Wie viele andere haben sich auch Philosophen zum Anschlag vom 11. September und dem darauffolgenden Afghanistan-Krieg zu Wort gemeldet. Sie sind dabei zu völlig unterschiedlichen Interpretationen gelangt. Bei der Zusammenstellung von Äußerungen ist zu beachten, dass diese auf unterschiedlichen Texten beruhen, zum einen auf Kurzinterviews, die wohl telephonisch stattfanden, zum anderen auf ausformulierten Beiträgen für Zeitungen. Dennoch zeigt die große inhaltliche Spannweite, dass dieser Anschlag unerklärlich bleibt. Das liegt wohl auch daran, dass wir uns im Westen hauptsächlich mit uns selbst beschäftigen und die Entwicklungen in der islamischen Welt nur oberflächlich zur Kenntnis genommen haben.
Nicht überrascht zeigte sich einzig der französische Philosoph André Glucksmann (Die Welt vom 17.9.): "Mich überrascht nur, dass man überrascht wurde". Denn die zerstörerischen Gewalten globalisieren sich schneller als die Kräfte des Aufbaus. Glucksmann plädierte auch als einer der wenigen für ein hartes Zuschlagen gegen den "grünen Faschismus, der mit dem Islam nichts gemein hat": "Entweder führt unsere Zivilisation einen langwierigen Kampf gegen solche Massaker, oder sie lässt sich massakrieren". Alle Autoren unterscheiden zwischen dem Islam an sich und terroristischen islamischen Gruppen. Hans-Georg Gadamer sieht jedoch fundamentale Schwierigkeiten mit dem Islam in einer globalisierten Welt. Er habe sich schon lange überlegt, führt er in einem Interview mit der Welt aus, wie man eine vernünftige Zukunft bauen könne und sei zu dem Schluss gekommen, "dass es mit allem geht, nur nicht mit der arabischen Religion". Einen Grund sieht er darin, dass dort die Grundlage dessen, was der Tod bedeute, anders interpretiert werde als bei uns. Es gebe dort etwas, "das gar nicht oder nur mit Mühe mit uns vergleichbar ist". Und so lange sei es gar nicht her, dass diese Art von "Macht" vor den Toren Wiens gestanden habe. Und obwohl es ihm angesichts der Anschläge "unheimlich" geworden sei, sieht Gadamer nur eine Möglichkeit: Immer wieder neu - im Kleinen - anfangen, brauche es doch eine Zuversicht, ohne die das Leben schwer sei.
[...]
Der deutsche Innenminister Otto Schily tadelte in einem Interview in der Welt am Sonntag die Reaktionen in "gewissen intellektuellen Kreisen" als "wirklich schlimme" antiamerikanische Entgleisungen. Daraufhin fühlte sich Peter Sloterdijk an den Kalten Krieg erinnert und bemerkte, wenn Schily "als deutscher McCarthy in die Geschichte des Ungeistes eingehen" wolle, solle er ruhig so weiterreden. Sloterdijk diagnostizierte, unmittelbar nach den Terroranschlägen sei eine "Implosion des Reflexionsraumes" erfolgt. Begünstigt von einer "Selbstgleichschaltungstendenz" der Medien sei die Gesellschaft zunächst kaum fähig gewesen, eigene Überlegungen anzustellen.
Sloterdijk führte bei einer Gesprächsrunde unter den Lehrern der "Hochschule für Gestaltung" in Karlsruhe aus, der von der kolonialistischen Vergangenheit geprägte Blick des Westens habe sich ein weit reichendes Machtprivileg erworben. So glaube man im nicht-islamischen Westen, den Islam in seinen Facetten besser zu verstehen als die Menschen in der islamischen Welt.
Sloterdijk definiert den vorliegenden Terrorismus als "Zwei-Komponenten-Waffe". Der eine Bestandteil des Terrors sei das "Material", beispielsweise die Gifte für den biologischen Angriff. Der andere Bestandteil seien die "Motive" des Terrors. Die Hersteller dieser beiden Komponenten seien nicht identisch. "Die Hersteller des Materials sind wir", führte Sloterdijk am 12. Oktober in Frankfurt aus. Die Geburtsstunde des Terrorismus ist für Sloterdijk der 22. April 1915, als deutsche Soldaten alliierte Stellungen in Ypern mit Chlorgas angriffen. Seit diesem Tage sei Terror ein Element der konventionellen Kriegsführung geworden. Terrorismus sei eine Methode. Daher mache der Ausdruck "Kampf gegen den Terror" keinen Sinn: "Eine Methode kann man nicht bekämpfen".
Keine besondere Freude dürfte Schily an dem in Berlin lehrenden Diskursethiker Dietrich Böhler gehabt haben. Böhler formulierte 8 Thesen und sandte diese an wichtige Politiker und Ausschüsse, also auch an den Innenminister. Böhler geht vom "Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas aus: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz menschenwürdigen Lebens auf Erden" und leitet daraus seine Thesen ab. Diese lauten in stark gekürzter Form:
Terrorismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Wir sollen das selbstkritische Bewusstsein des Absoluten gegenüber alle Relativismen wachhalten.
Es gilt, jeden Missbrauch des Absoluten als Rechtfertigungsgrund partikularer Interessen zu verhindern.
Wer sich dagegen zur Wehr setzt, indem er zum "gerechten Krieg wider das Böse aufruft", ist seinerseits im Begriff, Gott und Gerechtigkeit zu instrumentalisieren.
Freier Diskurs wird auch von demjenigen beschnitten, der eine Politik der "uneingeschränkten Solidarität" mit einer kriegsführenden Macht proklamiert.
Es besteht die verantwortungsethische Aufgabe, "zu wachen über die Menschlichkeit der Maßnahmen, mit denen man das Unheil zu stoppen versucht" (Hans Jonas).
Wenn das Ziel der Militärschläge nicht ausschließlich in der Selbstverteidigung der USA gegen den Terrorismus besteht, sondern in der Beseitigung einer Regierung, ist der Krieg völkerrechtswidrig.
Ohne die Achtung und ohne den Schutz der elementaren Menschenrechte ist keine Verantwortung möglich.
Böhler folgert aus diesen Thesen: "Nehmen wir unsere Mit-Verantwortung für die elementarsten Menschenrechte...durch öffentlichen Diskurs und Protest, durch Engagement bis zum zivilen Ungehorsam gegen kriegsunterstützende Maßnahmen war...Stehen wir auf!"
Zu einer kulturellen Analyse setzte Slavoj Zizek in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen (vom 23. Oktober) an: Hinter unserer westlichen Toleranz stecke in Wahrheit eine tiefe Intoleranz. Sie sei eine Art Abwehrmechanismus, die den anderen auf Distanz hält. Zizek wendet sich gegen die These vom "Clash of Civilizations"; die Konflikte verliefen vielmehr quer durch alle Gesellschaften. So gebe es auch in Amerika Fundamentalisten, die Bomben legten, und in Amerika habe es nach den Anschlägen von rechten Kommentatoren Reaktionen gegeben, die denen von seiten der Taliban verblüffend ähnlich gewesen seien: Die Anschläge eine Strafe Gottes dafür, dass in Amerika die Unmoral und die Promiskuität um sich gegriffen hätten. Enttäuscht zeigte sich Zizek von den Reaktionen der Linken: "Sie hat eine Liste der Dummheiten heruntergerasselt: von ihrem abstraktem Pazifismus bis zu der Logik, dass die Amerikaner mit ihrem Imperialismus selbst schuld an den Anschlägen seien,, Daran mag nur auf einer sehr abstrakten Ebene etwas Wahres daran sein". Was wir nach Zizek nun brauchen, sind positive Zeichen: "Ich fand es zum Beispiel gut, wie Arafat Blut für Amerika gespendet hat. Was immer er wirklich denkt, es war eine Geste".
Mit dem Anschlag würden wir ein Stück moderner Architektur verlieren, diagnostizierte Umberto Eco in der Frankfurter Rundschau (vom 22. September) und sieht das Ende der Wolkenkratzer gekommen: "Die einstürzenden Türme haben die Psyche der Menschen tief verändert. Die Türme sind jetzt nicht mehr starke Symbole der Macht, aufragende Kathedralen des Kapitals. Sie sind verwundbare Riesen, Giganten auf Krähen-Füßen". Als neue Symbole der Macht sieht Eco horizontale Bauten. Damit würde sich die Landschaft der Städte verändern und mit ihr das soziale Leben.
Der komplette Text: http://www.information-philosophie.de/philosophie/terrorismus2001.html
Nicht überrascht zeigte sich einzig der französische Philosoph André Glucksmann (Die Welt vom 17.9.): "Mich überrascht nur, dass man überrascht wurde". Denn die zerstörerischen Gewalten globalisieren sich schneller als die Kräfte des Aufbaus. Glucksmann plädierte auch als einer der wenigen für ein hartes Zuschlagen gegen den "grünen Faschismus, der mit dem Islam nichts gemein hat": "Entweder führt unsere Zivilisation einen langwierigen Kampf gegen solche Massaker, oder sie lässt sich massakrieren". Alle Autoren unterscheiden zwischen dem Islam an sich und terroristischen islamischen Gruppen. Hans-Georg Gadamer sieht jedoch fundamentale Schwierigkeiten mit dem Islam in einer globalisierten Welt. Er habe sich schon lange überlegt, führt er in einem Interview mit der Welt aus, wie man eine vernünftige Zukunft bauen könne und sei zu dem Schluss gekommen, "dass es mit allem geht, nur nicht mit der arabischen Religion". Einen Grund sieht er darin, dass dort die Grundlage dessen, was der Tod bedeute, anders interpretiert werde als bei uns. Es gebe dort etwas, "das gar nicht oder nur mit Mühe mit uns vergleichbar ist". Und so lange sei es gar nicht her, dass diese Art von "Macht" vor den Toren Wiens gestanden habe. Und obwohl es ihm angesichts der Anschläge "unheimlich" geworden sei, sieht Gadamer nur eine Möglichkeit: Immer wieder neu - im Kleinen - anfangen, brauche es doch eine Zuversicht, ohne die das Leben schwer sei.
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Der deutsche Innenminister Otto Schily tadelte in einem Interview in der Welt am Sonntag die Reaktionen in "gewissen intellektuellen Kreisen" als "wirklich schlimme" antiamerikanische Entgleisungen. Daraufhin fühlte sich Peter Sloterdijk an den Kalten Krieg erinnert und bemerkte, wenn Schily "als deutscher McCarthy in die Geschichte des Ungeistes eingehen" wolle, solle er ruhig so weiterreden. Sloterdijk diagnostizierte, unmittelbar nach den Terroranschlägen sei eine "Implosion des Reflexionsraumes" erfolgt. Begünstigt von einer "Selbstgleichschaltungstendenz" der Medien sei die Gesellschaft zunächst kaum fähig gewesen, eigene Überlegungen anzustellen.
Sloterdijk führte bei einer Gesprächsrunde unter den Lehrern der "Hochschule für Gestaltung" in Karlsruhe aus, der von der kolonialistischen Vergangenheit geprägte Blick des Westens habe sich ein weit reichendes Machtprivileg erworben. So glaube man im nicht-islamischen Westen, den Islam in seinen Facetten besser zu verstehen als die Menschen in der islamischen Welt.
Sloterdijk definiert den vorliegenden Terrorismus als "Zwei-Komponenten-Waffe". Der eine Bestandteil des Terrors sei das "Material", beispielsweise die Gifte für den biologischen Angriff. Der andere Bestandteil seien die "Motive" des Terrors. Die Hersteller dieser beiden Komponenten seien nicht identisch. "Die Hersteller des Materials sind wir", führte Sloterdijk am 12. Oktober in Frankfurt aus. Die Geburtsstunde des Terrorismus ist für Sloterdijk der 22. April 1915, als deutsche Soldaten alliierte Stellungen in Ypern mit Chlorgas angriffen. Seit diesem Tage sei Terror ein Element der konventionellen Kriegsführung geworden. Terrorismus sei eine Methode. Daher mache der Ausdruck "Kampf gegen den Terror" keinen Sinn: "Eine Methode kann man nicht bekämpfen".
Keine besondere Freude dürfte Schily an dem in Berlin lehrenden Diskursethiker Dietrich Böhler gehabt haben. Böhler formulierte 8 Thesen und sandte diese an wichtige Politiker und Ausschüsse, also auch an den Innenminister. Böhler geht vom "Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas aus: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz menschenwürdigen Lebens auf Erden" und leitet daraus seine Thesen ab. Diese lauten in stark gekürzter Form:
Terrorismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Wir sollen das selbstkritische Bewusstsein des Absoluten gegenüber alle Relativismen wachhalten.
Es gilt, jeden Missbrauch des Absoluten als Rechtfertigungsgrund partikularer Interessen zu verhindern.
Wer sich dagegen zur Wehr setzt, indem er zum "gerechten Krieg wider das Böse aufruft", ist seinerseits im Begriff, Gott und Gerechtigkeit zu instrumentalisieren.
Freier Diskurs wird auch von demjenigen beschnitten, der eine Politik der "uneingeschränkten Solidarität" mit einer kriegsführenden Macht proklamiert.
Es besteht die verantwortungsethische Aufgabe, "zu wachen über die Menschlichkeit der Maßnahmen, mit denen man das Unheil zu stoppen versucht" (Hans Jonas).
Wenn das Ziel der Militärschläge nicht ausschließlich in der Selbstverteidigung der USA gegen den Terrorismus besteht, sondern in der Beseitigung einer Regierung, ist der Krieg völkerrechtswidrig.
Ohne die Achtung und ohne den Schutz der elementaren Menschenrechte ist keine Verantwortung möglich.
Böhler folgert aus diesen Thesen: "Nehmen wir unsere Mit-Verantwortung für die elementarsten Menschenrechte...durch öffentlichen Diskurs und Protest, durch Engagement bis zum zivilen Ungehorsam gegen kriegsunterstützende Maßnahmen war...Stehen wir auf!"
Zu einer kulturellen Analyse setzte Slavoj Zizek in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen (vom 23. Oktober) an: Hinter unserer westlichen Toleranz stecke in Wahrheit eine tiefe Intoleranz. Sie sei eine Art Abwehrmechanismus, die den anderen auf Distanz hält. Zizek wendet sich gegen die These vom "Clash of Civilizations"; die Konflikte verliefen vielmehr quer durch alle Gesellschaften. So gebe es auch in Amerika Fundamentalisten, die Bomben legten, und in Amerika habe es nach den Anschlägen von rechten Kommentatoren Reaktionen gegeben, die denen von seiten der Taliban verblüffend ähnlich gewesen seien: Die Anschläge eine Strafe Gottes dafür, dass in Amerika die Unmoral und die Promiskuität um sich gegriffen hätten. Enttäuscht zeigte sich Zizek von den Reaktionen der Linken: "Sie hat eine Liste der Dummheiten heruntergerasselt: von ihrem abstraktem Pazifismus bis zu der Logik, dass die Amerikaner mit ihrem Imperialismus selbst schuld an den Anschlägen seien,, Daran mag nur auf einer sehr abstrakten Ebene etwas Wahres daran sein". Was wir nach Zizek nun brauchen, sind positive Zeichen: "Ich fand es zum Beispiel gut, wie Arafat Blut für Amerika gespendet hat. Was immer er wirklich denkt, es war eine Geste".
Mit dem Anschlag würden wir ein Stück moderner Architektur verlieren, diagnostizierte Umberto Eco in der Frankfurter Rundschau (vom 22. September) und sieht das Ende der Wolkenkratzer gekommen: "Die einstürzenden Türme haben die Psyche der Menschen tief verändert. Die Türme sind jetzt nicht mehr starke Symbole der Macht, aufragende Kathedralen des Kapitals. Sie sind verwundbare Riesen, Giganten auf Krähen-Füßen". Als neue Symbole der Macht sieht Eco horizontale Bauten. Damit würde sich die Landschaft der Städte verändern und mit ihr das soziale Leben.
Der komplette Text: http://www.information-philosophie.de/philosophie/terrorismus2001.html