Ein_Liberaler schrieb:
Ich schätze mal, ich könnte mich schon dann als Baier fühlen, wenn ich da geboren wäre oder den Großteil meiner Kindheit da verbracht hätte. als Erwachsener einige Jahre da zu leben, reicht mir jedenfalls nicht.
Soso. Und was wenn einer, der nur ein paar Jahre als Erwachsener dort gelebt hat, sich dann doch als Bayer fühlt?
Ein_Liberaler schrieb:
Es gibt sicher keine wirklich objektiven Kriterien für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk, aber doch auch keine völlige Beliebigkeit.
"Dem Deutschen Volke" steht über dem Reichstag, insofern sollte schon halbwegs klar sein wovon da die Rede ist. Wo sind denn die Grenzen der Beliebtheit? Gibt es da mehr als die Frage der Staatszugehörigkeit? Imho nicht.
Ein_Liberaler schrieb:
Ich meine aber, daß es halbwegs objektiv ist, jemanden, der weder deutsche Eltern hat, noch unter Deutschen aufgewachsen ist, nicht für einen Deutschen zu halten.
Das ist eben nicht "objektiv" -- wie du sagst -- sondern von einer Definition abhängig, die es gemeingültig so schlichtweg nicht gibt.
Ein_Liberaler schrieb:
Warum auch? Ein Äthiopier ist doch nichts schlechteres als ein Deutscher.
Sicher. Nur ist ein Äthiopier mit deutschem Pass eben kein Äthiopier sondern ein Deutscher, bzw. Ein Deutsch-Äthiopier. Gerade weil der Kulturbegriff schwammig ist, sollte man sich bei der Bezeichnung nach dem formaljuristischen Kriterium der Staatsangehörigkeit richten. Ich bin nicht Deutscher weil ich blond bin und blaue Augen habe und ich bin auch nicht Deutscher, weil meine Eltern aus Deutschland kommen - ich bin Deutscher weil ich a) einen deutschen Pass habe und b) in Deutschland lebe.
Wieviel Unsinn man mit dem Volksbegriff auch betreiben kann, bis hin zu Ahnenpässen, Vaterlandsfanatismus und "Mein Blut ist meine Ehre"-Dumpfsinn steht, denke ich, außer Frage.
Ein_Liberaler schrieb:
Aphorismus schrieb:
Natürlich gibt es es verschiedene Kulturen. Nur braucht man dafür den Volksbegriff nicht.
Du brauchst ihn nicht, aber es gibt ihn. Kann das denn wirklich sein, daß es für Dich außer der Kultur, die ja nun wirklich ein internationales Wischiwaschi ist, nur den Verwaltungsakt der Staatsangehörigkeit gibt?
Die deutsche Kultur ist für mich ein sehr viel weniger wischi-waschiger Begriff als der des deutschen Vokes, so wie du ihn verstehst.
Wenn man irgendein bisher unbekanntes Volk "entdeckt", etwa im brasilianischen Dschungel, und dieses Volk noch nie mit der Aussenwelt Kontakt gehabt hat und aus vielleicht 50 Leuten besteht, die alle bestimmte Merkmale haben, dann kann man das gerne als Volk bezeichnen. Aber ebensowenig wie in einer globalisierten Welt Sozialismus einzelner Nationalstaaten funktioniert, kann sich das Volk eines Landes mit über 80 Mio. Einwohnern wie Deutschland, das dazu noch mitten in Europa liegt und de facto ein Einwanderungsland ist, über völkische Merkmale dieser Art definieren.
Ein_Liberaler schrieb:
Gibt es zum Beispiel überhaupt deutsche Kultur? Unsere Hochkultur ist so international wie unsere moderne Massenkultur, von der sie sich so augenfällig unterscheidet, und was sich da in Trachten- und Volksmusikgruppen kulturell betätigt, das ist doch viel mehr baierisch oder friesisch oder gar oberpfälzisch oder nordfriesisch oder noch regional begrenzter als es deutsch ist, und deutsch überhaupt nur, weil sich die Oberpfälzer und Friesen nebenbei auch für deutsch halten.
Du bist hier der Geschichts-Spezi, nicht ich, aber ich würde mal ganz stark vermuten, dass das was mit 1871, Bismarck usw. zu tun hat. Und das hatte eben etwas mit der Gründung eines Staates zu tun. (Bitte jetzt nicht an etwaig falschen Formulierungen in Bezug auf den Begriff 'Staat' in diesem Kontext hochziehen. Von mir aus hat Bismarck auch "die Nation geeint" oder wie auch immer man das ausdrückt.)
Deshalb ist Wiener Schnitzel auch nicht "typisch Deutsch", ebenso wenig wie die Wiener Würstchen, aber das hat schon die Deutschländer-Werbung nicht verstanden. Da hieß es auch u.a.: "Mit dem besten aus Deutschland: Zart wie Frankfurter, knackig wie Wiener!" Natürlich sind Ösis genau so "deutsch" oder "undeutsch" was ihre Kultur angeht wie Ostfriesen oder Bayern, aber eben trotzdem keine Deutschen. Sind nämlich österreichische Staatsbürger.
Geht eben nicht um Volk hin, Volk her, sondern um Pässe. Mehr nicht. Das ist natürlich enttäuschend nüchtern. Ich unterstelle dir, dass du ein kleines bisschen romantisierst, das mit dem Deutschsein und dem Volksbegriff. Klingt für mich etwas nach der leicht nostalgischen Hoffnung auf eine kulturelle Homogenität ur-deutscher Prägung -- die es so nie mehr geben wird. Ich sehe das positiv: Früher konnte ich mir das mit den Völkerwanderungen in Geschichte nie so richtig vorstellen - jetzt wohne ich in Berlin-Neukölln.