Rußland auf dem Weg in die Diktatur

Kasimir

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Mehr als 100 westliche Politiker, unter ihnen deutsche Abgeordnete, haben Präsident Wladimir Putin vorgeworfen, Russland in die Diktatur zu führen und zum Handeln aufgefordert. Jetzt sorgt der offene Brief für Streit bei Rot-Grün.

Ein offener Brief von mehr als 100 Politikern aus den USA und Europa mit scharfer Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin und an der westlichen Russland-Politik hat einen Streit in der rot-grünen Koalition ausgelöst. Prominentester deutscher Unterzeichner ist Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Außerdem gehört Friedbert Pflüger, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, zu den Unterzeichnern. Er warf Schröder vor, bei Treffen mit Putin kein Wort über die "Besorgnis erregende Entwicklung" in Russland zu verlieren. Russland dürfe "kein Ausnahmepartner für den Westen sein". SPD-Politiker finden sich nicht auf der Liste.

"Überhaupt kein Verständnis"
SPD-Fraktionsvize Gernot Erler kritisierte am Donnerstag den Grünen-Vorsitzenden Reinhard Bütikofer wegen dessen Unterschrift unter den Brief. Er habe dafür "überhaupt kein Verständnis", sagte Erler gegenüber Medienvertretern. "Damit wird auch ein Konflikt in die Regierungskoalition hineingetragen." Auch bei der Kabinettssitzung am Vortag hatte Bütikofers Beteiligung an dem Brief nach Teilnehmerangaben Unverständnis ausgelöst.
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Der Brief geißele die russische Politik mit Übertreibungen und zum Teil falschen Feststellungen, sagte Erler, der auch deutsch-russischer Koordinator ist. Russland stehe immer noch unter dem Schock des Geiseldramas von Beslan. Die größte Gefahr derzeit sei, "dass Russland sich einigelt, isoliert und einsame Entscheidungen trifft". Das müsse verhindert werden. Vielmehr müsse ein kritischer Dialog mit Putin aufgebaut werden. Eben diese Politik betrieben Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne).

Regierungssprecher Béla Anda sagte, die Bundesregierung habe nicht die Absicht, ihre Russland-Politik zu ändern. Es bleibe dabei, dass es als wenig hilfreich angesehen werde, in den problematischen Fragen die Öffentlichkeit zu suchen. Auch Innenminister Otto Schily (SPD) kritisierte nach einem Bericht der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag) im Kabinett Bütikofers Beteiligung an dem Brief. Schily habe nach Teilnehmerangaben Vize-Kanzler Fischer zu einer Stellungnahme aufgefordert. Fischer habe erwidert, Schily möge den Grünen-Parteivorsitzenden selber dazu befragen.

Bütikofer hatte gesagt, es wäre ein "Missverständnis", wenn "diese transatlantische Initiative zur Diskussion der Entwicklung in Russland über innenpolitische Leisten geschlagen wird". Der Brief sei keine nationale Initiative, sondern solle eine internationale Debatte in Gang bringen. "Es gibt einen Konflikt zwischen den demokratischen Werten des Westens und Putins Kurs", sagte Bütikofer.


Pressestimmen
"Handelsblatt (Düsseldorf)
Putin ist ein Autokrat, aber kein Diktator. Das sollten sich auch die Unterzeichner des Briefs klar machen, bevor sie den Kremlherrn falsch einordnen. Es ist zwar richtig und notwendig, Kritik an der Entwicklung Russlands zu üben. Dabei darf man aber nicht über das Ziel hinausschießen, sonst stößt Kritik auf taube Ohren und wird zur billigen Polemik. Es geht darum, ein demokratisches und friedliches Russland an der Seite des Westens zu halten und die einstige Spaltung in Blöcke dauerhaft zu überwinden. Dazu bedarf es einer Rückkehr Putins auf den Reformweg - und westlicher Politiker, die ihm die Vorzüge deutlich machen, ohne Vorwürfe und Polemik. Vor allem aber muss die russische Gesellschaft selbst die Vorteile von Demokratie und Marktwirtschaft verstehen und wollen. Dafür ist noch viel Zeit vonnöten - und beharrliche Geduld im Westen.

"Ostsee-Zeitung" (Rostock)
Es werden nicht unbegründete Vorwürfe erhoben. Doch als hinge vor Russland noch der Eiserne Vorhang, geschieht das mit einem Schmiedehammer - nicht am Verhandlungstisch als Kritik unter Partnern, die immer noch erklärtermaßen Gleichgesinnte sind. Zumal sich der Gescholtene auf die Zustimmung der Mehrheit der Russen stützen kann. Den politischen Führern Frankreichs und Deutschlands, die mit Putin selbst reden, wird per Post gleich noch das Scheitern ihrer Politik attestiert. Hier will ein Elefant im Porzellanladen der Politik aufräumen.
Scharfe Kritik an autoritären Tendenzen
In dem von US-Politikern initiierten Brief an Regierungen der EU- und NATO-Staaten kritisieren die Unterzeichner autoritäre Tendenzen in Putins Politik. Eine "Diktatur" könne nicht die Antwort auf die Probleme sein. "Er hat systematisch die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse beschnitten, die wechselseitigen Kontrollmechanismen im föderalen System Russlands zerstört, willkürlich reale und eingebildete politische Rivalen ins Gefängnis gesteckt, legitime Kandidaten von Wahlzetteln gestrichen, Führer von Nichtregierungsorganisationen eingeschüchtert und verhaften lassen und Russlands politische Parteien geschwächt", heißt es in dem Brief.

Westlichen Staatsführern werfen die Unterzeichner vor, Putin zu "umarmen", obwohl immer deutlicher werde, dass sich das Land in die falsche Richtung bewege. "Die Politiker des Westens müssen erkennen, dass unsere derzeitige Strategie gegenüber Russland scheitert", heißt es in dem Brief. "Die gegenwärtige russische Führung bricht mit den demokratischen Kernwerten der euro-atlantischen Gemeinschaft", zitierte die "Financial Times Deutschland" (Mittwochausgabe) aus dem offenen Brief, der gestern veröffentlicht worden ist.

Die Autoren geißeln auch das aus ihrer Sicht aggressive Auftreten Russlands nach außen. "Die Außenpolitik von Präsident Putin ist zunehmend gekennzeichnet von einem drohenden Ton gegenüber Russlands Nachbarn und Europas Energiesicherheit, von einer Rückkehr einer Rhetorik von Militarismus und Imperium und von einer Weigerung, sich Russlands internationalen Vertragsverpflichtungen zu unterwerfen."

Von Havel bis Holbrooke
Der offene Brief wurde unter anderem von den Außenpolitikern im US-Senat, dem Demokraten Joseph Biden und dem Republikaner John McCain, unterzeichnet. Unterschrieben haben auch der frühere US-Botschafter Richard Holbrooke, der als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Außenministers unter einem demokratischen US-Präsidenten John Kerry gilt. Zudem unterschrieben eine große Zahl früherer Staats- und Regierungschefs aus Europa wie der Tscheche Václav Havel, der Schwede Carl Bildt und der Italiener Giuliano Amato.

AP/DPA

Quelle AP/DPA oder auch Stern :arrow: www.stern.de/politik/ausland/index.html?id=530535&nv=cp_L1_rt

Putin hat schon seit Langen den Eindruck bei vielen erweckt das er die Demokratie in Rußland in eine Diktatur umwandelt. War das von Putin schon vor seiner Kandidatur zum Präsidenten geplant gewesen, oder erweckt er nur diesen Falschen Eindruck?
 

Ehemaliger_User

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Mal so unter uns Pfarrerstöchterchen: Wann hat es in Russland - von Gorbatschow abgesehen - denn keine Diktatur gegeben?
 

Kasimir

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Offiziel sind sie jetzt ein Demokratisches Land. Der Schein trügt woll. Oder bilden wir uns das alle ein? 8O
 

Paran

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@ EVO

Gorbatschov war auch ein Diktator! Naja obwohl er wurde ja wahrscheinlich von der Vollversammlung der KP gewählt. War wohl doch ein Demokrat der Gorbatschov :wink:
 

semball

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Tja, Russland.
Ich möchte nicht sagen, dass es schon wieder eine Diktatur ist, aber eine Demokratie ist es wohl nicht mehr ganz. Obwohl der Terminus "gelenkte Demokratie" es irgendwie trifft.
Schon Napoleon regierte mit einer "plebiszitären Diktatur"

Das Problem mit Russland ist, dass es das erste Mal näherungsweise Demokratie im Land gibt. Da kann die Sache natürlich auch etwas daneben gehen, wobei ich finde, dass wir mit den Russen wirklich Geduld haben müssen.

gruss semball
 

Calileo

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Putin hat ja oft gewarnt, dass er den Westen nicht so sehr als Freund sehe, wie es sich manche Politiker wünschten.

na ja, solange die nicht wieder nach Europa marschieren wollen muss noch alles halbwegs gut sein.
 
W

Weinberg, Oliver

Guest
Putin hat ja oft gewarnt, dass er den Westen nicht so sehr als Freund sehe, wie es sich manche Politiker wünschten.

...da hat er wohl auch wenig Anlaß zu, denn offiziell wird Rußland über die G8 (oder sind das schon 9?) immer wieder geholfen, aber hinten rum tut man - aller Wahrscheinlichkeit nach - einiges dafür, dass Rußland eben da bleibt, wo es jetzt ist, in Krisen verwickelt, die den Schwerpunkt innerer Gestaltung auf Sicherheit, also Aufrüstung beibehalten, wo Iwan
Normalverbraucher eigentlich die Segnungen westlichen Wohlstandes erwartet....(und in Rußland versteht man sich auf das Warten!!)
 

Calileo

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aber hinten rum tut man - aller Wahrscheinlichkeit nach - einiges dafür, dass Rußland eben da bleibt, wo es jetzt ist, in Krisen verwickelt, die den Schwerpunkt innerer Gestaltung auf Sicherheit, also Aufrüstung beibehalten

tut wer und wieso?
 

Eskapismus

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Man muss aber auch zugeben, dass unter Putin die Wirtschaft grosse Fortschritte gemacht hat (Ok mit Chodorovski hat er sich eine ziemliche Dummheit geleistet aber zwischendurch muss man seinen einflussreichen Freunden auch mal ein Gefallen tun). Und irgendeinmal kann die Wirtschaft nicht mehr in einem überholten totalitären Umfeld weiterwachsen und spätestens dann wird sich Putin entscheiden müssen für mehr Wirtschaft und weniger Macht oder umgekehrt.


Auf jeden Fall muss der Westen einen Druck auf Russland ausüben und Putin zeigen, dass man sich um Russland kümmert. Die Kyoto Ratifizierung wäre ohne Druck von aussen wohl auch noch nicht so weit vorausgeschritten.
 

Kendrior

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Schröder zeigt sich unterdessen unbeeindruckt von den Vorwürfen hunderter deutscher Politiker- er findet die derzeitige Politik Putins genau richtig.
Nun, Arschkriecherei auf dieser Ebene nennt man wohl Auslandspolitik...
 

semball

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Kendrior schrieb:
Schröder zeigt sich unterdessen unbeeindruckt von den Vorwürfen hunderter deutscher Politiker- er findet die derzeitige Politik Putins genau richtig.
Nun, Arschkriecherei auf dieser Ebene nennt man wohl Auslandspolitik...

Diplomatie um genau zu sein.

Willy Brandt ist ja auch mit dem Schah von Persien in die Oper gegangen...
 

_Dark_

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ich finde schröder übertreibt es extrem mit der russlandaffinität...
der sollte sich mal lieber an bush und co halten, nicht an den osten im allgemeinen..
der lange weg nach westen ist halt immer noch nicht zu ende...
 

forcemagick

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semball schrieb:
Tja, Russland.
Ich möchte nicht sagen, dass es schon wieder eine Diktatur ist, aber eine Demokratie ist es wohl nicht mehr ganz. Obwohl der Terminus "gelenkte Demokratie" es irgendwie trifft.
Schon Napoleon regierte mit einer "plebiszitären Diktatur"

immer schön auf regierungsnahem kurs auch wenns weh tut ;)

würde schröder mit einem diktator... nein.. nie... also ist es eine .. ähm... gelenkte demokratie :lol:

na prima

was für ein statement...
 
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