schön, dass das thema mal in einem eigenen thread angesprochen wird
da ich mich schon länger damit beschäftige, kenne ich all die hier vorgestellten links- das "manifest gegen die arbeit" kursiert ja schon länger, aber erst jetzt fängt man (hoffentlich verstärkt) an, sich dem thema "arbeitsgesellschaft" auch von einer anderen warte aus zu nähern (siehe "monitor beitrag").
ich denke, man drückt sich vor der erkenntnis, das arbeit wie wir sie heute kennen, ein auslaufmodell ist. rationalisierung, automatisierung aller orten und trotzdem tut man so, als könne das problem damit gelöst werden, indem man durch ausbau des billiglohnsektors (bei gleichzeitig steigenden lebenshaltungskosten), durch druck und zwang(sarbeit) den karren aus dem dreck ziehen könnte. anstatt also zu sehen, wie man den dringend notwendigen, sinnstiftenden, gesellschaftlichen tätigkeiten aus dem schattendasein hilft, wird das das heil auf dem "freien" markt gesucht, der aber diese ganzen millionen von menschen zunehmend nicht mehr benötigt.
..."Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen", meint der Kanzler. Aber mit wie viel Solidarität können die rechnen, die für andere die Zumutbarkeit von Arbeit definieren, während sie sich über die Zumutbarkeit der eigenen Arbeit längst keine Gedanken mehr machen müssen?
...Eine nationale Arbeitsmarktpolitik oder eine rigide Anwendung des Sozialstaatsprinzips werden nicht zu einer internationalen Angleichung von humanen Arbeitsbedingungen vorstoßen. Die Gefahren des internationalen Outsourcing haben sich durch die Virtualisierung von Arbeitsbedingungen enorm verschärft: Unvorhersehbare Turbulenzen drohen nach einer kühnen Hochrechnung des MIT ohnehin für die nationalen Arbeitsmärkte, weil sich bis zum Ende des Jahrzehnts ca. 80 % aller Arbeitsplätze in den führenden Industriestaaten auslagern lassen.
So wird die Parole der "Wir-Gesellschaft" so wenig wie irgendeine Palliativrhetorik die wachsende digitale Kluft abschaffen. Und nur Vulgärsoziologie möchte glauben, dass die Differenzen zwischen Besserverdienenden und Hungerlöhnern sich auf die sozialdarwinistische Unterscheidung von Fleiß und Faulheit reduzieren lassen können.
...Das Problem des Kanzlers und der anderen "Wir-Gesellschafts-Theoretiker" ist ein verkümmerter Arbeitsbegriff, in dem "Schuften" und Erwerbseinkommen, Faulheit und gesellschaftliche Krisen kurzerhand gleichgesetzt werden. Die wirtschaftliche Produktivität wird in Zukunft immer stärker von menschlicher Arbeit unabhängig. Es wird zum unerträglichen Paradox in Zeiten einer rasenden Technologie, die vormals gefeierte Automatisierung, den Wegfall stupider Körperfron, den Schwund an gesellschaftlich notwendiger Arbeit nicht länger als gesellschaftlichen Fortschritt zu definieren, sondern nun mit dem Fetisch der Vollbeschäftigung zu wedeln.
...Nun macht Arbeit noch lange nicht frei, sondern mitunter sogar arm. Die Leistungs- und Start-up-Gesellschaft Deutschland ist nach wie vor nicht bereit und wahrscheinlich auch nicht in der Lage, notwendige Arbeiten zu bezahlen. Für die Arbeit von Hausfrauen und Müttern gibt es keine Entlohnung. Stattdessen wird es bei der gesellschaftlichen Ächtung solcher Arbeit geradewegs zum paradoxen Privileg überlasteter Familien wenigstens noch eine Teilzeitarbeit für "Mutti" zu finden. Und eine Steuerreform, die Familien geringere Entlastungen als Singles beschert, scheint diese unabdingbare Arbeit auch in Zukunft nicht anzuerkennen. Gespart wird nach wie vor da, wo die Lobbys schwach sind, und nicht da, wo Ressourcen liegen, die umverteilt werden könnten.
Dass Arbeit längst nicht Arbeit ist, demonstriert auch die Behandlung gemeinnütziger Tätigkeiten. Hier gibt es kein Dotierungssystem, das solche Arbeiten noch so attraktiv halten könnte, wie es eine immer mehr zersplitternde Gesellschaft so dringend nötig hätte, um auch einen "Output" jenseits von Börsennotierungen zu definieren.
aus einem 2001 veröffentlichen heise-artikel: "Vom Menschenrecht auf Faulheit" (hab den link nicht zur hand- selber googeln macht freude)
hier sind auch noch zwei interessante artikel, wobei sich der erste zum schluss auch mit dem "manifest gegen die arbeit" beschäftigt:
Endlich entdeckt - Arbeitslosigkeit ist ein Kopfproblem!
Die Arbeitslosigkeit ist „das gesellschaftliche Problem Nummer 1“, ihre Bekämpfung genießt „höchste Priorität“. Darüber sind alle maßgeblichen Standpunkte so sehr einig, dass sie ein „Bündnis für Arbeit“ gegründet haben. Weniger klar ist schon, wer das Problem Arbeitslosigkeit eigentlich hat und worin es besteht
http://www.kalaschnikow.net/de/archiv/a14/a14decker.shtml
und
Die Krise der Arbeitsgesellschaft:
Machtpolitischer Kampfplatz zweier "Ökonomien"
http://userpage.fu-berlin.de/~zosch/ops/negt.html
übrigens sehr aufschlussreich, das in allen europäischen sprachen die etymologie des wortes "arbeit" auf mühsal, armut, sklaverei, not und leid verweist.
im christlichen paradies galt es, das leben in absoluter faulheit zu genießen, arbeit war hingegen war die strafe für den sündenfall.
für sokrates war sie als solche eher kontraproduktiv, denn wenn man ihm darin folgt, dass jede körperliche tätigkeit den geist abstumpfe und den charakter verderbe, ist seine schlussfolgerung "arbeit und tugend schließen einander aus", zwingend.
viele dichter und denker haben sich seit der antike mit der dualität von müßiggang und arbeit beschäftigt und sie kamen generell zu der überzeugung, dass eine gesteigerte lebensqualität vor allem durch muße und beschaulichkeit zu erreichen sei.
hier muss unterschieden werden zwischen gesellschaftlich notwendigen, sinnvollen tätigkeiten, die, auf alle schultern verteilt, eben nicht in schufterei ausarten und der heute verordneten, blindwütigen und sinnlosen selbstvermarktung.
auch die immer so gerne als beispiel für arbeitsamkeit angeführte tierwelt zieht irgendwie nicht so richtig:
studien in dieser richtung haben gezeigt, das stress und der damit einher gehende erhöhte energieverbrauch, die lebensdauer eindeutig verkürzen.
selbst die als so fleissig erachteten bienen und ameisen verschwenden höchstens ein viertel ihrer lebenszeit mit arbeit.