Deutschland, ein gescheiterter Staat?

agentP

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Dass etwas schief läuft in der Beziehung zwischen dem Volk und seinen Parteien, ist mittlerweile häufig genug formuliert und an vielen Beispielen illustriert worden. Weit wortkarger geht es indessen zu, wenn die Debatte auf die Alternativen kommt. Mehr als die wieder und wieder repetierten Slogans "Zivilgesellschaft", "Bürgerteilhabe", "direkte Demokratie", "Volksgesetzgebung" ist nicht zu hören.

Naja, ich finde das wären schon mal recht anspruchsvolle Ansätze, wenn man denn über eine Umsetzung ernsthaft diskutieren würde (was manche ja auch tun). Insofern finde ich das -in einem sonst ganz interessanten Artikel- ein wenig seltsam, das so zu relativieren.
 

Simple Man

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Es kommt vermutlich darauf an, wie man diese Begriffe ausfüllt bzw. wie sauber man sie definiert. "Zivilgesellschaft" an sich, ist doch nur wieder ein Buzz-Word, ebenso "Bürgerteilhabe" ... solange die Befürworter da nur im Ungefähren bleiben und jeder in solche Begriffe reininterpretieren kann, wie und was er will, solange kann man da imhO schon von repetierten Slogans sprechen ... wobei das - natürlich - nicht pauschalisiert werden darf, gibt ja durchaus Menschen, die diese Begriffe auch mit Konzepten füllen ... wie durchdacht und praktikabel die dann sind, steht natürlich wieder auf einem anderen Blatt Papier ...
 

LStrike

Großmeister
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Guten Abend,

ich möchte den Thread nochmal hervorholen und folgendes Zitat nochmal aufgreifen:

Dass etwas schief läuft in der Beziehung zwischen dem Volk und seinen Parteien, ist mittlerweile häufig genug formuliert und an vielen Beispielen illustriert worden. Weit wortkarger geht es indessen zu, wenn die Debatte auf die Alternativen kommt. Mehr als die wieder und wieder repetierten Slogans "Zivilgesellschaft", "Bürgerteilhabe", "direkte Demokratie", "Volksgesetzgebung" ist nicht zu hören.

Kann mir jemand erklären was in Deutschland "in letzter Zeit" los ist.
Proteste und Demonstrationen der Bürger werden (gefühlt) konsequent Ignoriert.

Stuttgart 21: Das Volk will es nicht, und ob das Projekt aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt von Nutzen ist ist umstritten.
Warum wird es durchgezogen?

Schulreform Hamburg: Die Bürger haben in einem Volksentscheid sich gegen die Durchführung der Reform entschieden, trotzdem wird sie in Teilen umgesetzt.
Bürgerwille ignoriert?

Hamburg Stadtbahn: Ein Projekt, welches ähnlich der Elbphilharmonie Unsummen kosten wird und dessen Nutzen nicht absehbar ist. Die "alte" Stadtbahn wurde in Hamburg aufgrund weil sie nicht rentabel war eingestellt.
Hamburg hat kein Geld und warum soll es jetzt funktionieren?

Atomkraftwerke: Man möchte bei diesem Beschluss den Bundesrat umgehen und den Kraftwerkbetreibern bis zu 14 Jahre Laufzeitverlängerung gewähren, ja fast schenken. Die Brennelementabgabe ist da schon fast lächerlich zumal die Stromkonzerne diese auch noch von der Steuer abschreiben können. Es werden (schrottreife) Kraftwerke wie Krümmel wieder ans Netz gelassen. Und wohin mit dem Müll? Keiner weiß es.
Das Beste dabei ist ja, das zum Beispiel die bayrische Regierung nach Laufzeitverlängerungen schreit, aber den Müll wollen sie unter keinen Umständen in ihrem Land haben. Sehr gut Atomstrom ja, den Müll können die anderen haben. Was soll das?
 

Themis

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Dazu passend:
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat bislang geheim gehaltene Gorleben-Akten aus den siebziger und neunziger Jahren veröffentlicht. Aus ihnen geht hervor, dass geowissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle bei der Standortauswahl für ein nationales Endlager für Atommüll spielten. "Die Entscheidung für Gorleben ist willkürlich und nach einem vollkommen intransparenten Verfahren zustande gekommen", sagt Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler. "Es hat nie ein wissenschaftliches Auswahlverfahren mit dem Salzstock Gorleben als bestem Ergebnis gegeben."
[...]Eine Studie der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungs-Gesellschaft (KEWA) aus den Jahren 1974 bis 1976, die systematisch Salzstöcke untersuchen ließ und vom Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben wurde, favorisierte drei Orte in Niedersachsen: Börger im Emsland, Wesen-Lutterloh bei Celle und Ahlden bei Fallingbostel.

An den drei Standorten regte sich heftiger Widerstand, von "Verseuchung" sprach damals ein Landtagsabgeordneter aus der Region. Auch der spätere CDU-Bundesinnenminister Rudolf Seiters, gebürtiger Emsländer, wehrte sich gegen einen Standort in seiner Heimat.
link

Vermutlich ein Beispiel für Volksvertreter, die in erster Linie an ihre Wahlkreise bzw. Heimat denken.
 

Ein_Liberaler

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Stuttgart 21: Ist demokratisch beschlossen und durch alle Instanzen. Selbst wenn man dagegen ist, kann man nicht wollen, daß der Mob auf der Straße demokratische Entscheidungen umstößt.

Schulreform Hamburg: Das Volksbegehren richtete sich nur gegen Teile der Reform.

Hamburg Stadtbahn: Habe ich keine Ahnung von.

Atomkraftwerke: Von einem Geschenk kann keine Rede sein. Die Kraftwerke sind legal und zahlen Steuern. In einer Demokratie müssen nicht Erlaubnisse begründet werden, sondern Verbote. Jemandem sein gewerbe willkürlich zu verbieten, es sei denn, er entrichtet ein erhebliches Bakschisch, ist eine undemokratische, vormoderne Idee und unserer Republik unwürdig.

Von einer Umgehung des Bundesrates kann ebensowenig die Rede sein. Das GG legt die Zuständigkeiten fest, und der Bundesrat ist nicht für alles und jedes zuständig. Es gibt Gesetzgebungskompetenzen, die allein beim Bund liegen. Eine Umgehung ist gar nicht möglich, ein ohne Kompetenz erlassenes Gesetz würde für nichtig erklärt werden. Daß Zuständigkeiten umgangen werden könnten, ist eine unverschämte, demagogische Verdrehung der Tatsachen. Ich nehme der SPD nicht mehr viel übel, aber das schon.

Wären Kraftwerke schrottreif, müßten sie aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden. Das hat nicht einmal Trittin hinbekommen, so gern er es getan hätte. Die Meiler sind sicher.

Die Suche nach einem Endlager wird seit Jahren und Jahrzehnten gezielt hintertrieben. Das nützt aber nichts. Wir haben schon Atommüll, und werden nicht daran vorbeikommen, ein Endlager auszuweisen, wenn wir ihn nicht in die Nordsee kippen wollen. Wenn wir aber ein Endlager haben, ist es wurscht, ob wir die bisher angefallene Menge einlagern oder das doppelte, das dreifache oder das zehnfache.

Der Streit um das Endlager wird sicher noch sehr spaßig werden, aber er ist, da wie gesagt schon Atommüll vorhanden ist, absolut sinnlose rhetorische Selbstbefriedigung.
 

LStrike

Großmeister
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Stuttgart 21: Ist demokratisch beschlossen und durch alle Instanzen. Selbst wenn man dagegen ist, kann man nicht wollen, daß der Mob auf der Straße demokratische Entscheidungen umstößt.
Wer hat es demokratisch beschlossen?
Eine breite Schicht der Bevölkerung ist also ein Mob. Mit anderen Worten nichts wert und hat gefälligst die Klappe zu halten, wenn Wirtschaft und Politik etwas durchsetzen wollen.

Wären Kraftwerke schrottreif, müßten sie aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden. Das hat nicht einmal Trittin hinbekommen, so gern er es getan hätte. Die Meiler sind sicher.
Dann erkläre mal bitte warum Krümmel und Brunsbüttel seit nun über ein Jahr nicht mehr am Netz sind? Vielleicht weil sie momentan die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen?

Die Suche nach einem Endlager wird seit Jahren und Jahrzehnten gezielt hintertrieben. Das nützt aber nichts. Wir haben schon Atommüll, und werden nicht daran vorbeikommen, ein Endlager auszuweisen, wenn wir ihn nicht in die Nordsee kippen wollen. Wenn wir aber ein Endlager haben, ist es wurscht, ob wir die bisher angefallene Menge einlagern oder das doppelte, das dreifache oder das zehnfache.
Das glaube ich so nicht. Es sei denn die öffentlich rechtlichen TV-Sender, der Spiegel und andere Lügen durchgehend, was das Endlager betrifft.
Es wird überhaupt nicht mehr gesucht. Gorleben wurde politisch als mögliches Endlager durchgedrückt, gegen den Rat von Experten.

Der Streit um das Endlager wird sicher noch sehr spaßig werden, aber er ist, da wie gesagt schon Atommüll vorhanden ist, absolut sinnlose rhetorische Selbstbefriedigung.

Richtig, es ist schon jede Menge Müll vorhanden und man weiß nicht wohin damit.
Die Lösung: Produzieren wir noch mehr Müll und Stellen den zu dem anderen Müll.
 

Ein_Liberaler

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Die zuständigen Stellen haben das demokratisch beschlossen, schon vor vielen Jahren. Wir sind eine parlamentarische Demokratie. Man hätte ein Bürger- oder Volksbegehren dagegen anstrengen können, man hat es versäumt. Jetzt haben die Bauarbeiten begonnen.

Von der breiten Schicht der Bevölkerung sehe ich nichts, und ein paar Krawallbrüdern, die sich an Baggern festketten, darf der Rechtsstaat nicht weichen.

Weshalb Krümmel abgeschaltet ist? Wegen eines sogenannten Null-Ereignisses, das gleichwohl zur Folge hatte, daß Transformatoren ausgetauscht werden müssen.

Momentan wird natürlich nicht nach einem Endlager gesucht, die Suche hat Gabriel ja ausgesetzt und unsere unfähige Regierung ist nicht in der Lage, sie wieder aufzunehmen. Und? Trotzdem werden wir nicht darum herumkommen, ich weiß gar nicht, wie man sich das einbilden kann.
 

erik

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Na, nächstes Frühjahr sind ja Landtagswahlen in Baden-Würtemberg.

Dann werden wir ja sehen, ob das ein "Krawall-Mob" ist, der da vor dem Stuttgart 21 Projekt steht, oder ob die Meinung die da vertreten wird, möglicherweise doch so mehrheitsfähig ist, dass es für einen überraschenden Regierungswechsel reicht.
 

Ein_Liberaler

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Das kann schon sein. Und? Demokratische Beschlüsse wurden gefaßt, rechtsgültige Verträge wurden geschlossen, und jetzt werden sie umgesetzt. Aber daß auch ein Beschluß feststehen kann, der einem nicht gefällt, und daß man sich an Verträge zu halten hat, das geht ja einigen nicht in den Kopf. Wird in ihrem Sinne entschieden, ist alles gut, wird nicht in ihrem Sinne entschieden, wird mit demokratischen und undemokratischen Mitteln gekämpft, bis es paßt. Ekelhaft.
 

LStrike

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....und daß man sich an Verträge zu halten hat....

Gabe es nicht auch einen Vertrag zwischen der Bundesregierung und den Stromkonzernen, in dem beschlossen wurde, dass alle Kernkraftwerke zu Jahre X abgeschaltet werden.
Dieser Vertrag wird auch nicht beachtet und geändert.
 

Ein_Liberaler

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Ich meine eine bestimmte Sorte von Bürgern und Politikern. Das Projekt wurde 1989 vorgestellt. Wenn man damals eine Volksabstimmung durchgeführt hätte, wäre es angenommen worden, das würde aber heute niemanden daran hindern, es wieder umstoßen zu wollen. Dasselbe Spiel erleben wir mit umgekehhrten Vorzeichen bei der Münchner Olympiabewerbung, wo die Verantwortlichen einfach nicht einsehen wollen, daß die Bauern ihr Land nicht hergeben wollen. Bei mir zu Hause versucht das die CDU seit rund zehn Jahren mit einem Gewerbegebiet. Eine schallende Ohrfeige bei den Kommunalwahlen hat es ihr schon eingetragen und die Landeigentümer wollen heute so wenig verkaufen wie damals, aber die Trottel verbeißen sich in das Projekt.
 
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