Geistig-moralische Wende ?

agentP

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Seit ein Regierungswechsel im Busch ist, ist wie 1982 das Stichwort von der angeblich dringend benötigten und von der Union angedrohten "geistig-moralischen Wende" wieder in aller Munde.
Wende beinhalte ja, daß man umkehrt und zurückgeht zu einem Punkt an dem man schon mal war. Welcher Punkt könnte das denn konkret sein ? Geht das überhaupt ? Ist das sinnvoll ?

Ich persönlich halte diesen Begriff für ein ganz schlimmes polemisches Konstrukt, daß nur von den eigentlichen Problemen ablenken soll. Ausserdem unterstelle ich der Union und ihrem gelben Anhängsel, daß sie selber nicht mal wissen wovon sie reden. Der deutlichste Beweis dafür ist meiner Meinung nach, daß immer die Alt-68er als Sündenböcke und Verantwortliche für den Verfall moralischer Werte verantwortlich gemacht werden, obwohl mittlerweile der Globalisierungsprozess und der Neoliberalismus bei weitem gravierendere Auswirkungen auf die Gesellschaft und unser Wertesystem haben.
 

Ein_Liberaler

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agentP schrieb:
Seit ein Regierungswechsel im Busch ist, ist wie 1982 das Stichwort von der angeblich dringend benötigten und von der Union angedrohten "geistig-moralischen Wende" wieder in aller Munde.

Das ist mir bisher entgangen.

Ich persönlich halte diesen Begriff für ein ganz schlimmes polemisches Konstrukt, daß nur von den eigentlichen Problemen ablenken soll.

Meines Wissens hat man sich das damals nicht mal selbst ausgedacht, sondern aufgegriffen, nachdem es in irgendeinem Zeitungsartikel vorgekommen war. Im Grunde war das nur ein bedeutungsloses Schlagwort.

Ausserdem unterstelle ich der Union und ihrem gelben Anhängsel, daß sie selber nicht mal wissen wovon sie reden.

Natürlich nicht. Redet doch jeder von was anderem.

Der deutlichste Beweis dafür ist meiner Meinung nach, daß immer die Alt-68er als Sündenböcke und Verantwortliche für den Verfall moralischer Werte verantwortlich gemacht werden, obwohl mittlerweile der Globalisierungsprozess und der Neoliberalismus bei weitem gravierendere Auswirkungen auf die Gesellschaft und unser Wertesystem haben.

Da hast Du wohl andere moralische Werte im Visier als die Union.
 

agentP

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Das ist mir bisher entgangen.
War zum Beispiel letzte Woche Thema bei Maischberger mit den Talkgästen: Jörg Schöhnbohm, Renate Kynast, Christa Meves, Götz Alsmann und Jörg Kachelmann.
Ansonsten gebe ich natürlich gerne zu, daß "in aller Munde" mein subjektiver Eindruck ist.

Da hast Du wohl andere moralische Werte im Visier als die Union.
Nicht unbedingt. Aber das würde mich ja gerade interessieren, welche Werte das denn sein könnten.
 

Ein_Liberaler

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Da ich keinen Fernseher habe... Waren sie sich denn einig bei Maischberger, oder hat die eine Seite geleugnet, daß sie eine Wende anstrebt?

Welche Werte das sein könnten... Respekt, gutes Benehmen, Fleiß, eheliche Treue, Bescheidenheit. Das sind so die Werte, deren Verfall in meinem familiären Umfeld immer beklagt wird. Naja.
 

agentP

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Nein, sie haben das nicht bestritten.
Kernpunkt waren allerdings in dem Fall nicht die von dir genannten Punkte, sondern vor allem der Verfall des Familienbilds, an dem natürlich in erster Linie die 68er Schuld sind, die den Frauen eingeflüstert hätten, daß Mutter und Hausfrau sein kein erstrebenswertes Lebensziel seien.
 

Ein_Liberaler

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Haben sie ja auch. Und die katholische Kirche flüstert ihnen widerum das Gegenteil ein. Völlig normale gesellschaftliche Prozesse. Abscheulich sind nur Politiker, die meinen, den einen oder anderen Lebensentwurf gesetzlich bevorteilen zu müssen, und da nehmen sich die beiden Lager nichts.
 

agentP

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Das sehe ich ähnlich. Was ich aber zynisch finde ist, daß es ohnehin keinen Weg zurück gibt und schon gar nicht heute, wo sich die wenigsten überhaupt leisten können eine Familie allein zu ernähren.
Dazu kommt, daß früher auch die Rahmenbedingungen für die Familien anders waren: Man konnte sich einen Lebensentwurf leisten, der linear und auf Konstanz ausgerichtet war. Man konnte Familie, Eigenheim und Karriere langfristig planen. Heute hingegen ist der flexible und mobile Mensch gefragt, der offen sein muß im Laufe seines Lebens Wohnort und Beruf mehrmals zu ändern und dieser Trend wird sicher noch zunehmen. Das ist ohnehin nicht das Biotop in dem eine Familie nach tradiertem Modell gedeihen kann. Auch andere Werte, wie Loyalität und Vertrauen werden duch diese neuen Lebensweisen nicht gerade gefördert.
Schon allein deshalb ist dieses Geschrei nach Rückbesinnung völlig schizophren, wenn man auf der anderen Seite für den weiteren Abbau des Sozialstaates plädiert und damit der klassischen Familie erst recht die Grundlage entzieht.
 

Ellinaelea

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agentP schrieb:
Wende beinhalte ja, daß man umkehrt und zurückgeht zu einem Punkt an dem man schon mal war.
Entschuldige agent, aber hier widerspreche ich dir. Und zwar ist das völlig unpolitisch gemeint und betrifft rein die Semantik.
"Wenden" bedeutet nicht automatisch eine 180-Grad-Drehung und dann einen Rückwärtsschritt. "Wenden" kann man sich auch nur um wenige Grad, um ein anderes Ziel, das auch noch in der Vorwärtsrichtung liegt anzuvisieren.

Zur in diesem Thread teilweise angedeuteten politischen Richtung kann ich nur sagen, dass ich als unterwürfige Ehe- und Hausfrau absolut ungeeignet wäre. Eher würd ich wieder kriminell werden. Niemals werde ich mich in die geschlechter-einseitige pseudomoralische Gesellschaft einer patriarchalen Religion diktieren lassen. Vorher rummsts ganz gewaltig und ich trete lieber ab.
 

agentP

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"Wenden" bedeutet nicht automatisch eine 180-Grad-Drehung und dann einen Rückwärtsschritt.
Vielleicht denke ich da als ehemaliger Schwimmer zu sehr an das, was man am Ende der Bahn macht. :wink:
Danke für den Einwand, aber ich denke in diesem speziellen Fall ist schon die Umkehr gemeint, denn weniger konsequente Änderungen des Wertesystems müsste man ja nicht fordern, die passieren ohnehin laufend.
 

Ein_Liberaler

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Ich glaube, jetzt verfällst Du in Sozialromantik, agentP, das irritiert mich. 8O So planbar glücklich war das Leben immer nur für einen Teil der Menschen. Erst seit der Industrialisierung ist es doch überhaupt so, daß jeder heiraten kann, der will. Früher auf dem Dorf blieben nicht wenige ledig, weil sie sich eine Ehe nicht leisten konten...

Naja, und daß ich Vollbeschäftigung für eine bessere Grundlage für eine Familie halte als die Sozialhilfe, und daß ich glaube, daß die Besteuerung von Arbeit und Bezuschussung von Nichtarbeit Vollbeschäftigung wirksam verhindert, muß ich ja nicht wiederholen.

Zur in diesem Thread teilweise angedeuteten politischen Richtung kann ich nur sagen, dass ich als unterwürfige Ehe- und Hausfrau absolut ungeeignet wäre.

Die müssen ja nicht alle unterwürfig sein. Genaugenommen kenne ich gar keine unterwürfige Ehefrau.
 

agentP

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Nein, da missverstehst du mich.
Soweit wie du habe ich gar nciht in die Vergangenheit zurückgedacht, sondern vielleicht bis in die Nachkriegszeit, denn ich bin ohnehin davon überzeugt, daß es diese heile konservative Familie, die heute gerne als Modell herhalten muß ohnehin nur zwei Jahrzehnte in weiterer Verbreitung existiert hat, nämlich zwischen etwa 1950 und 1970.
In früheren Zeiten konnte sich die breite Masse ein solches Idyll vermutlich ohnehin nicht leisten.
In den agrarischen Gesellschaften vor der industriellen Revolution blieb mit Sicherheit keine Frau zuhause um sich um Herd und Kinder zu kümmern, sondern sie arbeitete mit und die Kinder auch sobald sie laufen konnten. Auch vom Zeitalter der Industrialisierung wissen wir, daß Frauen arbeiten mussten und selbst Kinderarbeit nichts ungewöhnliches war.
Das reichere Bürgertum lasse ich hier natürlich mal ganz bewusst aussen vor.
 

Ein_Liberaler

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Oh, dann sind wir mal so ziemlich einer Meinung. Nur daß ich den Zeitraum auf eine Generation ausdehnen würde, also bis 1980.

(Natürlich ist das Familienidyll ein Idealbild, daß sich nicht um Wirklichkeit und Bevölkerungsmehrheit schert und vom kleinen bis mittleren Bürgertum und der Beamtenschaft inspiriert ist.)
 

Booth

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Welchem Politiker der vergangenen 30 Jahre würde man schon ohne Abstriche die Vokabel "moralisch" zusprechen wollen?!

Kann es das in einer (presse-)freiheitlichen Mediendemokratie überhaupt noch geben?

gruß
Booth
 

rai69

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hallo agentp,

obwohl auch ich den begriff der blablabla-wende nicht gutheißen kann, so hast du jedoch schon in deinem eingangsbeitrag einen grund für sie geliefert:

agentP schrieb:
Der deutlichste Beweis dafür ist meiner Meinung nach, daß immer die Alt-68er als Sündenböcke und Verantwortliche für den Verfall moralischer Werte verantwortlich gemacht werden, obwohl mittlerweile der Globalisierungsprozess und der Neoliberalismus bei weitem gravierendere Auswirkungen auf die Gesellschaft und unser Wertesystem haben.

wenn wir uns selbst mal aus dem focus herausnehmen, die konsequenzen des vielbejubelten endes der "welt der zwei systeme" (durch den zusammenbruch der sog. sozialist. staatengemeinschaft) bis zum ende durchdenken, und nostalgische verklärungen der vergangenheit beiseite lassen...
...ist die wende, wie ich sie mir wünsche, schon gelungen.
ob da nun ein volksvertreter schutz vor der globalisierung verspricht
(hihi, ich kann doch auch nicht sagen, dass ich am winter nicht "teilnehme", weil mir der sommer besser gefällt), eine consulting-bude lean-production-strategien fernöstlich verbrämt, oder es manchen plötzlich wieder einfällt, dass stetiges wachstum auch zum tod führen kann, ist mir völlig egal geworden, da wir in einer welt der leeren worthülsen leben, und diese bald an die stelle von echten informationen treten werden.

gruß

rai69
 

Woppadaq

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Booth schrieb:
Welchem Politiker der vergangenen 30 Jahre würde man schon ohne Abstriche die Vokabel "moralisch" zusprechen wollen?!

Kann es das in einer (presse-)freiheitlichen Mediendemokratie überhaupt noch geben?

Definitiv Ja !

Nur die Moral müßte man halt mal "reformieren", denn wie agentp so schön bemerkte, ist die jetzige eher schizophren.

Die CDU ist allerdings nun der ungeeignetste Kandidat einer solchhen Reformation, deswegen "geistig-moralische Wende", wie einige hier ganz richtig sehen, heißt das bei ihr zurück zum eingebildeten Familienidyll der Vergangenheit. Und noch ein paar andere Sachen.
 

Booth

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Na - dann nennt mir doch mal Nachkriegs-Politiker, denen Ihr eine Moral zusprechen würdet.

Ich selber habe erst an Brandt gedacht - aber trotz Friedensnobelpreis wurde der damals in der Alltagspolitik von den bürgerlich-konservativen Menschen in diesem Lande alles andere als moralisch wahrgenommen - eher als Paktierer mit dem Reich des Bösen.
Aus bürgerlicher Sicht könnte man evtl Strauss anführen - aber der wurde ebenfalls von einem Großteil der Bevölkerung alles andere als moralisch wahrgenommen - abgesehen davon hat er sich schon in der Spiegelaffäre nicht besonders demokratisch verhalten.

Also... wer hatte (vor allem während seiner Amtszeit) eine wirklich übergreifende moralische Autorität?

gruß
Booth
 

Woppadaq

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Richie von Weizie ! :D

(was mich ein bißchen wundert, ist , daß du von Moral sprichst, damit aber meinst, wie sie wahrgenommen wird.....was ist an Schröder unmoralisch ?)
 

Booth

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Woppadaq schrieb:
was ist an Schröder unmoralisch ?
Um aufzuzeigen, daß ein Politiker keine moralische Autorität besitzt, muss er nicht direkt unmoralisch sein. Aber um einem Land eine moralische Richtung aufzuzeigen bedarf es eines besonderen Auftretens und einer besonderen Einstellung. Und ich habe ja nicht das Wort "geistig-moralische Wende" geprägt. Von daher komme nicht ich auf das Wort, sondern gehe darauf ein.
Ich persönlich halte übrigens ein besonders moralisches Auftreten nicht notwendig für einen Bundeskanzler. Aber ich sehe die Politiker auch als keine Menschen an, die aus dem Volk herausragen - sondern als Entscheidungsträger, die ihren Job ausüben sollen, was in unserer föderalen Mediendemokratie schon ohne moralische Ansprüche schwierig genug ist.

Schröders Einstellung zu seinem Amt ist aus meiner Sicht eher so zu sehen, daß er als Flickschuster handelt und keine langfristigen innenpolitischen Konzepte hat. Das ist sicher nicht "unmoralisch", aber eine moralische Instanz ist er so sicher nicht.

Weizsäcker war sicher eher so eine Person. Aber unser Präsident ist für mich kein Politiker. Ein Politiker wirkt an Entscheidungsprozessen mit. Die Institution des deutschen Bundespräsidenten orientiert sich mehr an einen Staatsoberhauptgedanken, wie ihn eine parlamentarische Monarchie aufweist. Reine Repräsentationspflichten. Und daraus gibt es sicher auch mal moralische Hinweise. Aber von Belang für das politische Wirken ist das nicht.

gruß
Booth
 

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