Semiramis schrieb:Wissen und Glauben... was man weiß, muss man nicht glauben. In diesem Bereich kann sich Glauben breitmachen, da es nicht gelungen ist, m. W., bisher, darüber etwas zu wissen... Aber Glauben ist kein untergeordneter Partner des Wissens imho - Wissen ist die Grundlage für unsere Urteile, Glaube die Hoffnung, die Kraft, die uns in verschiedene Richungen drängt und unsere Zukunft plant.- und damit meine ich nicht "Glaube" nur im bereich der großen religiösen Konzepten, denen man sich anschließt oder nciht, sondern "Glauben" in jedem noch so einfachen Zusammenhang ("ich glaube, dass ich heute viel erreiche" etc.). Ich finde, dass Glaube etwas sehr Wichtiges und Menschliches ist: Glaube ergänzt das Wissen um den Sinn. Die Wissenschaft und all unser Bemühen um Wissen kann beschreiben, wie etwas ist, aber nicht, warum. Die Frage nach dem Leben nach dem Tod ist eng verknüpft mit der Problematik "warum muss ein Mensch sterben, warum muss ich sterben". Vielleicht wird es irgendwann gelingen, dass wir wissen, wie es weitergeht und was nach dem Tod passiert - selbst dann bleibt die Warum-Frage im Raum. Dieses Warum ist auf einer ganz anderen Ebene und vom Wissen nicht zu beantworten - das menschliche Bemühen, alles in einen größeren Sinnzusammenhang einzuordnen, das eigene Leben meinetwegen mit diesem Sinn in Beziehung zu stellen.
Als Kind, um auf eine weitere Frage von NoToM einzugehen, hat mir das religiöse Konzept sehr geholfen, dass etwas Größeres über uns ist, dass die Welt außer dem Sichtbaren auch das Heilige beinhaltet. - Bis mir irgendwann bewusst wurde, dass das scheinbare Wissen darum ein Glauben ist. Aber trotz dem halte ich das Empfinden des Heiligen für wichtig: Der Mensch besteht nicht nur aus dem Verstand, der Wissen verwaltet, sondern auch aus den Gefühlen, die bei diesem parallelen Zugang zur Welt in den Vordergrund treten und ihrerseits ihr eigenes Weltverstehen (hier müsste man vom Wort her vielleicht besser Welterfühlen sagen) haben
ich meine, daß glauben viel öfter grundlage unserer entscheidungen (gut, "urteile" im sinn der jurisdiktion sollten schon so weit wie möglich auf wissen beruhen) ist als wissen. denn entscheiden müssen wir uns ja für künftiges, und da wissen wir eben in der regel nicht (mit sicherheit), was kommt
der wesentliche unterschied zwischen glauben und wissen: wissen ist objektivierbar, glauben immer subjektiv - wenn auch ein gemeinsamer glaube sozusagen "intersubjektivierbar" ist
ohne glauben im weitesten sinn können wir nicht leben, können wir nicht entscheiden. böse wirds immer dann, wenn wir auch sachverhalte, die wir eigentlich wissen könnten, lieber per glauben "erfassen", und vor allem dann, wenn wir meinen, unser glaube müsse auch von anderen geteilt werden bzw. für sie gelten
wer meint, das gesetz der schwerkraft gelte nicht für ihn, weil er glaubt, daß er fliegen kann - der ist in erster linie dumm und in zweiter linie tot (kurz nachdem er vom dach gesprungen ist). wer meint, es müsse ein leben nach dem tod geben oder einen allumfassenden "geist", der sich in uns manifestiert, nur weil er selber das glaubt - der ist imho genauso dumm. oder sagen wir lieber anmaßend, denn es wird ihn nicht gleich das leben kosten
glauben gibt nicht der welt oder den dingen einen sinn. er gibt demjenigen einen sinn, der meint, unbedingt einen sinn zu brauchen (der nicht von ihm selbst stammt und daher als "objektiv" mißverstanden werden darf). ich hab kein problem damit, daß nichts einen übergeordneten sinn hat, bloß weil es existiert (ich lehne derart teleologisches denken ab), sondern ich selbst bestimme, ob und was für mich sinn hat
und so bestimme ich für mich selbst, daß es keinen (über den bloßen zeitvertreib hinausgehenden) sinn hat, sich über unentscheidbares wie das leben nach dem tod auf rein spekulativer basis den kopf zu zerbrechen. ich werde an ein solches glauben, sobald mir einer einen vernünftigen anlaß dazu nennt. bisher kenne ich keinen
warum ich sterben muß?
das ist einfach. weil sterben die voraussetzung für leben ist. das fängt bei der ernährung an und hört bei der überbevölkerung noch lange nicht auf. warum ich dazu noch irgendeine postmortale existenz hinzuerfinden soll, leuchtet mir nicht ein
als kind war mir das religiöse konzept von etwas "übergeordnetem" zwar geläufig und ich habs nicht mehr hinterfragt als die tatsache, daß jeden morgen die sonne aufgeht. aber geholfen hats mir nicht - wobei auch?
und sobald ich mir bewußt gemacht habe, daß es sich hier um ein redundantes denkmodell handelt, war es auch kein problem, diesen glauben abzulegen - und auch mit keinerlei verlustängsten besetzt. meine gefühle richte ich auf real existierendes. sie einem "heiligen" oder sonst was nicht greifbaren zu widmen, hielte ich für verschwendung bzw. ein phänomen wie "oversexed, but underfucked" - projektion halt, nicht mehr