sillyLilly
Ehrenmitglied
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- 14. September 2002
- Beiträge
- 4.158
@all
Ich werde mich an dieser Stelle mit einem Text von Kahil Gibran aus der Diskussion ausklinken. Ich danke einigen für ihre Offenheit und anderen für das was sich mir gezeigt hat in dieser Diskussion.
Von Schuld und Sühne
Dann trat einer der Richter der Stadt vor und sagte:
Sprich uns von Schuld und Sühne.
Und er antwortete und sagte:
Wenn euer Geist mit dem Wind wandert,
Begeht ihr, allein und unbewacht, ein Unrecht an
anderen und dadurch an euch selber.
Und für dieses begangene Unrecht müßt ihr am
Tor der Seligen anklopfen und eine Weile un-
beachtet warten.
Wie der Ozean ist das Göttliche in euch;
Es bleibt ewig unbefleckt.
Und wie der Äther erhebt es nur die Beflügelten.
Wie die Sonne auch ist das Göttliche in euch;
Es kennt nicht die Gänge des Maulwurfs, noch
sucht es die Höhlen der Schlange.
Doch das Göttliche wohnt nicht allein in eurem Sein.
Vieles in euch ist noch Mensch, und vieles in euch
ist noch nicht Mensch.
Sondern ein formloser Zwerg, der im Nebel
schlafwandelt und nach seinem Erwachen sucht.
Und von dem Menschen in euch möchte ich jetzt
sprechen.
Denn er ist es und nicht das Göttliche in euch und
auch nicht der Zwerg im Nebel, der Schuld und Sühne
kennt.
Oft habe ich euch von einem, der ein Unrecht be-
geht, reden hören, als sei er nicht einer von euch, son-
dern ein Fremder und ein Eindringling in eure Welt.
Aber ich sage euch, selbst wie der Heilige und Recht-
schaffene nicht über das Höchste hinaussteigen kann,
das in jedem von euch ist,
So kann der Böse und Schwache nicht tiefer fallen als
das Niedrigste, das auch in euch ist.
Und wie ein einzelnes Blatt nicht ohne das stille
Wissen des ganzen Baumes vergilbt,
So kann auch der Übeltäter kein Unrecht tun ohne
den verborgenen Willen von euch allen.
Wie in einer Prozession geht ihr zusammen eurem
göttlichen Ich entgegen.
Ihr seid der Weg und die Reisenden.
Und wenn einer von euch fällt, fällt er für die hinter
ihm, eine Warnung vor dem Stolperstein.
Ja, und er fällt für die vor ihm, die, obgleich schneller
und sicherer im Schritt, den Stein des Anstoßes nicht
entfernten.
Und noch dies, mögen die Worte euch auch schwer
auf dem Herzen liegen:
Der Ermordete ist nicht ohne Verantwortung an sei-
ner Ermordung
Und der Beraubte nicht schuldlos an seiner Berau-
bung.
Der Rechtschaffene ist nicht unschuldig an den Taten
des Bösen,
Und der mit sauberen Händen ist nicht rein von den
Taten des Missetäters.
Ja, der Schuldige ist oft das Opfer des Geschädigten.
Und noch öfter ist der Verurteilte der Sündenbock
für den Schuldlosen und den nicht Beschuldigten.
Ihr könnt nicht den Gerechten vom Ungerechten
trennen und nicht den Guten vom Bösen;
Denn sie stehen zusammen vor dem Angesicht der
Sonne, wie der schwarze und der weiße Faden zu-
sammengewebt sind.
Und wenn der schwarze Faden reißt, wird der We-
ber das ganze Gewebe prüfen und auch den Web-
stuhl untersuchen.
Wenn einer von euch die untreue Ehefrau zur An-
klage bringt,
Soll er auch das Herz ihres Ehemannes in die Waag-
schale legen und seine Seele mit gleichem Maß mes-
sen.
Und der den Übeltäter auspeitschen will, soll den
Geist dessen erforschen, dem Übles getan wurde.
Und wenn einer von euch im Namen der Recht-
schaffenheit strafen und die Axt an den Baum des
Bösen legen möchte, soll er ihn bis zu seinen Wurzeln
prüfen;
Und wahrhaftig, er wird die Wurzeln des Guten und
Bösen finden, des Fruchtbaren und des unfruchtba-
ren, alle ineinander verflochten im stillen Herzen der
Erde.
Und ihr Richter, die ihr gerecht sein wollt,
Welches Urteil sprecht ihr über den, der zwar auf-
richtig im Fleisch, im Geist aber ein Dieb ist?
Welche Strafe verhängt ihr über den, der im Fleisch
tötet, im Geist jedoch selber getötet wird?
Und wie verfolgt ihr den, der in seinen Handlungen
ein Betrüger und Unterdrücker,
Doch auch gekränkt und verletzt ist?
Und wie werdet ihr die bestrafen, deren Reue schon
größer ist als ihre Untaten?
Ist nicht die Reue das Recht, das von dem Gesetz ge-
sprochen wird, dem ihr gern dienen würdet?
Doch ihr könnt nicht dem Unschuldigen Reue auf-
erlegen, noch sie dem Herzen des Schuldigen abneh-
men.
Unaufgefordert wird sie in der Nacht anklopfen, da-
mit die Menschen wachen und sich anschauen.
Und wie wollt ihr Gerechtigkeit verstehen, wenn ihr
nicht alle Taten im vollen Licht anschaut?
Erst dann werdet ihr wissen, daß der Aufrechte und
der Gefallene nichts als ein Mensch sind, der zwi-
schen der Nacht seines kleinlichen Ichs und dem Tag
seines göttlichen Ichs im Dämmer steht,
Und daß der Eckstein des Tempels nicht höher ist als
der niedrigste Stein in seinem Fundament.
Namaste
Lilly
Ich werde mich an dieser Stelle mit einem Text von Kahil Gibran aus der Diskussion ausklinken. Ich danke einigen für ihre Offenheit und anderen für das was sich mir gezeigt hat in dieser Diskussion.
Von Schuld und Sühne
Dann trat einer der Richter der Stadt vor und sagte:
Sprich uns von Schuld und Sühne.
Und er antwortete und sagte:
Wenn euer Geist mit dem Wind wandert,
Begeht ihr, allein und unbewacht, ein Unrecht an
anderen und dadurch an euch selber.
Und für dieses begangene Unrecht müßt ihr am
Tor der Seligen anklopfen und eine Weile un-
beachtet warten.
Wie der Ozean ist das Göttliche in euch;
Es bleibt ewig unbefleckt.
Und wie der Äther erhebt es nur die Beflügelten.
Wie die Sonne auch ist das Göttliche in euch;
Es kennt nicht die Gänge des Maulwurfs, noch
sucht es die Höhlen der Schlange.
Doch das Göttliche wohnt nicht allein in eurem Sein.
Vieles in euch ist noch Mensch, und vieles in euch
ist noch nicht Mensch.
Sondern ein formloser Zwerg, der im Nebel
schlafwandelt und nach seinem Erwachen sucht.
Und von dem Menschen in euch möchte ich jetzt
sprechen.
Denn er ist es und nicht das Göttliche in euch und
auch nicht der Zwerg im Nebel, der Schuld und Sühne
kennt.
Oft habe ich euch von einem, der ein Unrecht be-
geht, reden hören, als sei er nicht einer von euch, son-
dern ein Fremder und ein Eindringling in eure Welt.
Aber ich sage euch, selbst wie der Heilige und Recht-
schaffene nicht über das Höchste hinaussteigen kann,
das in jedem von euch ist,
So kann der Böse und Schwache nicht tiefer fallen als
das Niedrigste, das auch in euch ist.
Und wie ein einzelnes Blatt nicht ohne das stille
Wissen des ganzen Baumes vergilbt,
So kann auch der Übeltäter kein Unrecht tun ohne
den verborgenen Willen von euch allen.
Wie in einer Prozession geht ihr zusammen eurem
göttlichen Ich entgegen.
Ihr seid der Weg und die Reisenden.
Und wenn einer von euch fällt, fällt er für die hinter
ihm, eine Warnung vor dem Stolperstein.
Ja, und er fällt für die vor ihm, die, obgleich schneller
und sicherer im Schritt, den Stein des Anstoßes nicht
entfernten.
Und noch dies, mögen die Worte euch auch schwer
auf dem Herzen liegen:
Der Ermordete ist nicht ohne Verantwortung an sei-
ner Ermordung
Und der Beraubte nicht schuldlos an seiner Berau-
bung.
Der Rechtschaffene ist nicht unschuldig an den Taten
des Bösen,
Und der mit sauberen Händen ist nicht rein von den
Taten des Missetäters.
Ja, der Schuldige ist oft das Opfer des Geschädigten.
Und noch öfter ist der Verurteilte der Sündenbock
für den Schuldlosen und den nicht Beschuldigten.
Ihr könnt nicht den Gerechten vom Ungerechten
trennen und nicht den Guten vom Bösen;
Denn sie stehen zusammen vor dem Angesicht der
Sonne, wie der schwarze und der weiße Faden zu-
sammengewebt sind.
Und wenn der schwarze Faden reißt, wird der We-
ber das ganze Gewebe prüfen und auch den Web-
stuhl untersuchen.
Wenn einer von euch die untreue Ehefrau zur An-
klage bringt,
Soll er auch das Herz ihres Ehemannes in die Waag-
schale legen und seine Seele mit gleichem Maß mes-
sen.
Und der den Übeltäter auspeitschen will, soll den
Geist dessen erforschen, dem Übles getan wurde.
Und wenn einer von euch im Namen der Recht-
schaffenheit strafen und die Axt an den Baum des
Bösen legen möchte, soll er ihn bis zu seinen Wurzeln
prüfen;
Und wahrhaftig, er wird die Wurzeln des Guten und
Bösen finden, des Fruchtbaren und des unfruchtba-
ren, alle ineinander verflochten im stillen Herzen der
Erde.
Und ihr Richter, die ihr gerecht sein wollt,
Welches Urteil sprecht ihr über den, der zwar auf-
richtig im Fleisch, im Geist aber ein Dieb ist?
Welche Strafe verhängt ihr über den, der im Fleisch
tötet, im Geist jedoch selber getötet wird?
Und wie verfolgt ihr den, der in seinen Handlungen
ein Betrüger und Unterdrücker,
Doch auch gekränkt und verletzt ist?
Und wie werdet ihr die bestrafen, deren Reue schon
größer ist als ihre Untaten?
Ist nicht die Reue das Recht, das von dem Gesetz ge-
sprochen wird, dem ihr gern dienen würdet?
Doch ihr könnt nicht dem Unschuldigen Reue auf-
erlegen, noch sie dem Herzen des Schuldigen abneh-
men.
Unaufgefordert wird sie in der Nacht anklopfen, da-
mit die Menschen wachen und sich anschauen.
Und wie wollt ihr Gerechtigkeit verstehen, wenn ihr
nicht alle Taten im vollen Licht anschaut?
Erst dann werdet ihr wissen, daß der Aufrechte und
der Gefallene nichts als ein Mensch sind, der zwi-
schen der Nacht seines kleinlichen Ichs und dem Tag
seines göttlichen Ichs im Dämmer steht,
Und daß der Eckstein des Tempels nicht höher ist als
der niedrigste Stein in seinem Fundament.
Namaste
Lilly