Warum die Geiselnahme in Moskau?
von Salih Brandt - 26.10.2002 13:45
Wer hat ein Interesse an der Geiselnahme in Moskau.
Die Moskauer Geiselnahme vom 24. Oktober 2002
Von Salih Brandt, Direktor von OSPREA (Office for Strategic and Political Research) und Sprecher der tschetschenischen Vertretung in Istanbul
Es scheint auf den ersten Blick so zu sein, dass die Ereignisse in dem Moskauer Theater eine weitere Zurschaustellung der handfesten tschetschenischen Taktik sei, die die Russen zurück an den Verhandlungstisch zwingen soll. Dies war der Fall im Schlussteil des Krieges von 1994-1996, als Schamil Bassajew der Durchbruch gelang bei seiner Geiselnahme von 2.000 Menschen im Krankenhaus von Budjonnowsk, die zu direkten Verhandlungen mit dem damaligen Premierminister Viktor Tschernomyrdin führten. Damals wurde keine der Geiseln von den Tschetschenen getötet.
Jedoch hat sich die Zeit weiter bewegt und wir leben in einer politisch sehr anderen Welt. Der Krieg zwischen 1994 und 1996 wurde von den Tschetschenen gewonnen, die fest an ihrem Hintergrund der Sufi-Tariqas festhielten. Sofort nach dem Krieg erlebten wir einen schnellen Zufluss vom Geld der Wahhabis, Personal (in Form von modernistischen, fundamentalistischen und ausländischen Muslimen) und neuen Lehren. All dies wurde von Saudi-Arabien zur Verfügung gestellt und geliefert. Diese dreijährige Periode zwischen dem Ende des letzten Krieges und dem Ausbruch des jetzigen war eine der beispiellosen inneren Auseinandersetzungen und des Konflikts in Tschetschenien, der die Gesellschaft auseinander riss, als die Wahhabis ihre Doktrin und ihre hartnäckige anti-Sufi Interpretation des Islam den Leuten aufzwingen wollten.
1998 erlebte man einen Anstieg der Aktivitäten in Daghestan unter der Führung der Saudi Schaikhs, Schaikh Umar und Schaikh Bahauddin, welches später zum Krieg von 1999 führen sollte. Ein integraler Faktor in diesem Krieg, wie er jetzt allgemein verstanden wird, waren die Machenschaften der Ölfirmen in der Region, die, nachdem die Pipeline von Baku nach Stupsa im Süden des Kaukasus eröffnet wurde, Präsident Maskhadow von Tschetschenien zu überreden suchten, die Erdölleitung in seinem Land zu schließen. Nachdem diese Anfrage abgelehnt worden war, sollte es nur eine Frage von Wochen sein, bevor eine Gruppe von Wahhabis unter der Leitung der beiden saudischen Schaikhs die Ölleitung in Tschetschenien in die Luft jagten. Dies war der erste "Terrorakt", für den die Tschetschenien beschuldigt wurden und der schließlich die zweite russische Invasion im Dezember 1999 auslöste. Schaikh Umar wurde anschließend verhaftet und von den russischen, aber - komisch genug - nicht in Russland vor Gericht gestellt und eingesperrt, sondern den saudischen Behörden übergeben.
Während des letzten Jahres haben sich die Tschetschenen in ständig steigendem Maße vom arabischen Einfluss entfernt. Diese Entwicklung kulminierte in der Ermordung der wichtigen militärischen Figur des Saudis al-Khattab, was im Frühjahr dieses Jahres geschehen ist. Seit dem haben sich die Tschetschenen hinter ihrem Präsidenten, Aslan Maschadow, und den Chef des Generalstabes, Schamil Bassajew, versammelt. Beide haben ausdrücklich und erkennbar alle Verbindungen mit islamistischen Elementen in Tschetschenien gekappt und Maßnahmen ergriffen, dass all solche Individuen aus dem Land entfernt werden. Die jüngsten Ereignisse in Moskau müssen deshalb vor folgendem Hintergrund betrachtet werden: der Zusammenbruch der Wahhabi-Doktrin in Tschetschenien, der schwächelnde "Krieg gegen den Terror" der Vereinigten und das Missfallen der Vereinigten Staaten über Russlands Widerstand gegenüber ihren Irakplänen.
Der vorgeschlagene Krieg gegen Irak, unabhängig davon wie betäubend die Wiederholung der Phrasen "Massenvernichtungswaffen" und Krieg gegen Terror" auf die westliche Bevölkerung auch sein mag, ist zweifellos der Versuch seitens der USA die Kontrolle der Ölvorkommen des Irak zu übernehmen und wird höchstwahrscheinlich von einer ähnlicher Invasion von Saudi-Arabien gefolgt werden. Russland ist sich nur zu bewusst, dass eine US-Invasion des Irak diesen die Möglichkeit in die Hand gibt, die Rohölreserven zu kontrollieren und es widersetzt sich daher den US-Plänen. Seine Zustimmung ist im UN-Sicherheitsrat von Nöten. Solche eine Operation wie diese Geiselnahme dient nur der Stärkung der US-Ölpläne für den Irak.
Die vergangene Geiselnahme in Moskau wurde von Mavsar Barajew geleitet. Er war der Neffe des verstorbenen Arbi Barajew, der verantwortlich war für meisten Geiselnahme in der Zwischenkriegszeit in Tschetschenien. Er und sein Neffe konnten am besten als "Mietgangster" bezeichnet werden mit dem zusätzlichen Element, dass Movsar behauptete der "29. Selbstmordbrigade" (nie von den Tschetschenen gehört) anzugehören und Verbindungen mit den arabischen Wahhabis zu halten. Die Tschetschenen Aslan Maschadow und Schamil Bassajew verneinten beide kategorisch, von der Operationen im Vorfeld gewusst zu haben und da beide am Wiederaufbau eines offenen Dialoges mit dem Kreml arbeiten, was in den letzten Monaten auch schon einige Resultate erzielt hatte, läuft eine Aktion vollkommen entgegen ihr eigenes Interesse und das ihres Volkes. Das gleiche lässt sich (für diejenigen, die an eine Verwicklung des FSB denken) auch für die Russen sagen, da es sowohl ihre Fähigkeit in Tschetschenien Frieden zu schaffen schwächte, als auch ihre Argumente im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Sehen wir hier, zum zweiten Mal in dieser Arena, dass in der Stunde der Not die Wahhabis der Ölindustrie auf mysteriöse Weise zu Hilfe kommen?