildern malte, die sie auf einem spielplatz aufstellen wollen, auf dem viele hunde hinkacken. ide hundekacke-story wurde sofort abgedruckt, die geschicht über die sprachförderung musste ich erst nochmal anfragen und hab sie schließlich einfach in eine rubrik gepackt, ohne die keine ausgabe erscheint. sprich, sie mussten sie fast drucken. jedenfalls regte sich die erzieherin dann auch künstlich darüber auf, dass da so unterschiede im nachrichtenwert gemacht werden. schließlich sei hundekacke unerfreulich genug und man solle doch lieber endlich mal die andere geschicht bringen. ich glaub ja, obwohl sie im inhalt recht hatte, dass sie angst vor der eigenen courage bekommen hat, aber das ist wieder eine andere geschichte
Nun ist es fatal, den Medienkonzernen schlicht böse Absicht unterstellen zu wollen, so ist es glaube ich nicht in allen Fällen. Vielmehr entwickelt sich da aus verschiedenen Faktoren eine ganz eigene Dynamik, der man sich erst entzieht, wenn man ein Wochenende depressiv auf der Couch gehangen hat oder weil der Magen weh tut, weil was besseres kommt oder weil die Kündigung da ist. Ansonsten bleibt wie gesagt kaum Zeit zum drüber nachdenken, es macht sich vielmehr einfach dumpfes Unbehagen breit. Der Journalist, von Haus aus leidenschaftlich mit seiner Schreibere verbunden, flexibel und neugierig, prüft eben alles und merkt lange nicht, dass ihn andere schon längst vor den Karren gespannt haben - vornehmlich die Leute, die ihre Pressemeldungen schon vorgefasst und mit Foto liefern. Die gibt es immer häufiger und so wird immer weniger selbst recherchiert sondern eher korrigiert und weitergeleitet. Glück für alle Propagandisten, die oftmals lediglich vond er Überforderung der Redakteure profitieren.
Für echte, tiefer gehende Recherchen bleibt oft kaum Zeit oder eben Geld. Zumal der Leser scheinbar nicht mehr als 120 Zeilen zu einem Thema lesen will und dazu ein möglichst actionreiches Foto in Hochglanz sehen möchte. Viele bekommen gar hysterische Anfälle am Telefon, wenn sie ihren Text nicht in der nächsten Ausgabe lesen können. Soviel zum Thema freier Beruf und Pressefreiheit
Für viele Journalisten klassischer Schule - und da fällt im Fernsehen allerhöchstens noch ein Herr Kienzle als couragiert auf - stellt sich die Frage: Quantität statt Qualität? Oder mit gutem Beispiel vorangehen und wieder aufs Handwerk und Denken setzen? Auch auf die Gefahr hin, dass ich nicht an jeder Ecke einen Abnehmer finde? Befriedigender ist das schon muss ich sagen. Ganz klar gibt es in großen Pressebüros auch eindeutige Seilschaften, beim kleinen Blatt fängt es mit dem Handel- und Gewerbeverein an, der seine Macht als größter Anzeigenkunde schon ganz gut zu nutzen weiß und nicht selten den Kollegen das Leben schwer macht, bzw. an Kündigungen indirekt beteiligt ist. Ein Beschwerdetelefonat in der Redaktion reicht unter Umständen schon, um in klammen Zeiten die gesamte Redaktion in Aufruhr zu versetezn. Meist wird der Betreffende Schreiber dann erst gar nicht mehr gefragt.
In diesem Zusammenhang ist übrigens das neue Buch von Rossen sehr interessant: Meine Sonntage mit Sabine Christiansen
http://www.shortbooks.de/ShortBooks...cfm?BookID=543&PP_ID=358354&ref=!&0 &PK=543
Kurzes Zwischenfazit: Nicht alle Medienmacher sind sich im Alltag bewusst, in welcher Dynamik sie stecken, sollten es meiner Meinung nach aber mehr denn je sein, denn so öffnet man Manipulation und Desinformation Tür und Blatt...
@Mods: können wir denn ein Unterforum für Mediendiskussion aufmachen?