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Zu der Entstehung der Keilschrift und den Suggestionsmechanismen unserer Sprache
Schrift geht einher mit dem Festhalten von bestehenden Zuständen, grenzt Schriftkundige von Unkundigen ab, kann dem Personenkult und der Mythenbildung dienen und besitzt starke psychologische, realitätsgestaltende und manipulative Momente. Dass sie von Herrschern genutzt wird - und wohl auch zuerst von diesen und ihren Organisatoren und Beamten genutzt wurde - scheint uns offenbar.
Wie korrelieren Schrift, Kult und Autorität?
Was können wir aus der Entstehung und Entwicklung der Schrift für den Umgang mit unserer heutigen Sprache und Schrift lernen?
Wie haben sich der Gebrauch der Sprache – und damit der Gebrauch derselben durch die Herrschenden – verändert?
Mit diesen Fragen soll sich der Thread beschäftigen. Als Einstieg in die Materie ein kleiner Text von mir, der auf verschiedenen Quellen beruht (Oppenheim, Black & Green, Nissen etc.) dann einige Links und schließlich noch etwas zum Sprachforscher Alfred Korzybski, der den Bogen zur Gegenwart spannen soll.
Enmerkar von Uruk
Eine sumerische Geschichte zur Schriftentwicklung ist das Epos "Enmerkar und der Herr von Aratta" - eines der ältesten Epen der Menschheit, älter als dasjenige von Gilgamesh - wobei es sich bei Enmerkar um einen mythischen, vorsintflutlicher König handelt (2. König der 1. Dynastie von Uruk) und Aratta wohl im persischen Bergland zu suchen ist.
Schon in diesem Mythos ist zu sehen, wie die Götter der politischen Legitimation dienen und das Machtstreben einzelner Herrscher mit göttlichen Geboten legitimiert wird, eine Antizipation der späteren Vergöttlichung der Herrscher selbst: Enmerkar, der Eridu eingenommen und den Tempel (von Enki) zerstört hatte, fordert im Namen Enkis, dass Aratta Eridu samt Tempel neu aufzubauen hat. Im Laufe der Streitigkeiten kommt es zu dem Vorwurf seitens des König von Aratta, der Botschafter Uruks könne nicht mehr formulieren. Enmerkar reagiert wie folgt:
„Nahm einen Klumpen Ton der Herr von Uruk, schrieb darauf die Worte wie auf eine Tafel. Noch nie ward je ein Wort auf Ton gesetzt. Doch nun, da’s ihm der Sonnengott eingab, geschah’s. Die Tafel schrieb Enmerkar.“
Ein Brief als Symbol der Erfindung der Schrift ist treffend gewählt, neben wirtschaftlichen Aufzeichnungen und juristischen Urkunden war die königliche Korrespondenz (die sich auch mit Import/Export beschäftigte) ein wichtiger Teil der Aufzeichnungen, und auch der Ort der Invention könnte passender nicht sein, kommen doch die wohl frühesten Bild-/Keilschriftlichen Funde aus Uruk.
Da jedoch die vorsintflutlichen Könige mit ausgesprochen langen Regierungszeiten glänzen (Enmerkar bspw. mit 420 Jahren), lassen sich nur schwer zeitliche Rückschlüsse aus dieser Legende ziehen.
Nach der Ansicht des Verfassers deutet die Legende auch an, dass vor dem Ton andere Schriftträger schon in Umlauf waren.
Die Bilderschrift
Die prähistorische Zeichenentwicklung ist nur sehr eingeschränkt überliefert, da offenbar auch organische Zeichenträger in Gebrauch waren. Sogenannte Zählkugeln (clay counters) wurden ab 9000/5000 vC benutzt (bis etwa 1500 vC), Stempelsiegel vergleichbar lange (und im ganzen alten Orient), Rollsiegel dagegen anscheinend erst in den mesopotamischen Stadtstaaten. Ein anderer Aspekt der Schriftentwicklung ist die Verzierung von Keramik, die in einigen Epochen (auch zu der Zeit der Schriftentwicklung) eine starke, hochentwickelte Ausprägung erfuhr, und vielleicht als eine Form frühen kultischen/religiösen Ausdrucks angesehen werden kann – vom Verständnis desselben sind wir jedoch weit entfernt.
Aus der Zeit um 3000 vC sind in Uruk zahlreiche Aufzeichnungen wirtschaftlicher Art gefunden worden, die in der frühen sumerischen Bilderschrift gehalten sind. Etwa zu dieser Zeit begann wohl auch die weitere Abstraktion (mehrere hundert Jahre später bis hin zu den neuassyrischen Zeichen, die in Babylon noch weniger Jahrhunderte vor Christi Geburt verwendet wurden) sowie die schnelle Ausbreitung; Uruk (wohl der älteste), Ur und Kish sind hier bedeutende Fundorte. Zu dieser Zeit waren die Stadtstaaten unter Tempelherrschaft, dessen Verwalter wiederum dem Priesterkönig verpflichtet waren. Eine große Anzahl an Vorräte mußte registriert, gezählt, gelagert und verteilt werden. Um die Güter des Tempels zu kennzeichnen gab es zunächst die Rollsiegel, die auch zur Kennzeichnung der persönlichen Verantwortung einzelner Priester / „Tempelbeamter“ und als Verschlußmarke dienten.
Zu den frühen Tokens, den ersten Bildzeichen ist zu sagen, daß es einerseits viele Ganzdarstellungen gab (zb. Fisch, Kopf) andererseits jedoch früh Symbole gebraucht wurden - meist pars pro toto: zb. Rinderkopf (männlich: Hörner nach oben, weiblich nach unten) - , und ebenso viele frühe Abstraktionen (zb. Frau = Schamdreieck) und bisher/ wieder unbekannte und Zeichen existierten; Forscher gehen auch davon aus, dass andere Kulturen mit hinter den Tokens stehen. Indiz hierfür könnten Stadt- und Flußnahmen sein, die sich (vielleicht aber auch nur aus der unzureichenden Kenntnis der sumerischen Sprache) bisher nicht / nur umständlich ableiten lassen.
Zahleiche frühe Zeichen (-Verbindungen) gehören natürlich meist mit zu den ersten „wirtschaftlichen Aufzeichnungen“ (zb: Fisch-Skizze/Symbol eines Rinderkopfes + zwei Punkte), wie auch die gesamte Schriftentwicklung eng mit der wirtschaftlichen Planbarkeit und Organisation verbunden ist, bzw. durch diese bedingt und forciert wurde.
Eine weitere Ursache für die schnelle Entwicklung, Abstraktion und Ausbreitung der Keilschrift ist wohl die Struktur der sumerischen Sprache an sich, welche aus einzelnen, meist einsilbigen Wortbausteinen (die oft viele unterschiedliche Bedeutugnen je nach Kontext einnehmen können) ihre Satzketten „agglutiniert“. Die Abbildung dieser gesprochenen Sprache durch Silbenzeichen (die die Bildzeichen als überwiegend einsilbige „Wortzeichen“ ja sowieso besitzen) ist somit bspw. einfacher als die einer flektierenden, in der jede „flektierte Silbe“ ein eigenes Zeichen benötigen würde.
Um 2800 vC war die erste einigermaßen standardisierte Keilschrift („archaische Schrift“) im Gebrauch, in der sich die Bildzeichen mit Logogrammen deckten. Hierin wird teilweise ein Übergang von der Wort- zur Satzschrift gesehen, wie oben schon bemerkt, sind die meisten sumerischen Wörter jedoch einsilbig, so daß der „Übergang“ nur durch die Agglutination der Zeichen, in der sie ihren eigentlichen Bildsymbolcharakter verlieren, zustande kommt.
Die Möglichkeit der Aufzeichnung von Sprache schufen – neben besserer Organisations- und Planungsmöglichkeiten - den Hintergrund für das Festhalten von Kulthandlungen, das dokumentierende Rechtswesen (und somit auch die schriftliche Ausarbeitung von Eigentumsrecht und Erbrecht, was sich wiederum in der Festigung von Besitzständen auswirkt), die wichtigen Königsinschriften, mit denen sich Herrscher verewigten, und außerdem für die gezielte Legendenbildung um einzelne Herrscherpersonen.
Siegelschneider und Schreiber – eine frühe Bildungselite?
Die „Klassen“ der Siegelschneider und „Tontafel-Schreiber“ waren hoch angesehen, und das tradierte sich auch innerhalb der Familie. Dennoch ist zu vermuten, dass in den frühen Stadtstaaten Mesopotamiens die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten mehr oder weniger gleichwertig waren. In späterer Zeit gibt es jedoch zb. Überlieferungen, in denen die „meist bedeutenden Bürger“ zusammen mit den „weniger bedeutenden Bürgern“ eine Art Petition beim König einreichen - nach Oppenheim: „quite rarely“, „in an old-babylonian text“; also schon nach 2000 vC. Aus altbabylonischer Zeit sind andererseits viele Texte überliefert, die schwer zu entziffern sind, was als Indiz für eine Ausbreitung der Schreibfähigkeiten in die Masse angesehen werden kann.
In den frühen Stadtstaaten, mit denen Wissenschaftler wie Thorkild Jacobsen eine „primitive Demokratie“, andere einen „theokratischen Sozialismus" verbinden, hatten die Fähigkeiten „Lesen“ und „Schreiben“ jedenfalls eine andere Bedeutung als in einer Informationsgesellschaft.
Die Korrespondenz und Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Städten und „Ländern“ war in vielen Zeiten erst den Tempeln (wohl auch aus organisatorischen Gründen) und später den Königen vorbehalten. Doch ließen Könige ihre Inschriften auch für das Volk anbringen, und bspw. bei Prozessionen durch die Stadt tragen. Hier kann vielleicht zumindest eine Tendenz zur "demokratischen" Bildung - unter Berücksichtigung der Arbeitsteilung und der fehlenden Notwendigkeit zur allgemeinen Schriftkundigkeit - in den frühen Stadtstaaten angenommen werden, sowie eine zunehmende Elitebildung mit Verstärkung der königlichen Herrschaft und der Klassengegensätze (spätestens ab akkadischer Zeit).
Etwa um die Zeit 2350 vC eroberte Lugalzagesi von Umma aus Uruk, Ur, Lagash und Nippur, zerstört viele Heiligtümer und verstärkt die Zentralisierung der Macht auf seine Person. Sargon von Akkad eignete sich derweil in Kish die Macht an (mit der Hilfe einier Familien die den König Urbaba nicht akzeptierten), besiegte Lugalzagesi und begründete das Akkadische Reich (2350 bis 2150). Da Sargon eigentlich kein legitimer König war, erdichtete er Mythen zur Legitimation seiner Herrschaft durch seine „Mutter, die Gottesherrin“. Hier haben wir also eine mehr oder weniger historische Evidenz der Legenbildung (also des Personenkultes oder, etwas abstrakter: der Verehrung des Symbols statt des Symbolisierten).
Mit Hilfe der Schrift haben einzelne Autoritäten die Macht, den ursprünglichen, mündlich tradierten Kultus zu verändern und nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, außerdem hat die aufgezeichnete Sprache eine enorme psychologische, realitätsgestaltende Wirkung (selbst heutzutage bei Menschen, die sich der Suggestion bewußt sind), was bei einer Kultur, die die Schrift gewissermaßen erfindet, auch nicht wirklich anders gewesen sein kann. Somit diente sie auch der Festigung von Herrschaftverhältnissen.
weiterführende Links:
http://cdli.ucla.edu/
http://ragz-international.com/sumerian_king_list.htm
Das wohl umfangreichste Linkverzeichnis dieser Art:
http://www.sumerian.org/sumlinks.htm
Um wieder zurück in die Gegenwart zu gelangen, sei an dieser Stelle der Konspirologe Wilson zitiert:
Diese Gedanken können auf die Schrift ausgedehnt werde, welche die realitätsbildende Komponente der Sprache potenziert, und zudem schon seit ihrem Entstehen zur Bildung und Festigung von Zuständen dient und beiträgt (siehe Enmerkar, Königsinsignien, Mythen um Sargon).
Das Schriftmonopol von König und Tempel sorgte unter anderem auch für die Entwicklung sowie Tradierung des Kultus und der Legitimation der Herrschaft, gegebenenfalls der entsprechenden Mythen.
Waren zu Beginn der Stadtstaaten die Priesterkönige die Repräsentanten einer göttlichen Ordnung, deren Prinzipien mündlich überliefert wurden, konnten sie dieselben nun schriftlich revidieren, außerdem in monumentalen Aufzeichnungen die Realität ihrer Bürger eindrucksvoller, schneller und tiefgreifender gestalten, als zu Zeiten der an Familien und Stämme geketteten mündlichen Überlieferungen.
Also noch einmal die oben erwähnten Fragen:
Wie korrelieren Schrift, Kult und Autorität?
Was könne wir aus der Entstehung und Entwicklung der Schrift für den Umgang mit unserer heutigen Sprache und Schrift lernen?
Wie haben sich der Gebrauch der Sprache – und damit der Gebrauch derselben durch die Herrschenden sowie die Mechanismen der Kontrolle und Realitätsgestaltung – verändert?
Danke fürs Lesen und die hoffentlich bald folgende Beteiligung an der Diskussion
Schrift geht einher mit dem Festhalten von bestehenden Zuständen, grenzt Schriftkundige von Unkundigen ab, kann dem Personenkult und der Mythenbildung dienen und besitzt starke psychologische, realitätsgestaltende und manipulative Momente. Dass sie von Herrschern genutzt wird - und wohl auch zuerst von diesen und ihren Organisatoren und Beamten genutzt wurde - scheint uns offenbar.
Wie korrelieren Schrift, Kult und Autorität?
Was können wir aus der Entstehung und Entwicklung der Schrift für den Umgang mit unserer heutigen Sprache und Schrift lernen?
Wie haben sich der Gebrauch der Sprache – und damit der Gebrauch derselben durch die Herrschenden – verändert?
Mit diesen Fragen soll sich der Thread beschäftigen. Als Einstieg in die Materie ein kleiner Text von mir, der auf verschiedenen Quellen beruht (Oppenheim, Black & Green, Nissen etc.) dann einige Links und schließlich noch etwas zum Sprachforscher Alfred Korzybski, der den Bogen zur Gegenwart spannen soll.
Enmerkar von Uruk
Eine sumerische Geschichte zur Schriftentwicklung ist das Epos "Enmerkar und der Herr von Aratta" - eines der ältesten Epen der Menschheit, älter als dasjenige von Gilgamesh - wobei es sich bei Enmerkar um einen mythischen, vorsintflutlicher König handelt (2. König der 1. Dynastie von Uruk) und Aratta wohl im persischen Bergland zu suchen ist.
Schon in diesem Mythos ist zu sehen, wie die Götter der politischen Legitimation dienen und das Machtstreben einzelner Herrscher mit göttlichen Geboten legitimiert wird, eine Antizipation der späteren Vergöttlichung der Herrscher selbst: Enmerkar, der Eridu eingenommen und den Tempel (von Enki) zerstört hatte, fordert im Namen Enkis, dass Aratta Eridu samt Tempel neu aufzubauen hat. Im Laufe der Streitigkeiten kommt es zu dem Vorwurf seitens des König von Aratta, der Botschafter Uruks könne nicht mehr formulieren. Enmerkar reagiert wie folgt:
„Nahm einen Klumpen Ton der Herr von Uruk, schrieb darauf die Worte wie auf eine Tafel. Noch nie ward je ein Wort auf Ton gesetzt. Doch nun, da’s ihm der Sonnengott eingab, geschah’s. Die Tafel schrieb Enmerkar.“
Ein Brief als Symbol der Erfindung der Schrift ist treffend gewählt, neben wirtschaftlichen Aufzeichnungen und juristischen Urkunden war die königliche Korrespondenz (die sich auch mit Import/Export beschäftigte) ein wichtiger Teil der Aufzeichnungen, und auch der Ort der Invention könnte passender nicht sein, kommen doch die wohl frühesten Bild-/Keilschriftlichen Funde aus Uruk.
Da jedoch die vorsintflutlichen Könige mit ausgesprochen langen Regierungszeiten glänzen (Enmerkar bspw. mit 420 Jahren), lassen sich nur schwer zeitliche Rückschlüsse aus dieser Legende ziehen.
Nach der Ansicht des Verfassers deutet die Legende auch an, dass vor dem Ton andere Schriftträger schon in Umlauf waren.
Die Bilderschrift
Die prähistorische Zeichenentwicklung ist nur sehr eingeschränkt überliefert, da offenbar auch organische Zeichenträger in Gebrauch waren. Sogenannte Zählkugeln (clay counters) wurden ab 9000/5000 vC benutzt (bis etwa 1500 vC), Stempelsiegel vergleichbar lange (und im ganzen alten Orient), Rollsiegel dagegen anscheinend erst in den mesopotamischen Stadtstaaten. Ein anderer Aspekt der Schriftentwicklung ist die Verzierung von Keramik, die in einigen Epochen (auch zu der Zeit der Schriftentwicklung) eine starke, hochentwickelte Ausprägung erfuhr, und vielleicht als eine Form frühen kultischen/religiösen Ausdrucks angesehen werden kann – vom Verständnis desselben sind wir jedoch weit entfernt.
Aus der Zeit um 3000 vC sind in Uruk zahlreiche Aufzeichnungen wirtschaftlicher Art gefunden worden, die in der frühen sumerischen Bilderschrift gehalten sind. Etwa zu dieser Zeit begann wohl auch die weitere Abstraktion (mehrere hundert Jahre später bis hin zu den neuassyrischen Zeichen, die in Babylon noch weniger Jahrhunderte vor Christi Geburt verwendet wurden) sowie die schnelle Ausbreitung; Uruk (wohl der älteste), Ur und Kish sind hier bedeutende Fundorte. Zu dieser Zeit waren die Stadtstaaten unter Tempelherrschaft, dessen Verwalter wiederum dem Priesterkönig verpflichtet waren. Eine große Anzahl an Vorräte mußte registriert, gezählt, gelagert und verteilt werden. Um die Güter des Tempels zu kennzeichnen gab es zunächst die Rollsiegel, die auch zur Kennzeichnung der persönlichen Verantwortung einzelner Priester / „Tempelbeamter“ und als Verschlußmarke dienten.
Zu den frühen Tokens, den ersten Bildzeichen ist zu sagen, daß es einerseits viele Ganzdarstellungen gab (zb. Fisch, Kopf) andererseits jedoch früh Symbole gebraucht wurden - meist pars pro toto: zb. Rinderkopf (männlich: Hörner nach oben, weiblich nach unten) - , und ebenso viele frühe Abstraktionen (zb. Frau = Schamdreieck) und bisher/ wieder unbekannte und Zeichen existierten; Forscher gehen auch davon aus, dass andere Kulturen mit hinter den Tokens stehen. Indiz hierfür könnten Stadt- und Flußnahmen sein, die sich (vielleicht aber auch nur aus der unzureichenden Kenntnis der sumerischen Sprache) bisher nicht / nur umständlich ableiten lassen.
Zahleiche frühe Zeichen (-Verbindungen) gehören natürlich meist mit zu den ersten „wirtschaftlichen Aufzeichnungen“ (zb: Fisch-Skizze/Symbol eines Rinderkopfes + zwei Punkte), wie auch die gesamte Schriftentwicklung eng mit der wirtschaftlichen Planbarkeit und Organisation verbunden ist, bzw. durch diese bedingt und forciert wurde.
Eine weitere Ursache für die schnelle Entwicklung, Abstraktion und Ausbreitung der Keilschrift ist wohl die Struktur der sumerischen Sprache an sich, welche aus einzelnen, meist einsilbigen Wortbausteinen (die oft viele unterschiedliche Bedeutugnen je nach Kontext einnehmen können) ihre Satzketten „agglutiniert“. Die Abbildung dieser gesprochenen Sprache durch Silbenzeichen (die die Bildzeichen als überwiegend einsilbige „Wortzeichen“ ja sowieso besitzen) ist somit bspw. einfacher als die einer flektierenden, in der jede „flektierte Silbe“ ein eigenes Zeichen benötigen würde.
Um 2800 vC war die erste einigermaßen standardisierte Keilschrift („archaische Schrift“) im Gebrauch, in der sich die Bildzeichen mit Logogrammen deckten. Hierin wird teilweise ein Übergang von der Wort- zur Satzschrift gesehen, wie oben schon bemerkt, sind die meisten sumerischen Wörter jedoch einsilbig, so daß der „Übergang“ nur durch die Agglutination der Zeichen, in der sie ihren eigentlichen Bildsymbolcharakter verlieren, zustande kommt.
Die Möglichkeit der Aufzeichnung von Sprache schufen – neben besserer Organisations- und Planungsmöglichkeiten - den Hintergrund für das Festhalten von Kulthandlungen, das dokumentierende Rechtswesen (und somit auch die schriftliche Ausarbeitung von Eigentumsrecht und Erbrecht, was sich wiederum in der Festigung von Besitzständen auswirkt), die wichtigen Königsinschriften, mit denen sich Herrscher verewigten, und außerdem für die gezielte Legendenbildung um einzelne Herrscherpersonen.
Siegelschneider und Schreiber – eine frühe Bildungselite?
Die „Klassen“ der Siegelschneider und „Tontafel-Schreiber“ waren hoch angesehen, und das tradierte sich auch innerhalb der Familie. Dennoch ist zu vermuten, dass in den frühen Stadtstaaten Mesopotamiens die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten mehr oder weniger gleichwertig waren. In späterer Zeit gibt es jedoch zb. Überlieferungen, in denen die „meist bedeutenden Bürger“ zusammen mit den „weniger bedeutenden Bürgern“ eine Art Petition beim König einreichen - nach Oppenheim: „quite rarely“, „in an old-babylonian text“; also schon nach 2000 vC. Aus altbabylonischer Zeit sind andererseits viele Texte überliefert, die schwer zu entziffern sind, was als Indiz für eine Ausbreitung der Schreibfähigkeiten in die Masse angesehen werden kann.
In den frühen Stadtstaaten, mit denen Wissenschaftler wie Thorkild Jacobsen eine „primitive Demokratie“, andere einen „theokratischen Sozialismus" verbinden, hatten die Fähigkeiten „Lesen“ und „Schreiben“ jedenfalls eine andere Bedeutung als in einer Informationsgesellschaft.
Die Korrespondenz und Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Städten und „Ländern“ war in vielen Zeiten erst den Tempeln (wohl auch aus organisatorischen Gründen) und später den Königen vorbehalten. Doch ließen Könige ihre Inschriften auch für das Volk anbringen, und bspw. bei Prozessionen durch die Stadt tragen. Hier kann vielleicht zumindest eine Tendenz zur "demokratischen" Bildung - unter Berücksichtigung der Arbeitsteilung und der fehlenden Notwendigkeit zur allgemeinen Schriftkundigkeit - in den frühen Stadtstaaten angenommen werden, sowie eine zunehmende Elitebildung mit Verstärkung der königlichen Herrschaft und der Klassengegensätze (spätestens ab akkadischer Zeit).
Etwa um die Zeit 2350 vC eroberte Lugalzagesi von Umma aus Uruk, Ur, Lagash und Nippur, zerstört viele Heiligtümer und verstärkt die Zentralisierung der Macht auf seine Person. Sargon von Akkad eignete sich derweil in Kish die Macht an (mit der Hilfe einier Familien die den König Urbaba nicht akzeptierten), besiegte Lugalzagesi und begründete das Akkadische Reich (2350 bis 2150). Da Sargon eigentlich kein legitimer König war, erdichtete er Mythen zur Legitimation seiner Herrschaft durch seine „Mutter, die Gottesherrin“. Hier haben wir also eine mehr oder weniger historische Evidenz der Legenbildung (also des Personenkultes oder, etwas abstrakter: der Verehrung des Symbols statt des Symbolisierten).
Mit Hilfe der Schrift haben einzelne Autoritäten die Macht, den ursprünglichen, mündlich tradierten Kultus zu verändern und nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, außerdem hat die aufgezeichnete Sprache eine enorme psychologische, realitätsgestaltende Wirkung (selbst heutzutage bei Menschen, die sich der Suggestion bewußt sind), was bei einer Kultur, die die Schrift gewissermaßen erfindet, auch nicht wirklich anders gewesen sein kann. Somit diente sie auch der Festigung von Herrschaftverhältnissen.
weiterführende Links:
http://cdli.ucla.edu/
http://ragz-international.com/sumerian_king_list.htm
Das wohl umfangreichste Linkverzeichnis dieser Art:
http://www.sumerian.org/sumlinks.htm
Um wieder zurück in die Gegenwart zu gelangen, sei an dieser Stelle der Konspirologe Wilson zitiert:
R. A. Wilson schrieb:„Sprache als Mittel der Bewußtseinskontrolle wurde von Philosophen wie Vico, Stirner, Nietzsche und Wittgenstein diskutiert. Zu den radikalsten Kritikern der Sprache in unserer Zeit gehören Graf Alfred Korzybski und Dr. Richard Bandler.
Korzybski, der in einem Haus aufwuchs, in dem viele Sprachen gesprochen wurden, und der später Englisch lernte, machte die Entdeckung, dass die Worte, die wir benutzen, unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Welt beeinflussen. Ein Buch kann zum Beispiel von einem Leser als „realistisch“ bezeichnet werden, von einem anderen Leser jedoch als „pornographisch“, und jeder der beiden wird das Buch automatisch immer mehr so sehen, je öfter er seine Bewertung wiederholt. Hier sind Mechanismen der Hypnose am Werk, wie Dr. Bandler später entdeckte.[...]
Von diesen Punkten ausgehend, erstellte Korzybski eine vernichtende Diagnose der gewohnheitsmäßigen linguistischen Strukturen unserer Kultur. [...]
Unsere schlimmste Angewohnheit, findet er, liegt in der ständigen Annahme einer Identität, die meistens im Gebrauch des Verbums „ist“ impliziert ist. [...]
Korzybski vetritt auch die Ansicht, das viele Sätze, und insbesondere Sätze, wegen denen Leute in Streit geraten oder sogar in den Krieg ziehen, nicht Sätze in logischem Sinn sind, sondern in eine Kategorie gehören, die Bertrand Russell „Propositionale Funktionen“ nannte.
[...]
Propositionale Funktionen, die man nicht erkennt oder als solche behandelt, nennt Korzybski „noise“.“
Diese Gedanken können auf die Schrift ausgedehnt werde, welche die realitätsbildende Komponente der Sprache potenziert, und zudem schon seit ihrem Entstehen zur Bildung und Festigung von Zuständen dient und beiträgt (siehe Enmerkar, Königsinsignien, Mythen um Sargon).
Das Schriftmonopol von König und Tempel sorgte unter anderem auch für die Entwicklung sowie Tradierung des Kultus und der Legitimation der Herrschaft, gegebenenfalls der entsprechenden Mythen.
Waren zu Beginn der Stadtstaaten die Priesterkönige die Repräsentanten einer göttlichen Ordnung, deren Prinzipien mündlich überliefert wurden, konnten sie dieselben nun schriftlich revidieren, außerdem in monumentalen Aufzeichnungen die Realität ihrer Bürger eindrucksvoller, schneller und tiefgreifender gestalten, als zu Zeiten der an Familien und Stämme geketteten mündlichen Überlieferungen.
Also noch einmal die oben erwähnten Fragen:
Wie korrelieren Schrift, Kult und Autorität?
Was könne wir aus der Entstehung und Entwicklung der Schrift für den Umgang mit unserer heutigen Sprache und Schrift lernen?
Wie haben sich der Gebrauch der Sprache – und damit der Gebrauch derselben durch die Herrschenden sowie die Mechanismen der Kontrolle und Realitätsgestaltung – verändert?
Danke fürs Lesen und die hoffentlich bald folgende Beteiligung an der Diskussion