Loki und die drei Haare in der Suppe

Trestone

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Einst hatten die Menschen noch direkteren Umgang mit den Göttern und konnten sogar Loki dazu verpflichten,
Ihnen eine Suppe der Götter zu servieren.

Aber Loki wäre nicht Loki, wenn er dabei nicht etwas ausgeheckt hätte:

Er gab drei Haare in die Suppe, die erst ganz genießbar war, wenn diese gefunden und entfernt worden waren.

1) Das erste Haar fanden Pythagoras und Euklid: „Die Wurzel aus Zwei ist irrational“,
d.h. sie lässt sich nicht durch einen Bruch aus ganzen Zahlen darstellen –
und es gibt noch unendlich viele Zahlen dieser Sorte.
Sie konnten das Haar aber nicht entfernen und so gewöhnten sich die Menschen über zweitausend Jahre daran,
diese irrationalen Suppenbrocken mitzuschlucken.

2) Das zweite Haar fand Georg Cantor: „Die Potenzmenge einer Menge ist mächtiger
(von größerer Unendlichkeit) als die Menge“,
d.h. man kann eine niemals endende Kette von Unendlichkeiten bilden.
Auch er konnte dieses Haar nicht entfernen, doch vielen Mathematikern gefällt,
dass man so die Suppe niemals auslöffeln kann.
Nach nun über hundert Jahren ist das etwas langweilig, und einige wüssten doch gern,
was auf dem Grund der Suppe wartet statt ewig weiter zu löffeln.

3) Aber da ist ja noch das dritte Haar Lokis: Kurt Gödel entdeckte es 1931,
es heißt der „Unvollständigkeitssatz“:
In jedem axiomatischen System, dass die Arithmetik enthält, gibt es wahre Sätze,
die sich nicht aus den Axiomen beweisen lassen. (Und es gibt viel mehr wahre Sätze als Beweise).
Es war schwierig genug, dieses Haar zu finden, entfernbar war bisher auch dieses nicht.
Stellt man sich die beweisbaren Sätze oben in der Suppe vor,
so können wir mit unseren „Beweislöffeln“ nur die Haut der Suppe essen.


Natürlich gibt es wie immer im Märchen einen Schlüssel:

Loki hatte den Menschen nämlich auch einen Löffel mitgegeben, den sie gern benutzten, genannt „Logik“.
Damit lässt sich zwar ein wenig Suppe essen, die Haare lassen sich aber nicht entfernen.

Wer auf den Grund der Suppenschüssel gelangen will, muss sich einen neuen schnitzen.
Einen Versuch, mit dem sich das erste und zweite Haar wohl entfernen lassen,
findet man mittels „Stufenlogik Trestone“.
Da das dritte Haar etwas komplizierter ist, müsste hier wohl ein Mathematiker helfen,
die Chancen stehen aber gut.

Wenn die Suppe erst mal leer ist, muss ich mir genauer ausdenken,
was am Grund der Schüssel zu finden ist …

Gruß
Trestone
 

Giacomo_S

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zu 1) Wurzel Zwei:
Der griechische Mathematiker Hippasos von Metapont (6./5. Jh. v. Chr.) ertrank der Legende nach "als Gottesstrafe" im Meer (oder wurde gar von den Pythagoreern, denen er angehörte, ertränkt), weil er das Geheimnis der Irrationalität der Diagonale des Quadrats (= Wurzel Zwei) verriet. Man sieht: Das galt damals als gefährliches Wissen.

Wenn ich richtig informiert bin, lässt sich die Irrationalität von Wurzel Zwei nicht konstruktiv beweisen. Der Beweis erfolgt durch den Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Man nimmt an, Wurzel Zwei sei rational. Die weitere Beweisführung ergibt unauflösbare Widersprüche in anderen Aussagen. Da es nur zwei gegensätzliche logische Zustände gibt, wahr und falsch, folgt daraus, dass Wurzel Zwei irrational sein muss.

zu 2) Georg Cantor:
Georg Cantor war zeitlebens immer wieder in der Nervenheilanstalt. In seinen lichten Momenten schuf er sein geniales Lebenswerk, im Grunde ganz einfach, wie alle genialen Ideen. An der Kontinuumshypothese - im Grunde die Frage, ob es unendlich viele unendliche Mengen gibt oder nur endlich viele - aber scheiterte er: Weder konnte er sie beweisen, noch widerlegen. Die Kontiuumshypothese brachte ihn mehr als einmal in die Nervenheilanstalt und löste erbitterte Kontroversen unter bedeutenden Mathematikern seiner Zeit aus. Man sieht: Auch nicht ungefährlich.

zu 3) Kurt Gödel:
Kurt Gödel bewies 1938: Aus der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre lässt sich die Kontinuumshypothese nicht widerlegen! Paul Cohen zeigte in den 60er Jahren: Aus der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre lässt sich die Kontinuumshypothese nicht beweisen!
Die Konsequenz: Die Kontinuumshypothese kann im Rahmen der Standardaxiome der Mengenlehre weder bewiesen noch widerlegt werden. Sie ist daher unentscheidbar.

Das ist ein ernstes Problem. Es bewirkt nämlich, dass der seit mehr als 2.500 Jahren verwendete Satz des ausgeschlossenen Dritten nicht unbedingt ein gültiger Beweis ist. Wenn eine Hypothese in der Mathematik unentscheidbar sein kann, dann kann es auch keinen Beweis durch Ausschluss geben.

Kurt Gödel hungerte sich zu Tode, weil er der zwanghaften Idee verfallen war, man wolle ihn vergiften. Selbst seine Frau wurde von ihm verdächtigt. Man erahnt: Auch darin liegen gewisse Gefahren.
 

Trestone

Großmeister
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Hallo Giacomo_S,

ja, Loki ist manchmal bösartig und gefährlich.
Daher ist ein guter Psychiater wohl ratsam, wenn man sich mit seinen Rätseln befassen will …

Zu allen drei Punkten gibt es (mit klassischer Logik) indirekte Beweise,
die nicht mehr gelten, wenn man den „Löffel“ ändert:
Die angesprochene „Stufenlogik“ kann man sich als eine Art „Rechen“ mit unendlich vielen Löffeln als Zinken vorstellen
(noch genauer senkrecht gedreht mit Stufe 0 oben und dann Stufe um Stufe nach unten bis zum unendlich fernen Grund folgend).
Je Zinken gilt die klassische Logik (dreiwertig, auch indirekte Beweise),
aber stufenübergreifend gelten z.T. neue Regeln.
Damit lässt sich natürlich ganz anders „schöpfen“ (beweisen):

Bei Punkt 1 kann man nun je Stufe einen anderen ganzzahligen Bruch für Wurzel 2 verwenden
(und ausnutzen, dass Primzahlzerlegungen in Stufenarithmetik je Stufe unterschiedlich sein können).

Bei Punkt 2 gibt es nun durchaus Bijektionen zwischen Mengen und ihrer Potenzmenge
(z.B. die Identität bei der „Menge aller Mengen“, die nun eine (nach Stufenlogik/Mengenlehre) zulässige Menge ist).
Daher gibt es nur noch eine Art von Unendlichkeit (nämlich abzählbar Unendlich).
Die sonst so schwierige Kontinuumshypothese wird so trivial und löst sich in Luft auf.

Bei Punkt 3 beweist Gödel seinen Unvollständigkeitssatz meines Wissens auch mittels eines indirekten Beweises und eines Diagonalverfahrens (analog zu Punkt 2).
Beides lässt sich wohl mittels Stufenlogik aushebeln.

Da mich Loki zwar nicht mit Gödels zwanghaften Ideen, aber dafür mit Faulheit belegt hat,
suche ich hier noch jemand, der den exakten Nachweis führt.

Die Stufenlogik ist übrigens dreiwertig (wahr, falsch, unbestimmt),
aber das nutze ich bei meinen Beweisen kaum aus, wichtiger sind die (hierarchischen) Stufen.

Formal sind auch in Stufenlogik indirekte Beweise zulässig und gültig,
aber nur, wenn sie innerhalb der selben Stufe erfolgen.
Bei allen von mir untersuchten klassischen indirekten Beweisen stieß ich auf Stufenwechsel,
daher blieben die Beweise unter Stufenlogik nicht mehr gültig.

Lokis Fluch:
Meine Stufenlogik (der unendliche Löffelrechen) ist aber wohl selbst für die meisten so schwer verdaulich wie Lokis Suppe …

Gruß
Trestone
 

Giacomo_S

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Trestone schrieb:
Die angesprochene „Stufenlogik“ ...

habe ich bislang nicht verstanden und ich nehme an: Da bin ich nicht der Einzige hier.
Allerdings befürchte ich: Sie beweist auch nichts - und ist daher wertlos.

Hinzu kommt:
Schlüssigkeit ist nicht das einzige Kriterium für die Gültigkeit einer Theorie. Schlüssig ist auch die Hohlwelttheorie: Aufgrund ihrer Prämissen führt sie zu denselben Ergebnissen der Beobachtung. Es soll Gründe für ihre Widerlegung geben, im Zweifelsfall gilt aber Ockhams Rasiermesser: Die einfachere Theorie ist die richtige - nämlich unser konventionelles Universum - und nicht die kompliziertere Hohlwelttheorie.

Die wesentlichen Fragen, die durch Cantors Arbeiten (aber nicht zum ersten Mal) aufgeworfen wurden, beantwortet auch die Stufenlogik nicht:

- Die Frage, was der Zahlbegriff überhaupt bedeutet, was eine Zahl überhaupt ist. Wenn wir einmal ehrlich sind: Ohne eine weitere Kategorie gibt es keine Zahl. Nicht umsonst sprechen wir von "Äpfel mit Birnen vergleichen": 2 Äpfel + 2 Birnen lassen sich erst dann zu einem Zahlbegriff auflösen, wenn wir eine neue, übergeordnete Kategorie ins Spiel bringen. Dann werden: 2 Äpfel + 2 Birnen = 4 Früchte.

- Die Frage, ob Logik und Mathematik menschengemacht sind, oder Eigenschaften des Universums (= "gottgegeben").
Der deutsche Mathematiker Leopold Kronecker war der Meinung: „Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk."
Kroneckers Finitismus machte ihn zu einem Vorläufer des mathematischen Konstruktivismus - dem Versuch, das Gebäude der Mathematik allein mit "konstruktiven" Beweisen aufzubauen und auf indirekte Beweise zu verzichten. Gelungen ist das trotz allen Bemühens bis heute nicht.

Manche Aspekte der alltäglichen Mathematik sind uns derartig in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir sie als Grundlage akzeptieren, obwohl sie lediglich Vereinbarungen sind: Austauschbar, teils willkürlich.
Das Dezimalsystem ist nur eines von unendlich vielen Möglichkeiten der Zahldarstellung - von denen mit einem anderen Regelwerk (z.B. römische Zahlen) erst gar nicht zu sprechen.
Mutmaßlich hat sich das Dezimalsystem durchgesetzt, weil wir 10 Finger haben und uns das daher am Einfachsten vorstellen können. Rein rechnerisch wäre ein System zur Basis 12 möglicherweise leichter zu handeln. Denn es hätte zur Folge, dass das Rechner einfacher würde, da 12 mehr Teiler hat als 10. Teilweise gab es das ja früher auch: Das Dutzend, der Schock (12 * 12). Auch so manche Erbschaft wurde auf den vielen Möglichkeiten der Basis 12 verteilt.
Die Einteilung des Vollwinkels in 360° ist auch so ein Postulat. Eine mathematische Notwendigkeit gibt es, im Unterschied zu PI, hierbei nicht. Wir verdanken sie, wie Stunden, Minuten und Sekunden, den Sumerern - und bis heute hat, trotz einiger Versuche, daran niemand etwas ändern können. Revolutionskalender und Dezimalzeit der französischen Revolutionszeit konnten sich nicht etablieren.
 

Trestone

Großmeister
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Hallo Giacomo_S,

dass es leichter ist, eine Theorie zu entdecken, als sie zu etablieren (selbst ohne Wissenschaftsanspruch) habe ich schon gemerkt.
Dennoch breche ich unverzagt weiter die Lanze für meine Stufenlogik.

Sie kann immerhin einiges, was die klassische Logik nicht kann:
Wohl Beseitigung der drei Haare aus Lokis Suppe, dazu einen neuen abbrechenden Zweig beim Begründungstrilemma
und evtl. eine Betrachtung von Körper und Geist als eine Substanz in verschiedenen Stufen.

Es ist sogar ein Experiment denkbar, das zeigen könnte, ob klassische Logik oder Stufenlogik unserer Wirklichkeit mehr entsprechen:
Die Stufenlogik ergibt nämlich eine geringfügig andere Arithmetik, denn bei ihr gilt die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung nicht mehr.
D.h. es gibt natürliche (wohl sehr große) Zahlen, die in unterschiedlichen Stufen unterschiedliche Primzahlzerlegungen haben.
Leider weiß ich nicht, wie man in einem Experiment die Stufensicht auf Zahlen herstellen kann.
Gelänge dies und fände man Zahlen mit unterschiedlichen Zerlegungen,
so erschiene die Stufenlogik wohl etwas plausibler.

Aber ursprünglich ging es mir mehr darum, die Abhängigkeit unseres Wissens von Grundannahmen zu zeigen –
und die klassische Logik sitzt da bei den meisten ganz fest im Sattel!
Durch die Konstruktion einer Alternative und die Untersuchung ihrer Konsequenzen wollte ich die Relativität vieler vermeintlicher Wissenspunkte zeigen.

Inzwischen hat die Stufenlogik aber ein Eigenleben entwickelt …

Gruß
Trestone
 

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