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Die Nordwestküste Großbritanniens: Hier an der Irischen See liegt der größte zivil wie militärisch genutzte Atomkomplex Europas. Wiederaufarbeitungsanlagen, Brennelementefabrik, Atomreaktoren, Forschungseinrichtungen und das älteste und erste kommerzielle Atomkraftwerk der westlichen Welt: Calder Hall.
Doch Sellafield ist keineswegs ein Vorzeigeprojekt. Radioaktive Abwässer werden bedenkenlos in die irische See geleitet und immer wieder kommt es zu teilweise schweren und skandalösen Zwischenfällen mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt.
Allein die Wiederaufbereitungsanlage THORP leitete vor ihrer Zwangsstillegung nach Angaben der Betreiber BNFL völlig legal 27,8 Millionen Curie pro Jahr größten Teils in die irische See. Zum Vergleich: Nach Angaben der IAEO wurden bei der Tschernobyl Katastrophe 50 Millionen Curie aus dem 30 Kilometer großen Katastrophengebiet herausgetragen. Die Abfälle aus Sellafield sind jedoch noch vor Kanadas Küsten und in antarktischen Gewässern, bis in 200 Meter Tiefe, messbar. Kunden zur Wiederaufarbeitung waren neben Großbritannien: Japan, Belgien, Spanien, Italien, Schweiz, Deutschland und die Niederlande.
Zu Beginn der 80er Jahre wurde der Komplex - auf Grund seines durch diese zahlreichen Zwischenfälle geschädigten Rufes - von Windscale in Sellafield umbenannt. Diese PR-Maßnahme mag durchaus kurzfristig Wirkung in der Bevölkerung gezeigt haben - doch bald wurde auch der neue Name ein Synonym für Unverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit.
Im Oktober 1950 war der Bau an Reaktor Pile Nr. 1 abgeschlossen, im Juni 1951 ging auch der baugleiche Reaktor Pile Nr. 2 in Betrieb. Diese beiden Reaktoren produzierten pro Jahr ca. 35 kg waffentaugliches Plutonium-239, welches von September 1956 bis Mai 1961 in den Bomben für die Testreihen Buffalo, Antler und Vixen in Maralinga / Australien verwendet wurde. Das Gebiet um Maralinga wurde durch die Atomwaffentests auf Jahrtausende verseucht und unbewohnbar.
Bereits in den ersten sechs Jahren ereigneten sich in Windscale aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen mehrere Zwischenfälle in verschiedenen Bereichen, bei denen über hundert Personen teilweise schwer kontaminiert wurden. Daten über ausgetretene Strahlung und kontaminierte Stoffe existieren aus dieser Zeit nicht.
Um 1.13 Uhr Nachts wurden die Steuerstäbe in den Reaktor gefahren, um die atomare Kettenreaktion zu unterbrechen. Der Reaktor kühlte planmäßig aus und die 64 Temperaturfühler im Reaktorkern pegelten sich in den folgenden Stunden im Bereich zwischen 20 und 30 Grad Celsius ein.
Um 19.25 Uhr wurden die Steuerstäbe aus dem Reaktorkern gezogen und die Ventilatoren der Kühlung abgeschaltet. Die Neutronen konnten wieder ungehindert durch die Graphitblöcke schießen und heizten den Reaktor so wieder auf.
Robertsons Assistent, Victor Goodwin, führte im weiteren Verlauf die Prozedur durch.
Der Reaktor wurde bis auf 250 Grad aufgeheizt, dann drosselte man die atomare Kettenreaktion mittels der Steuerstäbe wieder. Durch Freisetzung der gespeicherten Wigner-Energie sollte die Temperatur des Graphitkerns dann weiter bis zur regulären Spitzentemperatur von 330 Grad klettern. Doch die Temperatur verharrte am Morgen des 8. Oktober weit unterhalb der 330 Grad.
Die Temperatur wurde von 64 Temperaturfühlern, welche dicht unter der meterdicken Beton-Außenhaut saßen, gemessen. Das erwies sich nun als folgenschwerer Konstruktionsfehler: Ein solches Manöver - einer Wigner-Entladung entsprechend - war natürlich bei der Konstruktion nicht berücksichtigt worden, denn die Instrumente waren nur auf die Überwachung des Normalbetriebes ausgelegt. Als die Instrumente noch niedrige 250 Grad anzeigten, wurden an den Brennelementen im Inneren schon fast 400 Grad erreicht.
Um 10.30 Uhr bemerkte Goodwin, dass 11 der 64 Fühler sogar fallende Werte anzeigten und heizte den Reaktor darauf hin weiter an. Warum er aber ignorierte, dass 18 Temperaturfühler steigende Werte meldeten, ist unklar. Entweder dachte er, das diese Fühler defekt waren oder er stand unter Druck und ging das Risiko ein, um die wichtige Plutoniumproduktion nicht unnötig zu verzögern. Victor Goodwin war in der Messwarte jedenfalls sehr erfahren und so ein Temperaturgefälle war alles andere als normal.
Um 11.05 Uhr wurde in der Messwarte dann ein einzelner, heftiger Temperatursprung um 8o Grad an einem Messpunkt bemerkt. Vermutlich entzündete sich zu diesem Zeitpunkt ein Feuer im Reaktor. Nachdem die anderen Fühler die gewünschte Spitzentemperatur erreicht hatten, wurde der Reaktor dann während des 9. Oktobers wieder heruntergefahren um danach gekühlt den geregelten Betrieb der Plutoniumproduktion wieder auf zu nehmen.
Die Temperatur in einem Bereich des Kerns stieg jedoch auch, nachdem die Ventilatoren des Kühlsystems wieder liefen.
Am Morgen des 10. Oktober um 5.40 Uhr registrierten die Messgeräte in den Filtern des 150 m hohen Schornsteins der Anlage steigende Radioaktivität. Schnell kletterte der Wert auf mehr als 30 Curie.
Gegen Mittag schlugen auch Meßgeräte in der Umgebung des Fabrikgeländes an. Luftproben ergaben, dass die normalen Werte um das Zehnfache überschritten wurden.
Warnungen an die Bevölkerung wurden nicht ausgerufen. Lediglich die Familie von Tom Tuohy - dem Vizechef der Plutoniumfabrik, welcher unweit entfernt wohnte - wurde angewiesen, Fenster und Türen geschlossen zu halten und das Haus unter keinen Umständen zu verlassen.
In der Messwarte von Windscale vermutete man einen geborstenen Brennstab, jedoch war das Messgerät, welches diese Vermutung bestätigen konnte, durch das Feuer schon zerstört worden.
Am Rand des Brennelementekanals Nummer 20/53 herrschte bereits eine Temperatur von 450 Grad Celsius, die Temperatur der im Kanal befindlichen Brennelemente lag weit über 600 Grad Celsius.
Also öffneten zwei Mitarbeiter in Strahlenschutzanzügen einen Verschlußstopfen, um in das Reaktorinnere sehen zu können. Die Vermutung war richtig: Ein Brennstab war geborsten. Aber das Uran hatte oxidiert, wobei soviel Hitze frei wurde, dass das Graphit des Kerns in Brand geriet. Der Reaktorkern war rot glühend.
Es musste verhindert werden, dass sich das Feuer weiter durch den Reaktor frisst. Doch ließe man die Ventilatoren weiter laufen um den Reaktor zu kühlen, dann würde der Sauerstoff den Graphitbrand weiter anfachen. Würden die Ventilatorklappen geschlossen, könnten 2000 Tonnen Graphit und 72.324 Brennelemente in Flammen aufgehen.
Der Versuch der Werksfeuerwehr, den Brand mit bereitstehenden 25 t flüssigem Kohlendioxid zu löschen, schlug fehl. Das Gas zeigte keinerlei Wirkung.
Um 20:30 Uhr wird durch Inspektionsluken im Dach des Reaktorkerns beobachtet, dass blaue Flammen aus dem Kern lodern.
Am 11. Oktober um 1.38 Uhr wurde eine Temperatur von 1300 Grad im Brennelementkanal 20/53 gemessen. Aus dem Kamin des Reaktorgebäudes stieg schon den ganzen Tag von den Staubfilter ungehindert gasförmiges radioaktives Jod 131, Plutonium, Cäsium und Strontium auf.
Die umliegende Bevölkerung wurde jedoch immer noch nicht informiert. Innerhalb der Anlage rief man allerdings den Notstand aus: Niemand durfte die Gebäude verlassen, Türen und Fenster waren geschlossen zu halten.
Der Wind wehte zum Glück mit 2 bis 3 Stärken aus Nordnordwest und trieb die radioaktive Wolke auf die Irische See hinaus. Doch das konnte sich sehr schnell ändern und dann würden weite Teile des umliegenden Landes verseucht.
Es gab nun für die Verantwortlichen in Windscale nur noch eine Möglichkeit, gegen das Feuer vorzugehen - doch diese war riskant. Man beschloss, Wasser in den Reaktor zu pumpen. Die Gefahr dabei war, dass Wasser - wenn es auf das geschmolzene und brennende Uran, den anderen Metallen und das Graphit treffen würde - zu Wasserstoff und Ethin reagieren könnte. Dieses Gemisch würde mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit eine gewaltige Explosion auslösen. Die Folgen dieser Reaktion wären verheerend: Durch die in die Atmosphäre geschleuderten und hoch radioaktiv verseuchten Materialien würde die gesamte westenglische Küste massiv radioaktiv verseucht werden. Die Britischen Inseln, das europäische Festland und unter Umständen sogar Teile der USA wären verstrahlt worden.
Freitag, 11. Oktober 1957 - 8.55 Uhr: 3600 Liter Wasser pro Minute wurden in den Reaktorkern gepumpt. Doch es gab weder eine Explosion noch eine Wirkung auf das Feuer. Als man feststellte, dass das Wasser durch die Kanäle im Reaktorkern am eigentlichen Brandherd vorbei schoss, verringerte man den Wasserdruck.
Nun konnte das Wasser seinen Weg zum Brandherd finden. Zehntausende Liter verdampfendes Wasser setzten in einer riesige Dampfwolke weitere Mengen an Radioaktivität frei. Jetzt sahen auch die Menschen der Umgebung, dass in der Atomfabrik scheinbar etwas nicht stimmte. Doch sie wurden immer noch nicht gewarnt und gingen in einer radioaktiven Wolke wie jeden Tag ihren Tätigkeiten nach - von der Familie Tuohy einmal abgesehen.
Das Wasser dämmte das Feuer zwar ein, konnte es jedoch nicht löschen. Erst als man um 10.10 Uhr die Luftzufuhr stoppte, indem man die Ventilatoren des Kühlsystems abschaltete, erlosch das Feuer nach drei Tagen allmählich. Um 15.10 Uhr konnten die Löscharbeiten beendet werden. Ca 9.000 m³ Löschwasser bildeten einen radioaktiver See um den Reaktorkomplex. Die Menge an Wasser entspräche dem Tagesbedarf von ungefähr 25 000 Haushalten je Tag.
Erst am folgenden Tag wurde die Bevölkerung über die Katastrophe informiert und es wurde mit Jod 131 verseuchte Milch von den umliegenden Bauernhöfen eingesammelt und vernichtet.
Am 12. Oktober sammelt man dann auf einem 500 km² großen Gebiet, in dem 3.700 Bq Strahlung überschritten wurde, die Milch zur Vernichtung ein. Zwar wurde auch ausserhalb dieses Gebietes eine extrem hohe Belastung der Milch mit Jod 131 festgestellt, doch man wollte die Bevölkerung nicht "unnötig" beunruhigen. Die Unterlagen über den Vorfall blieben unter Verschluss. Insgesamt wurden ca. 2 Millionen Liter mit Jod 131 verseuchte Milch in Flüsse oder in das Meer verklappt.
Die bei dem Brand freigesetzte Wolke zog indes über Großbritannien hinweg und gelangte von dort aus auch auf das europäische Festland bis über die Schweiz.
Bei der Katastrophe von Windscale wurden schätzungsweise feigesetzt:
Strontium 90: 200 GBq
Polonium 210: 1.4 TBq
Cäsium 137: 20-45 TBq
Tellur 132: 450-600 TBq
Jod 131: 600-1000 TBq
Offiziell beziffert man die Anzahl der Menschen, die in Folge der durch den Brand ausgetretenen Strahlung gestorben sind, auf 100 Personen. Doch es ist Jahre später fast unmöglich nachzuweisen, dass eine Erkrankung auf die Folgen dieser Katastrophe zurück zu führen ist. Experten gehen dagegen eher von mindestens 1000 Toten im direkten Zusammenhang mit dem Unglück aus.
Die IAEA stuft diese Katastrophe auf der INES-Skala mit 5 (ernster Unfall) ein.
Der Reaktor Pile 1 wird versiegelt und die nähere Umgebung bestmöglich dekontaminiert. Auch Reaktor Pile 2 wurde kurze Zeit später aus Sicherheitsgründen still gelegt. Der derzeit erfolgende Abbau und das Einlagern der Reaktoren und ihrer zugehörigen Anlagen wird mindestens bis zum Jahr 2012 andauern.
Auch aus den folgenden Jahren sind viele Zwischenfälle bekannt, bei denen Radioaktivität freigesetzt wurde und auch Menschen zu Schaden kamen.
INES-Skala mit 3 (Ernster Störfall) ein. Doch bereits Ende 2006 / Anfang 2007 könnte der Betrieb wieder aufgenommen werden.......
Anstelle von Sicherheit investiert man lieber in die Manipulation. Seit den Neunzigern wurde eine Art "Atomwunderland" , Visitors Centre genannt, in der Umgebung ausgebaut. Dort können sich Besucher, Schulklassen oder Jugendgruppen über die Notwendigkeit und Harmlosigkeit der Atomkraft informieren, die Schäden in der Umwelt klein rechnen und die Zwischenfälle in der Anlage von Sellafield vorenthalten lassen. Sehr günstig werden dort auch organisierte Feiern für Kindergeburtstage angeboten. Strahlende Kindergesichter liegen der BNFL scheinbar am Herzen.
Eine Untersuchung stellt bereits 1984 fest, dass in Sellafield zehnmal mehr Leukämiefälle auftreten als im Landesdurchschnitt.
"Wir haben alles im Griff, es bestand zu keiner Zeit Gefahr...."
Doch Sellafield ist keineswegs ein Vorzeigeprojekt. Radioaktive Abwässer werden bedenkenlos in die irische See geleitet und immer wieder kommt es zu teilweise schweren und skandalösen Zwischenfällen mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt.
Allein die Wiederaufbereitungsanlage THORP leitete vor ihrer Zwangsstillegung nach Angaben der Betreiber BNFL völlig legal 27,8 Millionen Curie pro Jahr größten Teils in die irische See. Zum Vergleich: Nach Angaben der IAEO wurden bei der Tschernobyl Katastrophe 50 Millionen Curie aus dem 30 Kilometer großen Katastrophengebiet herausgetragen. Die Abfälle aus Sellafield sind jedoch noch vor Kanadas Küsten und in antarktischen Gewässern, bis in 200 Meter Tiefe, messbar. Kunden zur Wiederaufarbeitung waren neben Großbritannien: Japan, Belgien, Spanien, Italien, Schweiz, Deutschland und die Niederlande.
Zu Beginn der 80er Jahre wurde der Komplex - auf Grund seines durch diese zahlreichen Zwischenfälle geschädigten Rufes - von Windscale in Sellafield umbenannt. Diese PR-Maßnahme mag durchaus kurzfristig Wirkung in der Bevölkerung gezeigt haben - doch bald wurde auch der neue Name ein Synonym für Unverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit.
Zur Geschichte des Standortes: Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde sehr schnell deutlich, dass Großbritannien - wollte es seinen Status als Großmacht nicht verlieren - schnellstmöglich eine eigene Atombombe entwickeln musste. Man begann im Herbst 1947 eiligst nahe der Ortschaft Windscale mit der Errichtung von Produktionsanlagen und Reaktoren, um das britische Atombombenprogramm mit Plutonium zu versorgen. Die Reaktoren wurden einzig zu diesem Zweck konstruiert. Um das Plutonium zu extrahieren wurde auch die erste Wiederaufbereitungsanlage (B204) errichtet.Im Oktober 1950 war der Bau an Reaktor Pile Nr. 1 abgeschlossen, im Juni 1951 ging auch der baugleiche Reaktor Pile Nr. 2 in Betrieb. Diese beiden Reaktoren produzierten pro Jahr ca. 35 kg waffentaugliches Plutonium-239, welches von September 1956 bis Mai 1961 in den Bomben für die Testreihen Buffalo, Antler und Vixen in Maralinga / Australien verwendet wurde. Das Gebiet um Maralinga wurde durch die Atomwaffentests auf Jahrtausende verseucht und unbewohnbar.
Bereits in den ersten sechs Jahren ereigneten sich in Windscale aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen mehrere Zwischenfälle in verschiedenen Bereichen, bei denen über hundert Personen teilweise schwer kontaminiert wurden. Daten über ausgetretene Strahlung und kontaminierte Stoffe existieren aus dieser Zeit nicht.
Man hatte diesmal länger als üblich mit der Abführung der Wigner-Energie gewartet. Drei Tage sollte diese Prozedur planmäßig dauern. Dazu mußte der Reaktor runter gefahren und die Plutoniumproduktion unterbrochen werden. Seit Inbetriebnahme im Jahre 1950 wurde diese Prozedur bereits achtmal erfolgreich durchgeführt worden und war galt als Routinevorgang. Man musste dabei nur aufpassen, das die Brennelemente beim Hochkochen der Anlage nicht zu heiß werden und Feuer fingen.Um 1.13 Uhr Nachts wurden die Steuerstäbe in den Reaktor gefahren, um die atomare Kettenreaktion zu unterbrechen. Der Reaktor kühlte planmäßig aus und die 64 Temperaturfühler im Reaktorkern pegelten sich in den folgenden Stunden im Bereich zwischen 20 und 30 Grad Celsius ein.
Um 19.25 Uhr wurden die Steuerstäbe aus dem Reaktorkern gezogen und die Ventilatoren der Kühlung abgeschaltet. Die Neutronen konnten wieder ungehindert durch die Graphitblöcke schießen und heizten den Reaktor so wieder auf.
Robertsons Assistent, Victor Goodwin, führte im weiteren Verlauf die Prozedur durch.
Der Reaktor wurde bis auf 250 Grad aufgeheizt, dann drosselte man die atomare Kettenreaktion mittels der Steuerstäbe wieder. Durch Freisetzung der gespeicherten Wigner-Energie sollte die Temperatur des Graphitkerns dann weiter bis zur regulären Spitzentemperatur von 330 Grad klettern. Doch die Temperatur verharrte am Morgen des 8. Oktober weit unterhalb der 330 Grad.
Die Temperatur wurde von 64 Temperaturfühlern, welche dicht unter der meterdicken Beton-Außenhaut saßen, gemessen. Das erwies sich nun als folgenschwerer Konstruktionsfehler: Ein solches Manöver - einer Wigner-Entladung entsprechend - war natürlich bei der Konstruktion nicht berücksichtigt worden, denn die Instrumente waren nur auf die Überwachung des Normalbetriebes ausgelegt. Als die Instrumente noch niedrige 250 Grad anzeigten, wurden an den Brennelementen im Inneren schon fast 400 Grad erreicht.
Um 10.30 Uhr bemerkte Goodwin, dass 11 der 64 Fühler sogar fallende Werte anzeigten und heizte den Reaktor darauf hin weiter an. Warum er aber ignorierte, dass 18 Temperaturfühler steigende Werte meldeten, ist unklar. Entweder dachte er, das diese Fühler defekt waren oder er stand unter Druck und ging das Risiko ein, um die wichtige Plutoniumproduktion nicht unnötig zu verzögern. Victor Goodwin war in der Messwarte jedenfalls sehr erfahren und so ein Temperaturgefälle war alles andere als normal.
Um 11.05 Uhr wurde in der Messwarte dann ein einzelner, heftiger Temperatursprung um 8o Grad an einem Messpunkt bemerkt. Vermutlich entzündete sich zu diesem Zeitpunkt ein Feuer im Reaktor. Nachdem die anderen Fühler die gewünschte Spitzentemperatur erreicht hatten, wurde der Reaktor dann während des 9. Oktobers wieder heruntergefahren um danach gekühlt den geregelten Betrieb der Plutoniumproduktion wieder auf zu nehmen.
Die Temperatur in einem Bereich des Kerns stieg jedoch auch, nachdem die Ventilatoren des Kühlsystems wieder liefen.
Am Morgen des 10. Oktober um 5.40 Uhr registrierten die Messgeräte in den Filtern des 150 m hohen Schornsteins der Anlage steigende Radioaktivität. Schnell kletterte der Wert auf mehr als 30 Curie.
Gegen Mittag schlugen auch Meßgeräte in der Umgebung des Fabrikgeländes an. Luftproben ergaben, dass die normalen Werte um das Zehnfache überschritten wurden.
Warnungen an die Bevölkerung wurden nicht ausgerufen. Lediglich die Familie von Tom Tuohy - dem Vizechef der Plutoniumfabrik, welcher unweit entfernt wohnte - wurde angewiesen, Fenster und Türen geschlossen zu halten und das Haus unter keinen Umständen zu verlassen.
In der Messwarte von Windscale vermutete man einen geborstenen Brennstab, jedoch war das Messgerät, welches diese Vermutung bestätigen konnte, durch das Feuer schon zerstört worden.
Am Rand des Brennelementekanals Nummer 20/53 herrschte bereits eine Temperatur von 450 Grad Celsius, die Temperatur der im Kanal befindlichen Brennelemente lag weit über 600 Grad Celsius.
Also öffneten zwei Mitarbeiter in Strahlenschutzanzügen einen Verschlußstopfen, um in das Reaktorinnere sehen zu können. Die Vermutung war richtig: Ein Brennstab war geborsten. Aber das Uran hatte oxidiert, wobei soviel Hitze frei wurde, dass das Graphit des Kerns in Brand geriet. Der Reaktorkern war rot glühend.
Es musste verhindert werden, dass sich das Feuer weiter durch den Reaktor frisst. Doch ließe man die Ventilatoren weiter laufen um den Reaktor zu kühlen, dann würde der Sauerstoff den Graphitbrand weiter anfachen. Würden die Ventilatorklappen geschlossen, könnten 2000 Tonnen Graphit und 72.324 Brennelemente in Flammen aufgehen.
Der Versuch der Werksfeuerwehr, den Brand mit bereitstehenden 25 t flüssigem Kohlendioxid zu löschen, schlug fehl. Das Gas zeigte keinerlei Wirkung.
Um 20:30 Uhr wird durch Inspektionsluken im Dach des Reaktorkerns beobachtet, dass blaue Flammen aus dem Kern lodern.
Am 11. Oktober um 1.38 Uhr wurde eine Temperatur von 1300 Grad im Brennelementkanal 20/53 gemessen. Aus dem Kamin des Reaktorgebäudes stieg schon den ganzen Tag von den Staubfilter ungehindert gasförmiges radioaktives Jod 131, Plutonium, Cäsium und Strontium auf.
Die umliegende Bevölkerung wurde jedoch immer noch nicht informiert. Innerhalb der Anlage rief man allerdings den Notstand aus: Niemand durfte die Gebäude verlassen, Türen und Fenster waren geschlossen zu halten.
Der Wind wehte zum Glück mit 2 bis 3 Stärken aus Nordnordwest und trieb die radioaktive Wolke auf die Irische See hinaus. Doch das konnte sich sehr schnell ändern und dann würden weite Teile des umliegenden Landes verseucht.
Es gab nun für die Verantwortlichen in Windscale nur noch eine Möglichkeit, gegen das Feuer vorzugehen - doch diese war riskant. Man beschloss, Wasser in den Reaktor zu pumpen. Die Gefahr dabei war, dass Wasser - wenn es auf das geschmolzene und brennende Uran, den anderen Metallen und das Graphit treffen würde - zu Wasserstoff und Ethin reagieren könnte. Dieses Gemisch würde mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit eine gewaltige Explosion auslösen. Die Folgen dieser Reaktion wären verheerend: Durch die in die Atmosphäre geschleuderten und hoch radioaktiv verseuchten Materialien würde die gesamte westenglische Küste massiv radioaktiv verseucht werden. Die Britischen Inseln, das europäische Festland und unter Umständen sogar Teile der USA wären verstrahlt worden.
Freitag, 11. Oktober 1957 - 8.55 Uhr: 3600 Liter Wasser pro Minute wurden in den Reaktorkern gepumpt. Doch es gab weder eine Explosion noch eine Wirkung auf das Feuer. Als man feststellte, dass das Wasser durch die Kanäle im Reaktorkern am eigentlichen Brandherd vorbei schoss, verringerte man den Wasserdruck.
Nun konnte das Wasser seinen Weg zum Brandherd finden. Zehntausende Liter verdampfendes Wasser setzten in einer riesige Dampfwolke weitere Mengen an Radioaktivität frei. Jetzt sahen auch die Menschen der Umgebung, dass in der Atomfabrik scheinbar etwas nicht stimmte. Doch sie wurden immer noch nicht gewarnt und gingen in einer radioaktiven Wolke wie jeden Tag ihren Tätigkeiten nach - von der Familie Tuohy einmal abgesehen.
Das Wasser dämmte das Feuer zwar ein, konnte es jedoch nicht löschen. Erst als man um 10.10 Uhr die Luftzufuhr stoppte, indem man die Ventilatoren des Kühlsystems abschaltete, erlosch das Feuer nach drei Tagen allmählich. Um 15.10 Uhr konnten die Löscharbeiten beendet werden. Ca 9.000 m³ Löschwasser bildeten einen radioaktiver See um den Reaktorkomplex. Die Menge an Wasser entspräche dem Tagesbedarf von ungefähr 25 000 Haushalten je Tag.
Erst am folgenden Tag wurde die Bevölkerung über die Katastrophe informiert und es wurde mit Jod 131 verseuchte Milch von den umliegenden Bauernhöfen eingesammelt und vernichtet.
Am 12. Oktober sammelt man dann auf einem 500 km² großen Gebiet, in dem 3.700 Bq Strahlung überschritten wurde, die Milch zur Vernichtung ein. Zwar wurde auch ausserhalb dieses Gebietes eine extrem hohe Belastung der Milch mit Jod 131 festgestellt, doch man wollte die Bevölkerung nicht "unnötig" beunruhigen. Die Unterlagen über den Vorfall blieben unter Verschluss. Insgesamt wurden ca. 2 Millionen Liter mit Jod 131 verseuchte Milch in Flüsse oder in das Meer verklappt.
Die bei dem Brand freigesetzte Wolke zog indes über Großbritannien hinweg und gelangte von dort aus auch auf das europäische Festland bis über die Schweiz.
Bei der Katastrophe von Windscale wurden schätzungsweise feigesetzt:
Strontium 90: 200 GBq
Polonium 210: 1.4 TBq
Cäsium 137: 20-45 TBq
Tellur 132: 450-600 TBq
Jod 131: 600-1000 TBq
Offiziell beziffert man die Anzahl der Menschen, die in Folge der durch den Brand ausgetretenen Strahlung gestorben sind, auf 100 Personen. Doch es ist Jahre später fast unmöglich nachzuweisen, dass eine Erkrankung auf die Folgen dieser Katastrophe zurück zu führen ist. Experten gehen dagegen eher von mindestens 1000 Toten im direkten Zusammenhang mit dem Unglück aus.
Die IAEA stuft diese Katastrophe auf der INES-Skala mit 5 (ernster Unfall) ein.
Der Reaktor Pile 1 wird versiegelt und die nähere Umgebung bestmöglich dekontaminiert. Auch Reaktor Pile 2 wurde kurze Zeit später aus Sicherheitsgründen still gelegt. Der derzeit erfolgende Abbau und das Einlagern der Reaktoren und ihrer zugehörigen Anlagen wird mindestens bis zum Jahr 2012 andauern.
Auch aus den folgenden Jahren sind viele Zwischenfälle bekannt, bei denen Radioaktivität freigesetzt wurde und auch Menschen zu Schaden kamen.
INES-Skala mit 3 (Ernster Störfall) ein. Doch bereits Ende 2006 / Anfang 2007 könnte der Betrieb wieder aufgenommen werden.......
Anstelle von Sicherheit investiert man lieber in die Manipulation. Seit den Neunzigern wurde eine Art "Atomwunderland" , Visitors Centre genannt, in der Umgebung ausgebaut. Dort können sich Besucher, Schulklassen oder Jugendgruppen über die Notwendigkeit und Harmlosigkeit der Atomkraft informieren, die Schäden in der Umwelt klein rechnen und die Zwischenfälle in der Anlage von Sellafield vorenthalten lassen. Sehr günstig werden dort auch organisierte Feiern für Kindergeburtstage angeboten. Strahlende Kindergesichter liegen der BNFL scheinbar am Herzen.
Eine Untersuchung stellt bereits 1984 fest, dass in Sellafield zehnmal mehr Leukämiefälle auftreten als im Landesdurchschnitt.
"Wir haben alles im Griff, es bestand zu keiner Zeit Gefahr...."