Die Literartur erklärt sich da immer nur in der Herkunft der beiden Religionsrichtungen, Anerkennung von Mohammeds Vetter und Schwiegersohn Ali ja oder nein, aber es ist mir überhaupt nicht klar, was denn jetzt die heutigen, tatsächlichen Unterschiede in der Religionspraxis darstellen ?!
Es ging wohl anfangs nur um die Führung der Ummah (Islamischen Welt-Gemeinde). Die ersten Vier Kalifen (Abu Bakr, Omar, Othman, Ali), waren Gefährten des Propheten(SAW). Ali (RA) war sein Vetter, Abu Bakr(RA) sein Schwiegervater (wenn ich jetzt nicht irre). Auch zu Omar(RA) und Othman(RA) bestanden wohl verwandschaftliche Beziehungen?
Diese vier Persönlichkeiten der frühislamischen Gesichte werden in den Überlieferungen des Propheten(SAW) immer wieder gelobt und besonders hervorgehoben. Alle vier wurden, mehr oder weniger, zum Kalifen (Nachfolger des Propheten(SAW) als Staatsoberhaupt) gewählt. Die Wahl fand innerhalb eines aristokratischen Rats der führenden Muslime statt.
Wahrscheinlich waren schon bei der Wahl Abu Bakrs(RA) einige der Meinung das Ali(RA) durch prophetische Legitimation (besondere Hervorhebung durch den Propheten) der einzige Rechtmäßige Kandidat sei. Ali(RA) selbst scheint keinen Anspruch erhoben zu haben (die spätere schiitische Geschichtsschreibung erklärt das dann mit der Takiyya, der konspirativen Verstellung, um wahre Absichten solange geheim zu halten bis zum rechten Zeitpunkt).
Die Meinungsverschiedenheiten vergrößerten sich später. Wobei die Schiat Ali (die Parteiung die sich für die Kalifenschaft des Ali(RA) einsetzte) ihre Position durch Hadithe bzw. deren Auslegung bezüglich Alis(RA) spirituelle Führungsrolle verschärfte. Es ging etwa ab der Kalifenschaft von Otman(RA) immer stärker in Richtung Erbmonarchie. Nur Nachkommen des Propheten(SAW), also Ali(RA) und Fatima (die Tochter des Propheten-SAW und Frau Alis-RA), seien die Rechtmäßigen Kandidaten auf die Kalifenwürde. Otman(RA) wurde von Fanatikern (die sich Ali(RA) einsetzten) ermordet (es war der erste innerislamische Mord). Ali(RA) selbst hatte wohl nichts mit diesem Anschlag zu tun und versuchte nach seiner Einsetzung als Kalif die Mörder zu bestrafen. Überhaupt kam es zum ersten Bürgerkrieg zwischen den Muslimen (Kamelschlacht).
Bei der Wahl Otmans(RA), die zwischen den beiden Hauptkandidaten Otman(RA) und Ali(RA) ausgetragen wurde, verzichtete Ali(RA) zugunsten Otmans(RA) auf die Kalifschaft. Einige Parteigänger Alis(RA) bezichtigten deshalb Ali(RA) als "Verräter". Diese Gruppe wurde Haridschiyya ("die Aussenstehenden") genannt. Diese Haridschiyya "verfluchte" Otman(RA) sowie Ali(RA). Diese "Verfluchung" wurde durch angebliche theologische Beweisführung untermauert (die beiden Kalifen hätten sich dem Willen des Propheten(SAW) widersetzt). Die Mörder Othmans(RA) waren aus Basra (später entwickelte sich Basra zu einem Zentrum des Schiismus) und rekrutierten sich aus den Reihen der Haridschiten. Es kam zu einer chaotischen Situation: Radikale Anti-Schiat Ali Parteigänger verbreiteten das Gerücht Ali(RA) selbst hätte den Anschlag auf Othman(RA) geplant und ausführen lassen. Als Ali(RA) gegen Basra zog um die haridschitischen Mörder Othmans(RA) zu bestrafen sammelte sich ein Heer unter Marwan(RA) und Aischa(RA) von der Anti-Schiat Ali Fraktion um den vermeintlichen Angriff der Schiat Alis gegen die Anti-Schiat Ali zu begegnen. Die Schlacht entschied Ali(RA) für sich.
Das Ali(RA) die Verwirrung erkannte und das Chaos benden wollte wird daraus ersichtlich das er alle Unterlegenen (Marwan-Aischa Fraktion) durch eine Generalamnestie die Freiheit gab (nach islamische Recht ist die Strafe für einen Aufruhr gegen den Kalifen der Tod).
Kurze Zeit später wurde Ali(RA) selbst durch einen haridschitischen Anschlag ermordet. Auch das ein Beweis dafür das die Sunniten und Schiiten bis zu diesem zeitpunkt ihre differenzen nicht mit Gewalt ausgetragen haben. Die erste Bluttat ging von der dritten Gruppe, den Haridschiten, aus. Die Ermordung von Otman(RA) und Ali(RA) geht auf das "Konto" dieser Gruppe. Die Haridschiten hatten jedoch mit ihren radikalen Ansichten keine Chance innerhalb der Ummah. Als quasi-sektiererische Gruppe existierten sie an den Rändern des Islamischen Reiches (heute besonders stark im Oman).
Und dann gibt es dan noch die (wenn auch deutlich kleineren) islamischen Richtungen Imamiten, Ismailiten, Zaiditen, Kharidschiten und Alawiten. Was ist mit denen ?
Die Imamiten (12er Schia) sind die größte schiitische Gruppe. Die Verfassung der "Islamische" Republik Iran basiert auf die 12er Schia. Als nach der Ermordung Alis(RA) die Omayyaden die Linie des sunnitisch-erbmonarchistischen Kalifats gründeten wurde die theologische Sicht der Schiat Ali immer sturer. Das gipfelte z.B. dann in einem
gesonderten Hadith-Kompendium für die Schia (während in den ersten 200-300 Jahren auch die Schia sich auf die anerkannten sunnitischen Hadithsammlungen von Buchari und Muslim u.a. beriefen).
Absolute Autiorität über theologische Fragen hatte nur der Imam (Kalif) aus der Linie (Ali-Fatima). Hier entwickelte sich quasi ein biologistisches Legitimationsfundament heraus. Im Gegensatz dazu entwickelte sich bei den Sunniten eine Gewaltenteilung zwischen Kalif und Ulema (Geistlichkeit).
Weil ihnen die Ansichten einiger direkter Nachfolger von Ali(RA) nicht zusagten spalteten sich die Schiiten wiederum untereinander (5er und 7er Schiiten).
Als der 12. Imam (Muhammed al-Mahdi, etwa um 870) "entrückt" wurde (nach der schiitischen Doktrin wurde dieser Imam von Gott "entrückt"), richtete sich eine Art "Stellvertretergremium" aus der schiitischen Geistlichkeit bestehend ein. Auch in der Verfassung der "Islamischen" Republik Iran ist ausdrücklich vermerkt das die politischen und religiösen Staatsführer nur "Verwalter" sind; bis zur Ankunft des "entrückten" Imam.
Mit dem "Entrückungsphänomen" beginnt eine stark chiliastisch geprägte Phase der schiitischen Theologie. Daher auch die starke Ähnlichkeit des schiitischen Klerus mit dem christlichen Priestertum.
Heute spielt bei den schiitischen Iranern auch der Nationalismus eine Rolle. Der erste nicht-arabische Muslim war Salman Farisi(RA), Salman der Perser. Wahrscheinlich gehörte Salman(RA) zur frühen Schiat Ali. Die Iraner nehmen sich deshalb, unterschwellig, die Rolle des "Auserwählten Volkes" heraus (quasi als unbestechliche Verteidiger Alis bzw. des Imamats). Der Schiismus im Iran wurde aber erst Anfang des 16. Jahrhunderts von der türkischen Dynastie der Safawiden durchgesetzt.
Im 19. Jahrhundert versuchten "Reformer" wie Afghani die theologischen Unterschiede zwischen den Sunniten und dem Schiismus zu ignorieren um eine politische Einheitsfront gegen den europäischen Kolonialismus hervorzubringen. Afghani selbst war Schiite, gab sich aber in seinem Hauptwirkungsraum (Osmanisches Reich, besonders Istanbul und kairo) als Sunnite aus. Aus heutiger sunnitischer Sicht wird Afghani deshalb auch die Takiyya unterstellt.
Nach der "islamischen" Revolution im Iran von 1979, kam es zu einer Flut von Konversationen innerhalb der sunnitischen Kerngebiete zum Schiismus. Jedoch ebte diese Mode wieder schnell ab. Nur unter einigen Intellektuellen in arabischen Staaten und der Türkei gibt es noch einige "islamische Revolutionäre" a la Iran. Diese legen zumeist eine allgemein als pan-islamisch zu bezeichnende Grundposition an den Tag. Die theologischen Differenzen werden meistens heruntergespielt. Auf anfragen welche Rechtsschule denn in einem pan-islamischen Einheitsstaat vorherrschen soll werden oft synkretistische Argumente vorgebracht um schließlich die schiitische zu favorisieren. Besonders berühmt im nicht-schiitischen Ausland ist der iranisch-schiitische Revolutionär Ali Schariati. Er gilt als einer der intellektuellen Vordenker der "islamischen" Revolution im Iran.
Frühe Schia:
http://www.orientphil.uni-halle.de/sais/paul/04.htm
http://www.orientphil.uni-halle.de/sais/paul/09.htm
Schia im Iran:
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/isl/444.html
Schia im Libanon:
http://www.libanon-info.de/lib/reli/relimomuslimsch.html
Schia in Indien/Pakistan:
http://www.suedasien.net/themen/islam/schiiten.htm
Ali Schariati:
http://www.bautz.de/interkulturell/rez_199-5.html
http://shariati.com/
http://www.mmnetz.de/onlinebuecher/zivilisation_und_modernismus.htm