Von Elfen und Tieren und kleinen und grossen Geschöpfen...

energiestrahl

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Das Königreich des kleinen Glücks

Von einem fernen Land, ganz weit weg von hier, möchte ich erzählen. Niemand weiß mehr so genau, wo sich dieses Land befindet und keiner kann sich daran erinnern, vor wie langer Zeit sich diese Geschichten ereigneten.

Aber eines ist sicher: In diesem fernen und wunderschönen Land, wo die Sonne fast das ganze Jahr über scheint und alles von hellem Glanz ist - dort gibt es keine Menschen. Und wenn sich je ein Mensch dorthin verirrte, dann war es entweder einer, der gar nicht bemerkte, wo er war oder einer, der alles ganz schnell wieder vergaß.Denn nur die wenigsten von uns haben ein Auge für die wirklich wichtigen und schönen Dinge und so blieben die Bewohner des fernen Landes ungestört.

All die Moderne und die Hektik, die sogenannte Zivilisation, in der es keinen Platz mehr für Gefühle gibt, ging an diesem Ort einfach vorbei ohne ihm schaden zu können.

Geschäftsleute suchen heute verzweifelt nach Orten zum Entspannen, Familien reisen der Sonne nach in den Süden, Weltenbummler klappern alle Sehenswürdigkeiten ab um vor ihren Nachbarn damit anzugeben.

Wenn sich aber eines der Tiere oder eine der Pflanzen oder auch ein Elf in dem fernen Land auf einer blumige Wiese entspannte, Sonne und Wärme schöpfen konnte und das kleine Glück des einzelnen Momentes erfuhr, dann gab es keinen Grund mehr, warum man diesen Ort verlassen sollte.

Im Gegenteil - gerade die Elfen hatten sich aus der ganzen Welt hier eingefunden, denn außer in dem einen oder anderen Kinderherzen war für sie kein Platz mehr auf der anderen, großen, kalten Welt. Nur noch in Märchenbüchern. Von diesem Land also, dem Königreich des kleinen Glücks, handelt die kommenden Geschichten.

Der Baum, der alles viel zu ernst nahm

Auf einem fruchtbaren Hügel, in der Nähe eines klaren Sees, stand ein Baum. Er war schon länger da, als die meisten Blumen und Gewächse, hatte schon weit über zwanzig Sommer erlebt, aber obwohl er viel erzählte, kannte keiner seine ganze Geschichte. Vieles war geheimnisvoll.

Mit einigen seiner Äste reichte er über das Wasser des Sees und spendete den kleinen Fischen und Kaulquappen im Sommer kühlenden Schatten.

Den brütenden Vögeln und den Tieren, die sich an besonders heißen Tagen in der Nähe des Stammes ausruhten, tat er dasselbe. Eigentlich kann man sagen, dass es seine größte Aufgabe war. Da es keinen richtigen Winter gab, und fast immer die Sonne schien, hatte er so nie Langeweile. Und Nachts, wenn die Elfen tanzten, war sein Schatten vor dem Mond und schützte sie vor den Augen anderer. Auch ohne Menschen blieben die Elfen stets ein scheues Volk.

Der Baum nahm seine Aufgabe auch sehr ernst, er war überhaupt immer sehr gewissenhaft in allem, was er tat. Auch wenn er den kleinen Tieren lustige Geschichten erzählte und selbst lachen konnte, dass sich die Äste bogen, so blieb er stets fest verwurzelt in der Realität. Der See gab ihm Wasser und der Boden nährte ihn.

Doch wenn er die Vögel beobachtete, die ihn regelmäßig besuchten und dann wieder hoch in die Lüfte flogen, wünschte er sich schon ganz im Geheimen, dass er einmal eine andere Aufgabe hätte, als sein Leben lang kühlen Schatten zu spenden und er bereute es schon gelegentlich, dass er gerade an diesem Platz als junger Zweig einst so tiefe Wurzeln geschlagen hatte.

"Viel besser wäre es doch, wenn ich meine Erfahrung und mein Wissen an die kleinen Pflanzen und Tiere weitergeben könnte und ihnen ein Freund und Vorbild wäre", dachte sich der Baum.

Solche Gedanken waren etwas ganz Neues für ihn und sein Umfeld. Aber er wagte es doch und all die Kleinen kamen zu ihm und verbrachten gerne ihre Zeit dort. Er gab ihnen Kraft und Geborgenheit und es war ganz wundervoll.

Das machte der Baum natürlich mit seiner ganzen Ernsthaftigkeit und all seiner Kraft. Für andere Sachen hatte er kaum noch Zeit, er blühte auf und wuchs mit seiner Tätigkeit.

Die Vögel fanden das alle sehr interessant, aber sie vermissten die ungeteilte Zuwendung, die der Baum ihnen früher geschenkt hatte.

Besonders ein kleines Rotkehlchen, welches als Jungtier aus dem Nest gefallen und im Schutz des Schilfs am See und der näheren Bewohner aufgewachsen war, fühlte sich vernachlässigt.

Der Baum war ihm mehr als nur ein guter Freund geworden und nun pflegte er die Freundschaft nicht mehr. Es ließe sich nicht mit seiner neuen Aufgabe vereinbaren, sagte er immer, aber das konnte gar nicht sein.

Freunde sollten doch das Wichtigste im Leben sein - das hatte er selbst immer gesagt. Und obwohl der Baum wusste, dass das Rotkehlchen bestimmt recht hatte, änderte er nichts an seinem Verhalten und blieb trotz einer erfüllenden Tätigkeit tief im Herzen einsam.

Das kleine Rotkehlchen

Lange bevor die Existenz des Baumes für den kleinen Vogel wichtig wurde, brütete ein Vogelpärchen auf einem nahe gelegenen Baum die Eier aus.

Die Kleinen schlüpften und waren quietschfidel und sie lernten nach und nach Fliegen. Bei einem dieser Flugversuche stürzte das Rotkehlchen ab und fand nicht mehr zurück zum Nest.

Zum Glück nahmen sich ein paar kleine Tiere seiner an und an dem klaren See, versteckt im Schilf, wurde es flügge. Hier gab es genug Wasser und Nahrung und das Vögelchen entwickelte sich gut.

Es hatte viele Freunde, darunter befand sich auch ein kleiner Igel. Sie teilten alles, hatten viele gemeinsame Interessen und es war eine schöne Art von Partnerschaft.

Doch leider wurden die Stacheln des Igels mit der Zeit immer kräftiger und sie stachen das Rotkehlchen oft. Auch wollte es fliegen und Zeit mit anderen Vögeln und befreundeten Tieren verbringen, doch der Igel konnte ja nicht fliegen und war dann immer beleidigt.

Darunter litt die Freundschaft und es gab oft Streit zwischen den beiden. Zuerst hielt sich der Vogel dann eine Weile vom Igel fern und dann klappte es wieder eine Weile. Zwischendurch saß er oft auf dem großen Baum am See, sie redeten stundenlang und der Baum gab dem Rotkehlchen Geborgenheit und Ratschläge.

"Ich bin so groß und Du so viel kleiner als ich", sagte der Baum immer. "Aber wir gehören einfach zusammen und ich fühle mich wohl bei Dir", sagte der Vogel, "hier fühle ich mich wohl und sicher."

Trotzdem flog er dann immer wieder zum Igel, der diese neue Freundschaft gar nicht gerne sah. Schließlich waren sich beide einig, dass ihre Art von Partnerschaft auf Dauer nicht funktionieren konnte. Der Igel brauchte dafür etwas länger, aber er wusste, dass das Rotkehlchen recht hatte.

Sie mussten ja auch keine Feinde werden, nur weil sie keine engen Freunde mehr sein konnten. Das war dem Rotkehlchen wichtig, und es hatte mit dem Igel auch mehrmals darüber gesprochen.

In langen Flügen erkundete es die Gegend, genoss auch die Freiheit, die jetzt viel unbeschwerter war und pflegte seine Freundschaften.

Aber der Vogel kehrte stets wieder zu seinem Freund, dem Baum zurück.

Von kleinen und großen Tieren

Der große und ernste Baum redete viel mit allen möglichen Tieren. Er lehrte die Jungen mit seinem Wissen und holte sich selbst seine Ratschläge von einigen Älteren.

Darunter waren zwei Rehe, ein Fuchs und ein Bär. Von den Rehen bekam er die tiefgründigen Gedanken, das eine Reh hütete schon sein ewigen Zeiten selbst den Nachwuchs der Tiere und konnte sich sehr gut in fast alle Situationen versetzen. Das andere hatte auch viel Erfahrung und hatte immer gute Tipps parat und war ein Organisationstalent.

Der Fuchs war dem Baum trotz kurzer Bekanntschaft schon so etwas wie ein Freund geworden, er war unwesentlich älter und konnte einfach alles was den Baum beschäftigte gut verstehen.

Auch der Bär erfüllte mit seiner weisen aber herzlichen Art diesen Zweck. Alle fünf waren grundverschieden, profitierten von ihren Stärken und waren ein gutes Team und bei allen Jungtieren sehr beliebt. Und der Baum profitierte natürlich von der Erfahrung der Älteren in seinem Wirken.

Ein anderer Freund war ein Wolf, der selbst schon als Jungtier in einer Gruppe von anderen aufgewachsen war und nun selbst einige in seine Obhut genommen hatte. Er war dem Baum ein sehr wichtiger Freund, der einzige, mit dem der Baum sich über alles unterhielt.

Beruflich und Privat sozusagen. Er wusste schon immer vorher, was den Baum beschäftigte und gab ihm oft einfach nur den Rat, sich nicht zu sehr in alles hinein zu steigern. Die Aufgabe darf nicht vor der Persönlichkeit stehen.

Das fiel gerade dem Baum besonders schwer, denn es gab für ihn kaum eine Trennung von beidem. Immer wenn es ihm also nicht gut ging, baute ihn der Wolf wieder auf.

Das einzige Tier, was keinen Platz fand, war das kleine, arme Rotkehlchen.

Von den Rehen bekam es Rat, mit dem Fuchs konnte es gut reden und der Bär baute es immer wieder auf, wenn es mal Ärger gab. Manchmal ging es sogar zum Wolf.

Aber die Freundschaft zu dem großen Baum vermisste es sehr und dabei konnten ihm die anderen auch nicht helfen. Die beiden Rehe hielten das sowieso für überflüssig und auch die anderen brachten das Rotkehlchen nicht weiter.

Also redete der Vogel nicht mehr darüber und war sehr unglücklich. Der Baum schien ihn oft zu ignorieren und ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Es dauerte lange, bis die beiden sich endlich mal ausführlich über alles unterhielten.

Eine ungewöhnliche Freundschaft

Im Sommer, als es ruhiger wurde und sich der Baum gut in seine neue Aufgabe eingearbeitet hatte, setzte sich das Rotkehlchen mal wieder ganz frech auf einen seiner Äste - dorthin, wo er es einfach bemerken musste. Obwohl es gar nicht mit einer Reaktion gerechnet hatte, sprach der Baum es ganz ernst und direkt an.

"Du bist traurig, kleiner Freund", sagte er. "Schuld daran trage ich", sprach er weiter, "und das tut mir leid. Ich möchte etwas daran ändern, ohne dass es meiner Arbeit hier schadet, aber ich weiß nicht, was."

Der Vogel war ganz verblüfft und während sie sich weiter unterhielten, fanden sie eine Lösung.

Der Baum versprach, sich von nun an regelmäßig Zeit zu nehmen und im Gegenzug würde das Rotkehlchen nicht mehr den ganzen Tag in seiner Baumkrone umherfliegen und ihn und die jungen Pflanzen und Tiere von der Arbeit ablenken.

So einfach es klang, so schwer war es in der Umsetzung: Der Vogel konnte es nur schwer unterlassen, den ganzen Tag in der Nähe des Baumes zu sein und der Baum musste zu oft an den Vogel denken.

Das Rotkehlchen erzählte jedem ganz stolz von seinem großen Freund und der Baum traute sich nicht, mit jemandem zu reden.

Wie konnte er denn noch ernsthaft seine Aufgabe bewältigen, wenn jeder wüsste, wie viel Zeit er lieber statt dessen mit dem kleinen Vogel verbringen würde?

Schließlich sprach er erst lange mit dem Fuchs und dann mit dem Bären darüber und beide machten ihm Mut und sagten, dass sie es sogar schön fänden, wenn der Baum und der Vogel eine Freundschaft aufbauen könnten.

Die Rehe waren da etwas distanzierter, das jüngere von beiden mit der langen Erfahrung und dem guten Einfühlvermögen in fast alle Situationen sagte sogar, dass es immer den Drang des Baumes zu einer Freundschaft gespürt hätte.

Der Baum leugnete dies mit gutem Gewissen mehrmals, denn er hatte derartiges nicht verspürt oder einfach zu tief in sich vergraben.

Aber wenn er in den langen Vollmondnächten so über alles nachdachte, dann wurde ihm eines klar: Das Reh hatte von Anfang an recht gehabt.


Ein Ende und ein Anfang

“Ich bin so groß und Du bist so klein", sagte der Baum ganz oft zum Rotkehlchen.

"Aber wir sind Freunde und ich möchte, dass es so bleibt. Das ist die Grundlage für alles."

Im Spätsommer regnete es viel und der Boden rund um den See wurde weich und schlammig. Der Baum verlor seine feste Verwurzelung und sicherheitshalber beauftragte er einen Adler, seinen kräftigsten Zweig zu brechen und der Wolf grub ihn an einer höhergelegenen Stelle ein, damit er neu treiben konnte.

"Es wird eine Weile dauern, bis ich wieder ein fertiger Baum bin, der die kleine Bevölkerung lehren und ihnen Geborgenheit geben kann", sagte der Zweig zu den Tieren. "Ich werde jetzt neue Kraft und Erfahrungen sammeln."

Aber das war in Ordnung für alle.

"Ich bin nicht stark genug, um Dir Platz für ein Nest zu geben oder Dich den ganzen Tag zu tragen", sagte er zu dem Rotkehlchen, "doch ich werde wieder wachsen und ich habe eines gelernt:

Wahre Größe kommt von Innen. Groß oder klein - das ist gar nicht wichtig!

Der Tag, an dem die Elfen tanzten

Es war ein langer Winter gewesen in dem schönen Land der Elfen. Schon früh wich der letzte Sommer dem verregneten und stürmischen Herbst. Die Bäume verloren ihre Blätter und die Sonne versteckte sich hinter einem grauen, undurchdringbaren Schleier. Die Vögel hörten auf zu singen und alles Leben und Treiben in der Natur schien nach und nach zu schwinden.

Die jungen Elfenpaare konnten nicht mehr tanzen, jeder zog sich zurück in die Höhlen und Astlöcher und es waren dunkle und lange Tage. Das freudige Treiben, das im Sommer so ungetrübt geherrscht hatte, war schon fast vergessen. Bitterkalt folgte der harte Winter, und bald waren die schönen Tage des Sommers nur noch eine dunkle und unklare Erinnerung, die ganz tief vergraben war. Manche Elfen erinnerten sich zwar noch, doch sie konnten die anderen damit nicht aufheitern oder ablenken.

Bald hing jeder nur noch seinem eigenen Trübsal hinterher, große Unzufriedenheit herrschte im ganzen Land und man sehnte sich nach Wärme, die fast unendlich lang auf sich warten zu lassen schien.

Es dauerte sehr lange, bis endlich der Frühling kam. Die warmen Sonnenstrahlen brachten das Leben langsam zurück, die Tage wurden nun wieder wärmer und länger. Doch die Elfen blieben zunächst noch verkrochen, es war zur Gewohnheit geworden, das unbeschwerte Treiben des letzten Sommers war viel zu lange her. Und diejenigen unter ihnen, die es nach draußen zog, hatten keinen Spaß, weil diejenigen, die lieber verborgen blieben ihnen fehlten.

Ganz plötzlich aber, als der Frühling in den Sommer überging, da wagten sich auch die letzten Elfen aus ihren Verstecken und sie sahen schnell ein, dass sie damit viel zu lange gewartet hatten. Zuerst zögerten die jungen Paare des letzten Sommers ein wenig, denn Elfen tanzen wie man weiß ja nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

Mit jedem Tag des warmen und schönen Frühsommers aber fanden sie mehr zueinander. Sie entdeckten die ganze Lebensfreude wieder, das Feuer in ihnen, all das, was in der langen, kalten Zeit ganz tief in ihnen vergraben war. Langsam wurde es Hochsommer, die Nächte waren klar und warm und im hellen Mondschein begannen alle Elfen zu tanzen.


Und sie tanzten bis in die frühen Morgenstunden und selbst als die Sonne dann immer höher in den Himmel stieg hörten sie nicht damit auf...
 

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