BrettonWoods
Meister
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- 5. Juni 2003
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Unentschieden
von Uri Avnery
uri-avnery.de / ZNet Deutschland 05.07.2003
Nach den Wörtern “Intifada” (Abschütteln) und „Shahid“ (Märtyrer) findet ein neuer arabischer Terminus den Weg in das Weltvokabular: „Hudna“ (Waffenstillstand). Nach islamischer Tradition erinnert dieses Wort an ein historisches Ereignis. Der 1. islamische Waffenstillstand wurde (nach christlicher Zeitrechnung) im Jahr 628 in Hodaibiya im Laufe von Mohammeds Krieg gegen den heidnischen Fürst von Mekka geschlossen. Nach der Version, die jetzt in Israel die Runde macht, brach Mohammed den Waffenstillstand und eroberte Mekka. Folglich: Vertraut den Arabern nicht, habt auch kein Vertrauen in die Hudna! In den arabischen Geschichtsbüchern wird dasselbe Ereignis völlig anders dargestellt. Die Hudna erlaubte den Anhängern des neuen Glaubens, Mekka zu betreten, um zum Heiligen Stein zu pilgern. Die Pilger nützten die Gelegenheit, um andere zu bekehren. Als die meisten Bürger den Islam angenommen hatten, betrat Mohammed fast ohne Blutvergießen die Stadt, ja wurde mit offenen Armen empfangen. Also: Schon in ihrer frühesten Geschichte war den Muslimen klar, dass Überzeugung besser ist als Gewalt.
Hier liegt die Antwort auf die Fragen, die jetzt gestellt werden: wird die Hudna eingehalten? Wird sie nach den anfänglichen 3 Monaten weitergeführt? Wird es Arafat und Abu Mazen gelingen, die Hamas auch dafür zu gewinnen ?
Die Antworten sind völlig von der Stimmung der palästinensischen Bevölkerung abhängig. Wenn sie die Hudna will, wird sie eingehalten. Wenn sie die Hudna aber nicht will, wird sie gebrochen. Die Hamas möchte die allgemeine Sympathie durch das Brechen der populären Hudna nicht verlieren. Im Gegenteil, sie möchte eine größere Rolle im zukünftigen palästinensischen Staat spielen. Doch wenn die Bevölkerung zu der Folgerung kommt, dass die Hudna keine Früchte gebracht hat, dann wird die Hamas die erste sein, die sie brechen wird. Wovon hängt dies ab? Wenn die Hudna dem Volk einen größeren politischen Fortschritt und eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität des einzelnen mit sich bringt, wird sie populär und wird Wurzeln fassen.
Das ist logisch und entspricht meinen eigenen persönlichen Erfahrungen. Ich habe in diesen Kolumnen schon manchmal erwähnt, dass ich in meiner frühen Jugend ein Mitglied einer Befreiungs- –und/ oder Terrororganisation war ( Die Definition hängt vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab). In jener Zeit lernte ich, dass solch eine Organisation öffentliche Unterstützung benötigt und nicht ohne sie operieren kann. Sie braucht Geld, Propagandamittel, Verstecke, neue Mitglieder. Für eine Organisation wie die Hamas, die auch politische und soziale Ambitionen hat, ist Popularität doppelt wichtig. So lange die Hudna populär ist, wird sie an ihr festhalten.
Das ist in erster Linie ein Test für Abu-Mazen. Was kann er tun, um die Hudna populär zu machen? Er muss die großzügige Freilassung palästinensischer Gefangener sicherstellen, die Verbesserung der verheerenden Lebensbedingungen; den Rückzug der israelischen Armee aus den Städten und Dörfern; die Entfernung der Checkpoints, die das Leben der Palästinenser unerträglich machen; die Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit, um zu den Stadtzentren, den Arbeitsplätzen, Krankenhäusern, Universitäten zu gelangen; eine Beendigung der „gezielten Tötungen“, Deportationen, Zerstörung von Häusern und Fruchtbäumen; das Einfrieren der Bautätigkeit in den Siedlungen und ein Stopp des „Zaun“-Baus, der einen großen Teil des palästinensischen Landes frisst.
Sollte es in diesen Dingen keinen Fortschritt geben, wird die Hudna zusammenbrechen. Sollte dies geschehen, wird das israelische Militär und das politische Establishment dem keine Tränen nachweinen. Dort war die Hudna ziemlich zähneknirschend begrüßt worden, als ob sie von irgend einer feindlichen Macht auferlegt worden sei. Tatsächlich kam sie unter direktem amerikanischem Druck zustande. Die israelischen Medien, die inzwischen alle ein Propagandainstrument des „Sicherheitsapparates“ geworden sind, erhielten die Hudna einstimmig, wie durch einen Befehl, mit Kommentaren wie : „Die hat doch keine Chance – die wird nicht lange halten“ – einer Prophezeiung, die sich selbst beweisen kann.
Das Armee-Kommando war gegen den Waffenstillstand. Wie immer erklärten die Offiziere, dass der Sieg nur noch hinter der nächsten Ecke liege, dass nur noch ein letzter entscheidender Schlag nötig sei. Genau dies, sogar mit denselben Worten, wurde von den französischen Generälen gesagt, die gegen die Beendigung des Krieges in Algerien waren, und von den amerikanischen Generälen, als Nixon in Vietnam aufgab. Dies wurde von den russischen Generälen in Afghanistan gesagt, und nun sagen sie dasselbe in Tschetschenien. Sie sind immer gerade dabei, den Sieg zu gewinnen. Sie benötigen immer nur noch einen einzigen Schlag. Und es sind immer die korrupten Politiker, die den Dolch in ihren Rücken stoßen und so die Niederlage verursachen.
Die Wahrheit aber ist, dass die Armeekommandeure eine klägliche Niederlage erlitten haben. Sie hatten viele kleine Erfolge, aber sie haben ihr Hauptziel verfehlt: den Willen des palästinensischen Volkes zu brechen.. Anstelle eines jeden „lokalen Führers“, der gezielt liquidiert wurde, traten zwei neue. Die „terroristische Infrastruktur“ wurde nicht zerstört, weil es kein Mittel gibt, sie zu zerstören. Sie besteht nämlich nicht aus Waffenwerkstätten und Führern, sondern aus der allgemeinen Unterstützung und der Zahl der Jugendlichen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren und zu opfern. Nach 1000 Tagen wurde trotz des Tötens und der Zerstörung der palästinensische Widerstandsgeist nicht gebrochen und ihre Kampffähigkeit nicht zerstört. Das palästinensische Volk hat die Forderungen, die es in Camp David und Taba zum Ausdruck brachte, nicht aufgegeben. Zu Beginn dieser Intifada gab es ein paar Freiwillige für Selbstmordattentate; zuletzt standen Hunderte bereit.
Auch die Palästinenser haben nicht gewonnen. Sie haben bewiesen, dass sie nicht auf die Knie gezwungen werden können. Sie haben verhindern können, dass die palästinensische Sache nicht von der Weltagenda gestrichen wurde. Die israelische Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Die Intifada hat Schatten auf das tägliche Leben in Israel geworfen. Viele der Akte, die von Israelis als kriminell betrachtet werden, werden von den Palästinensern als heldenhafte Taten angesehen. Die Zerstörung israelischer Panzer, die Eliminierung eines großen Kontrollpunktes durch einen einzigen Scharfschützen, der Angriff durch ein palästinensisches Kommando, das unter der „Trennungsmauer“ durchkroch – solche Akte haben die Palästinenser mit Stolz erfüllt. Und allein die Tatsache, dass der palästinensische David weiterhin dem mächtigen israelischen Goliath standhält und trotzt, ist in sich selbst schon eine erstaunliche Leistung, die den kommenden Generationen stolz weitergegeben wird.
Doch ist es den Palästinensern nicht gelungen, ihren Willen gegenüber Israel durchzusetzen – genau so wenig, wie es Israel nicht gelungen ist, seinen Willen gegenüber den Palästinensern durchzusetzen. Die Israelis sind, genau wie die Palästinenser, erschöpft. Diese Intifada ist – für den augenblicklichen Zeitpunkt - mit einem Unentschieden zu Ende. Moshe Yaalon, ein Generalstabschef mit unstillbarer Redelust, hat den Sieg erklärt. Aber am selben Tag haben in einer angesehenen israelischen Meinungsumfrage 73% der Befragten die Meinung geäußert, dass Israel nicht gewonnen habe, und 33% sahen sogar die Palästinenser als Sieger an. Das größte Massenblatt des Landes überschrieb eine Geschichte über den Generalstabschef mit den ironischen Worten: „Zu Ihrer Information: Wir haben gewonnen!“ Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt nicht, dass die Hudna eingehalten wird. In der Zwischenzeit ist jeder ohne menschliche Opfer vorübergehende Tag für beide Seiten ein reiner Gewinn.
Und was nun? Wirkliche Verhandlungen? Verhandlungen, die nicht mehr sind als bloße Spiegelfechterei? Bemühungen beider Seiten, den Amerikanern zu gefallen? Amerikanischer Druck auf beide Seiten, um ein paar wirkliche Taten vorzuweisen? Fragt Condoleeza!
von Uri Avnery
uri-avnery.de / ZNet Deutschland 05.07.2003
Nach den Wörtern “Intifada” (Abschütteln) und „Shahid“ (Märtyrer) findet ein neuer arabischer Terminus den Weg in das Weltvokabular: „Hudna“ (Waffenstillstand). Nach islamischer Tradition erinnert dieses Wort an ein historisches Ereignis. Der 1. islamische Waffenstillstand wurde (nach christlicher Zeitrechnung) im Jahr 628 in Hodaibiya im Laufe von Mohammeds Krieg gegen den heidnischen Fürst von Mekka geschlossen. Nach der Version, die jetzt in Israel die Runde macht, brach Mohammed den Waffenstillstand und eroberte Mekka. Folglich: Vertraut den Arabern nicht, habt auch kein Vertrauen in die Hudna! In den arabischen Geschichtsbüchern wird dasselbe Ereignis völlig anders dargestellt. Die Hudna erlaubte den Anhängern des neuen Glaubens, Mekka zu betreten, um zum Heiligen Stein zu pilgern. Die Pilger nützten die Gelegenheit, um andere zu bekehren. Als die meisten Bürger den Islam angenommen hatten, betrat Mohammed fast ohne Blutvergießen die Stadt, ja wurde mit offenen Armen empfangen. Also: Schon in ihrer frühesten Geschichte war den Muslimen klar, dass Überzeugung besser ist als Gewalt.
Hier liegt die Antwort auf die Fragen, die jetzt gestellt werden: wird die Hudna eingehalten? Wird sie nach den anfänglichen 3 Monaten weitergeführt? Wird es Arafat und Abu Mazen gelingen, die Hamas auch dafür zu gewinnen ?
Die Antworten sind völlig von der Stimmung der palästinensischen Bevölkerung abhängig. Wenn sie die Hudna will, wird sie eingehalten. Wenn sie die Hudna aber nicht will, wird sie gebrochen. Die Hamas möchte die allgemeine Sympathie durch das Brechen der populären Hudna nicht verlieren. Im Gegenteil, sie möchte eine größere Rolle im zukünftigen palästinensischen Staat spielen. Doch wenn die Bevölkerung zu der Folgerung kommt, dass die Hudna keine Früchte gebracht hat, dann wird die Hamas die erste sein, die sie brechen wird. Wovon hängt dies ab? Wenn die Hudna dem Volk einen größeren politischen Fortschritt und eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität des einzelnen mit sich bringt, wird sie populär und wird Wurzeln fassen.
Das ist logisch und entspricht meinen eigenen persönlichen Erfahrungen. Ich habe in diesen Kolumnen schon manchmal erwähnt, dass ich in meiner frühen Jugend ein Mitglied einer Befreiungs- –und/ oder Terrororganisation war ( Die Definition hängt vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab). In jener Zeit lernte ich, dass solch eine Organisation öffentliche Unterstützung benötigt und nicht ohne sie operieren kann. Sie braucht Geld, Propagandamittel, Verstecke, neue Mitglieder. Für eine Organisation wie die Hamas, die auch politische und soziale Ambitionen hat, ist Popularität doppelt wichtig. So lange die Hudna populär ist, wird sie an ihr festhalten.
Das ist in erster Linie ein Test für Abu-Mazen. Was kann er tun, um die Hudna populär zu machen? Er muss die großzügige Freilassung palästinensischer Gefangener sicherstellen, die Verbesserung der verheerenden Lebensbedingungen; den Rückzug der israelischen Armee aus den Städten und Dörfern; die Entfernung der Checkpoints, die das Leben der Palästinenser unerträglich machen; die Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit, um zu den Stadtzentren, den Arbeitsplätzen, Krankenhäusern, Universitäten zu gelangen; eine Beendigung der „gezielten Tötungen“, Deportationen, Zerstörung von Häusern und Fruchtbäumen; das Einfrieren der Bautätigkeit in den Siedlungen und ein Stopp des „Zaun“-Baus, der einen großen Teil des palästinensischen Landes frisst.
Sollte es in diesen Dingen keinen Fortschritt geben, wird die Hudna zusammenbrechen. Sollte dies geschehen, wird das israelische Militär und das politische Establishment dem keine Tränen nachweinen. Dort war die Hudna ziemlich zähneknirschend begrüßt worden, als ob sie von irgend einer feindlichen Macht auferlegt worden sei. Tatsächlich kam sie unter direktem amerikanischem Druck zustande. Die israelischen Medien, die inzwischen alle ein Propagandainstrument des „Sicherheitsapparates“ geworden sind, erhielten die Hudna einstimmig, wie durch einen Befehl, mit Kommentaren wie : „Die hat doch keine Chance – die wird nicht lange halten“ – einer Prophezeiung, die sich selbst beweisen kann.
Das Armee-Kommando war gegen den Waffenstillstand. Wie immer erklärten die Offiziere, dass der Sieg nur noch hinter der nächsten Ecke liege, dass nur noch ein letzter entscheidender Schlag nötig sei. Genau dies, sogar mit denselben Worten, wurde von den französischen Generälen gesagt, die gegen die Beendigung des Krieges in Algerien waren, und von den amerikanischen Generälen, als Nixon in Vietnam aufgab. Dies wurde von den russischen Generälen in Afghanistan gesagt, und nun sagen sie dasselbe in Tschetschenien. Sie sind immer gerade dabei, den Sieg zu gewinnen. Sie benötigen immer nur noch einen einzigen Schlag. Und es sind immer die korrupten Politiker, die den Dolch in ihren Rücken stoßen und so die Niederlage verursachen.
Die Wahrheit aber ist, dass die Armeekommandeure eine klägliche Niederlage erlitten haben. Sie hatten viele kleine Erfolge, aber sie haben ihr Hauptziel verfehlt: den Willen des palästinensischen Volkes zu brechen.. Anstelle eines jeden „lokalen Führers“, der gezielt liquidiert wurde, traten zwei neue. Die „terroristische Infrastruktur“ wurde nicht zerstört, weil es kein Mittel gibt, sie zu zerstören. Sie besteht nämlich nicht aus Waffenwerkstätten und Führern, sondern aus der allgemeinen Unterstützung und der Zahl der Jugendlichen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren und zu opfern. Nach 1000 Tagen wurde trotz des Tötens und der Zerstörung der palästinensische Widerstandsgeist nicht gebrochen und ihre Kampffähigkeit nicht zerstört. Das palästinensische Volk hat die Forderungen, die es in Camp David und Taba zum Ausdruck brachte, nicht aufgegeben. Zu Beginn dieser Intifada gab es ein paar Freiwillige für Selbstmordattentate; zuletzt standen Hunderte bereit.
Auch die Palästinenser haben nicht gewonnen. Sie haben bewiesen, dass sie nicht auf die Knie gezwungen werden können. Sie haben verhindern können, dass die palästinensische Sache nicht von der Weltagenda gestrichen wurde. Die israelische Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Die Intifada hat Schatten auf das tägliche Leben in Israel geworfen. Viele der Akte, die von Israelis als kriminell betrachtet werden, werden von den Palästinensern als heldenhafte Taten angesehen. Die Zerstörung israelischer Panzer, die Eliminierung eines großen Kontrollpunktes durch einen einzigen Scharfschützen, der Angriff durch ein palästinensisches Kommando, das unter der „Trennungsmauer“ durchkroch – solche Akte haben die Palästinenser mit Stolz erfüllt. Und allein die Tatsache, dass der palästinensische David weiterhin dem mächtigen israelischen Goliath standhält und trotzt, ist in sich selbst schon eine erstaunliche Leistung, die den kommenden Generationen stolz weitergegeben wird.
Doch ist es den Palästinensern nicht gelungen, ihren Willen gegenüber Israel durchzusetzen – genau so wenig, wie es Israel nicht gelungen ist, seinen Willen gegenüber den Palästinensern durchzusetzen. Die Israelis sind, genau wie die Palästinenser, erschöpft. Diese Intifada ist – für den augenblicklichen Zeitpunkt - mit einem Unentschieden zu Ende. Moshe Yaalon, ein Generalstabschef mit unstillbarer Redelust, hat den Sieg erklärt. Aber am selben Tag haben in einer angesehenen israelischen Meinungsumfrage 73% der Befragten die Meinung geäußert, dass Israel nicht gewonnen habe, und 33% sahen sogar die Palästinenser als Sieger an. Das größte Massenblatt des Landes überschrieb eine Geschichte über den Generalstabschef mit den ironischen Worten: „Zu Ihrer Information: Wir haben gewonnen!“ Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt nicht, dass die Hudna eingehalten wird. In der Zwischenzeit ist jeder ohne menschliche Opfer vorübergehende Tag für beide Seiten ein reiner Gewinn.
Und was nun? Wirkliche Verhandlungen? Verhandlungen, die nicht mehr sind als bloße Spiegelfechterei? Bemühungen beider Seiten, den Amerikanern zu gefallen? Amerikanischer Druck auf beide Seiten, um ein paar wirkliche Taten vorzuweisen? Fragt Condoleeza!