Jagd auf fremden Privatgrundstücken?

Mr. Anderson

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Moin allerseits,

ein Sachverhalt, der mir bis vor kurzem noch völlig unbekannt war:
Es ist möglich, dass auf auf fremden Privatgrundstücken - und zwar gegen den Willen des Besitzers - gejagt werden darf, und zwar weil der Besitzer zwangsweise zum Mitglied in einer sogenannten "Jagdgenossenschaft" gemacht werden kann.

Kürzlich haben zwei Grundstücksbesitzer vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg dagegen geklagt und verloren. Hier ist eine Erklärung ihres Anwalts (kurz vor dem Urteil)
http://www.pr-inside.com/de/duerfen-jaeger-auf-privatgrundstuec-r907767.htm
und hier auf einem Jagd-Blog das Ergebnis des Urteils:
http://jagdblog.blogspot.com/2008/11/bayerisches-verwaltungsgericht-besttigt.html

Edit: weitere Links:
http://www.br-online.de/studio-fran...en/jagd-gericht-2008-kw46-ID1226563787892.xml
http://de.news.yahoo.com/1/20081113/twl-gericht-entscheidet-ber-zwangsbejagu-1be00ca.html

Wenn man bedenkt, wie kontrovers das Thema ist, und wie bezeichnend es für den Konflikt zwischen Einzelperson und Staat zu sein scheint, finde ich es eigentlich unverständlich, das soetwas in unserer Gesellschaft nicht eine viel merklichere Debatte auslöst.
 

agentP

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Mich wundert das eher weniger, denn ich finde, dass bei uns sehr viel Eingriff durch den Staat in den privaten Bereich ganz selbstverständlich hingenommen wird. Das hat man beim Rauchverbot doch zueltzt deutlich gesehen, wo es offensichtlich eine breite Zustimmung dafür gab, dass der Staat Privatleuten selbst bis in ihr Eigentum hinein Vorschriften macht.
 

Mr. Anderson

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Wobei die Kneipenbesitzer ja grundsätzlich wollen, dass dort Leute in möglichst großer Zahl rein- und rausmarschieren. Er will also eine gewisse Öffentlichkeit.
Der Besitzer hat auch nach wie vor die Möglichkeit, bestimmte Leute nicht reinzulassen bzw. sie rauszuschmeißen.

Bei der Jagd hingegen hat der Besitzer diese Wahl nicht. Er muss nicht nur tolerieren, dass fremde Leute das Grundstück bewaffnet betreten und von der Waffe Gebrauch machen (unangekündigt selbstverständlich).
Ein Kneipenbesitzer kann zur Not auch noch sagen: Schluss mit der Kneipenwirtschaft, das ist jetzt nur noch ein privater Club. Auch diese Wahl hat der Grundstücksbesitzer nicht. Er kann aus der Jagdgenossenschaft nicht austreten.

Wenn man all das berücksichtigt, und man bedenkt was für eine gewaltige und kontroverse Debatte das Rauchverbot ausgelöst hat, finde ich es wirklich unverständlich, dass dieser Jagdzwang quasi ohne Echo verhallt.
 

agentP

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Wenn man all das berücksichtigt, und man bedenkt was für eine gewaltige und kontroverse Debatte das Rauchverbot ausgelöst hat, finde ich es wirklich unverständlich, dass dieser Jagdzwang quasi ohne Echo verhallt.

Vermutlich, weil Kneipen für mehr Leute eine Rolle spielen, als die Jagd.

:D
 

Ein_Liberaler

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Die meisten Grundstücksbesitzer sind entweder jagdfreundlich eingestellt, weil sie als Land- oder Forstwirte von der Jagd profitieren oder weil die Jagd eben zur ländlichen Kultur gehört, oder sie interessieren sich wenig für ihre meist ererbten landwirtschaftlichen Grundstücke. Gärten usw. sind ja befriedeter Bezirk, da ruht die Jagd. Nur für ein paar überzeugte Jagdgegner ist das ein Thema.

Wenn ich lese "Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg", brauche ich nichts mehr anzuklicken - das wird halt wieder das Universelle Leben sein. Die Sekte besitzt nicht nur eine Eigenjagd, sie hat auch Grundstücke im gemeinschaftlichen Jagdbezirk gekauft und (sicher unter hohen Verwaltungskosten) in winzigen Parzellen auf ihre Mitglieder verteilt, so daß sie jetzt in der Jagdgenossenschaft zwar nicht die Mehrheit der Hektare, aber die Mehrheit der Stimmen kontrolliert und versuchen kann, die Neuverpachtung zu verhindern. Leute mit Sendungsbewußtsein.

Mal rein von praktischen Gesichtspunkten ausgehend: Mein Großvater hatte acht Hektar in sieben Parzellen, das war ein ganz durchschnittlicher Hof. Im Osten sind die Höfe größer und besser arrondiert, aber Höfe von um die zwölf Hektar gibt zu Zigtausenden, aus der Aufteilung der adligen Güter während der preußischen Reformen. In der Bodenreform kamen Höfe von vier oder acht Hektar dazu. Die Parzellen sind, wie gesagt, noch deutlich kleiner. Hier ein Acker, da eine Wiese, dort ein Stück Wald...

Jagdreviere müssen laut Gesetz mindestens 75 Hektar groß sein, aber aus jagdbetrieblicher Sicht ist das winzig. Die verpachteten gemeinschaftlichen Jagdbezirke sind 500 Hektar groß oder größer. Anders läßt sich vielleicht ein wenig Ansitzjagd betreiben, auch Fangjagd, aber weder Treib- noch Drückjagden. Weder kann sich ein Pächter mit fünfzig oder hundert Bauern einzeln einig werden, noch kann man eine fünfzig oder hundert Reviere übergreifende Gesellschaftsjagd organisieren... Jagdgenossenschaften, in denen das Mehrheitsprinzip gilt, sind also ein Gebot der Vernunft.

Sollten sie auch verpflichtend sein? Ja. Die Gesamtheit der Grundstücksbesitzer hat keine Machtmittel gegen Querulanten. Wäre die Bildung einer Genossenschaft freiwillig, hätten sie alle Freiheit, ein sinnvolles gemeinsame Vorgehen zu verhindern, das wäre so wenig sinnvoll, wie jedem Anlieger ein Vetorecht gegen den Ausbau einer Straße einzuräumen.

Wäre es sinnvoll, einzelne Grundstücke von der Bejagung ausnehmen zu können? Nein, denn zahllose in ein Revier von einigen hundert Hektar eingestreute Klein- und Kleinstparzellen, auf denen die Jagd ruht, und die vielleicht mitten in einem von einem gemeinsamen Pächter bewirtschafteten riesigen Maisschlag liegen, würden die Jagdausübung unmöglich machen.

Ergänzung: Jetzt hab ich mich doch durchgeklickt. Kauf bricht Pacht und Miete nicht. Ob etwas verpachtet ist, kann man vor dem Kauf feststellen.
 

jones

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Mal so eingestreut, was passiert den, wenn diejenigen, die die Jäger nicht auf ihrem Land wollen einfach ihre Grundstücke einzäunen oder mit Dornenhecken einfrieden?

Oder wenn die Kläger genug Zeit und Lust haben könnten sie ja acuh jagdunfördeliche Geräuschkulissen auf ihren Grundstücken schaffen (windspiele oder so), sozusagen die 1000 Nadelstiche
 

Ein_Liberaler

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Du kannst Wild von Deinem Grund und Boden vertreiben, solange das nicht in Jagd übergeht. (Machen Bauern andauernd und ist völlig legitim.) Du kannst Dein Land so bepflanzen, daß es unpassierbar wird, dann ist es allerdings auch nicht mehr wirtschaftlich nutzbar. Du kannst keinen Zaun um Dein Grundstück ziehen, die sind im Außenbereich nämlich genehmigungspflichtig. Du darfst keine laufende Jagd gezielt stören, das könnte Nötigung sein.

Wenn mitten im Maisschlag ein dichtes Wäldchen steht, wird das die Jäger auch eher freuen, selbst wenn sie sich nie reinzwängen... Dann müssen sie die "Remise" nämlich nicht selbst anlegen und dem Eigentümer die entgangene Pacht nicht erstatten. Problematisch wäre es, wenn mitten im Mais ein Morgen Land läge, der wie der Rest bestellt und ohne Freilegen der Grenzsteine nicht als jagdfreie Zone zu identifizieren ist. Edit: Und genau das ist natürlich das Ziel des ganzen.
 

jones

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Du kannst keinen Zaun um Dein Grundstück ziehen, die sind im Außenbereich nämlich genehmigungspflichtig. Du darfst keine laufende Jagd gezielt stören, das könnte Nötigung sein.

Mit dem Zaun ist mir neu evtl von bundeland zu bundesland anders?

wobei die frage ist wo die Nötigung anfängt und wo MEIB privatvergnügen
auf MEINEM grund und boden aufhört. aber die sache mit der Nötigung ist sowieso ne coole Sache in Deutschland . es hat hier mal nen Fall gegeben, bei dem ein Spediteur Zigtausend € Geldstrafe zahlen sollte, geschehen war folgendes: irgendein Heini hatte auf dem Hof der Sped. geparkt; der Wagen stand dort Freitag und Samstag, so daß der Chef davon ausging er gehöre einem seiner Fahrer; das Hoftor wurde abgeschlossen und der PKW-Halter kam am Sonntagmorgen und stellte fest, daß er nicht an sein Auto kam. Und mußte bis Sonntag Abend 21:30 Uhr warten.

Laut Richter NÖTIGUNG
 

Ein_Liberaler

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Keine Ahnung. Ich kenne es nur so, daß man für Zäune im Außenbereich eine Baugenehmigung braucht. Vielleicht ist das sogar von Ort zu Ort verschieden.

Bei der Nötigung mit dem geparkten Auto sehe ich Gewalt und Drohung nicht gegeben, aber naja, Gerichte. Einige Bundesländer haben wegen ähnlicher Probleme auch einen OWi-Paragraphen "Mutwillige Jagdstörung" gezimmert:

http://antispe.de/txt/jagdstoerung.html
 

jones

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Die Nötigung bestand (laut Gericht) darin, daß er halt nicht ohne Schwierigkeiten an sein Auto kam und er es auch nicht bekam.

Was ist denn für Dich "Außenbereich"?
 

Mr. Anderson

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@Liberaler: ich habe den Eindruck, dass Du aus Sicht eines Jägers bzw. Jagdbefürworters argumentierst. Also etwa: diese und jene Voraussetzungen müssen gegeben sein, sonst wird die Jagd gestört oder erschwert.
Aber wie würdest Du denn abwägen, welche Interessen und Rechte hier inwieweit Vorrang genießen sollten?
Als Grundstücksbesitzer könnte ich z. B. schreiben: diese und jene Voraussetzungen müssen gegeben sein, sonst kann ich mein Land nicht ordentlich bewirtschaften bzw. mich nicht frei drauf bewegen.
 

Ein_Liberaler

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Als Grundstückseigentümer hast Du das Jagdrecht - die Ausübung organisieren die Jagdgenossen eben gemeinsam, aus rein praktischen Gründen. Wenn Du mindestens 75 arrondierte Hektar hast, kannst Du alles in eigener Regie machen, aber Eigentümer kleiner und kleinster Parzellen, die mitten zwischen anderen liegen, müssen auch auf die Eigentümer dieser anderen Rücksicht nehmen. Es geht ja nicht um Lichtungen im herrenlosen Urwald oder riesige Farmen in Namibia, wo man ohne Nachbarn schalten und walten kann wie man will, ohne jemand zu stören.

Frei auf Deinem Land bewegen kannst Du Dich, wenn Du es nicht verpachtet hast. Wer sollte Dich hindern? Nutzen kannst Du es im Rahmen der Gesetze, und wenn Du meinst, der Jäger störte Dich, oder umgekehrt, dann gibt es für Einzelfallentscheidungen Gerichte.

Kann schon sein, daß ich nicht völlig unvoreingenommen bin - das müssen andere beurteilen.
 

Mr. Anderson

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Ein_Liberaler schrieb:
Eigentümer kleiner und kleinster Parzellen, die mitten zwischen anderen liegen, müssen auch auf die Eigentümer dieser anderen Rücksicht nehmen.
Naja, ob der Begriff Rücksicht hier so passt?
Es sind doch übrigens auch nicht nur kleine Parzellen, sondern einfach jede Parzelle, auf der die Jagd (zwangsweise) zulässig ist.
Ein_Liberaler schrieb:
Frei auf Deinem Land bewegen kannst Du Dich, wenn Du es nicht verpachtet hast. Wer sollte Dich hindern?
Die Regeln(?) der Jagd. Man darf die Jagd nicht stören, und das tut man u. U. schon dann, wenn man sich bloß auf seinem Grundstück aufhält (zur falschen Zeit am falschen Ort). Der Jäger hingegen darf über meinen kostbaren Boden "trampeln" (drastisch ausgedrückt).
 

Ein_Liberaler

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Nö, der Jäger hat doch nicht mehr Rechte als Du, das wäre ja noch schöner, wenn der Bauer die Arbeit einstellen müßte, weil einer jagen will.

Parzellen unter 75 ha sind vom Standpunkt der jagdlichen Nutzbarkeit aus betrachte (zu) klein. Irgendwo muß eine Grenze gezogen werden.
 

Mr. Anderson

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Nö, der Jäger hat doch nicht mehr Rechte als Du, das wäre ja noch schöner, wenn der Bauer die Arbeit einstellen müßte, weil einer jagen will.
Da müsste man sich vmtl. die Gesetze zur Jagdstörung genauer ansehen; ich bin da wohl nicht so bewandert.
Parzellen unter 75 ha sind vom Standpunkt der jagdlichen Nutzbarkeit aus betrachte (zu) klein. Irgendwo muß eine Grenze gezogen werden.
Mag gut sein; aber wofür bzw. wogegen ist das ein Argument?
 

Ein_Liberaler

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Das ist ein Argument dafür, daß die verschiedenen Grundeigentümer einer Gemarkung die Ausübung ihres Jagdrechts gemeinsam regeln. Normalerweise läuft das auf Verpachtung hinaus.

Da müsste man sich vmtl. die Gesetze zur Jagdstörung genauer ansehen; ich bin da wohl nicht so bewandert.

Ich auch nicht, weil Jagdstörer ein absolutes Randphänomen sind. Willst Du denn die Jagd stören oder dein Grundstück nutzen, so rein hypothetisch?
 

Mr. Anderson

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Ein_Liberaler schrieb:
Das ist ein Argument dafür, daß die verschiedenen Grundeigentümer einer Gemarkung die Ausübung ihres Jagdrechts gemeinsam regeln.
OK, ich würde das als Argument sehen, das man verwenden kann um die Grundstückseigentümer von einer gemeinsamen Nutzung zu überzeugen (sofern sie Jagdfreunde sind); aber auch um sie zu verpflichten?

Willst Du denn die Jagd stören oder dein Grundstück nutzen, so rein hypothetisch?
Nö; ich habe kein solches Grundstück und kenne auch niemanden persönlich der so eins hat.
Die Frage ist nur, wann man die Jagd stört. Stört man sie, wenn man auf seinem Grundstück herumspaziert, ein Jäger vorbeikommt und dieser meint, man störe die Jagd?
Und sollte er (der Jäger) überhaupt drauf herumlaufen dürfen?
 

Ein_Liberaler

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Wenn man sein Grundstück nutzt und dem Jäger das nicht paßt, hat er Pech gehabt. Meinst Du, der Bauer fragt erst den Jäger, bevor er pflügen geht? Allerdings wird man nicht jede Form der Landnutzung genehmigt bekommen.

Der Jäger hat das Jagdausübungsrecht gepachtet. Dazu kann ein Grundstück auch betreten werden. Die Wälder darf ohnehin jeder betreten.

Und ja, ich halte es für vernünftig, wenn das menschliche Zusammenleben nach gewissen Regeln abläuft. Nicht alle geltenden Regeln passen mir, aber die gemeinschaftliche Regelung der Jagd durch alle Grundstückseigentümer unter einer bestimmten Größe - die eigentlich schon. Es sollte noch mehr auf die Art geregelt werden, Straßenbau und Leitungsnetze gehören da zu meinen Favoriten.

Natürlich meine ich, daß sie dazu verpflichtet werden sollten, darum geht es ja. Sonst stellt sich einer oder stellen sich ein paar quer, entweder weil sie depperte Sektenanhänger sind oder weil sie einen Extraprofit machen wollen, und die gesamte Gemeinschaft hat den Schaden. Die Eigentümergemeinschaft in einem Riesenbau mit lauter Eigentumswohnungen kann man meines Erachtens auch nicht rein auf freiwilliger Basis organisieren - und jeder, der eine Eigentumswohnung kauft, kann das vorher wissen.
 

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