Schriftentwicklung, Sprachphilosphie und Suggestion

Shiva2012

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Wie korrelieren Schrift, Kult und Autorität?
Habe zwei interessante Links zum Thema :


1.
JACK GOODY
Die Logik der Schrift

Wahrheit erhielt eine andere Bedeutung, denn es gab einen neuen Maßstab: das geschriebene Wort.
...
Denn diese Religionen werden nicht nur deshalb für "höher" gehalten, weil ihre Priester des Lesens und Schreibens kundig sind und das Wort Gottes ebensogut zu lesen wie zu hören vermögen, sondern weil sie ihrer Gemeinde die Möglichkeit verschaffen können, selbst lese- und schreibkundig zu werden. Ich behaupte hier also, daß nur literale Religionen im strengen Sinne missionierende Religionen sein können,
...
Sobald Grenzen vorhanden sind, Grenzmarkierungen von der Art, wie sie Buchrellgionen mit sich bringen, gibt es nicht nur Sekten, die abfallen, sondern auch abfallende Einzelne, Individuen, die Apostaten bzw. Konvertiten sind. Bekehrung ist eine Funktion der Grenzen, die das geschriebene Wort hervorbringt oder vielmehr definiert.
Quelle : http://www.mauthner-gesellschaft.de/mauthner/tex/goody1.html

Das gilt für Religion und Wissenschaft.

2.
Wort, Schrift, Druck
Kommunikation im Wandel
© by Ernesto Hofmann

Das griechische Gedankensystem ist für die europäische Kultur Quelle Nummer eins von Ideologien und technischen Systemen. Ich glaube, daß wir im Guten wie im Schlechten den Griechen Schuldner einer Verhaltensweise sind, und zwar der Objektivierung der Realität und zugleich der Individuierung des Ich, die die europäische Kultur grundlegend von anderen großen Kulturen wie der chinesischen unterscheidet. Die westliche Tradition ist ganz durchtränkt vom Konzept des Logos in Ansehung dessen, was dieses so vielseitige Wort bedeutet. Unsere Kultur gründet sich auf die Ausdrückbarkeit, auf die einheitliche deutliche Aussprache von Welt und Geist.(2)

Die chinesische Tao-Kultur gründet sich hingegen auf das wu ming, auf das Unausdrückbare.Während das westliche Denken dahin tendiert, sich verbal zu äußern, zeichnet sich das östliche durch seine Unausdrückbarkeit aus.

da :) das Taoistenherz. leider geht geht er auf die östliche Sprachstruktur (Beispiel Polaritäten) nicht weiter ein.
Da könnte uns doch Tenshin-San weiterhelfen. :wink:

Diese These wird von Sokrates verworfen, aber in einer analogen Form, nämlich in den "Gesetzen" (690,b), wo der Athener, also Platon, sagt: ...der Weise denkt und befiehlt, der Unwissende gehorcht. In diesem Jahrhundert haben wir in Europa mit Schrecken die Behauptung und den leider nicht sofortigen Zusammenbruch der nationalsozialistischen und der leninistischen Ideologie erlebt, die Gerechtigkeit und also auch Wahrheit nur als Ausdruck von Macht verstanden haben. Die Propaganda und die Kontrolle über die Kommunikationsmittel einer modernen Nation haben Hitler eine überraschende politische Beeinflussung großer Massen von Individuen ermöglicht. Aber dann haben es dieselben technischen Erneuerungen der Kommunikationsmittel ermöglicht, die Wahrheit wiederherzustellen, zuerst beim Nationalsozialismus, dann beim Leninismus. Was geschah, hätte Orwell überrascht. Gegen Ende der vierziger Jahre hatte Orwell, in einem pessimistischen Geistesblitz über die Zukunft der westlichen Gesellschaft, in seinem Werk "1984" eine Gesellschaft vorausgesagt, in der die Wahrheit mit der Macht absolut gleichgesetzt wird. In dieser unserer Analyse über die Rolle der Kommunikationsmittel, ist die Hypothese Orwells sehr suggestiv, da sie uns noch einmal zum ursprünglichen Thema zurückbringt: zur Sprache und ihrer Evolution.

In Orwells Gesellschaft greift der Superstaat in die menschliche Sprache ein, da in ihr Gedanken- und Gefühlswelt ablaufen. Wird also die Sprache abgeschwächt, bekommt der Staat die individuellen Wünsche unter seine Kontrolle. Die"newspeak" ist gerade die Sprache, in der kein Gedanke versteckt werden kann.
Quelle : http://ezines.onb.ac.at:8080/ejournal/pub/Vol1-97/Buecher/ErHoMedia/print1.html
 

hives

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Suyua-Tan

Zum Thema Suyua-Tan, die Sprache der Maya-Priester

Ist wirklich ein lesenswerter Text, hier ein paar Kommentare meinerseits:

Ganz allgemein kann zusammengefasst werden, dass der Autor den "Faktor 26" (die 26 Buchstaben) als begrenzend und einschränkend bewertet - Vieldeutigkeit jedoch hat zwar einerseits (zb. poetisch-assoziative) „Vorteile“, andererseits aber viele (zb. semantisch- deskriptive) „Nachteile“ - es ergeben sich zwangsläufig Probleme der eindeutigen Verständigung (so auch für das frühe Mesopotamien postuliert: zuerst Einführung von immer mehr Bedeutungen, die ausgedrückt werden, dann mehr Symbole [aus der frühen Zeit gibt es auch zahlreiche unterschiedliche Schreibungen], dann „Strukturierung“ der Zeichen [neubabylonisches "Alphabet"])
Im nord/südamerikanischen Raum war es anders als in Mesopotamien, da wahrscheinlich Wirtschaft, Fernhandel & Organisation weniger Bedeutung für die Schriftentwicklung hatten - die Laudatio auf die verlorene Vieldeutigkeit ist imho aber trotzdem auch eine Form von Nostalgie. Ich kann leider nicht beurteilen, in wie weit, die Übersetzungen des Autors richtig sind, aber aus der absoluten Beliebigkeit von kombinierten Zeichen wird auch schnell eine begrenzte Auswahl von Möglichkeiten, wenn die damals herrschenden Normen (die heue natürlich rekonstruiert werden müssen) wirklich eingehalten werden. Seine Maya-Übersetzungen von Bibelzitaten sind aber - sofern sie korrekt sind - auf jeden Fall hochinteressant!

Aber ein Beispiel, um die Problematik klarer zu machen:

HUN

eins, einzig, Einzigkeit der kosmischen göttlichen Energie

NAB

Kontrolle der Bewegungen (Frequenzen, Energien und Schwingungen

KU

Herr, großer Vater, Vater


HUN NAB KU

Der große einzige Vater, der die Bewegungen aller kosmischen Energien und Frequenzen kontrolliert.

Daraus liesse sich bspw. auf sumerisch - und wenn man es wie Sitchin mit der "Orthographie" nicht ganz so ernst nimmt - etwas wie
„Der gründende Gottesvogel“ (hu-nab-ku) machen...
(hu: alt für Vogel, nab: Gott, Ozean..., ku: gründen, bauen, liegen...)

Klarheit könnte hier vielleicht ein Suyua-Tan-Kundiger oder weitere Lektüre schaffen.

Eine Superrasse von Wesenheiten, welche durch ihrer Hyperleistungen und Fähigkeiten nicht als menschliche Spezie, Homo Sapiens, idendifiziert werden kann. Außerirdische?? Wer weiß! Oder vielleicht doch manifestierte, inkarnierte hohe Energieformen, zu welchen wir den direkten Bezug verloren (verlernt) haben??

Die Maya Außerirdische? :lol:
Da brauchte wohl jemand einen Aufhänger für die Veröffentlichung seiner (garantiert nicht verachtenswürdigen aber auch nicht ganz überzeugenden) Recherche...



Die beiden anderen (neueren) Texte sind ebenfalls interessant, vor allem der erste gefällt mir sehr gut, und passt auch wirklich perfekt zum Thema!

Eine Sache hat mich jedoch die Stirn runzeln lassen:
Jack Goody schrieb:
Denn diese Religionen werden nicht nur deshalb für "höher" gehalten, weil ihre Priester des Lesens und Schreibens kundig sind und das Wort Gottes ebensogut zu lesen wie zu hören vermögen, sondern weil sie ihrer Gemeinde die Möglichkeit verschaffen können, selbst lese- und schreibkundig zu werden. Ich behaupte hier also, daß nur literale Religionen im strengen Sinne missionierende Religionen sein können[...]

Das würde ich etwas anders sehen - obwohl der Grundgedanke natürlich richtig ist, handelt es sich um keine absolute Grenze, denn die frühen Kulturen (Sumer vor der Schrift, Göbekli tepe etc.) haben sich auch "ausgebreitet" wenn sie auch vielleicht eher "missionierend" in akkumulativem Sinne waren...


Soviel für diesen Sonntagmorgen...

:D


Ach ja...

In Orwells Gesellschaft greift der Superstaat in die menschliche Sprache ein, da in ihr Gedanken- und Gefühlswelt ablaufen. Wird also die Sprache abgeschwächt, bekommt der Staat die individuellen Wünsche unter seine Kontrolle. Die"newspeak" ist gerade die Sprache, in der kein Gedanke versteckt werden kann.

Falls hier irgendjemand von Langeweile geplagt ist: Wie wärs mit einem Vegleich newspeak/aktuelleVeränderungen der Sprache?



peace
hives
 

hives

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Re: Die chinesische Sprache

@BrettonWoods:
Zum Thema Saharasia, Matriarchat und DeMeo: Ich hab im Ur-Religion-Thread schon etwas dazu geschrieben, ich finde es kurz gesagt überzeugend (auch durch andere Indizien), was DeMeo zur Gleichzeitigkeit von Klimawandel und "Partiarchalisierung" von sich gibt, jedoch wende ich folgendes ein:
1. Die Kausalität ist durch Gleichzeitigkeit nicht bewiesen
2. matriarchale Kulturen (Herrschaft von Frauen im Sinne des Patriarchats) sind ungleich matrilinearen Kulturen (Machtposition der Frauen mit postuliertem "gemäßigten Herrschaftsanspruch" etc.) sind ungleich den prähistorischen humanen Kulturen und sowieso ungleich den kursierenden Idealbildern...
3. Selbst weibliche Archäologinnen sehen keine bis wenig archäologische Evidenz für frühe matriarchale Kulturen (Zitat 1996, aus "Göttinnen-Dämmerung" von Brigitte Röder, Juliane Hummel, Brigitta Kurz :„Bis heute ist das Matriarchat mit archäologischen Quellen weder zu beweisen noch zu widerlegen.“)

Bei vielen Menschen bereits ersetzt maschinengleiches Funktionieren ein kreatives Denken und einfühlsames Handeln.
Da würde ich wiederum sagen: Erst heute kommen wir (zumindest in diesem Maße) auf den Gedanken, überhaupt so große Probleme mit dem "Funktionieren" zu haben - in früherer Zeit standen gewisse Dinge eben außer Frage, u. a. auch der Individualismus...



Wenn ich jetzt die chinesische mit den westlichen Sprachen/Schrift vergleiche lassen sich folgende Unrichtigkeiten formulieren:
Das Identisch-Sein. Du bist ein Körper. Du bist ein Tier. Was immer du sein magst, du bist kein "Körper" , du bist kein "Tier", da dies nur verbale Bezeichnungen sind. Das identisch-Sein impliziert immer die ausschließliche Identität von etwas, sein Zweck ist ständige Konditionierung: so sein und bleiben. Jeder Akt des Bezeichnens setzt ein Identisch sein als gegeben voraus. Dies ist überflüssig in einer hieroglyphischen Sprache wie dem Altägyptischen. Es ist überflüssig zu sagen: Die Sonne IST am Himmel - Das Zeichen der Sonne am Himmel genügt. Das hilfswort "sein" kann aus jeder Sprache ausgeklammert werden, und die Anhänger Korzybskis haben eben das im englischen getan.
Wobei die meisten jedoch nicht alles in E-prime schreiben... :wink:

Das Wort "ist" stellt sicherlich ein gutes, leicht verständliches Beispiel dar, exemplarisch für alle unbemerkten Suggestionen, selbstläufigen Realitätsverzerrungen und ähnliches, die Gefahr ist nur, dass viele Leute glauben "das ist so trivial, ist mir doch schon immer klar" und folglich keinen zweiten Gedanken mehr an derartige Probleme verschwenden...

Im Grunde ist jede sprachliche Vereinfachung eine Verfremdung, nicht umgänglich, sondern leidglich in ihrer potentiellen Toxizität relativierbar, indem jedes Mal der konkrete Bezugsrahmen, für den das verwendete sprachliche Muster verwendet soll, durch komplexe Eingrenzungen und Bedingungen abgeklärt und durch mehrfache Rückkopplung versichert wird - in der Schrift ist das zweite nur begrenzt möglich (heutzutage vor allem dank Internet natürlich besser, d.h. zumindest schneller und direkt), deshalb sollte eigentlich das erste immer verantwortungsvoll erledigt werden...


Falls sich ein Kundiger erbarmen könnte - die historische Entwicklung des Chinesischen würde mich interessieren, Veränderung der Sprache und Schrift mit der Zeit, Korrelation der Entwicklungen etc.
Kennt sich da jemand aus, bzw. hat einen guten Link anzubieten?
 

Gestreift

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hives schrieb:
...Falls hier irgendjemand von Langeweile geplagt ist: Wie wärs mit einem Vegleich newspeak/aktuelleVeränderungen der Sprache?...


Ich danke hives erstmal für seine Antworten auf meine Fragen. Leider finde ich keinen rechten Zugang zu dem Thema, was ich auf meine Methodik zurückführe.
Aber zu der o. g. Anregung hätte ich vielleicht etwas beizutragen. Leider erinnere ich mich kaum noch an 1984, ist zu lange her, dass ich das Buch gelesen habe.

Mir ist Anfang der achtziger Jahre zum ersten mal Aufgefallen, das Begriffe in den allgemeinen Sprachgebrauch hineinrutschen, die eine Verschönerung des tatsächlich gemeinten Sachverhaltes darstellen. Man spricht in diesem Zusammenhang wohl von Euphemismen.

Mir ist leider nicht klar, ob es hier wirklich um diese Art von Suggestion handelt, die relativ leicht zu durchschauen ist.

Als Beispiele möchte ich nennen:

Waldsterben = Dieser Begriff vermittelt den Eindruck, als würde der Wald sterben. Ganz so, als sei es möglicherweise sogar sein Schicksal. Das dem nicht so ist, sondern der Wald umgebracht wird, wenn ich es mal so formulieren darf, liegt wohl klar auf der Hand. Denn die Probleme die der Wald nach wie vor hat, sind durch den Menschen verursacht worden. Obwohl wir wissen, das unser Verhalten den Wald schädigt und die Bäume töten, machen wir nichts dagegen.

freisetzen = Eine nette Beschreibung, wenn man jemanden entlässt. Die Assoziationen, die man mit "frei" hat sind sicher nicht so negativ besetzt, wie die Asoziationen, die man mit entlassen hat. "Freisetzen" hat so etwas unverblümt positives, es vermittelt einem den Eindruck, dass man nunmehr frei ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, oder was auch immer. Fakt ist, man hat seinen Job verloren, was zu existenziellen Schwierigkeiten führen kann. Dies ist aber nicht zwingend positiv, sondern für viele ein negatives Erlebnis.

Falls ich zu sehr am Thema vorbeirausche, dann bitte unbedingt klarstellen. Es liegt mir sehr am Herzen, hier Beispiele zum Thema zu finden, die man in seinem alltäglichen Leben zuordnen kann.
 

hives

Ehrenmitglied
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Gestreift schrieb:
Falls ich zu sehr am Thema vorbeirausche, dann bitte unbedingt klarstellen.
Ganz und gar nicht, das Ziel dieses Threads ist es ja gerade, Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen moderner Sprachphilosophie/-kritik, der Schriftentwicklung und den mit dieser Invention einhergehenden (postulierten) veränderten Voraussetzungen zu erkunden oder zu konstruieren. Dem Thema kann sich von der Vergangenheit oder der Gegenwart angenährt werden (Spekulationen über die Zukunft resultieren ja eher aus der Auseinandersetzung), der zweite Weg ist ebenso wichtig wie der erste :wink:

Das folgende kann jedoch auch als kleiner Exkurs bezeichnet werden...
Dein Verweis auf die Euphemismen hat mich an meine Zeit als Deutsch-LKler erinnert, und ich habe gleich mal ein entsprechendes Buch organisiert. Im Folgenden eine Auflistung von verschiedenen rhetorischen Figuren, entnommen aus "Texte, Themen und Strukturen" aus dem Cornelsen Verlag, zunächst diejenigen, die ich für weniger bedeutsam halte (nicht in ihrer Häufigkeit, aber in dem, was man eventuell in unserem Kontext als "manipulative Suggestivkraft" bezeichnen könnte)
Einteilung und Kommentare sind von mir hinzugefügt:

1. Rhetorische Figuren mit unterschiedlichem Suggestivcharakter - der grundsätzlich nicht unterschätzt werden, und dem sich jedeR bewußt sein sollte

Akkumulation (Reihung)
Anapher (Wdh. am Satzanfang)
Epipher (Wdh. am Satzende)
Correctio (Verstärkung/Korrektur im nachgestellten Nebensatz)
Ellipse (Auslassen von einzelnen Wörtern/Satzteilen)
Ironie
Klimax (Steigerung)
Litotes (Bejahung durch doppelte Verneinung)
Paradoxon
Parallelismus (Wiederholung syntakt. Fügungen)
Personifikation
Pleonasmus (Wiederholung eines charakterist. Merkmals im Beiwort)
Tautologie (Häufung, oft in Zwillingsformeln)
Rhetorische Frage
Synekdoche (pars pro toto)
Vergleich


2. Überwiegend in kreativen Texten (aber auch Sprichwörtern und Reden) vorkommende rhetorische Stilfiguren:

Apostrophe (pathetische Anrede)
Hyperbaton ( Gruß an Yoda :wink: : ungewöhnliche Satzstellung; ist eher selten - persönl. Interpretation: da Korrektheit vor Kreativität geht wenig wirksam, wirkt eher lächelich)
Synästhesie (Verbindung unterschiedlicher Sinne(seindrücke))
Paronomasie (Wortspiel mit klangähnlichen Wörtern)
Zeugma (Ungewöhnliche Zuordnung von einem Satzglied zu mehreren anderen)



3. Rhetorische Figuren mit besonders starkem Suggestivcharakter oder spezieller Bedeutung

Euphemismus: Wie schon von Gestreift aufgeführt, ein häufiges Mittel von Politik, Medien, Unternehmen und sonstigen Interessengruppen. Führt mitunter zu sprachlichen Veränderungen (wobei sich streiten lässt, wie gezielt das im Einzelfall oder allgemein ist), Neologismen sowie seltsamen Ergebnissen...


Antithese und Chiasmus: Beide rhetorische Figuren sind (verschiedene) Arten der Gegenüberstellung (siehe dazu auch einen Beitrag von BrettonWoods zum Thema "Entweder/Oder") - und beide werden häufig dazu eingesetzt, ein Gefühl des Entscheidungszwang herbeizuführen bzw. zu festigen. Hierbei ist das gezielte Ausblenden von Alternativen ein ergänzendes Mittel. Im "populistischen Extremfall" wird die Antithese mit einer rhetorischen Frage verbunden.


Allegorie, Periphrase (Umschreibung), Metapher und Metonymie (Bedeutungsübertragung): Die Auswahl der Vergleiche ist natürlich von entscheidender Bedeutung. Die Realitätsverzerrung, die allein durch die Sprache unserer Bundespolitiker vorgenommen wird - wenn sie sich vollkommen unreflektiert auf die Gedanken der Bürger übertragen würde -hätte wahrscheinlich interessante Folgen...

Hyperbel: Sehr häufig - beinahe an der Tagesordnung; Realitätsverzerrung par excellence - und niemand kann sich vollständig gegen die Einflüsse von Übertreibungen - an richtiger Stelle zu richtiger Zeit -wehren.

Symbol: Symbolik ist für den Menschen prägend und realitätsbildend. Hierzu liessen sich ganze Bände füllen- vielleicht wäre ein Thread zur Sprach- und Bildsymbolik keine schlechte Idee...


Das nur als kleine Anregung :D
 

hives

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Nach den ganzen Abschweifungen mal wieder zurück zur Schriftentwicklung:


Tokens

The appearance of the first token assemblages in 8000-7500 B.C. suggests that the system of counting and record keeping of goods became necessary when survival depended on domestication of grains and accumulation of the products of harvests. In other words, the token system fulfilled new needs for accounting brought about by agriculture, and data storage can be considered as directly related to the "Neolithic Revolution."

The multiplication of token types and subtypes in the fourth millennium B.C. was also not by chance. These complex tokens, which included many new forms and which were characterized by bearing incised lines and punctations, corresponded to the creation of cities. It can be presumed that the creation of workshops, and the more diversified urban economy that followed, required more accounting techniques.

[...]

A faint sketch of the places and people associated with ancient accounting begins to emerge. Counting and data storage with tokens started in open air compounds where subsistence was based on cultivating or, at least, hoarding cereals. Their first purpose was to record quantities of the traditional Near Eastern staples: grain and small stock. In the fourth millennium B.C. complex tokens kept track of manufactured goods in large centers. Starting in the sixth millennium, tokens are recurrently found in public buildings. The clusters of tokens found in situ range usually between a dozen to 75 artifacts, showing that the counters were never kept in large quantities. There is some evidence that the counters were mostly discarded during the summer, after the harvest. Tokens, together with other status symbols, are sometimes included in the burials of prestigious individuals, suggesting that they were used by the elite who controlled the economy of redistribution.

aus:
http://www.utexas.edu/cola/depts/lrc/numerals/dsb/dsb1.html




Und hier noch eine Übersetzung von "Enmerkar und der Herr von Aratta" ins Englische:

http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk/section1/tr1823.htm




Außerdem ganz interessant: "Die Postmoderne und die Psychotherapie" (nähert sich dem Thema aus einer anderen Richtung):

http://www.google.de/search?q=cache:51u_t0wD6n4J:www.cnlpa.de/presse/kg_post.rtf




@Shiva2012:
Um nochmal auf Suyua-Tan zurückzukommen, hast du dich weiter damit beschäftigt? Oder weisst du etwas über Erfahrung und Kenntnisstand des Autors?


@all:
Eigentlich schade um dieses Thema, hat keiner mehr Interesse oder war das Abschweifen in die Rhetorik abgeschreckend? :wink:




peace,
hives
 

Shiva2012

Großmeister
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hives schrieb:
@Shiva2012:
Um nochmal auf Suyua-Tan zurückzukommen, hast du dich weiter damit beschäftigt? Oder weisst du etwas über Erfahrung und Kenntnisstand des Autors?
Bin weder der Sache nachgegangen, noch kenne ich den Autoren oder habe mich mit ihm in Verbindung gesetzt. Zur Zeit ist das wegen Job nicht drin.

Trotzdem habe ich endlich ein Buch bestellen können (online antiquariat), das ich mir schon lange holen wollte (wurde unter anderem in "Maya Cosmogenesis 2012" von Jenkins erwähnt), und das Überschneidungen mit diesem Thread hat. Ich poste mal den Klappentext :


Die Mühle des Hamlet enthält den Bericht über eine faszinie-
rende Expedition der Autoren durch die Kulturgeschichte der
Menschheit. Gestützt auf zahllose Dokumente aus fast aller
Welt und eine entsprechend umfangreiche Bibliographie ge-
liegt es den Autoren überzeugend und detailliert nachzuwei-
sen, daß die großen universellen Mythen - unter denen die
Mühle des Hamlet, oder vielmehr die des skandinavischen
Amlodhi, nur als das Ende einer langen Kette zu sehen ist -
einen gemeinsamen Ursprung haben. der nicht auf der Erde
zu finden ist, sondern im Sternhimmel: Der Mythos ist eine
Sprache für die Darstellung, die Überlieferung und die Hand-
habung eines umfangreichen und komplexen Korpus astro-
nomischer Kenntnisse gewesen und damit - als Sprache der
astronomisch berechenbaren und strukturierbaren Zeit - der
Ursprung_ des wissenschaftlichen Denkens.

Schon vor etwa sechstausend Jahren haben die Sumerer
eine vollständige Kenntnis der Präzession der Äquinoktial-
punkte besessen, ein Wissen, das wiederum nur als syste-
matische Zusammenfassung einer schon über tausende von
Jahren existenten Tradition von Beobachtung und mündlicher
Überlieferung erklärbar ist. Was die Entdeckung dieses er-
staunlich weit zurückliegenden Ursprungs der Naturwissen-
schaft bisher verhindert hatte. -war die unterwartete Tatsache,
daß der Mensch schon über astronomische Vorstellungsbilder
verfügtgt und damit gemessen und gerechnet haben muß, bevor
er überhaupt schreiben konnte.
und daß seine Ausdrucksweise
die des Mythos und nicht die der mathematischen Darstellung
gewesen ist.

Das Buch läßt die Unhaltbarkeit der gängigen Vorstellung
deutlich werden. die Weltbilder unserer Vorfahren ließen sich
allein aus den vermeintlichen Inhalten der Mythen ermitteln
als handele es sich dabei um wörtlich zu nehmende Beschrei-
bungern primitiven Götterglaubens oder um Texte einer mo-
dernen Autoren-Literatur. Die revolutionären Thesen Giorgio
de Santillanas und Hertha von Dechends beruhen vielmehr auf
der systematischen Suche nach Invarianten -jener von einer
gigantischen Explosion des Wissens :aus prähistorischer Zeit
herrührenden intellektuellen Hintergrundstrahlung. die uns im
Rauschen des Mythos verborgen erreicht.

..Der Pol und damit der gesamte Sternhimmel verschob sich
nicht unter den Blicken irgendeines einzelnen. sondern un-
ter denen einer Kultur über tausende von Jahren unter-
einander durch mündliche Überlieferung verbundener Men-
schen - das ist das zentrale Thema dieses wunderbaren und
überwältigenden Buchs..... In den bewegenden Heldentaten
und Tragödien aller Epen der Menschheit liegt eine techni-
sche Darstellung des Gerüsts der Zeit' verborgen. ... Das
Buch wird einen Sturm in den Tintenfässern auslösen."

(Philip Morrison. Scientific American)

..Eines der seltsamsten Bücher. die je geschrieben wor-
den sind. Das Ergebnis ist wunderbar zu lesen und löst
Verblüffung beim Nachdenken darüber aus. ... Wenn diese
Theorie zutrifft. stellt sie sowohl für die Geschichte der Wis-
senschaft als auch für die Interpretation des Mythos eine im-
mense Bereicherung dar."
(Guy Davenport, Book World)

Giorgio de Santillana (1902 - 1974), Professor für Geschichte
und Philosophie der Naturwissenschaften am Massachusetts
Institute of Technology (MIT), Cambridge, Massachusetts.
Veröffentlichungen (u.a.): Storia del pensiero scientifico. l.
[l mondo antico (zusammen mit Federigo Enriques. 1932).
Galileos Dialogue on the Great World Systems ( 1953, Salus-
bury Translation), The Crime of Galileo (1955). Die Origins
of Scientifc Thought ( 1961), Reflections on Men and Ideas
(Gesammelte Aufsätze und Abhandlungen, 1968).

Hertha von Deckend (geh. 1915), Professor für Geschichte
der Naturwissenschaften an der J.W. Goethe-Universität,
Frankfurt am Main: seit 1960 wiederholt Forschungs- und
Lehrtätigkeit arn Massachusetts Institute of Technology
(MIT). Cambridge, Massachusetts. Veröffentlichungen: Be-
merkungen -,zun Donnerkeil (1977).

Lass dich durch die wenigen Antworten zum Thema nicht beirren.
Ist halt kein kurzer Info-Burger und schmeckt nur mit der wissenschaftlichen Background-Sosse richtig gut.
(und Zeit muss man natürlich auch haben :oops: )
 

hives

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@ Shiva2012: Und der Titel des Buches? Hast du diesen vergessen, ist er unter den Veröffentlichungen versteckt, oder hab ich was übersehen - is ja immerhin schon 5:17 :wink:
Der Klappentext hört sich jedenfalls schon mal interessant an!

Zu den prähistorischen Mythen ist zu sagen, dass sie über die Zeit mindestens stark verfremdet wurden - von den sumerischen Mythen wäre ohne die beständigen Tontafeln nichts überliefert, und Innin uns nur als Aphrodite bekann, die Sintflut nur nach der Bibel-"Interpretation" etc.
Allein die Verfremdungen innerhalb von Zivilisationen über Jahrhunderte/-tausende sind diesbezüglich sehr aussagekräftig (Siehe zb. als bekanntes Beispiel Gilgamesh).
Eine interessante Frage ist auch die der Einbeziehung von divinatorischen und magischen Elementen in den Kontext von Astronomie und Mythen.
Ebenfalls interessant ist die Tatsache, dass von einigen mesopotamischen Mythen viele Tafeln überliefert sind, von anderen aber (deren ehemalige Existenz aufgrund von Anspielungen/Voraussetzungen angenommen wird) keine schriftlichen Aufzeichnungen angefertigt wurden. Der genaue Zusammenhang von mündlicher und schriftlicher Tradition ("welche Texte wurden in den schriftlichen Corpus aufgenommen" etc:) ist weitgehend ungeklärt.
Mein Interesse an dem von dir beschriebenen Buch ist jedenfalls geweckt :wink:


peace,
hives


ps: kann es sein, dass man dir keine pms mehr senden kann? ("cant find
e-mail-privatemessage-notify-something")
 

Shiva2012

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@hives
Man hätte es aus dem Text herausfinden können. :wink:
Aber lieber nochmal wv-dienlich verlinken :
Die Mühle des Hamlet. Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit
Die gebrauchten Bücher vom Elbe Team waren bis jetzt immer in tadelloser Qualität.
Habe es eben kurz quergelesen. Eine wahre Fundgrube für Mythologie Freaks. (Lerne gerade, das ich mich doch noch nicht so gut damit auskannte)

Die PN Fehlermeldung ist ne Fehlmeldung - kommt alles an.
 

hives

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Um die linguistisch und philosophisch interessierte Userschaft des Forums bei Laune zu halten mal wieder etwas zur Philosophie der Sprache (überwiegend in Englisch) :

Zunächst zwei allgemeine Überblicke:


http://www.philosopher.org.uk/anal.htm


http://www.rep.routledge.com/article/U017



Und jetzt werden wir ein wenig spezifischer: die Universaliendebatte, ein beliebtes Streitthema der Frühscholastik - obwohl hier weder die Scholastik noch die Universaliendebatte von besonderem Interesse sein soll, poste ich mal was über Ockhams Position:

http://www.humanities.mq.edu.au/Ockham/z3608.html

Jahrhundertelang hat man sich über die "Universalien" gestritten, aber noch heute werden konstruierte Konzepte oft zu einer Art "Realität"...



Außerdem noch ein paar andere Links für Interessierte:

"LANGUAGE AS A COGNITIVE TECHNOLOGY" von Marcelo Dascal:
http://www.tau.ac.il/humanities/philos/dascal/papers/ijct-rv.htm


Auch ganz interessant - Zen & Mindcontrol:
http://www.google.de/search?q=cache:JJi2X2uQyCQJ:www.cubus.de/zenforum/texte/zen_mc.pdf
 

hives

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Nach längerer Pause gibt es heute zumindest mal wieder ein paar Links :D :



2.4. Terrorismus ist nicht die Waffe der Schwachen
Um diese These zu untermauern definiert Noam Chomsky zunächst, dass er unter Terrorismus die Anwendung von Terror versteht. Und „Terror ist der kalkulierte Einsatz von Gewalt, oder die Androhung von Gewalt, um politische oder religiöse oder ideologische Ziele durch Einschüchterung, Zwang oder Furcht zu erreichen“. (vgl. Chomsky, N., 2001: S. 8 ) Diese Definition stammt aus den Handbüchern der US-Armee. Das Problem, das Chomsky anschließend beschreibt, lässt sich im Grunde dadurch zusammenfassen, dass eben diese Definition von Terrorismus niemals allgemeine Gültigkeit erlangen wird, da dies bedeuten würde, dass die Außenpolitik des Westens und der USA eine terroristische Außenpolitik wäre. Wenn zum Beispiel die NATO, wie geschehen, den jugoslawischen Präsidenten Milosevic durch die Androhung eines Militärschlags dazu bewegen möchte freie Wahlen zuzulassen und den Krieg im Kosovo zu beenden, dann wäre das nach dieser Definition Terrorismus. Ebenso sind die Kriegsdrohungen gegen den Irak, und natürlich auch ein
Krieg, Terrorakte. Da diese Definition, die die US-Armee selbst verwendet, also nicht verwendet werden kann, weil dann jeder Krieg Terror wäre, auch wenn dafür andere Namen wie „Aufstandsbekämpfung“ oder „Operation“ gefunden werden können, muss eine anderen Definition von Terrorismus gefunden werden. (vgl. Chomsky, N., 2001: S. 8 ) 2.5. Terrorismus ist immer die Waffe derer, die gegen „uns“ sind Eine flexiblere Definition des Begriffs Terrorismus ist also nötig. Dies erreicht die US-Politik indem sie die Taten der jeweiligen Gegner als Terrorismus bezeichnet, die Gegenmaßnahmen sind dann konsequenterweise Anti-Terrormaßnahmen. Es kommen zwar im Kern die selben Methoden zur Anwendung wie beim Terrorismus, aber der andere Name suggeriert, dass es sich dabei um etwas anderes, „richtiges“ handelt. Man könnte den Begriff der Anti-Terrormaßnahmen also ebenfalls als badiou’sches Simulacrum bezeichnen. Besonders klar wurde diese Strategie des Westens am Krieg im Kosovo. Zunächst unterstütze die NATO die UCK im Kampf gegen die serbische Armee mit Waffen und wahrscheinlich auch personell. Als der Krieg gewonnen war und Milosevic kapituliert hatte, kämpfte die UCK aber weiter. Zum einen gegen die serbische Bevölkerung im Kosovo und zum anderen auch gegen die NATO-Streitkräfte. Schnell wurde aus den bislang Verbündeten eine Terrororganisation und deren Entwaffnung wurde gefordert. Weil sich aber die Feinde ständig ändern und die dabei unterstützten Regime und Gruppierungen oft alles andere als demokratisch sind, kommt es zu einem Glaubwürdigkeitsproblem in vielen Ländern der Welt. Die Argumentation der US-Außenpolitik, die besagt, dass nur sie Demokratie und Freiheit bringen, wird in vielen Teilen der Welt daher einfach nicht mehr geglaubt, da die Erfahrungen mit eben dieser Politik ganz andere sind. Durch diese Art der Politik macht man sich natürlich viele Feinde, oft gerade die, die tatsächlich für Demokratie und Freiheit eintreten. (vgl. Chomsky, N., 2001: S. 9ff; vgl. Chomsky, Noam, 1993: S. 158ff) 2.6. Die beste Möglichkeit den Terror zu reduzieren ist mit ihm aufzuhören Nach der Analyse Chomskys der derzeitigen politischen Situation liegen die Alternativen eigentlich schon auf der Hand. Eine Möglichkeit wäre die Rückkehr zu globaler Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet die Anerkennung der Charta der Vereinten Nationen und damit die Anerkennung der UN als Inhaber des Gewaltmonopols. Begleitende Maßnahmen sind Institutionen wie der Internationale Gerichtshof. Das Problem dabei ist, dass die bereits heute existierenden Institutionen von den USA nicht akzeptiert werden, oder nur dann, wenn es gerade keine Zielkonflikte mit anderem Interessen gibt. (vgl. Chomsky, N., 2001: S. 13) Die Blockade des Internationalen Gerichtshof durch die US-Regierung passt da gut ins Bild, hat aber auch mit einem anderen Aspekt zu tun, den Chomskyebenfalls erwähnt. Gäbe es einen Internationalen Gerichtshof, den die USA anerkennen würden, dann müssten sie Beweise vorlegen bevor sie handeln. Und genau das liegt nicht im Interesse der USA. Die Vereinigten Staaten möchten „das Recht haben unilateral zu handeln“ (Chomsky, N., 2001: S. 14). Sie möchten eben nicht erst den schwierigen Weg der Kooperation mit anderen Ländern und Institutionen gehen, sondern losschlagen, wenn sie es möchten. 3. Noam Chomsky Thesen über den 11. September – die logische Folgerung aus seinen früheren Werken? Nach der Darstellung der Thesen Chomsky soll als nächstes überprüft werden ob diese Thesen in der Tradition der Meinung des Professors stehen, oder ob sich in seiner Analyse und seiner
Meinung etwas grundlegendes verändert hat, wie es bei vielen linken Intellektuellen und PolitikerInnen nach dem 11. September 2001 der Fall war. 3.1. Der „stille Völkermord“ – Ein Beispiel für die Political Correctness Die erste These aus dem „Neuen Krieg gegen den Terror“ ist im wesentlichen die Anwendung der chomsky`schen Definition des Begriffes „political correctness (pc)“ auf den Krieg gegen den Terror. Political Correctness bezeichnet normalerweise einen „vor allem von der amerikanischen Linken in den USA und [Großbritannien] benutzter Versuch, nicht-diskriminierende Sprachregelungen für Minderheiten (Farbige, Behinderte, etc.), sowie vor allem an den Universitäten `fortschrittliche’ Lehrpläne und politisch-moralisch einwandfreie Verhaltensweisen einzuführen und durchzusetzen. Chomsky verwendet den Begriff allerdings des öfteren als Beispiel für einen ideologischen Sprachgebrauch im Sinne der Herrschenden“ (Chomsky, N., 1993: S. 53). Wenn man die Herrschenden in diesem Fall als die USA und ihre Verbündeten in der Koalition gegen den Terror betrachtet, was Angesichts der Tatsache, dass alle westlich-kapitalistischen Länder Mitglied dieser Koalition sind, nicht absurd erscheint, liegt der Schluss nahe, dass diese Herrschenden auch ein Interesse daran haben diesen Krieg positiv zu besetzten. Die Bezeichnung „Krieg gegen den Terror“, der von den westlichen Medien auch so transportiert wird, ist vor dem Hintergrund des unter 2.2. geschilderten „stillen Völkermords“ (Chomsky, N., 2001: S. 2) im chomsky’schen Sinne als politisch korrekter Begriff anzusehen. Die Argumentation, dass Menschenleben und Humanität für die Politik der USA nicht zählen, aber häufig als Simulacrum im badiou’schen Sinne missbraucht werden zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Werke Chomskys.
http://www.google.de/search?q=cache:1t_ZUKrkilMJ:www.florian-janik.de/person/chomsky.pdf


Der Ausdruck „badiou‘sches Simulacrum“ bezeichnet übrigens ein meiner Meinung nach sehr wichtiges Konzept: der aus dem Lateinischen kommende Begriff „simulacrum“ wird gewöhnlich mit „Abbild, Götterbild, Trugbild“ übersetzt - in der heutigen Philosophie wird er unterschiedlich gebraucht, nicht zuletzte im obigen Text steht er jedoch vor allem für die Imitation, durch die Intentionen übertüncht und verdeckt werden.
Alain Badiou kann ich mich in vielen Punkten nicht anschließen... aber seine Bemerkungen zu Simulacra sind allemal interessant.


Das ethisch Gute, das der Mensch schafft weist drei Dimensionen auf:
1. Die Dimension des Ereignisses, das das Verlassen des gewohnten Kontextes und das Brechen mit dem bis dahin Üblichen beinhaltet,
2. die Dimension der Treue und Zurechenbarkeit (Verantwortung),
3. die Dimension des Machtverzichts zugunsten der Wahrheit, die gegen das Gewohnte behauptet werden muss.
Diese drei Dimensionen des Guten entsprechen drei Dimensionen des Bösen:
1. Die blinde Perpetuierung des Gewohnten, die zur unechten Imitation ("Simulacrum") und zu Terror führt,
2. die Dimension des Betruges,
3. das Anstreben totaler Macht, das zur Katastrophe führt.
Damit gibt Badiou eine systematische Grundlegung und Ableitung des Begriffsinhaltes von "Terror". Gemäß dieser Konzeptualisierung entwickelt sich Terror aus der unechten Imitation innovativer Entwicklungssprünge. Der Form nach wird eine radikale qualitative Änderung des dahin Gewohnten durchgeführt, tatsächlich wird das Bisherige aber durch das Mimikry der vorgetäuschten Neuerung nur noch unbedingter verfestigt und festgeschrieben. Ein solches "Simulacrum", d.h. ein auf diese Weise nur vorgetäuschter Neuanfang, führt zu einer Doppelbödigkeit, bei der die zunehmend inhaltsleere Fassade nur mehr mittels Einschüchterung durch Gewalt aufrechterhalten werden kann. So bedurfte Stalin des Terrors um seine "Selbstherrschaft" als "Volksdemokratie" firmieren lassen zu können. Ebenso war der Nationalsozialismus auf den Terror angewiesen um die Fiktion einer uneingeschränkt geltenden "Volksgemeinschaft" aufrechterhalten zu können. Und in der Gegenwart bedürfen die reaktionären Strömungen des Islam zunehmend des Terrors um ihre rückwärtsgewandte Utopie eines Gottesstaates auf Erden aufrechtzuerhalten.
Kaum weniger problematisch sind die Entwicklungen von westlichen Demokratien, wie z.B. der USA oder auch von Israel, die Krieg und Gewaltanwendung auf Dauer (ohne zeitliche Begrenzung) zu institutionalisieren im Begriff sind und dabei ein neuartiges Simulacrum demokratischer Gesellschaften schaffen. So unterschiedlich die Ausgangsposition all dieser Gesellschaften zu Ende der 80er Jahre waren, so einheitlich ist der Trend, durch Verfälschung des ethisch Guten Böses zu schaffen, das sich als Verteidigung des Guten präsentiert und so zu rechtfertigen trachtet.
http://www.lsoso.de/7_vorlesung/main_win_2003/pragm_soz.htm





Außerdem lesenswert:
The Simulacrum According to Deleuze and Guattari
http://www.anu.edu.au/HRC/first_and_last/works/realer.htm





Und noch eine kurze Einführung in die Psycholinguistik:

http://www.google.de/search?q=cache...Lehre/ws9899/Sections/content/Einfuehrung.pdf
 

morgenroth

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@ Hives: Wenn ich dich gerade richtig verstanden habe, liegt der Sprache und ihren Auswüchsen etwas manipulatives und suggerierendes an.
Echt witzig! Du schreibst das, und formuliest gleichzeitig einen 3 meter langen Text. :lol:
 

hives

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morgenroth schrieb:
@ Hives: Wenn ich dich gerade richtig verstanden habe, liegt der Sprache und ihren Auswüchsen etwas manipulatives und suggerierendes an.
Echt witzig! Du schreibst das, und formuliest gleichzeitig einen 3 meter langen Text. :lol:

:lol:



Jaaaa....

...aber ohne Verwendung der Sprache kann man schlecht auf deren suggestive und realitätsgestaltende Aspekte aufmerksam machen, oder? :wink:
Stummfilmprojekte oder Zeichensprache wären auch einen Versuch wert, aber das geschriebene Wort liegt mir doch am Herzen :wink:

Ziel dieses Threads ist es, die Entwicklung und Verwendung von Sprache und Schrift in Historie und Gegenwart zu beobachten, erforschen, analysieren; um letztendlich Suggestionen besser erkennen und bewerten zu können - dass Sprache und Schrift ganz prinzipiell suggestive, realitätsgestaltende Qualitäten besitzen, steht wohl ohnehin außer Frage.


„Diese destruktiven Diskurse (und alles ihnen Entsprechende) sind aber allesamt in einer Art von Zirkel gefangen. Dieser Zirkel ist einzigartig; er beschreibt die Form des verhältnisses zwischen der Geschichte der Metaphysik und ihrer Destruktion: es ist sinnlos, auf die Begriffe der metaphysik zu verzichten, wenn man die Metaphysik erschüttern will. Wir verfügen über keine Sprache – über keine Syntax und keine Lexik -, die nicht an dieser Geschichte beteiligt wäre. Wir können keinen einzigen destruktiven Satz bilden, der nicht schon der Form, der Logik, den impliziten Erfordernissen dessen sich gefügt hätte, was er gerade in Frage stellen wollte.“
Jaques Derrida

wv-Lexikonartikel "Dekonstruktion":
http://www.weltverschwoerung.de/redaktion/lex.php?id=284&first=D


mfg
 

hives

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kurzes update

Konkurrenzloser Linktip des Tages :wink: :

"Media Quotes", ein paar gesammelte Zitate zu den Massenmedien...

Michael Parenti:

"Editors and reporters are not as free and independent to invite a variety of opinions as they might think. They are free to say what they like only as long as their bosses like what they say. They are free to produce what they want if their product remains within acceptable political boundaries. You will have no sensation of a leash around your neck if you sit by the peg. It is only when your stray that you feel the restraining tug."

mehr unter:
http://www.is.wayne.edu/mnissani/media/Quotes.htm






Ein ausgesprochen lesenswerter Text von Sybil Wagener zum Thema Vorurteile, Feindbilder und militärische Legitimationen:


http://www.politische-bildung-brandenburg.de/programm/veranstaltungen/2003/april2vortrag.htm


Ein Feindbild ist ein kollektives Phänomen, eine Verabredung. Natürlich kann jeder einzelne seine Privatfehde pflegen, er darf in seinem Nachbarn, der seinen Komposthaufen in die falsche Ecke setzt oder den Laubbaum über die Hecke wachsen läßt, den Inbegriff des Bösen sehen; doch dieser Mann ist und bleibt sein Privatfeind.

In meiner Definition ist ein Feindbild so etwas wie eine Lizenz zum Töten. Es legitimiert den Krieg.

Wie?

Der Homicid ist das größte menschliche Verbrechen. So pervertiert wir Menschen sind, verglichen mit anderen Lebewesen, die nur töten, um zu fressen oder einen Rivalen loszuwerden – das Gesetz, das die eigene Art eigentlich tabu ist, tabu sein sollte, steckt trotzdem tief in unseren Genen.

Nur Psychopathen morden hemmungslos; und noch eine andere Spezies – Soldaten. Unter der Voraussetzung, dass die militärische Selbstdisziplin nicht mehr greift, dass die Truppe verwahrlost, wie es in Vietnam der Fall war.

Da sind, auch von amerikanischer Seite, furchtbare Dinge geschehen; vor wenigen Jahren dann auch auf dem europäischen Kontinent, in Srebenica, zum Beispiel.

Soldaten werden nicht dafür erzogen, dass sie Zivilisten er-morden. Doch das verinnerlichte Gebot, Du sollst nicht töten, kann auch in einem Soldaten nur außer Kraft gesetzt werden, wenn man ihm ein Feindbild gibt. Das ist seine Funktion: das Töten im Krieg zu legitimieren, damit der Soldat, wenn er ins Zivilleben zurückkehrt, keine Gewissensbisse zu haben braucht .

Tatsächlich ist dies die Fragestellung gewesen, die mich veranlaßt hat, dieses Buch zu schreiben.

Ich war viele Jahre meines Lebens auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie es kommt, dass all diese freundlichen, wohlerzogenen Männer um mich herum, meine Mitstudenten, meine Arbeitskollegen, sich, in eine Uniform gesteckt und in einen Panzer gesetzt, quasi automatisch in Tötungsmaschinen verwandeln.

Natürlich war es die zeitliche Nähe meiner Generation zu den Naziverbrechen, die von der Wehrmacht mitgetragen wurden, die mich mit diesem Problem beladen hat.

Ich habe Brüder, ich habe einen Sohn, ich habe Jungs immer als ganz normale Menschen empfunden und diese Dimension ihres Geschlechts nie nachvollziehen können.

Inzwischen weiß ich, wie das funktioniert; der klassische militärische Drill war und ist darauf angelegt, die Reflexe der jungen Männer so zu konditionieren, dass sie automatisch handeln: anlegen, schießen, ohne vorher nachzudenken. Da sich das Denken aber einschaltet, sobald der Zwang zum Handeln nachläßt, müssen auch die Gedanken konditioniert werden.

Dazu dient das Feindbild.

Es ist auch und vor allem, und war es wohl von Anfang an, ein Instrument militärischer Propaganda.





Außerdem recht interessant:


"Habermas and the Problem of Indoctrination":

http://www.vusst.hr/ENCYCLOPAEDIA/indoctrination.htm




mfg
 

Gilgamesh

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Ziel dieses Threads ist es, die Entwicklung und Verwendung von Sprache und Schrift in Historie und Gegenwart zu beobachten, erforschen, analysieren; um letztendlich Suggestionen besser erkennen und bewerten zu können - dass Sprache und Schrift ganz prinzipiell suggestive, realitätsgestaltende Qualitäten besitzen, steht wohl ohnehin

Ein wirklich komplexes Thema, was Du hier angeschnitten hast.
Ich habe mir auch schon oft Gedanken darüber gemacht, wieso Primaten überhaupt die Schrift einführen konnten.

Wenn man sich aber in die Gedankenwelt der Primaten hineinversetzt, dann erkennet man sehr schnell, dass in deren Begriffs- und Vorstellungswelt das "Spuren-Lesen" groß von Bedeutzung war.

Wenn ein Primat die Spur, den Abdruck eines Wildes im Boden lesen und deuten konnte, so bedeutet dies ein Überlebensvorteil für ihn, da er einerseits Raubtieren ausweichen konnte und sonstiges Wild selber verfolgen und jagen.

Ich denk, dass Urzeit-Menschen diese Spuren imitiert haben, im Lehm selber nachgebildet und es den Kindern gelehrt. AUf diese Weise sind, meiner Meinung nach, die ersten Schritte zur Entwicklung der eigenen Schrift vollzogen wurden.

So ähnlich stelle ich mir auch die Entwicklung der Hyroglypen vor, wobei man sich hier wahrscheinlich den Schattenwurf von Objekten bedient haben könnte,m wie eben den Menschen und Tieren.

Was für eine Revolution dieser Schritt nun in den dortigen Gesellschaften ausgelöst haben müste, kann man erahnen, denn man konnte einen "Abstrakt" eine den Fußabdruck eines Tieres z.B., einer größeren Menge an Personen vorführen und darüber erzählen.

Eine Information konnte nun ohne Sprache ausgetauscht werden oder auch archieviert und bei Bedarf wieder hervorgeholt.

Das zur Entwicklung. Worauf aber dieser Thread hinauszielt, ist wohl der Einfluß dieses Schrittes, der Erfindung der Schrift, auf die weitere Entwiklung der Menschheit.

Man beachte, das zu damaliger Zeit große Gesetzestafeln aufgestellt wurden, um soziale Konflikte in einem Staate zu klären.
Man konnte sich darauf berufen, womit eine bestimmte Politik für eine Vereinheitlichung und für Kontrolle, unabhängig vom menschlichen Staatsapparat, seine Wirkung vollzog.

Mit weiterem Fortschritt wurden in Tempeln und Logen Informationen gesammelt,aufgeschrieben und ausgewertet.
Auch diese Entwicklungstsufe bedeute ein Vorteil gegenüber denene, die darauf keinen Zugriff hatten.

Jedoch habe hier parallel andere Gruppierung ihre Vorstellungen und ihr System in Schrift und Bild festgealten, was natürlich zu einem Konkurrenzkampf geführt hat und bis jetzt auch noch andauert.

Die Zerstörung von Tempeln in biblischer Zeit, zeigt von den Kämpfen, die daher resultieren, das zwei unterschiedlich aufgeschriebene Dogmen und die Vorherrschaft kämpften.

Mit anderen Worten, eine revolutionelle Entwicklung in der Informationsverarbeitung hat bisher immer zu Kriegen und Konflikten geführt.

Man beachte, was für eine Revolution die Erfindung des Buchdruckes bewirkt hatte und zum Sturz der Kleralischen Systems in Europa geführt hat. Nun konnte man plötzlich einen Gedanken oder eine Idee als Massenblatt drucken und unter die Leute bringen.
Auch politische Bewungungen und Revolutionen und Kriege folgen der Erfindung des Buchdruckes.

usw usw...hier kann man wirklich viel schreiben und es ist sehr komplex, das man nicht weis, wo man beginnen soll.

Jedoch (betrachten wir unsere aktuelle Zeit) befinden wir uns erneut in so einer revolutionären Phase der Schrift. Nun kann jeder, von jedem Ort derr Welt und zu Jederzeit seine Gedanken in Schrift und Bild veröffentlichen. Und eine Kontrolle des Internets und dieser Daten wird sicher früher oder Später für konflikte und Revolutionen sorgen, wenn wir mal uns nicht shon mittendrinn befinden...

Das meine Gedanken zu diesem Thema. Wollte meinen Senf dazu geben.

:arrow: Gilagemsh
 

hives

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Gilgamesh schrieb:
Ich denk, dass Urzeit-Menschen diese Spuren imitiert haben, im Lehm selber nachgebildet und es den Kindern gelehrt. AUf diese Weise sind, meiner Meinung nach, die ersten Schritte zur Entwicklung der eigenen Schrift vollzogen wurden.

Ein sehr interessanter Aspekt. Bisher habe ich mich bei meinen Darstellungen in diesem Thread bezüglich der Schriftentstehung vor allem auf Tokens, Siegelungen, Keilschrift etc. fixiert, da die eigentliche Entwicklung der Schrift allem Anschein nach im Zusammenhang wirtschaftlicher Planbarkeit und Organisation zu sehen ist.
Deine Überlegungen beziehen sich noch auf die Entwicklungsstufe davor - so würde ich sie zumindest interpretieren bzw. in meine Vorstellungen einfügen - und klingen für mich durchaus einleuchtend. Allerdings spielen auch andere Einflüsse eine Rolle, zb. allgemein gesagt alle Kunst- und Gebrauchsgegenstände, deren genaue Ausgestaltung, Verzierungen, Höhlenmalereien, später die Keramik usw.
Die Nachbildung von Tierspuren ist sicherlich eine frühe Form der abbildenden Kommunikation, die sich, wie schon beschrieben, aus nachvollziehbaren direkten Selektionsvorteilen wohl schon in Ur- und Frühgeschichte entwickelt hat.



Man beachte, das zu damaliger Zeit große Gesetzestafeln aufgestellt wurden, um soziale Konflikte in einem Staate zu klären.
Man konnte sich darauf berufen, womit eine bestimmte Politik für eine Vereinheitlichung und für Kontrolle, unabhängig vom menschlichen Staatsapparat, seine Wirkung vollzog.

Ja, es sind allerdings so gut wie keine Tafeln bekannt, die wirklich Bezug auf derartige Codices nehmen, Urteile aus den betreffenden Zeiten sind afaik nicht immer identisch. Da streitet sich die Wissenschaft noch, inwieweit man es hier mit konstruierten Idealfällen, Präzendenzfällen oder Richtlinien zu tun hat, welchen genauen Stellenwert die Codices hatten etc.


Mit anderen Worten, eine revolutionelle Entwicklung in der Informationsverarbeitung hat bisher immer zu Kriegen und Konflikten geführt.

Naja, Kriege sind auch ohne neue Entwicklungen in diesem Bereich geführt worden, diess Kausalität würde ich so nicht behaupten.
Aber sicher ist es oft der Fall, und es gibt viele Beispiele - manche Konflikte werden jedoch erst offen ausgetragen, andere gefördert und es gibt ebenso frühe Friedensverträge, Urkunden, durch die kleine Leute ihre Forderungen von reichen Kaufleuten beim König durchsetzen konnten, etc.
Auch sind in benachbarten Kulturen Globalisierungserscheinungen erkennbar, wenn fremde Götter in das eigene Pantheon inkorporiert werden etc.

Die Entstehung der Philosophie ist nicht denkbar ohne die Auseinandersetzung der Vorsokratiker mit den schriftlich festgehaltenen Mythen, Kosmologien und Theogonien, vor allem natürlich Homer und Hesiod, aber auch (oft indirekt durch weitere Tradierung) die orientalischen Gegenstücke oder Vorbilder (da sie wesentlich früher schriftlich festgehalten wurden). Allein schon die Übernahme des einfachen Phonem-Alphabets, das die spätere Schriftlichkeit des Abendlandes erst ermöglichte. Die Zeichen und das Memorieren der Buchstaben stammen ja bekannterweise aus dem semitischen Sprachraum, im Griechischen hatten die dahinterstehenden Worte keinen Sinn - außer eben den der einfachen Memorierung.
Manche Wissenschaftler sprechen von einer großen, übergreifenden mediterranen Koine - Übernahmen und Einflüsse sorgten jedenfalls häufig für die weitere Entwicklung.

Die Gefahr geht imho vor allem von gezielter Propaganda aus, eine Übernahme von kulturellen Errungenschaften erweist sich dagegen ebenso wie kultureller Austausch in der Regel als positiv.

usw usw...hier kann man wirklich viel schreiben und es ist sehr komplex, das man nicht weis, wo man beginnen soll.

Ja, allerdings. Alle Beiträge sind willkommen... vielleicht arbeitet sich ja der ein oder andere Leser durch den Thread - außerdem ist die Linksammlung mitllerweile schon ein ganz interessante Fundgrube für Interessierte... :lol:




Das meine Gedanken zu diesem Thema. Wollte meinen Senf dazu geben.

Sehr erfreut. Gerne mehr davon. :wink:
 

Gilgamesh

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Die Sache beginnt auch allmählich mich zu interessieren... :D

Du schreibst, dass Dir keine Gesetzestafel bekannt wären, die öffentlich aufgestellt wurden und somit der Schrift eine politische Bedeutung gaben.
In der Tag existierten aber solche Tafeln und Obelisken, wo eben Grundgesetzte aufgeführt wurden, auf die sich jeder berufen konnte.

Aber, Deine Überlegung geht vielmehr in die Richtung, dass Du die Philisophie eng verknüpft mit der schriftlichen Entwicklung siehst.

Jedoch denke ich, dass es sich bei der Philosophie in seiner Grundform um Gedanken und Gedankenkonstrukte handelt, die zwar an eine Sprache gebunden sind, nicht aber unbedingt an eine Shrift.

So ist noch heute unter den primitiven Kulturen des Amazonas zu beobachten, dass sie sich einer Art Philosopie bedienen, weil sie religiöse Vorstellungen haben, bzw eine mythische Abstraktion ihrer Umgebung.

Zudem ist bekannt, dass Kulturen (auch ohne Schrift) bestimmte philosophische Aspekte entwickelt haben müssen, da man bei allen Kulturen bisher (und auch den Urzeitmenschen, Höhlenmenschen usw) eine Bestattung der Toten nachweisen kann, welchen ua an ein bestimmtes Ritual gebunden ist...zumindest aber eine gedankliche Auseinanersetzung mit dem Tod voraussetzt.

...sowit meine Sicht auf dieser Ebene

:arrow: Gilgamesh
 

hives

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Gilgamesh schrieb:
Du schreibst, dass Dir keine Gesetzestafel bekannt wären, die öffentlich aufgestellt wurden und somit der Schrift eine politische Bedeutung gaben.
In der Tag existierten aber solche Tafeln und Obelisken, wo eben Grundgesetzte aufgeführt wurden, auf die sich jeder berufen konnte.

Nein, da hast du mich falsch verstanden :wink:

Es gibt einerseits die Codices, andererseits die konkreten Gerichtsurkunden. In diesen findet man so gut wie keine Bezugnahme auf die jeweiligen Codices (bspw. Hammurapi-Codex und altbabylonische Gerichtsurkunden), und zudem scheinen sie den "Gesetzen" oft zu widersprechen. Es geht um den Stellenwert der sogenannten Codices im Gerichtsleben.


Jedoch denke ich, dass es sich bei der Philosophie in seiner Grundform um Gedanken und Gedankenkonstrukte handelt, die zwar an eine Sprache gebunden sind, nicht aber unbedingt an eine Shrift.

ich denke, dass die Schrift einereseits große Entwicklungen in Geang gesetzt hat (unter anderem in späterer Zeit auch die der "systematischen" Philosophie), andererseits jedoch starke Kräfte auf eine propagandistische Verwendung drängen...


So ist noch heute unter den primitiven Kulturen des Amazonas zu beobachten, dass sie sich einer Art Philosopie bedienen, weil sie religiöse Vorstellungen haben, bzw eine mythische Abstraktion ihrer Umgebung.

Es gibt auch viele Ansätze der Philosophie in den alten Hochkulturen, über tausend Jahre vor der Ausbreitung der Schrift in Griechenland, auch Kosmologien etc.
Aber die Entwicklung von dieser Ebene hin zu einer systematischen Philosophie ist ohne Schriftlichkeit schwer vorstellbar.
Wie zuvor im Thread schon erwähnt wurde, hatte auch Platon noch einen Teil seiner Lehre (genauer die Prinzipienlehre) vorwiegend mündlich vorgetragen... aber sie basiert natürlich auf seiner Auseinandersetzung mit anderen schriftlichen (aber natürlich auch mündlichen) Quellen.


Zudem ist bekannt, dass Kulturen (auch ohne Schrift) bestimmte philosophische Aspekte entwickelt haben müssen, da man bei allen Kulturen bisher (und auch den Urzeitmenschen, Höhlenmenschen usw) eine Bestattung der Toten nachweisen kann, welchen ua an ein bestimmtes Ritual gebunden ist...zumindest aber eine gedankliche Auseinanersetzung mit dem Tod voraussetzt.

Göbekli Tepe und Catal Höyük werden ja bspw. noch heiß diskutiert.
Zwischen einem Totenkult und der argumentierenden systematischen Philosophie besteht aber noch ein Unterschied.
Eine der großen Voraussetzungen für die abendländische Philosophiegeschichte ist die argumentative Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Texten, bei einer mündlichen Überlieferung gestaltet sich das schwieriger, eine differenzierte Auseinandersetzung wird vor allem auf längere Zeit hin schwierig.
Das verhindert nicht das Entstehen ausdifferenzierter sozialer Ordnungen, oder mythische Vorstellunge, ethische Lehren etc. - aber die individuelle, rational abwägende Philosophie ist noch einmal etwas anderes.

Ich würde sagen, das natürlich alle Gedanken prinzipiell nicht an ein bestimmtes sprachliches oder gar schriftliches System gebunden sind, aber einzelne Systeme eben für bestimmte Muster geeignet sind.
Die Voraussetzungen sind jeweils andere, ein besseres Medium steht zur Verfügung - die Grundlagen des menschlichen Geistes haben sich natürlich nicht geändert.
 

Gilgamesh

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Ich würde sagen, das natürlich alle Gedanken prinzipiell nicht an ein bestimmtes sprachliches oder gar schriftliches System gebunden sind, aber einzelne Systeme eben für bestimmte Muster geeignet sind.
Die Voraussetzungen sind jeweils andere, ein besseres Medium steht zur Verfügung - die Grundlagen des menschlichen Geistes haben sich natürlich nicht geändert.

Verstehe ich Dich richtig?
Du gehst davon aus, dass unterschiedliche Systeme in Schrift, Entwicklung, Kultur, Religion und Zivilisation unterschiedliche Muster an Philosophie hervorbringen können? Dass eine Schriftliche Aufzeichung eines philosophischen Gedankens eine bessere systematische Auseinandersetzung mit dieser Philosophie ermöglicht?

Da kann ich Dir, wenn ich es so vertehen sollte, nicht zustimmen, da es nicht die Schrift ist, die eine Philosohie beflügelt, sondern die Komplexität einer Sprache,der Begriffswelt die, je komplexer sie ist, ein feineres Abbild der Realität bewirkt, die eben eine Grundlage für jede philosophischen Auseinandersetzung bildet.

Zudem setze ich neben Sprache und Schrift auch ein metaphysisches Verständnis der Realität voraus, welches betimmte Gedankenkonsrtrukte hervorrufen kann, die man nicht unbedingt mit Schrift und Sprache umschreiben kann. Somit ist hier eine Ausseindersetzung in Wort und Schrift kaum möglich.

Eine komlpexe Begriffswelt ist auch ohne die Entwicklung einer Schriftform möglich. Und, soviel ich weiss, waren auch einige große Denker Blind und haben nie sowas wie eine Schrift kennengelernt und trotzdem komplexe Gedankengänge über das Universum entwicklen können.

Jedoch bin ich mit Dir einer Meinung, dass bei zunehmender Komplexität eine schriftliche "Ablage" philosophischen Gedankengutes notwending ist, um den Überlick über ein "geistiges Konstrukt" nicht zu verlieren.

Dies ist jedoch ein Schwäche des menschlichen Geistes und dessen Unvermögen, komplexe Informationen linear und jederzeit abrufbereit abzuspeichern, was nicht bedeutet, dass andere Forme des Lebens oder Bewustseinsmodelle hier ebenso versagen würden.

So ist die Frage nu, ob die Philosopie unabhängig vom menschlichen Bewustsein zu definieren ist oder ob Du dich dafür interessierts, welchen Einfluß menschliche "Bewustseinszustände" auf die Philosophie oder der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit ausüben?!?!

:arrow: Gilgamesh
 

hives

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Gilgamesh schrieb:
Verstehe ich Dich richtig?
Du gehst davon aus, dass unterschiedliche Systeme in Schrift, Entwicklung, Kultur, Religion und Zivilisation unterschiedliche Muster an Philosophie hervorbringen können? Dass eine Schriftliche Aufzeichung eines philosophischen Gedankens eine bessere systematische Auseinandersetzung mit dieser Philosophie ermöglicht?

Es geht in philosophischer Hisicht natürlich primär um das semantische System, weniger um dessen Aufzeichnug. Die Aufzeichnung durch eine eindeutige Phonemschrift verändert prinzipiell nichts an der Semantik - bei schwierigeren Systemen (siehe unten) ist das natürlich wieder etwas anderes....
Was die Aufzeichnung allerdings verändert, ist die Möglichkeit der Auseinandersetzung folgender Generationen mit der unverfälschten Primärquelle - ein absolut wesentliches Element bspw. für die gesamte Entwicklung der abendländischen Philosophie...


Da kann ich Dir, wenn ich es so vertehen sollte, nicht zustimmen, da es nicht die Schrift ist, die eine Philosohie beflügelt, sondern die Komplexität einer Sprache,der Begriffswelt die, je komplexer sie ist, ein feineres Abbild der Realität bewirkt, die eben eine Grundlage für jede philosophischen Auseinandersetzung bildet.

Du würdest die Fragestellung also vollständig auf die Sprache reduzieren, und die Schrift außer Acht lassen? Bei eindeutigen Lautschriften kann ich dir zumindest eingeschränkt zustimmen - diese sind jedoch keine selbstverständliche Voraussetzung. Ich werde im Folgenden versuchen, die Problematik durch ein paar Beispiele verständlich zu machen - betrachten wir zunächst noch einmal die Keilschrift, ein Kette von sagen wir drei Zeichen:

NIN SHA BA

In Sumerisch wird es eben so gelesen:

"Nin shaba"

Im Akkadisch hingegen:

"Belet ina libbishu"

Die Bedeutung ist in beiden Fällen die gleiche, etwa: "Die Göttin in dessen Herzen" - obwohl sich die Sprachen in ihrer Grammatik vollkommen unterscheiden...

Ein weiterer Aspekt wäre zb. die Mehrdeutigkeit vieler Systeme: Sowohl im Chinsischen Schriftsystem als auch in der Keilschrift (und vielen anderen Systemen) herrscht eine sogenannte Polyphonie, dh. den einzelnen Zeichen können unterschiedliche Bedeutungen zugeordnet werden.

Diese Lesungen haben wiederum als sprachliche Begriffe unterschiedliche De- und Konnotationen... theoretisch können durch die Verwendung derartiger mehrdeutiger Zeichen in einer kleinen Zeichenkette, die einem Satz entsprechen würde, viele Bedeutungen übereinandergeblendet, oder verschiedene Aspekte angedeutet werden, die im sprachlichen System hintereinander genannt werden müssten... Auch bei einer bestimmten Lesung können so andere Bedeutungen mitschwingen, die mit den Begriffe direkt nicht assoziiert werden.

Weiterhin ergeben Zeichenkombinationen teilweise sogenannte Komposita, neue Begriffe, die eine vollkommen andere Lesung haben, als die Zeichen, aus denen sie bestehen.
Auch hier ein Beispiel:

Das Zeichen für Fluss wird im Akkadischen "narum" gelesen, im Sumerischen "id" - eines der zwei Zeichen, aus dem es besteht, ist das Zeichen für Wasser. Die Information, die über das Zeichen mitgeteilt wird, geht also über den Bergriff hinaus: würde ein Mensch, dem zwar das Zeichen für Wasser, nicht aber das Zeichen für Fluss bekannt ist, auf das Zeichen für Fluss in einem gewissen Kontext stoßen, könnte er eine Verbindung mit Wasser zumindest erahnen bzw. ein dementsprechende Theorie aufstellen...
Würde er auch noch die Lautung des Zeichens für Fluss kennen, könnte er über die Schrift etwas mit diesem Wort verbinden, nämlich Wasser...
Das ist natürlich ein sinmplifiziertes Beispiel, aber es ist wohl klar geworden, dass die Information, die über die Sprache vermittelt wird, nicht immer die gleiche ist, wie diejenige, die über die Schrift vermittelt wird...


Über diesen Themenkomplex ging es übrigens schon ein paar Einträge weiter oben, falls ein Neuankömmling interessiert ist...

Zudem setze ich neben Sprache und Schrift auch ein metaphysisches Verständnis der Realität voraus, welches betimmte Gedankenkonsrtrukte hervorrufen kann, die man nicht unbedingt mit Schrift und Sprache umschreiben kann. Somit ist hier eine Ausseindersetzung in Wort und Schrift kaum möglich.
Dazu benötigt man kein metaphysisches Verständnis von Realität, weshalb ich dir in der eigentlichen Aussage auch zustimmen kann. :D


Eine komlpexe Begriffswelt ist auch ohne die Entwicklung einer Schriftform möglich. Und, soviel ich weiss, waren auch einige große Denker Blind und haben nie sowas wie eine Schrift kennengelernt und trotzdem komplexe Gedankengänge über das Universum entwicklen können.
Das wird afaik schon von dem Kyniker Diogenes behauptet, und das alles steht auch vollkommen außer Frage... Das Problem ist die Auseinandersetzung mit vorherigen Denkern, wenn sie nur - durch die Vorstellungen anderer Denker umgefärbt - mündlich überliefert werden. Das einzelne Höhenflüge ohne Schrift stattfinden können, ist nicht zu bezweifeln.


Jedoch bin ich mit Dir einer Meinung, dass bei zunehmender Komplexität eine schriftliche "Ablage" philosophischen Gedankengutes notwending ist, um den Überlick über ein "geistiges Konstrukt" nicht zu verlieren.

Dies ist jedoch ein Schwäche des menschlichen Geistes und dessen Unvermögen, komplexe Informationen linear und jederzeit abrufbereit abzuspeichern, was nicht bedeutet, dass andere Forme des Lebens oder Bewustseinsmodelle hier ebenso versagen würden.

Ja, in Bezug auf die eindeutigen Phonemschriften kann ich mich an dieser Stelle nur anschließen.

So ist die Frage nu, ob die Philosopie unabhängig vom menschlichen Bewustsein zu definieren ist oder ob Du dich dafür interessierts, welchen Einfluß menschliche "Bewustseinszustände" auf die Philosophie oder der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit ausüben?!?!
Das sind beides sehr interessante Fragestellungen, die hier gerne diskutiert werden können - sie waren jedoch eigentlich nicht die Intention dieses Threads...
tbc :wink:
 
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