America
Roman
dtv, 2000.
388 S.
Kollision. Ein amerikanischer Mittelklassewagen fährt auf einer stark frequentierten Straße in einen Menschen. Erster Schock. Die Abläufe geraten ins Stocken. Der Roman „América“ des amerikanischen Autors T.C. Boyle beginnt. Der Verletzte – ein Mexikaner - spricht weder englisch, noch scheint er in ein Krankenhaus zu wollen. Delany Mossbacher drückt ihm eine blutige 20-Dollar-Note in die Hand und versucht den Vorfall zu verdrängen. Später glaubt er sogar, der Mexikaner habe sich absichtlich vor sein Auto geworfen, um die Versicherung zu prellen...
Die Barriere, die die Bewohner der Mittelstands-Enklave Arroyo Blanco, eines Vorortes von L.A., und die illegalen mexikanischen Gastarbeiter voneinander trennt, ist nicht nur sprachlicher Natur. Es ist die Grenze zwischen arm und reich. Zwischen einer sich selbst Toleranz versichernder Zivilisation und dem Fremden, dem „Unzivilisierten“. Cándido und seine schwangere Frau América gehören zum neuen Lumpenproletariat. Sie träumen von dem, was Delany und Kyra Mossbacher bereits besitzen: einem kleinen Haus, einem Garten und etwas Anständigem zu essen. Doch im postindustriellen Amerika werden illegale Einwanderer nicht gebraucht, sie leben unter den Wohlstandsbürgern, neben ihnen her, bleiben fast unsichtbar. Vor der Arbeitsvermittlung warten sie jeden Tag von neuem – oft in sengender Hitze - auf einen Laster, der sie mitnimmt, weil es einen Zaun zu setzen gibt, ein Garten umgegraben werden muß oder ein Mittelständler seinen japanischen Wagen gewaschen haben möchte....
APOKALYPTISCH -
typisch Boyle
T. C. Boyle - Ein Freund der Erde
Oft gibt es für den Bleistift eines Rezensenten nur wenige Sätze, die er sich am Rande der Lektüre anstreicht. Bei T.C. Boyle verhält sich das gerade umgekehrt.
Ein wahrer Titan des bildhaften Vergleichs, pointiert, witzig, ungeschminkt und zielgenau treffen seine Sätze das Zwerchfell des Lesers.
Offenbar ist er mit seinem Roman "Ein Freund der Erde" am geplanten Ende seines bisherigen Schaffenszyklus angelangt. Eine Geschichte der Amerikaner scheint er sich mit seinen Romanen vorgenommen zu haben: Begonnen mit "Worlds End" zur Zeit der Kolonialisierung gelangt er nun bis ins Jahr 2025.
Apokalyptisch beschreibt er die kalifornische Zukunft - nicht der atomare Winter hat uns eingeholt, sondern der Treibhauseffekt und der damit einhergehende Zusammenbruch der Biosphäre.
Sein (vermutlich in Teilen autobiografisch angelegter) Romanheld Ty Tierwater hält in mehreren Zeitblenden Rückschau auf sein Leben als radikaler Ökoterrorist.
Ohne Krankenversicherung oder Rentenanspruch arbeitet er heute (2025) 75jährig als Mädchen für alles im Privatzoo des exzentrischen Multimillionärs aus dem Popgeschäft namens Mac. (Dass jener gelegentlich mit einer Atemschutzmaske und ständig in Begleitung zweier Bodyguards in seinem quadratkilometergroßen Wohnhaus herumläuft, ist sicher eine absichtlich gewählte Parallele zu einer derzeit lebenden Popikone.)
Macs Traum ist es mit Zoocloning zu retten, was von den bekannten Säugetierarten noch verblieben ist: Er beherbergt den letzten patagonischen Fuchs, einige inzüchtige afrikanische Löwen und eine überlebende Schabrackenhyäne - die reinste Fressmaschine aus dem Zoo von San Diego.
Außerdem einen Brillenbären, ein paar Nabelschweine und einen Großen Ameisenbären, der auf Formosa-Termiten steht.
So ungefähr kann man sich die Entourage vorstellen, mit der Boyle den ganzen Schlamassel beginnen lässt. ...
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß Präservativ-Annoncen der einzige anständige, vernünftige und geschmackvolle Beitrag sind, den die Tagespresse jahraus jahrein aufzuweisen hat.
Der Diplomat sagt, daß
die Erklärung nicht unstatthaft sei, daß man sich jetzt von der Möglichkeit sehr ernster Gefährdungen des allgemeinen Friedens etwas weniger als vor kurzem bedrückt fühlt.
[...]
Die Zeitungen, die seit Wochen dieses hundertfach verklausulierte Nichts herumtragen und die Welt auf der Folter zwischen Spannung und Entspannung halten, hätten [...] verboten zu werden. Dann würde es sich plötzlich herausstellen, daß es keine politische Gefahr gibt.
Pornographien braucht die Menschheit wie einen Bissen Brot. Denn man glaubt gar nicht, wie viele Menschen, auch in höheren Kreisen, ohne Text nicht onanieren können, und wie viele, wenn sie selbst den Text haben, auch noch die Illustration dazu brauchen.