Ruf der Völker nach Freiheit und Selbstbestimmung

Giacomo_S

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streicher schrieb:
In der Gesamtrechnung hätte Katalonien ja auch mehr Souveränität als jetzt.

Mehr Souveränität - um was damit zu erreichen? Eigene Regierung, eigene Verwaltungen, eigene Währung (den Euro werden sie jedenfalls nicht gleich wieder haben), eigenes Militär (?), eigene Vertreter in der EU - und eigener Minimaleinfluss. Man soll doch nicht annehmen, Kataloniens potentielle Vertreter in der EU würden auf derselben Augenhöhe mitreden, wie die spanischen.

Ihre neue, eigene Währung muss sich erst einmal beweisen. Zunächst dürfte das aller Einschätzung nach ein Indianer-Geld sein, mit wenig Kaufkraft nach außen. Das dürfte ihre eigenen Produkte zwar verbilligen und daher in der EU wettbewerbsfähig machen. Umgekehrt aber ist alles, was von außen zugekauft werden muss, teuer. Wahrscheinlich sogar ziemlich teuer.
Man kann sicher ein paar Jahre "vom alten Fett zehren" und vielleicht sogar davon profitieren. Aber irgendwann ist auch das letzte Ersatzteil, welches man nicht selbst herstellen kann, kaputt. Und dann geht's bergab.

Mir leuchtet nicht ein, was sich die Katalonen von einer Unabhängigkeit versprechen. Sie werden mit ihr auch Vorteile verlieren, die Spanien (wie auch andere Länder) mühsam in vielen Jahren in teils zähen Verhandlungen errungen haben - und das ohne in einer vergleichbaren Verhandlungsposition zu sein. Das holt man nicht in ein paar Jahren wieder auf. Die Zwergenstaaten sind auf Dauer nicht überlebensfähig. Das zeigt auch der Blick auf Ex-Jugoslawien. Von allen Kleinstaaten, die in den 90ern meinten, sie müssten unbedingt "unabhängig" sein, denn schuld an ihrer Misere seien ja immer nur die anderen, ist nur eines - mittlerweile - erfolgreich: Kroatien. Und m.E. auch nur, weil es ihnen gelungen ist, ihren schon immer erfolgreichen Tourismus im Zusammenhang mit ihrer exzellenten Landschaft & Architektur zu einem Edeltourismus auszubauen.

Persönlich habe ich vor Jahren schon Katalonen erlebt, die mir vorjammerten, die Annektion Kataloniens (1714 !) sei ein Unrecht, das man ändern müsse usw. usf. Zunächst hielt ich das für einen Witz, Lokalkolorit, bis ich merkte: Der meint das ja ernst.
Darüber hinaus stellte ich fest: Eine politische oder ökonomische Logik kann ich da nicht erkennen. Vielmehr ist das ein seit mehr als 300 Jahren unverdaute Befindlichkeit nationalen Stolzgefasels - etwas für Fahnenschwenker, und mit denen kann ich meist wenig anfangen.
 

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Giacomo_S schrieb:
streicher schrieb:
In der Gesamtrechnung hätte Katalonien ja auch mehr Souveränität als jetzt.

Mehr Souveränität - um was damit zu erreichen? Eigene Regierung, eigene Verwaltungen, eigene Währung (den Euro werden sie jedenfalls nicht gleich wieder haben), eigenes Militär (?), eigene Vertreter in der EU - und eigener Minimaleinfluss. Man soll doch nicht annehmen, Kataloniens potentielle Vertreter in der EU würden auf derselben Augenhöhe mitreden, wie die spanischen.
Würden sie sicher erstmal nicht. Und die Wirtschaft ist die Crux - auch für Spanien. Ein Fünftel der Bevölkerung Spaniens lebt in Katalonien, die allerdings ein Viertel erwirtschaften. Zudem kann Katalonien 40% des Exports Spaniens sein eigen nennen. Für Spanien ist die verhältnismäßig starke Wirtschaftskraft wohl ein schlagendes Argument mehr, Katalonien an einer Abspaltung zu hindern.

Überhaupt ist der Umgang Spaniens mit Katalonien im Vergleich zu Großbritanniens Umgang mit Schottland ein Verhältnis wie Tag und Nacht.
 

Giacomo_S

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streicher schrieb:
Ein Fünftel der Bevölkerung Spaniens lebt in Katalonien, die allerdings ein Viertel erwirtschaften. Zudem kann Katalonien 40% des Exports Spaniens sein eigen nennen. Für Spanien ist die verhältnismäßig starke Wirtschaftskraft wohl ein schlagendes Argument mehr, Katalonien an einer Abspaltung zu hindern.

Dass es in einer Nation wirtschaftlich stärkere und schwächere Regionen gibt, das ist in jedem Land der Welt der Fall. Und es ist eine Aufgabe der jeweiligen Regierungen, mit dieser Tatsache adäquat umzugehen. Ob Ausgleichszahlungen dafür das richtige Instrument sind, dass ist so ziemlich überall umstritten, nicht nur in Spanien. Kritisiert werden die Zahlungen natürlich immer nur von jenen Regionen, die die Geldbörse aufzumachen haben.

Aber was sind denn die Alternativen? Eine Zersplitterung in einen Flickenteppich lauter "unabhängiger" Regionen? Wie z.B. in Ex-Jugoslavien? Wo stehen denn heute die "Nationen" die einst mit stolzerfüllter Brust die Fahnen geschwenkt haben: Bosnien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Serbien?
Vom Flickenteppich unserer eigenen, deutschen Geschichte gar nicht erst zu reden ...

streicher schrieb:
Überhaupt ist der Umgang Spaniens mit Katalonien im Vergleich zu Großbritanniens Umgang mit Schottland ein Verhältnis wie Tag und Nacht.

Eine etwas nähere Erklärung zu dieser Aussage wäre hier willkommen.

Inwieweit werden denn die Katalonen bevormundet?
Zugegeben lächerliches Beispiel, dennoch: In Spanien habe ich schon "dreisprachige" Beschriftungen gesehen (und dabei bin ich des Spanischen nicht einmal mächtig), da musste ich mir denken: Was sind denn das für Albernheiten, für politische Befindlichkeiten ... da unterscheidet sich ja das Bayerische und das Hochdeutsch mehr!

In Deutschland sind es die Bayern, die immer ihre Extrawürste haben müssen. Mal ist das ernst gemeint, mal ist es eher Lokalkolorit. Trotzdem dürfte sich kein Bayer darüber aufregen, dass ein Exponat im Museum nicht zusätzlich auf Bayerisch beschriftet ist.
 

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Giacomo_S schrieb:
Dass es in einer Nation wirtschaftlich stärkere und schwächere Regionen gibt, das ist in jedem Land der Welt der Fall. Und es ist eine Aufgabe der jeweiligen Regierungen, mit dieser Tatsache adäquat umzugehen. Ob Ausgleichszahlungen dafür das richtige Instrument sind, dass ist so ziemlich überall umstritten, nicht nur in Spanien. Kritisiert werden die Zahlungen natürlich immer nur von jenen Regionen, die die Geldbörse aufzumachen haben.
Sicher. Aber ich denke, dass eben auch Spanien empfindlich getroffen wäre. Spanien ist unter den Staaten der EU, die mehr als 35 Millionen Einwohner haben, abgeschlagen. Und mit einer Abspaltung Kataloniens gerät Spanien weiter ins Hintertreffen. Spanien wird nicht daran interessiert sein, überhaupt ein Referendum zustande kommen zu lassen.


Giacomo_S schrieb:
streicher schrieb:
Überhaupt ist der Umgang Spaniens mit Katalonien im Vergleich zu Großbritanniens Umgang mit Schottland ein Verhältnis wie Tag und Nacht.

Eine etwas nähere Erklärung zu dieser Aussage wäre hier willkommen.
Premier Cameron und Salmond, der Erste Minister der schottischen Regionalregierung, kamen 2012 überein, dass eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands abgehalten werden solle, mit der einfachen Abstimmungen Ja/Nein. Eine gesetzliche Grundlage war geschaffen. Die Abstimmung fand statt.

Zu einer solchen Übereinkunft kam es in Spanien bislang nicht. Eine Volksabstimmung würde ein Bruch der Spanischen Verfassung bedeuten, hätte also keine gesetzliche Grundlage. Eine inoffizielle Befragung wurde Herbst letzten Jahres durchgeführt. Das spanische Verfassungsgericht hatte diese Befragung auf Klage der Regierung Madrid untersagt. Madrid würde das Ergebnis tolerieren, wenn sich die Regionalregierung aus der Organisation raushielte.

In Deutschland sind es die Bayern, die immer ihre Extrawürste haben müssen. Mal ist das ernst gemeint, mal ist es eher Lokalkolorit. Trotzdem dürfte sich kein Bayer darüber aufregen, dass ein Exponat im Museum nicht zusätzlich auf Bayerisch beschriftet ist.
Sollen die Bayern ihren Regionalstolz ruhig behalten. Sie haben ja ihren Freistaat. Aber was sollen dazu die Franken sagen? :)
Eine Abspaltung irgendeines Bundeslandes von der BRD würde ich auch für Unsinn halten. Wenn es die regionalen Eigenheiten und Dialekte nicht mehr gäbe, würde ich sie allerdings vermissen. Ich will sie hören und meinetwegen auch hier und da lesen. Dann lieber eine Eigenart mehr.
 

Giacomo_S

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streicher schrieb:
Sollen die Bayern ihren Regionalstolz ruhig behalten. Sie haben ja ihren Freistaat. Aber was sollen dazu die Franken sagen? :)

Die gehören seit spätestens 1814 zu Bayern, also seit über 200 Jahren. Also Klappe halten. :p

streicher schrieb:
Eine Abspaltung irgendeines Bundeslandes von der BRD würde ich auch für Unsinn halten.

Eben. Bleiben wir aber einmal bei Bayern als Vergleichsland.
Bayern kam 1871 ins Deutsche Reich, zwar nicht direkt durch Annektion, doch Ludwig II unterschrieb nur zögerlich. Ihm war klar, dass die Entwicklung unausweichlich war, außerdem hatte Bayern gerade erst den Deutschen Krieg 1866 gegen Preußen verloren. Einst Agrarland und Empfänger von Leistungen aus dem Bund, zahlt heute Bayern in den Länderfinanzausgleich ein und finanziert andere Länder des Bundes.

Verglichen mit den Katalanen könnten die Bayern mit stolzgeschwellter Brust behaupten: Der Anschluß Bayern sei ja "erst" < 150 Jahre her, es sei keine freiwillige Entscheidung gewesen und überhaupt wolle man nicht mehr für den Rest der Republik bezahlen. Warum also nicht unabhängig werden?

Katalonien wurde von Spanien im Spanischen Erbfolgekrieg 1714 annektiert. Das war vor 300 Jahren! Inzwischen hat Katalonien weitgehende Autonomie, die katalanische Sprache wird aktiv gefördert usw. usf. Was also noch?
Ich halte die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens für einen Blödsinn, der weitreichende und langwierige Folgen haben wird, und zwar vor allem für die Katalonen. Sie werden außer Fahnenschwenkerei nichts gewinnen sondern nurmehr viel verlieren. Patriotische Gefühlsduselei hat der Politik noch nie viel genutzt.

streicher schrieb:
Wenn es die regionalen Eigenheiten und Dialekte nicht mehr gäbe, würde ich sie allerdings vermissen. Ich will sie hören und meinetwegen auch hier und da lesen. Dann lieber eine Eigenart mehr.

Sollen sie auch, dagegen ist ja nix zu sagen.
Es regt sich ja auch niemand auf, weil auf dem Oktoberfest "Surhaxn" angeboten werden, die im Rest der Republik dann "Eisbein" heißen. Es versteht ein jeder Bayer aber auch Hochdeutsch (mit sprechen kann es anders aussehen) - und niemand würde auf die Idee kommen, man müßte jede Beschriftung zusätzlich auf Bayerisch anbringen.
 

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Giacomo_S schrieb:
Eben. Bleiben wir aber einmal bei Bayern als Vergleichsland.
Bayern kam 1871 ins Deutsche Reich, zwar nicht direkt durch Annektion, doch Ludwig II unterschrieb nur zögerlich. Ihm war klar, dass die Entwicklung unausweichlich war, außerdem hatte Bayern gerade erst den Deutschen Krieg 1866 gegen Preußen verloren. Einst Agrarland und Empfänger von Leistungen aus dem Bund, zahlt heute Bayern in den Länderfinanzausgleich ein und finanziert andere Länder des Bundes.

Verglichen mit den Katalanen könnten die Bayern mit stolzgeschwellter Brust behaupten: Der Anschluß Bayern sei ja "erst" < 150 Jahre her, es sei keine freiwillige Entscheidung gewesen und überhaupt wolle man nicht mehr für den Rest der Republik bezahlen. Warum also nicht unabhängig werden?
Was war in der Geschichte nicht schon alles "Bayern"? 1808 gehörte noch Brixen zu Bayern. Würzburg lag zu dem Zeitpunkt außerhalb.
Knapp gefasst: die Grenze von Bayern, egal unter welchem Herzog oder welcher Krone, hat sich immer wieder verschoben. So homogen, wie es eine Bayernpartei vielleicht gerne hätte, ist die Bevölkerung Bayerns einfach nicht. Die föderale Verbindung mit dem Bund lässt sich schon auf eine längere gemeinsame Geschichte zurückführen, obwohl es auch immer wieder gekracht hat.
Man könnte sich ja die Argumente der Bayernpartei anschauen - die wollen ja raus aus dem Bund - oder man kann es auch lassen.

Giacomo_S schrieb:
Katalonien wurde von Spanien im Spanischen Erbfolgekrieg 1714 annektiert. Das war vor 300 Jahren! Inzwischen hat Katalonien weitgehende Autonomie, die katalanische Sprache wird aktiv gefördert usw. usf. Was also noch?
Ich halte die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens für einen Blödsinn, der weitreichende und langwierige Folgen haben wird, und zwar vor allem für die Katalonen. Sie werden außer Fahnenschwenkerei nichts gewinnen sondern nurmehr viel verlieren. Patriotische Gefühlsduselei hat der Politik noch nie viel genutzt.
Das ist aber auch ein häufiges Hin und Her zwischen mehr und weniger Autonomie Kataloniens.
1812 - 1814: Teil des französischen Kaiserreichs
1931: provisorische Autonomie mit Einrichtung der "Generalität"
1934 - 1936: Suspendierung der Autonomie
1939: Aufhebung der Autonomie
1936 - 39: teilweise geglückte anarchistische Revolution mit Barcelona als Schauplatz
Franco-Diktatur...
1977: provisorische Autonomie
seit 1979: Kompetenzen und Finanzierung der Region wird immer weiter ausgebaut

Die Katalanen scheinen es in der Geschichte wohl nicht anders gelernt zu haben.
 

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Die Mehrheit in Großbritannien hat entschieden, direktdemokratisch: mit dem Ergebnis geht Großbritannien den Weg aus der Europäischen Union. Die EU muss sich damit arrangieren, dass partikulare Interessen vermehrt auftreten. Aber auch Großbritannien: schon werden wieder Stimmen laut, dass Schottland einen erneuten Anlauf auf seine eigene Unabhängigkeit macht. Schon im ersten Anlauf lag die Frage in der Luft, wie dann mit Schottland umzugehen sei. Wäre Schottland damit Mitglied in der EU geblieben oder stand Schottland die Tür weit offen, schnell den Weg in die EU zu finden?
Würde ein zweiter Anlauf für Schottland zustandekommen und für die "Leave-Fraktion" erfolgreich verlaufen, würde sich die Frage vielleicht erneut stellen. Schottland könnte dann natürlich einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen. Und damit würde ein ehemaliger Teil Großbritanniens wieder den Weg in die EU finden. Das könnte man dann Ironie der Geschichte nennen.
 

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Sind die Kurden nicht die größte Ethnie ohne Staat, mit geschätzten 30 Millionen Menschen, die heute hauptsächlich in der Türkei, im Iran, im Irak, im Libanon und Syrien leben? Im Irak wollen die in der Autonomieregion lebenden Kurden am 25. September über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Wie ist dieses Referendum zu bewerten? Wird das Referendum zwangsläufig neue Konflikte hervorrufen?
 

Giacomo_S

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streicher schrieb:
Die Katalanen scheinen es in der Geschichte wohl nicht anders gelernt zu haben.

Und scheinen sich beim Thema Unabhängigkeit keineswegs einig zu sein. Kürzlich gingen mindestens mehrere Hunderttausend Katalonen auf die Straße, um gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens zu demonstrieren. Sie wollen lieber Spanier und in der EU bleiben.
Möglicherweise sind die Separationsbestrebung eben doch nichts anderes als das Bestreben einer kleineren, aber radikaleren Gruppe.
 

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