Dieses Interview, von dem ich nicht genau weiß, wann es stattfand (naja, spätestens 1980 ) habe ich in einer Zeitung gefunden.
es ist also mindestens 22 jahre alt und traurigerweise aktueller denn je.
ich find's ziemlich treffend, besonders was er über die angeblich "normalen" und "kranken" sagt.........
Sich nicht vom Schein trügen lassen
Erich Fromm (1900-1980) über „Haben oder Sein“, Ökologie und Seele
Als Psychotherapeut, Sozialwissenschaftler und Philosoph gehört Erich Fromm zu den wegweisenden Gestalten des 20. Jahrhunderts. Er ist ein prominenter Kritiker von gesellschaftlichen Zuständen, in denen nicht der Mensch, sondern Konsum und das schnelle Plusmachen im Mittelpunkt stehen. Die Werte des Seins wollte Fromm über denen des Habens angesiedelt wissen.
Frage: Sie schreiben einmal: Wir leben in einer Gesellschaft von notorisch unglücklichen Menschen. Wie kommen sie zu dieser eigentlich ungeheuren Aussage?
Erich Fromm: Wenn man nur die Augen aufmacht, sieht man es. Die meisten Menschen geben vor, auch für sich selbst, dass sie glücklich sind, denn wenn man unglücklich ist, dann bedeutet das Misserfolg. So muss man die Maske des Zufriedenseins tragen, denn sonst verliert man den Kredit auf dem Markt, dann ist man kein normaler Mensch, kein tüchtiger Mensch. Aber man braucht nur zu sehen, wie hinter dieser Maske Unruhe, Gereiztheit, Ärger, Depressionen, Schlaflosigkeit, Unglücklichsein liegen. Das, was Sigmund Freud „das Unbehagen in der Kultur“ genannt hat.
Aber es ist gar nicht das Unbehagen in der Kultur, es ist das Unbehagen in der bürgerlichen Gesellschaft, die den Menschen zum Arbeitstier macht und alles vernachlässigt, was wichtig ist: die Fähigkeit zu lieben, für sich und andere dazusein, zu denken, kein Instrument der Wirtschaft zu sein, sondern der Zweck alles wirtschaftlichen Geschehens.
Das macht eben die Menschen so, wie sie sind, und ich glaube, es ist eine allgemeine Illusion, die die Menschen miteinander teilen, dass der moderne Mensch glücklich sei.
Aber diese Beobachtung habe nicht nur ich gemacht, man braucht nur selbst die Augen aufzumachen und sich nicht vom Schein trügen zu lassen.
Das haben Sie ja als Therapeut gemacht. Sie greifen hier also auf diese Erfahrungen zurück?
Ja, ich habe seit 1926 viele Hunderte von Patienten analysiert und Supervision bei jüngeren Kollegen gemacht. Es sind also empirische Dinge, die sich herausstellten. Die Patienten kamen gewöhnlich, weil sie irgendein kleines Symptom hatten. Wozu sie erst aufwachen mussten, war, dass sie tief unglücklich sind, dass sie mit dem Leben unzufrieden sind, und dass daraus erst die verschiedenen Symptome kommen, weil das Versuche sind, dieses Unglücklichsein zu kompensieren.
Sind also jene Menschen, die wir als normal bezeichnen, von Ihrem Standpunkt aus krank?
Ja. Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten. Das klingt geistreich oder vielleicht zugespitzt. Aber es ist mir ganz ernst damit, es ist nicht eine witzige Formel. Wer krank ist, zeigt, dass bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, so dass sie in Konflikt kommen mir den Mustern der Kultur und durch diese Reibung Symptome erzeugen. Das Symptom ist ja wie der Schmerz nur ein Anzeichen, dass etwas nicht stimmt. Glücklich der, der ein Symptom hat, der einen Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt!
Wir wissen ja: Wenn der Mensch keine Schmerzen mehr empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage: Aber sehr viele Menschen, dass heißt die „Normalen“, sind so angepasst, dass sie alles, was ihr eigen ist, verlassen haben. Sie sind so sehr Instrumente geworden, so roboterhaft, dass sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden. Ihr wirkliches Gefühl, ihre Liebe, ihr Hass sind schon so verdrängt oder sogar verkümmert, dass sie das Bild einer leichten chronischen Schizophrenie geben.
Sehen Sie die Ursachen dafür in unsere Gesellschaft?
Unsere Gesellschaft ist auf dem Prinzip aufgebaut, das Ziel des Lebens sei größere Produktion sowie als Kompensation und auch als Notwendigkeit der größere Konsum. Wir leben für den Fortschritt der Wirtschaft und der Technik. Was dem Menschen nützt, interessiert wenig. Nicht einmal was ihm schadet, spielt eine Rolle. Viele Anzeigen und Reklamen preisen ja Dinge an, die ausgesprochen schädlich sind.
Sie schreiben, dass unsere Gesellschaft heute schon aus ökonomischen Gründen gezwungen ist, sich zu besinnen, weil sonst die Katastrophe bevorsteht. Sie nennen den Club of Rome, der aus innerkapitalistischen Argumenten darauf hinweist.
Es gibt bei einer ganzen Reihe von Forschern die Einsicht: Wenn wir so weitermachen, alles verkonsumieren und unseren Nachkommen nichts hinterlassen als eine zerstörte und verarmte Welt, und wenn die Menschen weiter nicht am Leben hängen, sondern am Profit und an der Macht, dann wird das zum Krieg führen.
Es sieht heute schon viel schlimmer aus. Man sagt, heute seien schon vierzig Mächte imstande atomare Energie zu nutzen. All dies wird verkauft aus Profitgründen. Eine ganze Reihe von Forschern hat darüber hinaus gezeigt, dass aus rein ökonomischen Gründen in 20, 50, 60 Jahren die Erde, unsere Ressourcen so verarmt sind, dass es zur Katastrophe kommen muss: Wenn zwei Drittel der Welt immer ärmer werden- und heute ist die Welt eine Welt-, dann wird sich eben diese arme Welt rächen mit hundert Möglichkeiten. Die „weiße Festung“ der Industriegesellschaft ist heute nicht mehr uneinnehmbar.
Sehen Sie hier auch eine aufklärende Aufgabe der Wissenschaft?
Ich glaube schon. Die Wissenschaft hat auch schon viel aufgeklärt. Das Phantastische ist ja, dass heute jeder Mensch, und gewiss auch schon die Regierungsvertreter, alle Daten zur Verfügung hat, die zeigen, dass wir ökologisch schwer bedroht sind. Das wir in einem Maße verschwenden, zu dem wir überhaupt keine Rechte haben. Wir leben wie Bankrotteure. Wir können die Folgen sehen, aber keiner zieht die Konsequenz! Man macht so weiter, weil man nicht den Mut, nicht die Initiative hat, zu sehen: Wo gibt es etwas Neues?
Ich sage aber auch: So lange noch eine kleine Chance besteht, so lange muss man alles versuchen, die Katastrophe zu vermeiden. Denn wenn es um das Leben geht, ist es anders, als wenn man mit Geld handelt. Solange man nicht beweisen kann, dass es unmöglich ist- und das kann man, wo es sich um lebende Prozesse handelt, eigentlich nie oder sehr selten-, so lange muss man jeden Versuch machen.
es ist also mindestens 22 jahre alt und traurigerweise aktueller denn je.
ich find's ziemlich treffend, besonders was er über die angeblich "normalen" und "kranken" sagt.........
Sich nicht vom Schein trügen lassen
Erich Fromm (1900-1980) über „Haben oder Sein“, Ökologie und Seele
Als Psychotherapeut, Sozialwissenschaftler und Philosoph gehört Erich Fromm zu den wegweisenden Gestalten des 20. Jahrhunderts. Er ist ein prominenter Kritiker von gesellschaftlichen Zuständen, in denen nicht der Mensch, sondern Konsum und das schnelle Plusmachen im Mittelpunkt stehen. Die Werte des Seins wollte Fromm über denen des Habens angesiedelt wissen.
Frage: Sie schreiben einmal: Wir leben in einer Gesellschaft von notorisch unglücklichen Menschen. Wie kommen sie zu dieser eigentlich ungeheuren Aussage?
Erich Fromm: Wenn man nur die Augen aufmacht, sieht man es. Die meisten Menschen geben vor, auch für sich selbst, dass sie glücklich sind, denn wenn man unglücklich ist, dann bedeutet das Misserfolg. So muss man die Maske des Zufriedenseins tragen, denn sonst verliert man den Kredit auf dem Markt, dann ist man kein normaler Mensch, kein tüchtiger Mensch. Aber man braucht nur zu sehen, wie hinter dieser Maske Unruhe, Gereiztheit, Ärger, Depressionen, Schlaflosigkeit, Unglücklichsein liegen. Das, was Sigmund Freud „das Unbehagen in der Kultur“ genannt hat.
Aber es ist gar nicht das Unbehagen in der Kultur, es ist das Unbehagen in der bürgerlichen Gesellschaft, die den Menschen zum Arbeitstier macht und alles vernachlässigt, was wichtig ist: die Fähigkeit zu lieben, für sich und andere dazusein, zu denken, kein Instrument der Wirtschaft zu sein, sondern der Zweck alles wirtschaftlichen Geschehens.
Das macht eben die Menschen so, wie sie sind, und ich glaube, es ist eine allgemeine Illusion, die die Menschen miteinander teilen, dass der moderne Mensch glücklich sei.
Aber diese Beobachtung habe nicht nur ich gemacht, man braucht nur selbst die Augen aufzumachen und sich nicht vom Schein trügen zu lassen.
Das haben Sie ja als Therapeut gemacht. Sie greifen hier also auf diese Erfahrungen zurück?
Ja, ich habe seit 1926 viele Hunderte von Patienten analysiert und Supervision bei jüngeren Kollegen gemacht. Es sind also empirische Dinge, die sich herausstellten. Die Patienten kamen gewöhnlich, weil sie irgendein kleines Symptom hatten. Wozu sie erst aufwachen mussten, war, dass sie tief unglücklich sind, dass sie mit dem Leben unzufrieden sind, und dass daraus erst die verschiedenen Symptome kommen, weil das Versuche sind, dieses Unglücklichsein zu kompensieren.
Sind also jene Menschen, die wir als normal bezeichnen, von Ihrem Standpunkt aus krank?
Ja. Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten. Das klingt geistreich oder vielleicht zugespitzt. Aber es ist mir ganz ernst damit, es ist nicht eine witzige Formel. Wer krank ist, zeigt, dass bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, so dass sie in Konflikt kommen mir den Mustern der Kultur und durch diese Reibung Symptome erzeugen. Das Symptom ist ja wie der Schmerz nur ein Anzeichen, dass etwas nicht stimmt. Glücklich der, der ein Symptom hat, der einen Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt!
Wir wissen ja: Wenn der Mensch keine Schmerzen mehr empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage: Aber sehr viele Menschen, dass heißt die „Normalen“, sind so angepasst, dass sie alles, was ihr eigen ist, verlassen haben. Sie sind so sehr Instrumente geworden, so roboterhaft, dass sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden. Ihr wirkliches Gefühl, ihre Liebe, ihr Hass sind schon so verdrängt oder sogar verkümmert, dass sie das Bild einer leichten chronischen Schizophrenie geben.
Sehen Sie die Ursachen dafür in unsere Gesellschaft?
Unsere Gesellschaft ist auf dem Prinzip aufgebaut, das Ziel des Lebens sei größere Produktion sowie als Kompensation und auch als Notwendigkeit der größere Konsum. Wir leben für den Fortschritt der Wirtschaft und der Technik. Was dem Menschen nützt, interessiert wenig. Nicht einmal was ihm schadet, spielt eine Rolle. Viele Anzeigen und Reklamen preisen ja Dinge an, die ausgesprochen schädlich sind.
Sie schreiben, dass unsere Gesellschaft heute schon aus ökonomischen Gründen gezwungen ist, sich zu besinnen, weil sonst die Katastrophe bevorsteht. Sie nennen den Club of Rome, der aus innerkapitalistischen Argumenten darauf hinweist.
Es gibt bei einer ganzen Reihe von Forschern die Einsicht: Wenn wir so weitermachen, alles verkonsumieren und unseren Nachkommen nichts hinterlassen als eine zerstörte und verarmte Welt, und wenn die Menschen weiter nicht am Leben hängen, sondern am Profit und an der Macht, dann wird das zum Krieg führen.
Es sieht heute schon viel schlimmer aus. Man sagt, heute seien schon vierzig Mächte imstande atomare Energie zu nutzen. All dies wird verkauft aus Profitgründen. Eine ganze Reihe von Forschern hat darüber hinaus gezeigt, dass aus rein ökonomischen Gründen in 20, 50, 60 Jahren die Erde, unsere Ressourcen so verarmt sind, dass es zur Katastrophe kommen muss: Wenn zwei Drittel der Welt immer ärmer werden- und heute ist die Welt eine Welt-, dann wird sich eben diese arme Welt rächen mit hundert Möglichkeiten. Die „weiße Festung“ der Industriegesellschaft ist heute nicht mehr uneinnehmbar.
Sehen Sie hier auch eine aufklärende Aufgabe der Wissenschaft?
Ich glaube schon. Die Wissenschaft hat auch schon viel aufgeklärt. Das Phantastische ist ja, dass heute jeder Mensch, und gewiss auch schon die Regierungsvertreter, alle Daten zur Verfügung hat, die zeigen, dass wir ökologisch schwer bedroht sind. Das wir in einem Maße verschwenden, zu dem wir überhaupt keine Rechte haben. Wir leben wie Bankrotteure. Wir können die Folgen sehen, aber keiner zieht die Konsequenz! Man macht so weiter, weil man nicht den Mut, nicht die Initiative hat, zu sehen: Wo gibt es etwas Neues?
Ich sage aber auch: So lange noch eine kleine Chance besteht, so lange muss man alles versuchen, die Katastrophe zu vermeiden. Denn wenn es um das Leben geht, ist es anders, als wenn man mit Geld handelt. Solange man nicht beweisen kann, dass es unmöglich ist- und das kann man, wo es sich um lebende Prozesse handelt, eigentlich nie oder sehr selten-, so lange muss man jeden Versuch machen.