Brauchen wir eine "Religion für Atheisten"?

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Alain de Botton ist der Meinung, dass nur eine religiöse Denkweise die Welt verbessern kann. Er unterbreitet den Vorschlag religiöse Traditionen, wie das mehrmals tägliche Aufsagen von Glaubensinhalten und das Feiern fest im Jahreskalender fixierter Rituale in diese neue Religion aufzunehmen. Er meint, dass damit den Bedürfnissen des Menschen nach Verbindung, Ritual und Transzendenz genüge getan wird.

Alain de Botton's neue Religion ist der Form nach eine alte Religion, diesesmal komplett ohne Gott.

Ist eine neue Religion überhaupt notig?
 

Goatboy

Erleuchteter
Registriert
18. November 2009
Beiträge
1.319
Die Rede verdient nicht einmal eine Diskussion. Sie besteht aus dahingeworfenen Behauptungen: ohne Religion gebe es keine Moral, keine Bildung, keine Kunst, Ungläubige seien grundsätzlich einsam, weil es keine anderen Gruppierungen gebe als Religionen. Von vorne bis hinten Bullshit. Mir hat ein Kommentar auf YouTube gefallen: "I don't get this. What's the point? It's like saying we need a TV-channel for NOT watching football."
 

gaia

Meister
Registriert
20. Mai 2010
Beiträge
369
Ich denke auch nicht, dass eine religiöse Weltanschauung in Verbindung mit einer "neuen Religion" die Welt verbessern kann. Eher sollte man daran arbeiten, sich ein humanistisches Menschenbild zu eigen zu machen und nicht alles mit Religion begründen. Stichwort: Gutes tun, weil Gott ( edit: oder die relgiöse Vorgabe) es möchte und sich dann als besserer Mensch fühlen....
Das heißt nicht, dass man Religion im Gegenzug verbieten sollte, eher dass ich es wesentlich wichtiger für ein friedliches miteinander finde, wenn man Religion keinen so hohen Stellenwert gibt.
Mal eben aus dem Netz gesucht....( wikipedia, um genau zu sein)
Humanismus:http://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus
Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll.
Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden.
Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln.
Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können.
Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten
Dazu brauchts weder eine Religion, noch irgendwelche Rituale :whiskey:
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Wie prophetisch die Aussage danach: "You get shot by both sides. You get shot by the hard-minded atheists and you get shot by those who truely believe!"

ohne Religion gebe es keine Moral, keine Bildung, keine Kunst, Ungläubige seien grundsätzlich einsam, weil es keine anderen Gruppierungen gebe als Religionen

Ich dachte sinnentstellende Verkürzungen sind nach deiner Meinung völlig indiskutabel? Ich stelle fest du bist in deiner Haltung sehr viel lockerer, wenn du dich des Mittels bedienst, als wenn du betroffen bist. :-D
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Ich bin ja der Meinung, dass ein guter Freundeskreis total ausreicht, um Bedürfnisse nach Verbindung, Ritual und Transzendenz zu befriedigen. Das Schöne an einem Freundeskreis ist, das er persönlicher ist. Rituale entstehen spontan und vergehen ebenso spontan wieder. Da braucht es keine Mitgliedsversammlungen, keine Abstimmungen. Gute Freunde ersparen den Seelsorger.

Ich verstehe nicht, wie Alain de Botton darauf kommt, dass eine komplette Gruppe, deren einzige Gemeinsamkeit der Nicht-Glaube an einen Gott ist, in einer quasi-religiösen Organisation vereint werden müßte. Er gibt als einen Grund an, dass Ex-Christen gerne Weihnachtslieder singen. Geht er davon aus, dass Ex-Christen kein Weihnachten feiern können?
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Genau davon sagt er ja nix. Er behauptet ja überhaupt nicht, dass ohne Religion irgendwas nicht geht, er zählt nur auf worin Religion gut ist und wie man davon profitieren könnte. Das wird zum Beispiel an der Stelle deutlich, wo er dazu kommt, dass Atheisten alleine sind und dann als Gegenbeispiel die gigantischen Umsätze der katholischen Kirche anführt. Da geht es offensichtlich nicht um eine psychische Komponente von Einsamkeit, sondern um pragmatische Organisation.

Und ja, Freunde haben Rituale, Sportvereine haben welche und eben auch Religionen, etc. Innerhalb der Gruppe erfüllen solche Rituale eine bestimmte Funktion. Er plädiert als Atheist dafür, auch für die Gruppe von Atheisten sich von den Religionen Dinge abzukucken, die geeignet sind eine gemeinsame Identität zu stiften, etc.
Da kann man Bock drauf haben oder nicht.
Ihm aber aufgrund der Rede zu unterstellen, er würde behaupten das alles gäbe es nicht ohne Religion kann ich eigentlich nur auf Böswilligkeit, mangelnde Englischkenntnisse oder (atheistisch-)fundamentalistische Beissreflexe zurückführen.
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Er spricht am Anfang seiner Rede davon, dass nur die religiöse Sichtweise den Menschen bessert. Deswegen kommt er auf die Idee, dass diejenigen, die die Religion verlassen haben, einen religiösen Rahmen bräuchten. Er meint, es bliebe einem Atheisten nur noch das Fernsehen. Früher meinten die Leute Literatur würde einen besser machen. Nachdem ich all das gehört hatte, ist in mir bereits der Widerwillen hochgekommen.

Ich habe das Video nach vier Minuten gestoppt. Von daher kann ich nicht sagen, ob de Botton geäußert hat, dass es das alles nicht ohne Religion gebe.
 

haruc

Ehrenmitglied
Registriert
16. Dezember 2002
Beiträge
2.494
Das Problem, das ich mit beiden habe, und was für mich ein wesentliches Merkmal von Religion oder Religiösität ist, ist, dass religiöse Menschen und Atheisten gleichermaßen dazu tendieren, ihre eigene Sichtweise absolut zu setzen, also jeweils alle, die nicht ihrer Meinung sind, als fehlgeleitet oder auf irgendwelchen Irrwegen befindlich zu sehen. Daher sind für mich missionierende Atheisten genau so schlimm wie missionierende Theisten. Und für mich machts auch keinen Unterschied, dass die einen daran glauben, dass es keinen Gott gibt, während die anderen Gegenteiliges glauben.

Es ist notwendig, die Mauern niederzureissen, die die religiöse Sichtweise erbaut hat, und die Menschen teilt und zwietracht sät. Imho kann nur durch die Überwindung der bestehenden Auffassung von Religion der Menschheit Besserung gebracht werden.

Dass das aus unserer Sicht durch die Ideale des Humanismus und der Aufklärung am besten gewährleistet ist, ist logisch - schließlich ist das ja der ideengeschichtliche Nährboden, aus dem sich die westliche Kultur seit 250 Jahren speist.
Das heißt aber noch lange nicht, dass das für alle Menschen notwendigerweise die ideale Lösung darstellt. Wenn die Ideen der Aufklärung wirklich für alle Menschen ideal wären, warum haben dann die religiösen Hardliner in Ägypten die Wahl gewonnen? Scheinbar sind die Werte, die wir hier so hoch halten (imho berechtigterweise), nicht für alle Erdenbewohner optimal. UNd daher kann auch damit kein Weltfrieden gestiftet werden, es sei denn, man würde alle religiösen Schranken überwinden und unumkehrbar zerschmettern. Dann würde das Erdzeitalter des Friedens anbrechen.

Dass REligionen dafür das mit abstand ungeeignetste MIttel darstellen, siet man einerseits in der Geschichte (30Jähriger Krieg, Irland), andererseits auch in der GEgenwart: Im Irak bringen sich sogar Angehörige der selben Religion um, bloß weil sie anderen Konfessionen angehören. Warum aber? Religionen stiften nach innen hin Identität und Geborgenheit. Der Preis dafür ist Abgrenzung nach außen hin. UNd da alle großen BUchreligionen für sich beanspruchen, die göttliche Offenbarung zu erkennen, und zwar exklusiv, wandelt sich diese Abgrenzung nach außen hin schnell auch in Intoleranz und MIssionierungsbestreben um. Bzw man sieht Außenstehende, also Personen, die der eigenen Gruppe nicht angehören, als Bedrohung an, die die eigene Identität und Geborgenheit zu zerstören drohen, und die deswegen neutralisiert werden müssen. (Death to all infidels - Europe is the cancer, islam is the answer, behead those who insult islam)

Und gerade deswegen ist auch die Multikulturelle Idee zum scheitern verurteilt: Sie erhält die alten Identifikaationsmuster weiterhin intakt, wodurch ein sinnvolles Zusammenagieren innerhalb einer Gesellschaft unmöglich wird. Allein der Begriff "Multikulturelle GEsellschaft" ist an sich schon absurd, weil es tatsächlich mehrere parallel nebeneinander existierende Gesellscaften gibt, deren Angehörige jeweils in der eigenen Gruppe agieren, selten aber über die Grenzen der GRuppe hinaus. In der Multk.Ges. bleibt der Identifikationsrahmen die jeweilige eigene Kulturgruppe, nicht das gemeinsame Ganze. Und daher werden dort auch die alten Mechanismen von Geborgenheit und Abgrenzung wieder wirksam.

Wir sehen: WEr behauptet, dass die Religiöse Sichtweise irgendwie dazu beitragen könne, das Zusammenleben friedlicher zu gestalten, der ist naiv oder will nicht über seinen ideologischen Tellerrand hinausblicken.

Letztendlich muss sich in jedem Einzelnen die Erkenntnis durchsetzen, dass Religion usw. eine Privatangelegnheit ist, die nur ihn selbst, nicht aber dritte was angeht. Und eine religiöse Sichtweise alleine ist kein Garant für friedliche, konstruktive Koexistenz.
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Zwischendurch mal ein Dankeschön an alle Beitragenden!


Ich sehe das wie haruc. Besser als sich voneinander abzuschotten in der Annahme den einzigen richtigen Gott anzubeten, ist es, das Verbindende zu finden. Dafür braucht es aber keine neue Religion. Es braucht auch nicht den Glauben oder Nicht-Glauben an einen Gott. Es braucht das Verständnis, das die eigenen Taten eine Wirkung nach sich ziehen und das jede/r selbst Verantwortung trägt. Wer versteht, dass sein Handeln Trennung bewirkt und sein Handeln eine Wahl ist, der kann auch verbindend wirkendes Handeln wählen.

Die Mauern, die religiöse Sichtweisen erbaut haben und zwischen die Menschen gestellt sind, sind die gleichen Mauern, die einen Menschen von sich selbst trennen. In der Erwartung von Strafe, bzw. Belohnung wendet er den Blick von seiner Wirklichkeit ab.

Ich denke allerdings, dass der Kontakt mit humanistischen Ideen mit der Zeit abfärbt, da ich der Meinung bin, dass jedem Menschen ein Streben nach Freiheit innewohnt. Die Stimme der Humanisten ist auch erst mit der Zeit stärker geworden und hat z.B. den 2ten Weltkrieg nicht verhindern können. Aber ich bin davon überzeugt, dass der Weg im Allgemeinen Richtung Freiheit weist und das jede Gegenbewegung irgendwann überwunden wird. Man muß nur den richtigen Weg erkennen.
 

haruc

Ehrenmitglied
Registriert
16. Dezember 2002
Beiträge
2.494
Telepathetic schrieb:
Ich denke allerdings, dass der Kontakt mit humanistischen Ideen mit der Zeit abfärbt, da ich der Meinung bin, dass jedem Menschen ein Streben nach Freiheit innewohnt. Die Stimme der Humanisten ist auch erst mit der Zeit stärker geworden und hat z.B. den 2ten Weltkrieg nicht verhindern können. Aber ich bin davon überzeugt, dass der Weg im Allgemeinen Richtung Freiheit weist und das jede Gegenbewegung irgendwann überwunden wird. Man muß nur den richtigen Weg erkennen.

Sehr guter Beitrag!

Das bringt mich auf eine weitere Idee.

Ich habe ja geschrieben:

Scheinbar sind die Werte, die wir hier so hoch halten (imho berechtigterweise), nicht für alle Erdenbewohner optimal. UNd daher kann auch damit kein Weltfrieden gestiftet werden, es sei denn, man würde alle religiösen Schranken überwinden und unumkehrbar zerschmettern.

Bestes Beispiel hierfür ist ja Deutschland. Deutschland in seiner Gesamtheit gehört für mich erst seit 1990 zum westlichen Kulturkreis. Selbst die Alt-BRD, die ja an den Westen angelehnt, in westliche Bündnisse usw. eingebunden war, war aus meiner Sicht noch lange nicht verwestlicht. Dazu war die Nachwirkung der Generationen von vor 1945 zu lange zu wirksam. Aber darum gehts nicht. Worum es geht ist, dass auch die Deutsche Gesellschaft nach 1945 relativ gefestigt sich auf dem Wege der Ideen der Aufklärung befindet. Übrigens nicht nur im Westen, auch im Osten. Deutschland ist ein Beispiel dafür, dass man auch aus einem eigentlich relativ unfreien System heraus diese WErte akzeptieren kann.
Dazu muss aber bemerkt werden, dass sich Deutschland als Vergleichsobjekt zu arabischen Ländern wenig eignet. Denn die (wieder)herstellung einer Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg war ja keine vollkommene Neuschaffung, sie war keine Revolution. Sie war vielmehr in vielem ein Rückgriff auf schonmal Dagewesenes. Ein großer Teil der Bevölkerung konnte die Erfahrungen der NS-Zeit gut mit den Erfahrungen aus Weimar und dem Kaiserreich vergleichen. Letztgenannte waren trotz aller Mängel keine so restriktiven Systeme und Gesellschaften, wie man das heute gerne sehen würde. Freiheitliche Ansätze und Ideen hatten trotz aller Störungen ihren festen Platz im Kaiserreich und in Weimar.

Aber zurück zum Thema: Wenn es Deutschland nach dem Umweg über das 3. Reich zurück auf den Weg der Aufklärung schaffen konnte, dann heißt das noch nicht, dass das für arabische Staaten auch gilt. Dort kennen die Menschen nämlich keinen anderen Zustand als den, in dem sie jetzt leben. Und Menschen versuchen natürlich, den gewohnten Zustand zu konservieren, wenn er nur einigermaßen erträglich ist. Erschwerend kommt in den arabischen Ländern noch die dominierende Rolle der Religion hinzu, die mit ihrer fatalistischen Ausprägung und der vertröstung auf das kommende Reich Gottes/Paradies/wasauchimmer jeglichen Ansporn zur dauerhaften Änderung in der Gegenwart im Keim erstickt. Der arabische Frühlung war zwar ein kurzes Aufmucken der Opposition, letztlendlich wurden aber überall nur die Namen der Unterdrücker ausgetauscht. Nachdem der Diktator XY weg war, hat sich das Volk in freier Wahl für ein anderes autoritäres Regime entschieden. WEil man es gewohnt ist.

Die Ideen der Aufklärung erfordern natürlich eines: Aufklärung. Und das ist nur über den Weg der humanistischen Bildung zu erreichen, nicht über Koranschulen, zu denen die Hälfte der Bevölkerung garkeinen Zugang hat. So lange sich da nichts ändert, wird es auch auf der Welt nicht zu einer Besserung kommen. Und zu erwarten, dass sich unter dem Humanismus als zentrale Idee der Welt, also mit der Herausbildung einer kosmopolitischen Weltbürgertumsidendität, alles konfliktfrei und reibungslos arrangieren lassen würde, ist etwas naiv. Aber man darf es nicht unversucht lassen.

Ich teile die optimistische Ansicht, dass sich letztendlich freiheitliche Ideen und Ideale durchsetzen werden. Aber ich sehe auch reale Gefahren: Die drohende Zensur des Internets, eine weitgehend unkritische Massenmedienlandschaft (vor allem in D), übermächtige Parteien, die zudem noch das moralische Recht gepachtet zu haben meinen.

Eine Ordnung, die wirklich auf freiheitlichen Werten beruht, wird sich nur surchsetzen können, wenn die Macht des Staates (gemeint ist: die jeweilige Macht aller Staaten) gemindert wird. Der Einfluss des Staates auf die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten muss drastisch zurückgefahren werden. Nur so kann sich der Baum der Freiheit, der auch in Deutschland noch lange nicht so stark und mächtig ist, wie er es sein sollte, mit ganzer Kraft entfalten. Der Nährboden ist in jedem rechtliebenden, nicht verblendeten Menschen vorhanden. Der Keim kann leicht gesät werden. Aber zur Entfaltung der noch zarten Pflanze bedarf es Licht und Freiraum.
Alleine die Konzeption jeder staatlichen Organisation bedingt, dass sie sich in ihrem Machtbereich ausdehnen will und muss. Daraus kann man den Akteuren noch nichtmal einen Vorwurf machen, denn es ist in der menschlichen Natur angelegt, Macht zu mehren, sobald man auch nur ansatzweise über Macht verfügt. Der Einzelne muss aber als Gegengewicht wirksam sein. Dazu bedarf es der humanistischen Bildung. Religion hemmt da nur.
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Er spricht dieses 'nur' nicht direkt aus.

Minute 2:50: "The secular world is full of holes. We have secularised badly, I would argue."
- Religion soll diese Löcher stopfen. Darum geht es in diesem Video.

In der auf diese Stelle folgende Minute erklärt er weiter, dass Bildung und Kultur als Ersatz für Religion die Menschen nicht nobler und besser gemacht hätten.

Da Alain de Botton ausschließlich die Idee ausführt, dass Religion die Menschen besser macht, während Bildung und Kultur in der Hinsicht versagt haben, ist das 'nur' impliziert.

--

Danke, haruc.

Damit ein Staat nicht zu mächtig wird, braucht es eine starke Zivilgesellschaft. Um das von Dir angesprochene Gegengewicht zu schaffen. Man könnte von der fünften Gewalt sprechen. Das Volk kontrolliert seine Regierung.

Aus meiner Erinnerung heraus würde ich sagen, dass es auch im muslimischen Raum freiheitlich denkende Menschen beiderlei Geschlechts gibt, die allerdings meistens verfolgt werden, bzw. in sehr geringer Auflage verlegt werden. Aber immerhin ein Anfang. Die ersten paar Humanisten haben ihre Schriften auch nur unter der Hand ausgetauscht und außerhalb der Öffentlichkeit diskutiert.
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
- Religion soll diese Löcher stopfen. Darum geht es in diesem Video.
Nö. Das wäre auch komisch, denn der Mann ist bekennender Atheist und er plädiert auch für Atheismus, nämlich Atheismus 2.0. Er regt nur an, dass man kucken könnte was man von der Religion klauen (und er benutzt "steal" an der Stelle) könnte, weil es sich bewährt hat und dabei klammert er vorab jeden glauben an eine höhere Macht aus.

In der auf diese Stelle folgende Minute erklärt er weiter, dass Bildung und Kultur als Ersatz für Religion die Menschen nicht nobler und besser gemacht hätten.


You know the kind of thing a commencement address is, and graduation ceremonies, those lyrical claims that education, the process of education -- particularly higher education -- will make us into nobler and better human beings. That's a lovely idea. Interesting where it came from.

Und weiter:

It's to culture that we should look for guidance, for consolation, for morality. Let's look to the plays of Shakespeare, the dialogues of Plato, the novels of Jane Austen. In there, we'll find a lot of the truths that we might previously have found in the Gospel of Saint John. Now I think that's a very beautiful idea and a very true idea. They wanted to replace scripture with culture. And that's a very plausible idea. It's also an idea that we have forgotten.[/quote]

Das ist so ungefähr das Gegenteil von "dass Bildung und Kultur als Ersatz für Religion die Menschen nicht nobler und besser gemacht hätten". Er sagt in der Folge lediglich, dass wir diesen Aspekt vergessen haben und dass wir an den Bildungsstätten lediglich Fakten, aber keine Anleitung zu moralischem Handeln mehr bekommen.

Da Alain de Botton ausschließlich die Idee ausführt, dass Religion die Menschen besser macht
Wo tut er das? Auch diese Aussage finde ich nicht. Er hebt einzelne Aspekte raus, er sagt eine Predigt dient eher als moralische Anleitung taugt, als eine Vorlesung in der nur Fakten weitergegeben werden, Katholiken sind besser organisiert als Atheisten, usw.
Aber wo behauptet er denn bitte, dass Religion per se die Menschen besser macht? Im Gegenteil, er sagt ja sogar wörtlich, dass man die Richtlinien für moralisches Handeln aus der (säkulären) Kultur ableiten kann und dafür eben nicht unbedingt Religion braucht.
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Nö. Das wäre auch komisch, denn der Mann ist bekennender Atheist und er plädiert auch für Atheismus, nämlich Atheismus 2.0. Er regt nur an, dass man kucken könnte was man von der Religion klauen (und er benutzt "steal" an der Stelle) könnte, weil es sich bewährt hat und dabei klammert er vorab jeden glauben an eine höhere Macht aus.
Ich gehe davon, dass die Einführung von religiösen Elementen eine Religion ergibt. Die Frage, die ich dabei immer noch habe, ist, wozu denn? Was hat sich denn an Religion bewährt? Ich sehe nicht, dass eine Religion plötzlich keine Religion ist, weil der Glaube an eine höhere Macht nicht enthalten ist. Der Buddhismus wird auch als Religion angesehen und beinhaltet keine höhere Macht. Der Buddhismus spricht den Intellekt an und stellt Techniken bereit, die zu Erleuchtung und zu Frieden führen sollen. Ich gehe davon aus, dass sich bereits jede/r Atheist aus dem bunten Angebot der Religionen bedient. Das Wort von der 'Patchwork-Religion' ist nicht neu. So gesehen ist die Aufweichung und Vermischung der alten Traditionen bereits voll im Gange und lediglich der Islam steht Abseits (so viel ich weiß). Deswegen: wozu eine Religion speziell für Atheisten?


In der Schule wird Religion gelehrt und später ist der Wechsel zu Ethik erlaubt. Spätestens dort kommen Schüler mit Moral in Berührung. Das Lernen von Fakten und die Anleitung zum Selberdenken ist völlig ausreichend. Es braucht keine Predigten. Zum Beispiel aus dem Fakt, dass die eigene Entscheidung zu einer Tat werden kann, die sagen wir mal verletzend wirkt, kann man sich ableiten, dass man sein Handeln abwägen sollte.
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Ich gehe davon, dass die Einführung von religiösen Elementen eine Religion ergibt.

Das sehe ich nicht. Sonst wären mit einem Schlag alle Atheisten, die an Weihnachten nicht so tun als wäre das ein normaler Tag plötzlich "religiös".
Dann wären womöglich auch die Freimaurerei oder die Burschenschaften plötzlich "Religionen", weil sie hie und da was abgekupfert haben oder der "Grosse Zapfenstreich" würde plötzlich das Militär zu einer religiösen Gemeinschaft machen. Die Ehe haben wir auch säkularisiert und beibehalten, deswegen ist doch längst nicht jeder religiös, der sich auf dem Standesamt "traut".
Deswegen führt auch der Threadtitel schon in die Irre: Weil er nämlich eine Prämisse aufstellt, die die Rede ja gar nicht hergibt. Er will ja keine Religion auf die Beine stellen, sondern bei der Religion klauen um den Atheismus gemeinschaftlicher, attraktiver und effektiver zu gestalten.

Das Wort von der 'Patchwork-Religion' ist nicht neu.
Auch die Idee die Botton da anspricht ist nicht neu. Ähnliche Ideen finden sich in der soziologischen Literatur immer wieder.
Wäre Botton geschickt, dann würde er einfach den Begriff "Religion" rauslassen und eine Ebene tiefer gehen und z.B. sagen: "Rituale haben eine Funktion, die Säkularisierung hat mit der Religion die religiösen Rituale abgschafft ohne Ersatz anzubieten, also lasst uns atheistische Rituale einführen."


Und btw.: Ich zweifle auch daran, dass das besonders sinnvoll ist, was AdB da beschreibt, denn wie goatboy auch schon angedeutet hat, kann man ja einiges von diesen Bedürfnissen auch anderweitig zusammenstückeln.
 

Telepathetic

Großmeister
Registriert
16. Oktober 2010
Beiträge
764
Du hast recht, ich hätte schreiben sollen: Ich gehe davon aus. dass die Einführung von religiösen Elementen in den Atheismus (der zwar selbst keine Religion ist, sich aber direkt auf die Religionen bezieht, die an einen Gott glauben) eine Religion ergibt. Google zeigt allerdings links auf zu Seiten, die erklären, warum der Atheismus doch eine Religion ist. Sollte der Atheismus tatsächlich eine Religion sein, dann wäre mir AdB's Vorschlag verständlicher, aber dennoch unsympathisch. Aber das ist eine rein persönliche Einstellung. Ich habe im Allgemeinen an Religion kein Interesse mehr. Nenne mich niemand religiös, nur weil ich aus der einen oder anderen Religion Ideen herausnehme. ;) Wobei mir das auch egal sein könnte, denn seit wann ist das Wort "religiöser Mensch" eigentlich ein Schimpfwort?

Im Besonderen habe ich an organisierter Religion kein Interesse mehr. Was AdB vorschlägt, führt mMn konsequent zu organisierter Religion. Wie sonst sollte ein atheistisches Kalenderjahr und dazugehörige atheistische Rituale erfunden und die Tradition gepflegt werden? Vielleicht sehe ich aber AdB's Vorschläge ungerechtfertigterweise in einer viel zu großen Dimension.

Jedenfalls ist meine Annahme, dass AdB eine organisierte Religion in's Leben rufen will der Grund, warum ich den Thread eröffnet hatte.



Der Text der Video-Beschreibung:
What aspects of religion should atheists (respectfully) adopt? Alain de Botton suggests a "religion for atheists" -- call it Atheism 2.0 -- that incorporates religious forms and traditions to satisfy our human need for connection, ritual and transcendence.
Daher stammt der Titel des Threads.

(Vllt. wäre ein Thema, ob und wenn ja inwiefern der Atheismus eine Religion ist, von Interesse?)
 

agentP

Forenlegende
Registriert
10. April 2002
Beiträge
10.115
Das Thema hatten wir schon. Leider gibt es keine einheitliche und akzeptierte Definition von Religion. Es gibt Definitionen, die kommen ganz ohne höhere Macht aus und bei anderen Definitionen ist das das entscheidende Kriterium.
Wenn ich eine besonders weiche Definition nehme, wie die von Erich Fromm:

"Religion nenne ich jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns, das dem Einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet."
http://sermons.logos.com/submission...ition-von-Religion#content=/submissions/84057

dann ist auch die "Schickeria" eine religiöse Gemeinschaft.

Dann verstehe ich aber auch nicht, wo das Problem für fundamentalistische Atheisten liegt, wenn de Botton so etwas anregt.
Spannend finde ich halt wie empört aufgeschrien wird, obwohl der Begriff eigentlich recht vage ist und man de Botton schon sehr genau zuhören muss um zu erfassen, was ER damit meint. Dogmen zum Beispiel gehören für ihn klar nicht dazu. Da her auch meine Unterstellung eines "Beissreflexes".
 

Goatboy

Erleuchteter
Registriert
18. November 2009
Beiträge
1.319
Telepathetic schrieb:
[...] Atheismus (der zwar selbst keine Religion ist, sich aber direkt auf die Religionen bezieht, die an einen Gott glauben)
Wie bitte? Diese Logik verstehe ich nicht. Das heißt ja, dass ein argentinischer Hirtenjunge, der sich nicht für theoretische Physik interessiert, sich direkt auf das Tachyonenkonzept von Jakow Petrowitsch Terlezki bezieht.
 

Angel of Seven

Ehrenmitglied
Registriert
23. Juli 2002
Beiträge
3.560
Simple Man schrieb:
:gruebel:
Worauf bezieht sich der Atheismus denn?

Wirklich köstlich, da merkt ein überzeugter Atheist das die religiösen Rituale doch nicht vollkommen sinnlos sind und will sie auch im Atheismus integrieren. Nur blöd das es ja angeblich keinen Gott gibt und diese religösen Rituale sich in der Regel genau darauf berufen. Also erfindet man einen psychologisch begründeten Pseudoquatsch um dieses logisch zu rechtfertigen. :lol:
Gab es das nicht schon in der DDR mit dieser lustigen Jugendweihe? Und Jahresendfiguren (Engel) zu Weihnachten? :lach2:
 

Ähnliche Beiträge

Oben