© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. 13/04 19. März 2004
„Größter Sieg des islamistischen Terrors“
Der israelische Anti-Terror-Experte Mirza David über Terrorismus und das Versagen der europäischen Politiker
Moritz Schwarz
Herr David, die neue spanische Regierung hat unter dem Eindruck der Attentate von Madrid eine radikale Kursänderung in der Außenpolitik angekündigt. Für alle, die den US-Feldzug gegen den Irak ablehnen, scheint das politisch die richtige Entscheidung zu sein. Wie sieht es aber aus sicherheitstechnischer Perspektive aus?
David: Aus sicherheitstechnischer Perspektive ist die Entscheidung der Spanier eine Katastrophe. Sie haben damit die Attentate von Madrid zum größten Sieg in der Geschichte des islamischen Terrorismus gemacht. Ist den Europäern eigentlich klar, daß al-Qaida damit quasi ein „regime change“ - also ein Regimewechsel - gelungen ist? Bisher glaubte man, nur die USA seien mächtig genug für so etwas.
Also ein strategischer Fehler?
David: Den Europäern mag gar nicht bewußt sein, was für einen moralischen Sieg sie al-Qaida verschafft haben! Dabei glaube ich nicht, daß die Terroristen wirklich einen Plan hatten, um die öffentliche Meinung derart umzusteuern. Dieser Erfolg ist ihnen unverhofft in den Schoß gefallen.
Sie betrachten die Europäer als die Achillesferse im Kampf gegen den Terror?
David: Kein Zweifel, sogar einige islamische Länder gehen entschlossener gegen den islamistischen Terror vor als die Europäer.
Europa will sich eben nicht in die Schußlinie bringen. Das ist aus europäischer Sicht doch vernünftig.
David: Die europäischen Politiker halten diese Strategie für schlau, aber sie irren sich. Denn für die Terroristen ist das nur ein Zeichen der Schwäche.
Spanien hat den Irak-Krieg unterstützt, Deutschland nicht. Spanien wurde getroffen, Deutschland nicht. Sollte Deutschland daraus nicht den Schluß ziehen, auch seine Soldaten aus Afghanistan und Afrika zurückzuziehen, um nicht als nächstes Opfer eines Großattentats zu werden?
David: Ich sage Ihnen, das ist ein großer Irrtum. Wer glaubt, er könne durch Wohlverhalten dem Terror entgehen, erwirkt vielleicht einen Aufschub, aber früher oder später trifft es auch ihn. Die Europäer leben in einer Welt aus Milch und Honig - schön und gut. Aber fatalerweise glauben sie, das sei der Normalzustand. Wer es aber vorzieht, aus der Realität in Traumwelten zu flüchten, dem steht ein um so schlimmeres Erwachen bevor.
Bislang haben die spanischen Behörden drei Marokkaner verhaftet. Können Sie näheres über die Hintermänner des Attentats sagen?
David: Nein, tut mir leid, darüber habe ich auch keine näheren Informationen.
Halten Sie eine Zusammenarbeit mit der ETA für möglich, wie von einigen Experten als Möglichkeit in Erwägung gezogen wird?
David: Unmöglich ist das nicht. Falls ja, gehe ich aber eher von einer „unbewußten“ Zusammenarbeit der ETA aus. Das heißt, ETA mag die Attentäter etwa mit Sprengstoff versorgt haben, ohne aber darüber im Bilde zu sein, was die damit genau vorhatten.
Woraus schließen Sie das?
David: Der Anschlag zeigt absolut nicht den Modus Operandi der ETA. Die ETA zielt eher auf individuelle Ziele, sie hat kein Interesse daran, eventuell die eigenen Sympathisanten gegen sich aufzubringen, was unweigerlich die Folge solch eines blindwütigen Attentats ist.
Das heißt, es droht keine strategische Allianz des europäischen Regionalisten-Terrors mit dem globalen islamistischen Terror?
David: Was heißt „droht“? Die Zusammenarbeit läuft doch schon seit langem! Allerdings trifft zu, daß die islamistischen und die europäischen Gruppen durch ihre Zielsetzungen und ihr Vorgehen getrennt bleiben. Viele der europäischen Terroristen sind Idealisten, sie akzeptieren den al-Qaida-Stil des Terrorismus nicht. Die Europäer sind Christen, sie würden niemals auf die Idee kommen, sogar ihre eigenen Kinder in den Terrortod zu schicken.
Was verstehen Sie unter al-Qaida-Stil?
David: Zum einen die Tendenz, die Zahl der Opfer der Anschläge zu maximieren, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Das ist aber nur die vordergründige Seite der islamistischen Strategie. Tatsächlich enthält jeder Anschlag auch noch eine hintergründige Botschaft: Es geht auch darum, zu kommunizieren, daß man im Prinzip überall präsent ist, wie mächtig man ist, ja daß man immer mächtiger wird. Die Attentate bestehen nicht nur deshalb nicht mehr nur aus nur einer Bombe, weil sich so die Opferzahl erhöht, sondern um zeigen, daß man zu komplexen koordinierten Aktionen in der Lage ist. Denn Koordination stellt unter Beweis, daß man nicht allein ist, es sich nicht nur um einige Versprengte, sondern um viele handelt, die eine Gemeinschaft bilden, die wächst und wächst. Das strategische Signal ist, daß aus dieser Minderheit eines Tages auch mal eine Mehrheit werden kann.
„Den Deutschen steckt der Schock von 1945 noch in den Knochen“
Großattentate wie in Madrid sind also nicht nur politisch zu „lesen“, sondern auch psychologisch?
David: So ist es, und zu dieser psychologischen Seite gehört auch, zu zeigen, daß al-Qaida auch die Fähigkeit hat, zu bestrafen. Leider haben die Spanier diesen Aspekt überhaupt nicht berücksichtigt und tatkräftig dazu beigetragen, daß die Demonstration perfekt gelungen ist. Die Europäer haben eben wie gesagt eine naive Vorstellung vom islamistischen Terror. Dazu gehört übrigens auch die Haltung zur Einwanderung aus islamischen Ländern. Man stellt sich in Europa vor, wenn man nur recht freundlich ist, läuft das problemlos ab. In Wirklichkeit jedoch züchten sich die Europäer so nur eine zweite Quelle terroristischer Gefahr heran. Zum ortlosen, globalen al-Qaida-Terror kommen immer weiter zunehmende Aktivitäten lokaler Islamisten in Europa.
Stichwort: Kalif von Köln?
David: Die Europäer machen treuherzig Gesetze in ihren Hauptstädten, sehen aber nicht, daß in immer mehr ihrer Straßen inzwischen ganz andere herrschen.
Wie beurteilen Sie die deutschen Sicherheitskräfte? Sind sie der Herausforderung gewachsen?
David: Die Sicherheitskräfte in Deutschland oder Spanien sind durchaus effektiv organisiert, das Problem ist der mangelnde politische Wille, der Herausforderung rechtzeitig zu begegnen. Ich weiß, daß viele in den deutschen Sicherheitskräfte selbst unzufrieden sind mit dem Kurs der Politik. Die Politiker üben sich oft in Zurückhaltung gegenüber ausländischen Straftätern und deklarieren das als „Humanität“. Wenn Sie ihren Politikern das tatsächlich glauben, dann sind Sie naiv. Tatsache ist, daß sie einfach nur Angst haben, eine härtere Gangart einzulegen. Dabei ist Deutschland in Europa natürlich noch einmal ein besonderer Fall.
Inwiefern?
David: Den Deutschen ist anzumerken, daß ihnen immer noch der Schock der Niederlage von 1945 in den Knochen steckt. Seitdem lassen sie sich vorschreiben, was sie in ihrem eigenen Land zu tun und zu lassen haben. Ich frage mich, warum? - Das ist doch Euer Land. Deutschland sollte endlich aufwachen - das sollten Sie übrigens als Überschrift verwenden.
Steckt hinter Ihren Worten vielleicht das Kalkül, die Deutschen als Bundesgenossen zu gewinnen?
David: Wieso? Deutschland unterstützt Israel doch jetzt schon kräftig. Deshalb mag ich Deutschland. Es gefällt mir hier, und ich habe hier viele Freunde, zum Beispiel General Ulrich Wegener, den „Helden von Mogadischu“ und Gründer der GSG 9. Ich finde, man sollte nicht dauernd auf der deutschen Geschichte herumreiten, nur wegen eines Fehlers in der Vergangenheit. Das ist doch stupide. Wenn Sie das nur für Schmeichelei halten, bitte. Dann träumen Sie weiter, machen Sie sich aber auf eine bitteres Erwachen gefaßt.
Mirza David ist Leiter der privaten Internatio-nalen Sicherheitsakademie in Herzeliya/Israel und der Internationalen Sicherheitsschule Iberica in Spanien. Er sei über fünfzig, in Israel geboren und war in leitender Position im israelischen Sicherheitswesen tätig - mehr ist er er „aus Sicherheitsgründen“ nicht bereit mitzuteilen.
Ein sehr interessantes Interview! Was haltet ihr davon?