Anti-Intellektualismus - Eine zunehmende Gefahr?

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Evolution, Klimawandel, Wirtschaftspolitik... bei politisch relevanten Themen werden gerne ganze Wissenschaftszweige verdammt, wenn eine Mehrzahl der medial präsenten Vertreter der jeweiligen Fachrichtung bestimmte als ideologisch bedrohlich oder gar "feindlich" wahrgenommene Theorien vertritt.
Am Rande der Thematik habe ich vor einiger Zeit einen Beitrag über das Verhältnis von Wissenschaft und Verschwörungstheorien geschrieben. Darin behaupte ich u.a., dass eine ablehnende Haltung gegenüber Wissenschaft für Verschwörungstheoretiker negative epistemologische Folgen hat und somit kontraproduktiv ist. Dass es zwischen VTlern und Wissenschaftlern Kommunikations- und Verständnisschwierigkeiten gibt, ist dabei nichts neues. Doch wie sieht es eigentlich mit den eher konventionell denkenden, glaubenden und argumentierenden Teilen der westlichen Gesellschaften aus?

Hier ein paar aktuelle Links zum "anti-intellectualism" in den USA, auch im Kontext des aktuellen (innerparteilichen) US-Wahlkampfes:

Wall Street Journal: Why Americans Hate Economics. In university classrooms—and especially the Obama White House—fancy theories of macroeconomics defy basic common sense.
Who's Blogging About This Article
Why Economists Hate The Wall Street Journal
The Republicans are now the anti-science party
So how does Rick Perry get away with it? I Couldn't Make This Stuff Up
Bauchgefühle reichen (nur die letzten zwei Absätze sind zum Thema, aber die haben mich auf die Idee gebracht, diesen Thread zu eröffnen)

Speziell im Hinblick auf Deutschland könnte man zudem unsere plagiierenden Volkshelden als Ausdruck und auch als möglichen Verstärker anti-wissenschaftlicher Tendenzen thematisieren.

Gibt es da eine tatsächliche zunehmende Gefahr? Oder ist das alles übertrieben?

Konkrete Beispiele sollten idealerweise nur im Hinblick auf den Umgang mit wissenschaftlicher Forschung in Medien, Politik und Öffentlichkeit besprochen werden - Diskussionen zu den spezifischen Sachfragen bitte in die entsprechenden Threads. Dieses Thema ist zudem bewusst nicht unter Zeitgeschehen eingeordnet, da nicht nur gegenwärtige Entwicklungen, sondern gerne auch grundsätzlichere Fragen zur Rolle von Wissenschaft und "Intelligenz" in Gesellschaften erörtert werden können.

Danke für das Interesse und viel Spaß beim Antworten.
 

Giacomo_S

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Die Vertreter verschiedener Wissenschaften geben sich gern den Anschein, ihre Lehren und Erkenntnisse wären wertfrei, unpolitisch, ja allein zwingend folgerichtig.
Bei näherer Betrachtung stimmt das allenfalls für die Naturwissenschaften - und vielleicht überhaupt nur für die Mathematik (und die sieht sich ja noch nicht einmal als Wissenschaft an).

Auf eine gewisse Art und Weise kann ich es Menschen nicht einmal übel nehmen, wenn sie die Ökonomie hassen. In den letzten Jahrzehnten haben wir es zugelassen, dass zunehmend die Ökonomen das Sagen haben.
Hätten sie dass schon früher in dem Maße gehabt ... ich meine, das Auto und der Computer hätten ihren Siegeszug niemals angetreten: Denn Carl Benz und Steve Jobs hätten niemals das Geld für die Serienproduktion auftreiben können.

Um etwas voran zu bringen, braucht es mehr als fantasielose Wichtigtuer, die immerzu nur auf die Zahlen schauen. "Experten", die uns unter der Fahnen ihrer "Wissenschaft" erst das eine erzählt haben, und dann das andere. Die erst auf Teufel komm raus fusionieren, um dann die Monster wieder in einzelne Profitcenter zu erlegen. Deren Entscheidungen auch in der nahen Vergangenheit keineswegs immer so rational waren, denn sonst hätte es weder Internetblase noch Immobilienkrise gegeben. Die zu allem ihren Senf dazugeben - wobei so manches Mal ihre einzige Existenzberechtigung genau darin besteht.

Denkt man solche "Wissenschaften" ohne Moral weiter, dann landen wir wieder da, wogegen unsere Vorfahren so mühsam gekämpft haben: 14-Stunden-Schichten, Kinderarbeit, fehlende Krankenversicherung, keine Altersversorgung: Denn das ist dann noch billiger und die Aktionäre können noch mehr verdienen. Wollen wir das ?
 

agentP

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Die Vertreter verschiedener Wissenschaften geben sich gern den Anschein, ihre Lehren und Erkenntnisse wären wertfrei, unpolitisch, ja allein zwingend folgerichtig.
Bei näherer Betrachtung stimmt das allenfalls für die Naturwissenschaften - und vielleicht überhaupt nur für die Mathematik (und die sieht sich ja noch nicht einmal als Wissenschaft an).

Sind das die Wissenschaften oder ist das ein Bild, das die Medien vermitteln?

Ich halte solche Ansprüche an die Wissenschaft für reichlich naiv und ich kenne auch keinen Wissenschaftler, der ernsthaft behauptet solche Aussagen beschreiben eine Realität und nicht ein Ideal.

Solange Wissenschaftler Menschen mit Werten, politischen Meinungen und menschlichen Interessen sind, kann Wissenschaft kaum jemals diese Ansprüche erfüllen. Mal völlig davon abgesehen, dass Wissenschaft ja nicht im luftleeren Raum passiert, sondern in ein Umfeld von Interessen eingebunden ist.

Nichtsdestotrotz ist es natürlich gut und richtig, dass man den Anspruch als Ideal formuliert, dem es sich anzunähern gilt.

Ich glaube ehrlich gesagt, dass erschreckend wenig Leute überhaupt eine realistische Idee davon haben, wie Wissenschaft in der Praxis funktioniert.
Sie sehen, dass sie einen massiven Einfluss auf ihr Leben hat und dass sie, wenn man sich nicht aktiv damit beschäftigt, völlig intransparent ist.
Die Journalisten tun in der Regel das ihrige dazu das Bild weiter zu verzerren, sowohl durch Verklärung, als auch durch Kritik.
Kommt das dann mit einer generellen oder gar existentiellen Verunsicherung zusammen, hat man hier vielleicht schnell sein Feindbild gefunden.



Hätten sie dass schon früher in dem Maße gehabt ... ich meine, das Auto und der Computer hätten ihren Siegeszug niemals angetreten: Denn Carl Benz und Steve Jobs hätten niemals das Geld für die Serienproduktion auftreiben können.
Ich bezweifle ehrlich gesagt beide Aussagen:
1. Hatten wir doch gerade in letzter Zeit die Situation, dass dank "Risikokapital" jeder Torfkopp sein "Startup" gründen konnte bis die Blase platzt.
2. Halte ich es da lieber mit J.M. Keynes (und Mankiw, der ein ähnliches oder dieses Zitat in seinen "
Grundzüge der Volkswirtschaftslehre" benutzt)
The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by little else. Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist.
Das Zitat stammt aus dem Jahre 1935 und nicht aus den letzten paar Jahrzehnten.
 

Giacomo_S

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agentP schrieb:
Ich halte solche Ansprüche an die Wissenschaft für reichlich naiv und ich kenne auch keinen Wissenschaftler, der ernsthaft behauptet solche Aussagen beschreiben eine Realität und nicht ein Ideal.

Nun, ich erlaube mir, Steven Moore aus einem der Links zu zitieren:

That's a perfect Keynesian answer, and also perfectly nonsensical.
[...]
Economic bimboism is rampant in Washington.
[...]
How did modern economics fly off the rails? The answer is that the "invisible hand" of the free enterprise system, first explained in 1776 by Adam Smith, got tossed aside for the new "macroeconomics," a witchcraft that began to flourish in the 1930s during the rise of Keynes.

Offenbar hat - der Journalist (sicher, das habe ich zunächst übersehen) - Moore überraschend einfache Antworten für die Probleme äußerst komplexer Strukturen (= der Ökonomie).

agentP schrieb:
Kommt das dann mit einer generellen oder gar existentiellen Verunsicherung zusammen, hat man hier vielleicht schnell sein Feindbild gefunden.

Ach, von Feindbild kann ja nicht die Rede sein - bei dem einen oder anderen eher von Wichtigtuer.

Hans-Werner Sinn ist in meinen Augen so einer. Egal welches Thema, Sportskanone Sinn kommt wie das Teufelchen aus dem Kästlein geschossen, um uns mit erhobenem Zeigefinger kluge Antworten auf ungestellte Fragen zu geben.
Sein ganzes Leben bestand aus einer rein akademischen Laufbahn. Eine Art Lehrer, dessen Existenzberechtigung in solcherart Auftritten besteht. Gewähren wir Hollywood-Stars etwa solche Führungsstellungen wie den Ökonomen ?

Jede gute aktive Führungskraft eines Unternehmens weiß, das Zahlen nicht alles sind. Menschen sind nicht unersetzbar, aber auch nicht beliebig austauschbar. Oft genug kann Erfolg und Misserfolg von Einzelnen abhängen, ob ganz oben oder ganz unten. Menschenführung ist mehr als nur mit Zahlen zu wedeln.

Ökonomische Konzepte sagen nichts aus über kleine Gefüge oder gar einen einzelnen Menschen. Manche Problemstellungen lassen sich nicht mit BWLer-Theorien lösen, die gerade von der Uni kommen, sondern es braucht Lebenserfahrung dafür. Man kann heute Fachkräfte rauswerfen, weil Zahlen es suggerieren - aber hat der Jungspund schonmal darüber nachgedacht, ob wir sie morgen wieder bekommen werden, wenn wir sie brauchen ? Oder sagen ihm und uns seine Zahlenmodelle auch, wo wir uns die guten Fachkräfte basteln, die mittlerweile bei der Konkurrenz sind ?
 

agentP

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Offenbar hat - der Journalist (sicher, das habe ich zunächst übersehen) - Moore überraschend einfache Antworten für die Probleme äußerst komplexer Strukturen (= der Ökonomie).

Meines Wissens ist Steven Moore selber Journalist, Mitherausgeber des Wall Street Journal und politischer Berater.
Man sollte schon zwischen "hat eine wissenschaftliche Ausbildung" und "ist ein Wissenschaftler" eine Grenze ziehen, sonst wären plötzlich jeder Hausarzt, jeder Manager mit BWL-Studium und jeder Bauingenieur ein Wissenschaftler und die Vorstellung finde ich eher absurd.
Da halte mich gerne an die Definition, die z.B. das DWDS liefert:

Wissenschaftler:
jmd., der an einer Hochschule ausgebildet und auf einem Gebiet der Wissenschaft (forschend, lehrend) tätig ist
http://www.dwds.de/?kompakt=1&qu=Wissenschaftler
 

Telepathetic

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Wenn ich mir die momentane Debatte über die Zukunft Europas vor Augen führe, dann sehe ich einen längeren Willensbildungsprozeß. Dazu gehört, dass sich Stimmen aus Politik und Wirtschaft zu Wort melden. Es kommen unterschiedliche Meinungen auf den Tisch und diese werden dann diskutiert. Mit der Zeit zeigt sich eine Art roter Faden in den Übereinstimmungen dieser Meinungen. Am Ende hat sich entweder eine ursprüngliche Meinung durchgesetzt oder es hat sich eine Meinung aus den ursprünglichen Meinungen zusammengefügt.

Ich sehe keinen Anti-Intellektualismus am Werk. Jede Forderung wird begründet. Je nach Medium geht die Begründung mehr in die Tiefe, bzw. bleibt mehr an der Oberfläche. Wird eher kühl analysiert oder eher emotional aufbereitet.

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Ich möchte den Begriff "Anti-Intellektualismus" auf die Schulformen anwenden. Der Anspruch an Gymnasiasten an erlerntes Wissen und Methoden der Anwendung dieses Wissens ist erheblich höher als an Haupt- und Realschüler. Schließlich rekrutieren sich aus den Reihen der Gymnasiasten die späteren Wissenschaftler. Und aus den Reihen der Haupt- und Realschüler die späteren (um eine lange und öde Liste mit Berufen zu umgehen) Nicht-Wissenschaftler.

Daraus leite ich ab, dass das Interesse an einer profunden Aktivität mit wissenschaftlichen Inhalten eher bei den Gymnasiasten zu finden ist. Ich kann mich im Gegensatz dazu an Aussprüche erinnern wie: "Was, Du liest? Ich hatte bereits mit den drei Büchern meiner Lehrzeit Probleme."

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Zur "These 7: Fragen, Zweifel, Vorsicht, Kritik und Skepsis – täglich Brot der Wissenschaft" aus Verschwörungstheorien vs. Wissenschaft:
Die Erfahrung auf WV zeigt, dass der durchschnittlichen VT-Gläubige wenig Interesse an Wahrheitsfindung mitbringt, sondern jeden noch so unhaltbaren Beweis anführt, um die eigene Position eisern zu halten.

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Unsere "plagiierenden Volkshelden" sehe ich auch nicht als Gefahr für die Wissenschaft. Eher als Armutszeugnis für die deutsche Politik. Allerdings haben mich Aussagen von Doktorvätern gestört, die behauptet haben, sie würden lediglich eine beratende Funktion einnehmen, aber die Doktorarbeit nicht auf falsch und ungekennzeichnete Zitate überprüfen.

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Das Video "Why Americans Hate Economics" habe ich vor ein paar Wochen gesehen. Ich erinnere mich daran, dass in dem Video falsche Steuer-Versprechen bloßgestellt worden sind. Ich denke der Titel des Video könnte genauso gut "Warum Deutsche die Ökonomie hassen". Es geht wohl darum, dass vielen Menschen die Politik weltfremd (gar gegen sie gerichtet erscheint), weil sie sich mit ökonomischen Themen null auskennen. Würden sich mehr Menschen tiefgehender mit wirtschaftlichen Themen beschäftigen, könnten dieselben Menschen bessere Entscheidungen als Konsumenten, Investoren und Wähler treffen. Das wäre imo eine heldenhaftere Leistung als z.B. am Stammtisch oder in Kommentaren wie unter den Nachrichten von Yahoo seiner Empörung über die "Idioten da oben" Luft zu machen.
 

Giacomo_S

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Telepathetic schrieb:
Es geht wohl darum, dass vielen Menschen die Politik weltfremd (gar gegen sie gerichtet erscheint), weil sie sich mit ökonomischen Themen null auskennen. Würden sich mehr Menschen tiefgehender mit wirtschaftlichen Themen beschäftigen, könnten dieselben Menschen bessere Entscheidungen als Konsumenten, Investoren und Wähler treffen.

Manchmal ist in der Zeitung "Welt kompakt" - die im Grunde auch nichts anderes ist, als eine bessere Boulevardzeitung - die Beilage "Karriere Welt". Dieser Teil transportiert - wie m.E. in großen Teilen unserer Gesellschaft auch - die Auffassung, alle würden nur noch in Büros, in Banken, in den Medien arbeiten.

Oder anders gesagt: Wenn Du das nicht tust, dann bist Du nichts wert.

Nicht jeder muss sich mit den Problemen der Aktienmärkte beschäftigen. Ich finde es legitim, wenn Menschen das für ein Reichenproblem halten.
Der Kaviar soll ja auch wieder teurer werden.

Telepathetic schrieb:
Das wäre imo eine heldenhaftere Leistung als z.B. am Stammtisch oder in Kommentaren wie unter den Nachrichten von Yahoo seiner Empörung über die "Idioten da oben" Luft zu machen.

Das ist Stammtischniveau, sicher.

Nach meinem Eindruck strömen derzeit viele in die "White Collar-Jobs", um sich dort z.T. für ein lächerliches Geld anzubieten. Weil zunehmend der Eindruck vermittelt wird, die Menschen aus den "Blue-Collar-Jobs" seien alles nur Looser, Prolos ...
... und wir werden noch Zeiten erleben, wo wir die "Prolos" händeringend vermissen werden. Denn wir brauchen Krankenschwestern, Köche, Elektriker u.v.m.

In meiner Branche Gastronomie werden für unseren Schwesterbetrieb - der neu ist - Mitarbeiter für alle Positionen gesucht.
"Assistenz der Geschäftsleitung" - für diese Position stehen die Bewerber Schlange, für die albernsten Gehaltsvorstellungen. Ein gelernter Hotelfachmann oder Restaurantfachmann (sprich: gelernter Kellner) ist auch für das doppelte Gehalt nicht zu bekommen. Es gibt ihn auf dem Markt schlicht nicht.
 

Telepathetic

Großmeister
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Giacomo_S schrieb:
Dieser Teil transportiert - wie m.E. in großen Teilen unserer Gesellschaft auch - die Auffassung, alle würden nur noch in Büros, in Banken, in den Medien arbeiten.

Oder anders gesagt: Wenn Du das nicht tust, dann bist Du nichts wert.
Das ist mir auch aufgefallen. In Deutschland existieren zwar offiziell keine Stände mehr, aber inoffiziell beeinflußen Einkommen, Besitz, ethnische Herkunft und gesellschaftlicher Rang sehr wohl Ab- und Zuneigung vieler Mitmenschen. Durfte ich auch schon hautnah erleben. Ich durfte mir sogar schonmal anhören, dass mein Vorgesetzter meine Arbeit mal so eben nebenher mitmachen würde. Na danke, zu 100% abgewertet bin ich bis zu dem Zeitpunkt noch nie geworden. Da frage ich mich, ob sich die "Köpfe" nicht allzu sehr von den sie tragenden "Körpern" entfernt haben.

Für mich ist auch der Kauf einer tüchtigen und lange haltenden Küchenmaschine eine Investition, bzw. ein Investment. Man muß ja nicht unbedingt in Aktien anlegen, gute Werkzeuge oder meinetwegen gute Kleidung oder andere reale Produkte sind u.U. in unsicheren Finanzmarktzeiten den finanziellen Anlageprodukten weit überlegen, da niemand seinen Winterpulli an der Börse verlieren kann.

All das würde ich aber auch nicht als "Anti-Intellektualismus" bezeichnen, sondern eher als Hochmut. Und um nochmal zu den Plagiatoren zu schwenken: ich behaupte einfach mal, dass jene keinen besonders respektabelen Charakter entwickelt haben. Eigentlich habe ich dasselbe Gefühl bei vielen Politikern. Ich finde, ein entsprechendes Schulfach "Charakterentwicklung" gehört eingeführt.
 

Giacomo_S

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Telepathetic schrieb:
Für mich ist auch der Kauf einer tüchtigen und lange haltenden Küchenmaschine eine Investition, bzw. ein Investment.

Umbedingt.

Vor ca. 1 Monat habe ich mir für nur 100,- Euro eine amtliche manuelle Küchenmaschine gekauft. In nur einem Monat hat dieses Gerät sich nicht nur selbst erwirtschaftet, sondern mindestens das doppelte Geld eingespart.
Wir haben uns die Arbeit deutlich erleichtert, das Gerät hat uns in die Lage versetzt, die Qualität unseres mittäglichen Salatbuffets dauerhaft zu verbessern. Und die Gäste reagieren darauf: Sie futtern jetzt unsere Rohkostsalate brav auf und lassen stattdessen die (u.U. teuren) Blattsalate liegen.

Schade nur, dass nicht mein Boss auf diese Idee gekommen ist.

Der wiederum verbringt große Teile seiner Arbeitszeit vorm Rechner, vor Facebook ("ein für Firmen äußerst mächtiges Werkzeug") - leider kommt nur nichts dabei heraus.
 

hives

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Giacomo schrieb:
Offenbar hat - der Journalist (sicher, das habe ich zunächst übersehen) - Moore überraschend einfache Antworten für die Probleme äußerst komplexer Strukturen (= der Ökonomie).
Mehr noch, ein Journalist übt hier Kritik an dem, was er als wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Mainstream einschätzt. Siehe dazu auch den weiter unten verlinkten Artikel "Why economists hate the Wall Street Journal".

So wie ich deine Beiträge insgesamt interpretiere, lieferst und illustrierst du mehrere Erklärungsansätze für Anti-Intellektualismus:

1. Einfluss der Ökonomie auf gesellschaftliche Teilbereiche.
2. Enttäuschung über durch die (Wirtschafts-) Wissenschaften nicht eingelöste Versprechungen und Erwartungen.
3. Angst vor einer amoralischen Wissenschaft.
4. Selektive Wahrnehmung: viele Menschen werden mit Intellektuellen - in einem sehr weit gefassten Sinne - vor allem in Form von egoistischen Managern, rationalisierenden Unternehmensberatern und dem akademischen Äquivalent egozentrischer Talkshow-Freaks konfrontiert.

Alles sind m.E. durchaus diskussionswürdige Punkte. Mir stellt sich jedoch nun allgemein die Frage, ob und inwieweit diese teils eher auf die Ökonomie bezogenen Erklärungen 1. auch auf andere Bereiche übertragbar sind bzw. für diese analog anzunehmen sind und 2. letztere möglicherweise (auf der Grundlage beschränkter Kontakte und selektiver Information) auch direkt bzw. horizontal beeinflussen. Die Ökonomie war ja nur eins von mehreren Beispielen.


Danke jedenfalls schonmal für die bisherigen Kommentare. Auf ein paar weitere Aspekte und Beiträge will ich noch bei Gelegenheit ein andermal eingehen - für den Moment wollte ich nur die Macht der Ökonomie über diesen Thread brechen ;)
 

Telepathetic

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hives schrieb:
2. Enttäuschung über durch die (Wirtschafts-) Wissenschaften nicht eingelöste Versprechungen und Erwartungen.
Da fällt mir zur "Politikverdrossenheit" die "Ökonomieverdrossenheit" und die "Wissenschaftsverdrossenheit" ein. Womöglich stecken "Verdrossenheiten" in jedem System, in dem Versprechen nicht eingehalten werden. Man darf aber nicht vergessen, dass auch Politiker und Ökonomen Menschen mit Eigeninterressen sind. Problematisch wird es erst, wenn sich für die Vielen der Verdacht bestätigt, dass sich jene nur noch um ihr eigenes Wohl bekümmern und den Vielen zu den Wahlen hin ein paar finanzielle Leckerbissen zuwerfen und zwar ausschließlich um Stimmen zu bekommen.

-----------

Ich kümmere mich eigentlich wenig um den wissenschftlichen Betrieb in Deutschland, aber habe auch schon kritische Stimmen gelesen, die z.B. von falscher politischer Korrektheit an den Unis berichten und es für ebenso falsch halten, Unis betriebswirtschaftlichen Zwängen auszusetzen. Studiengänge würden eher zu Berufsausbildungen auf höherem Niveau, was auf Kosten der Forschung ginge.

Was mich zum Begriff "Pseudo-Wissenschaft" führt. Von dort geht's weiter zu beliebten Publikationen wie "Warum Männer nicht zuhören und Frauen kein Auto fahren können". (Wobei dieses Buch noch zu den besseren zu gehören scheint.) Mir scheinen solche Bücher einen eher begrenzten Zustand der Menschen-Welt zu zeichnen und was noch schlimmer ist, sie übergeneralisieren. (So wie ich in Bezug auf Religion und Kirche.) Es ist eben nicht so, dass jede Frau total auf Schuhe abfährt. Und ich erinnere mich an ein Thema hier auf ask, in dem endgültig festgelegt werden sollte, dass in den Po kneifen unhöflich ist. Ja, stimmt. Aber eben nicht für alle. Dabei geht es um unterschiedliche Meinungen, was Gut und Schlecht ist, bzw. um verschiedene Geschmäcker. Und das ist gut so.
Schlecht finde ich es, wenn eine einzige Meinung, bzw. ein einziger Geschmack auf angeblich wissenschaftlichem Weg für alle gleichermaßen zementiert werden soll.
Interessant, das die Suche nach dem universellen Einheitsmenschen gar nicht neu ist und schon gar nicht ein Phänomen, das in unseren Tagen aufgetaucht ist. Aber ein Phänomen, dass immer wieder auftauchen kann. Wahrscheinlich sogar in der menschlichen Natur angelegt ist.

Ein weiteres Beispiel aus der Arbeitswelt: ich gehöre auch zu denen, die sich schonmal coachen lassen durften. Es ist einfach haarsträubend, was einem da so alles erzählt wird. Wie auch dort alle Arbeitgeber, bzw, Personalchefs über einen Kamm geschert werden. So als würde nur ein einziges Verhalten zu einem Arbeitsverhältnis führen. So als wäre eine perfekt (was auch immer 'perfekt' überhaupt sein soll) angelegte Bewerbermappe ein Garant für das Interesse eines möglichen Arbeitgebers. Als ob ein Lebenslauf nur auf eine Weise geschrieben werden könnte. Als würden alle Menschen gleichsam gleichgeschaltet denken würden. Aber die Wissenschaft hat ja selbstverständlich festgestellt .. ja, genau, das Coca-Cola Schnaps enthält.

Fazit: wissenschaftliche Forschungen werden gerne bemüht, um die eigene Meinung allgemeingültig werden zu lassen. Und wenn eine Meinung Allgemeingültigkeit hat, dann kann sie ja nur richtig sein und dann sollten sich gefällligst auch alle daran halten. Oder so. Wissenschaft wird dann vom Zwecke der Wahrheitsfindung entledigt und zu einem Herrschaftsinstrument umfunktioniert.

(Mal schauen, wann die ersten wissenschaftlichen Forschungen auftauchen, die demokratisches Denken und Verhalten als schlecht für die Demokratie hinstellen. :lach3: okay, hier spricht der Pessimismus schlechthin.)
 

Giacomo_S

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hives schrieb:
1. Einfluss der Ökonomie auf gesellschaftliche Teilbereiche.
2. Enttäuschung über durch die (Wirtschafts-) Wissenschaften nicht eingelöste Versprechungen und Erwartungen.
3. Angst vor einer amoralischen Wissenschaft.
4. Selektive Wahrnehmung: viele Menschen werden mit Intellektuellen - in einem sehr weit gefassten Sinne - vor allem in Form von egoistischen Managern, rationalisierenden Unternehmensberatern und dem akademischen Äquivalent egozentrischer Talkshow-Freaks konfrontiert.
[...]
ob und inwieweit diese teils eher auf die Ökonomie bezogenen Erklärungen 1. auch auf andere Bereiche übertragbar sind bzw. für diese analog anzunehmen sind und 2. letztere möglicherweise (auf der Grundlage beschränkter Kontakte und selektiver Information) auch direkt bzw. horizontal beeinflussen.

Aber ja. Nehmen wir als Beispiel doch einmal die Welt Lebensmittel, der Ernährung und der -wissenschaft:

zu 1. Mosanto, Nestle und Kraft bestimmen, wo der Weg lang zu gehen hat und zerstören dabei z.T. jahrtausendealte Kulturen, Traditionen und Werte.
Sie bestimmen die Preise und manipulieren durch wenig offizielle Maßnahmen die öffentliche Meinung.
zu 2. In den letzten Jahrzehnten haben uns Ernährungswissenschaftler alles Mögliche erzählt, was denn gesunde Ernährung sei. Und das Gegenteil. Das ist auch der Grund, wieso viele sie nicht mehr ernst nehmen und einfach das essen, was sie wollen.
zu 3. Seitdem ich in der Ausbildung war - vor rund 20 Jahren - gab es praktisch kein Jahr ohne Lebensmittelskandale. Die Aromenindustrie interessiert sich einen Shice dafür, zu welchen Entwicklungen ihre Produkte führen. Kein Mensch weiß, welche Langzeitauswirkungen diese synthetischen Verbindungen haben, auch sie selbst nicht. Und damit meine ich nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die kulturellen Folgen.
zu 4. Fällt mir jetzte kein Beispiel ein.
 

Malakim

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Giacomo_S schrieb:
zu 3. Seitdem ich in der Ausbildung war - vor rund 20 Jahren - gab es praktisch kein Jahr ohne Lebensmittelskandale. Die Aromenindustrie interessiert sich einen Shice dafür, zu welchen Entwicklungen ihre Produkte führen. Kein Mensch weiß, welche Langzeitauswirkungen diese synthetischen Verbindungen haben, auch sie selbst nicht. Und damit meine ich nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die kulturellen Folgen.

Einwurf:

Ich finde es verwunderlich das es Vegetarier und Veganer gibt aber kaum Leute die sich gegen "Aroma" und andere chemische Zusatzstoffe bewußt wehren. Ich werde immer ganz komisch angesehen wenn ich sage das ich sowas vermeide.

:schaem:
 

sillyLilly

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Gerade das diese Diskussio sich im Moment so in den Bereich Ökonomie bewegt hat, fand ich erstmal verwirrend und dann kam mir auf einmal ein Gedanke an Pierre Bourdieu
Ich hatte mich mal mit ihm zum Thema Sprache beschäftigt....
und eine Erklärung zu diesem Thema liegt für mich in der Sprache begründet...

Die Kulturtheorie Bourdieus vergleicht Interaktionen des Alltagslebens mit einem Spiel. Die Individuen besitzen unterschiedlich viele Potentiale verschiedener Art, die sie einsetzen und teilweise umwandeln können: ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital. Dabei gilt: Und jeder spielt entsprechend der Höhe seiner Chips. So kann der Erwerb kulturellen Kapitals beispielsweise zur Erhöhung des ökonomischen Kapitals dienen.

Die Sprache gehört zum sozialen Kapital. Man kann es auch als Währung sehen.
Die Art und Weise wie sich Intellektuelle und Wissenschaftler ausdrücken, wirkt oft wie in einem "inneren Zirkel" ... Man hat sich auf bestimmte Definitionen und Begriffe geeinigt und jemand der von "draußen" kommt, kann mit seiner "Fremdwährung" wenig anfangen.
Ich würde es jetzt mal bildlich sagen, dass er raus ist aus dem Spiel und die Reaktion darauf könnte auch sein, die anderen zu diffamieren, dass sie eigentlich mit Falschgeld spielen.
Dabei geht es um Macht.
Nach Bourdieu beruht die symbolische Macht der Sprache auf dem symbolischen Kapital der Institution oder Gruppe, für die der Sprecher spricht. Der Wissenschaftler, der Professor, Doktor, Akademiker, verfügt über solches symbolisches Kapital, indem er, zumindest nach außen (also wenn er zu Nicht-Akademikern spricht), immer auch für eine ganze Gruppe spricht, d.h. für die Wissenschaft.

Ich weiß nicht, ob es wirklich bedenkliche Tendenz von Anti-Intellektualismus gibt.
Vielleicht ist das die Reibung zwischen den verschiedenen "Märkten" auf denen wir Menschen uns bewegen - wenn ich es mal mit dem Bild von Bourdieu ausdrücke.


offtopic: zum Thema Lebensmittel und Monsanto & Co habe ich gerade dem Thread über Lebensmittelskandale einen guten Film gepostet.
 

Telepathetic

Großmeister
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Zum Artikel Im VWL-Studium kommt die Krise nicht vor schreibt ein Leser:
An vielen Lehrschulen werden Denkschemen gepflegt, die so kritiklos rückschrittlich sind, dass Walter Eucken mit seiner Wirtschaftspolitik dagegen "modern" wirkt (nicht falsch verstehen, solche Köpfe fehlen heute).

Wir brauchen mehr Forschung, vorurteilsfrei und nicht auftragsgebunden. Die Lehrstühle verkommen sonst völlig zu Propagandainstituten der Interessengruppen.http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-10/vwl-studium-krise?commentstart=33#cid-1620677
 

Simple Man

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Zeit.de: "Auserwählt und verachtet"
In Deutschland wird wieder nach Orientierung gerufen. Manche scheuen sogar vor dem Wort »Führung« nicht zurück. Doch wenn eine demokratische Gesellschaft ihren Bedarf an klaren Perspektiven befriedigen will, braucht sie dazu Eliten, die den Mut haben, schwierige Themen anzusprechen, neue Gedanken zu entwickeln und ihre öffentlichen Debatten so zu führen, dass möglichst viele daran teilnehmen können. Dass in Deutschland solche Debatten fehlen, liegt auch daran, dass es um die Eliten schlecht bestellt ist.
 

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