Willensfreiheit und der Begriff der Person (H.G. Frankfurt)

Aphorismus

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An dieser Stelle möchte ich kurz Harry G. Frankfurts Überlegungen zum Begriff der Person und dem Themenkomplex Willensfreiheit zusammenfassen. Dabei werde ich mich darauf beschränken diese so wiederzugeben, wie sie in Frankfurts Freedom of the Will and the Concept of a Person zum Ausdruck kommen und die leichten Modifikationen dieser Theorie, die er in anderen Aufsätzen wie Autonomy, Necesity and Love oder The Faintest Passion vornimmt, zunächst vernachlässigen.

Einleitend unterscheidet Frankfurt zwischen verschiedenen Arten von Wünschen bzw. 'Volitionen':
  • Wünsche erster Ordnung
  • Wünsche zweiter Ordnung
  • Volitionen zweiter Ordnung

Wünsche erster Ordnung beziehen sich unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten. So kann ich zum Beispiel den Wunsch haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.

Wünsche zweiter Ordnung beziehen sich nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten, sondern selber auf Wünsche. Beispielsweise kann ich mir wünschen nicht den Wunsch zu haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.

Der Unterschied ist also schlichtweg der, dass Wünsche erster Ordnung sich auf ein bestimmtes Verhalten beziehen, während Wünsche zweiter Ordnung selbst Wünsche zum Inhalt haben.

Bevor eine Definition von Volitionen zweiter Ordnung eingeführt werden kann, muss eine Unterscheidung, die Frankfurt macht, erläutert werden: der Unterschied zwischen handlungswirksamen, oder effektiven Wünschen erster Ordnung und solchen, die nicht handlungswirksam oder effektiv sind.

Ein Wunsch erster Ordnung ist genau dann handlungswirksam, wenn er tatsächlich zu einem bestimmten Verhalten führt. Es ist ja oft so, dass man gleichzeitig mehrere Wünsche hat, zum Beispiel den auf's Klo zu gehen und den Wunsch zu rauchen. Beides sind Wünsche erster Ordnung, da sie sich auf ein ganz bestimmtes Verhalten beziehen. Allerdings ist auch klar, dass oftmals nur einer von beiden Wünschen umsetzbar ist, da man bestimmte Dinge nicht gleichzeitig tun kann.

Man kann natürlich gleichzeitig rauchen und auf's Klo gehen, oder auf's Klo gehen und dort rauchen, aber gehen wir mal davon aus, dass es sich um ein Nichtraucher-Klo handelt und nur einer von beiden Wünschen realisierbar ist. Dann ist klar, dass wir uns nur auf eine bestimmte Art und Weise verhalten können: Wir können entweder rauchen oder auf's Klo gehen.

Es stehen sich zwei Wünsche erster Ordnung gegenüber:
  1. Wunsch A: Ich will auf's Klo gehen.
  2. Wunsch B: Ich will rauchen.

Entscheidet man sich dafür auf's Klo zu gehen und das Rauchen etwas zu verschieben, so ist der erste Wunsch handlungswirksam geworden; entscheidet man sich jedoch dafür, erst nach dem Rauchen die Toilette aufzusuchen, so ist der zweite Wunsch handlungswirksam geworden.

Kehren wir zurück zu unserer ersten Unterscheidung und dem bis dato noch undefinierten Begriff der Volition zweiter Ordnung. Ähnlich wie bei den Wünschen zweiter Ordnung bezieht sich auch die Volition zweiter Ordnung nicht auf ein bestimmtes Verhalten sondern auf einen Wunsch.

Das Prägnante ist hierbei jedoch, dass sich die Volition zweiter Ordnung nur auf Wünsche bezieht, bei denen man die Absicht hat, dass dieser Wunsch handlungswirksam werde. Nehmen wir wieder ein Beispiel zur Veranschaulichung:

Ich kann gleichzeitig den Wunsch erster Ordnung haben zu rauchen und mir wünschen, den Wunsch zu rauchen nicht zu haben. Die Frage ob es sich dabei um einen Wunsch oder eine Volition zweiter Ordnung handelt hängt davon ab, ob es mein Wunsch ist, dass sich der Wunsch zweiter Ordnung, dass ich mir nicht wünsche zu rauchen, auch tatsächlich durchsetzt oder nicht.

Das klingt vielleicht etwas verwirrend und kompliziert, lässt sich aber leicht nachvollziehen, wenn man sich folgenden Unterschied vor Augen führt: Jemand verspürt das Verlangen nach einer Zigarette und denkt sich gleichzeitig - etwa aus Ärger darüber, dass Zigaretten teurer geworden sind - dass es doch eigentlich besser wäre, nicht zu rauchen. Er hat also einmal den Wunsch erster Ordnung zu rauchen und andererseits den Wunsch zweiter Ordnung nicht immer rauchen zu wollen.

Jemand anderes wiederum verspürt ebenfalls das Verlangen nach einer Zigarette und hat ebenfalls den Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer den Wunsch nach dem Rauchen zu verspüren, aber kommt gerade vom Arzt, der bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert hat. Nehmen wir an, dass diese Person aus tiefster Seele wünscht, nicht mehr den Wunsch nach Zigaretten zu haben. Anders als im ersten Beispiel ist es dieser Person wirklich ernst und er möchte, dass sein Wunsch nicht mehr rauchen zu wollen handlungswirksam werde.

Nun soll dadurch keineswegs der Eindruck entstehen, dass es von den äußeren Umständen abhängen würde, wann jemand etwas wirklich will und wann nicht - Geiz kann ebenso dazu führen, dass jemand möchte, dass der Wunsch nicht mehr Rauchen zu wollen handlungswirksam werde, wie die Krebs-Diagnose bei dem anderen und andersherum.

Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass in einem der beiden Fälle jemand möchte, dass sich ein bestimmter Wunsch gegenüber den anderen Wünschen tatsächlich durchsetzt, während der andere zwar auch die entgegen gesetzten Wünsche zu rauchen und nicht rauchen zu wollen hat, aber sich nicht wirklich entscheidet, welcher dieser beiden Wünsche sich tatsächlich durchsetzen soll.

Nur Wünsche zweiter Ordnung, von denen jemand sich wünscht, dass die Wünsche erster Ordnung, auf die sie sich beziehen, tatsächlich handlungswirksam werden, nennt Frankfurt Volitionen zweiter Ordnung. Und ebendiese Volitionen zweiter Ordnung sind dieser Theorie folgend das, was in der Summe den Willen bildet.

Hier wird bereits deutlich, dass die Fähigkeit sich auf Wünsche zu beziehen - und nicht nur welche zu haben - das ist, was einen wirklichen Willen überhaupt erst möglich macht. Viele Tiere folgen beispielsweise einfach blind ihren Wünschen erster Ordnung ohne diese zu reflektieren. Widersprechen sich mehrere Wünsche erster Ordnung, so verhält sich das Tier oft etwas verrückt, während Menschen in der Regel versuchen werden ihre Wünsche zu gliedern und sich dann bewusst für einen dieser Wünsche entscheiden.

Selbstreflexion ist hierbei ein äußerst wichtiges Stichwort. Wer sich mit seinen Wünschen gar nicht kritisch auseinandersetzt und einfach nur blind den Wünschen erster Ordnung folgt, so wie sie gerade daherkommen, der handelt wie ein Triebhafter - und hat keinen wirklichen Willen.

Nun gibt es aber durchaus Menschen, wie zum Beispiel Süchtige, die in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt sind. Aber lassen sich Handlungsfreiheit und Willensfreiheit einfach so gleichsetzen? Frankfurt beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein!

Nehmen wir wieder ein Beispiel: Drei Menschen. A, B, und C sind schwer suchtkrank.

A ist ein Triebhafter, er denkt nicht besonders viel über sich nach und macht sich über seine Wünsche in der Regel keine Gedanken. Er stellt sich überhaupt nicht die Frage, ob er überhaupt möchte, dass er ständig die Droge haben will oder nicht, sondern folgt blind seinem Verlangen, wenn es ihn überkommt.

Der süchtige B hingegen stellt sich diese Frage ab und zu, zum Beispiel wenn er kein Geld für die Droge hat, die Entzugserscheinungen einsetzen oder ihm die Drogensucht auf eine andere Art Probleme bereitet. Er kann sich aber nicht so recht entscheiden, ob er tatsächlich damit aufhören will, die Droge zu nehmen, da ihm der Rausch besser gefällt als nahezu alles andere auf der Welt und er weiß, dass er dieses Glücksgefühl im Grunde nicht aufgeben will, auch wenn er auf Grund der aktuellen Probleme den Wunsch verspürt, sich nicht immer nach der Droge sehnen zu wollen. Er verspürt mal nur den Wunsch erster Ordnung nach der Droge und mal den Wunsch zweiter Ordnung, sich nicht ständig nach der Droge sehnen zu wollen, weiß aber nicht, welchen dieser beiden Wünsche er gerne als handlungswirksamen Wunsch hätte.

Der Süchtige C hingegen ist ein Süchtiger wider Willen. Er genießt zwar wie die beiden anderen den drogeninduzierten Glückszustand, hat aber über seine Wünsche lange nachgedacht und möchte, dass der Wunsch, sich nicht mehr nach der Droge zu sehnen, handlungseffektiv werden solle. Dennoch schafft er es nicht, von der Droge loszukommen.

Wie bei A und B ist auch bei C die Handlungsfreiheit eingeschränkt - er schafft es nicht seine Sucht zu besiegen. Seine Handlungsfreiheit ist klar eingeschränkt. Aber beschneidet das auch seine Willensfreiheit?

Während A gar keinen Willen ausbilden kann, da er nicht in der Lage ist via Selbstreflexion seine eigenen Wünsche zum Inhalt seines Willens zu machen, ist B dazu durchaus fähig. Nur ist B sich eben nicht sicher, ob der Wunsch erster Ordnung nach der Droge oder der Wunsch zweiter Ordnung, nicht ständig die Droge zu wollen, der ist, den er sich zu eigen machen soll. Auch ihm mangelt es an Willensfreiheit, da er den beiden konkurrierenden Wünschen ambivalent gegenübersteht. Er ist wie Treibholz, dass bei Ebbe ins Meer gezogen und bei Flut an den Strand gespült wird.

C hingegen ist sich völlig klar darüber, was sein Wille ist: Er will, dass sich der Wunsch, die Droge nicht ständig zu wollen, durchsetzt. Und trotzdem ist er seinem Verlangen nach der Droge gegenüber machtlos. Er muss mit ansehen, wie sein Wille von der Droge unmöglich gemacht wird, aber anders als A und B bezieht er klar Position.

Dies zeigt, dass - obwohl alle drei Süchtigen in ihrer Handlungsfreiheit auf ein und dieselbe Weise beschränkt sind - nur einer der drei tatsächliche Willensfreiheit genießt: C.

Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.

Interessant ist hierbei auch die Betrachtung des Personenbegriffs aus der juristischen und psychologischen Perspektive: In der Rechtssprechung wird oft davon gesprochen, dass jemand "triebhaft" oder "nicht aus freiem Willen" gehandelt habe. In vielen dieser Fälle wirkt dies strafmildernd, da man jemanden nur für das verantwortlich machen kann, was er freiwillig getan hat.

Aber Frankfurt weist darauf hin, dass diese Betrachtungsweise etwas zu kurzsichtig geraten kann, da man sich auch freiwillig in die volitionale Unfreiheit begeben kann. So ist es für einen Spielsüchtigen durchaus möglich, sich bewusst und aus freien Stücken in eine Situation zu begeben, von der er vorher weiß, dass er in dieser Situation seine Willens- und Handlungsfreiheit verlieren wird.

Anders als in der Rechtssprechung ist Frankfurt der Ansicht, dass jemand, der sich bewusst und absichtlich in einen Zustand hinein maneuvriert, der nicht mehr kontrollierbar ist, bzw. in dem die Willens- und Handlungsfreiheit eingeschränkt sind, dennoch voll verantwortlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht für die Taten selbst, so doch aber in jedem Falle dafür, sich bewusst für den Zustand entschieden zu haben.

Für mich persönlich machen diese Ausführungen eine ganze Menge Sinn und ich habe selten soviel beim Lesen gestaunt wie bei Frankfurts Freedom of the Will and the Concept of a Person. Auch fühlte ich mich ein ums andere Mal an die Philosophie Aleister Crowleys, an "Thelema" und "Do what thou whilt shall be the whole of the Law" erinnert. Auch das "Love ist the Law, Love under Will" findet sich bei Frankfurt in dem Aufsatz Autonomy, Necessity and Love wieder, wenn auch in etwas anderer Form als dies bei den meisten Crowleyanern der Fall ist. Man könnte sagen - und ich bin dieser Meinung: Thelema hat hier eine würdevolle Antwort erhalten, die sich zu Gemüte zu führen lohnt.
 

Benkei

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Stw.: vorsätzlicher Vollrausch

Wirklich eine interessante Betrachtunsweise, Respekt!

Aphorismus schrieb:
Anders als in der Rechtssprechung ist Frankfurt der Ansicht, dass jemand, der sich bewusst und absichtlich in einen Zustand hinein maneuvriert, der nicht mehr kontrollierbar ist, bzw. in dem die Willens- und Handlungsfreiheit eingeschränkt sind, dennoch voll verantwortlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht für die Taten selbst, so doch aber in jedem Falle dafür, sich bewusst für den Zustand entschieden zu haben.
In der Gesetzgebung sind diese Ansichten partiell schon integriert, beispielsweise im "Vorsätzlichen Vollrausch gemäß § 323a StGB".
Damit wird vermieden, dass Filmriss-Kandidaten sich absolut alles erlauben können. Absolut vernünftig wie ich meine.
Aphorismus schrieb:
Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.
Darüber lässt sich mit Sicherheit streiten, zumal der Begriff "Person" recht unaussagekräftig ist, vgl. auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Person
 

Aphorismus

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Benkei schrieb:
Wirklich eine interessante Betrachtunsweise, Respekt!

Auch wenn die Blumen an Frankfurt gehen und ich nur referiert habe, sage ich mal brav Danke! :)

Benkei schrieb:
Aphorismus schrieb:
Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.

Darüber lässt sich mit Sicherheit streiten, zumal der Begriff "Person" recht unaussagekräftig ist, vgl. auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Person

Da hast du meine absolute Zustimmung. Der Begriff "Person" ist mehrfach belegt. Juristen, Psychologen und Philosophen nähern sich ihm alle aus unterschiedlichen Richtungen. Unter Umständen wird aber irgendwann einmal entweder eine Theorie kommen, die diese unterschiedlichen Wissenschaftszeige miteinander verbindet und somit aussöhnt, oder - was ich für wahrscheinlicher halte - es werden innerhalb der verschiedenen Disziplinen neue Begriffe auftauchen, die präziser sind und den dreifach belegten Personenbegriff auf diese Art überflüssig machen.

Freut mich ganz doll, dass du dir die Mühe gemacht hast, das zu lesen und nicht enttäuscht warst! :p
 

the_midget

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Ich versteh nicht ganz was Volitionen sind. Ich versteh zwar, was Volitionen zweiter Ordnung sind, aber da drängt sich natürlich die Frage auf, was denn dann Volitionen erster Ordnung sind?
 

Aphorismus

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Den Begriff der Volition hat Frankfurt nur eingeführt, um besser zwischen zwei Sorten von Wünschen zweiter Ordnung unterscheiden zu können, nämlich:
  1. Wünschen zweiter Ordnung, die sich auf einen Wunsch erster Ordnung beziehen von dem man nicht unbedingt möchte, dass dieser Wunsch tatsächlich handlungswirksam wird. Und
  2. Wünschen zweiter Ordnung, die sich auf einen Wunsch erster Ordnung beziehen von dem man unbedingt möchte, dass dieser Wunsch handlungswirksam wird.

Letztere, unter Punkt zwei aufgeführte Wünsche zweiter Ordnung, nennt Frankfurt dann "Volitionen zweiter Ordnung".

Wieder das Beispiel mit dem Rauchen: Du kannst zwar wollen, dass du nicht immer den Wunsch zu rauchen hast - was natürlich ein Wunsch zweiter Ordnung ist - aber wenn du nicht wirklich sicher bist ob du willst, dass sich dieser Wunsch zweiter Ordnung gegenüber dem Wunsch erster Ordnung zu rauchen durchsetzt, dann handelt es sich nur um einen Wunsch zweiter Ordnung aber eben nicht um eine Volition zweiter Ordnung. :wink:

Vielleicht zur Einfachheit halber ohne Negation. Es konkurrieren zwei Wünsche erster Ordnung:
  1. Ich will rauchen.
  2. Ich will nicht rauchen.

Gleichzeitig existiert der Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer das Verlangen haben zu wollen, zu rauchen. Die Frage ist also, ob du wirklich willst, dass der Wunsch nicht zu rauchen (2.) handlungswirksam wird. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, handelt es sich bei dem Wunsch zweiter Ordnung, nicht rauchen zu wollen, um eine Volition zweiter Ordnung.

EDIT: Ist imho wie beim Programmieren: Kommt alles ganz drauf an wie und wo man die Klammern setzt. :wink:
 

the_midget

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Aphorismus schrieb:
Vielleicht zur Einfachheit halber ohne Negation. Es konkurrieren zwei Wünsche erster Ordnung:
  1. Ich will rauchen.
  2. Ich will nicht rauchen.

Gleichzeitig existiert der Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer das Verlangen haben zu wollen, zu rauchen. Die Frage ist also, ob du wirklich willst, dass der Wunsch nicht zu rauchen (2.) handlungswirksam wird. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, handelt es sich um eine Volition zweiter Ordnung.

Also das ist ein mal der Wunsch "ich will rauchen" und der Wunsch "ich will nicht rauchen".
Und dann wünsche ich mir auch noch nicht rauchen zu wollen.

Ist es nur ein Volition, wenn ich sie in die Tat umsetze (also tatsächlich aufhöre zu rauchen) oder auch dann wenn ich es nicht in die Tat umsetze,
mir aber trotzdem gewünscht habe es auch zu tun.

Was wäre denn, wenn ich mir wünsche mir nicht zu wünschen nicht zu rauchen? Und das dann auch noch in die Tat umsetze in dem ich aufs Nichtrauchen verzichte?

Ist es also auch eine Volition (also eine Handlungswirksamkeit), wenn ich etwas unterlasse?


:?!?:
 

Aphorismus

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the_midget schrieb:
Ist es nur ein Volition, wenn ich sie in die Tat umsetze (also tatsächlich aufhöre zu rauchen) oder auch dann wenn ich es nicht in die Tat umsetze,
mir aber trotzdem gewünscht habe es auch zu tun.

Letzteres. So lange du dich aus ganzem Herzen ("wholeheartedly" - Frankfurt) dem Wunsch zweiter Stufe, nicht rauchen zu wollen, anschließt und ebenso aus ganzem Herzen willst, dass der Wunsch nicht zu rauchen handlungswirksam wird, handelt es sich um eine Volition zweiter Ordnung. Sogar dann, wenn du trotzdem rauchst. :wink:

the_midget schrieb:
Was wäre denn, wenn ich mir wünsche mir nicht zu wünschen nicht zu rauchen? Und das dann auch noch in die Tat umsetze in dem ich aufs Nichtrauchen verzichte?

Ist es also auch eine Volition (also eine Handlungswirksamkeit), wenn ich etwas unterlasse?

Das alleine sagt nichts darüber aus, ob es sich um eine Volition zweiter Ordnung handelt oder nicht. Im Grunde ist es für diese Unterscheidung vollkommen irrelevant, ob du nun den Wunsch zweiter Ordnung hast, nicht immer rauchen zu wollen oder den Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer zu wollen, dass du nicht rauchen willst.

Der entscheidende Punkt ist hier die Entschlossenheit ("delibaretly" - Frankfurt), mit der du dich gedanklich auf eine Seite der sich widersprechenden Wünsche stellst.

Das kann natürlich theoretisch in einem infiniten Regress aus Wünschen xter Ordnung münden. So kannst du dich fragen, ob du denn wirklich auch den Wunsch hast, zu wollen, dass du willst, dass du nicht immer rauchen willst.

Allerdings gibt Frankfurt darauf in einem anderen Artikel, Autonomy, Necessetiy and Love, eine - wie ich finde - recht plausible Antwort: Sobald man sich dafür entschieden hat einen Wunsch xter Ordnung zu seinem Willen, bzw. einer Volition xter Ordnung zu machen, ist man mit dieser Situation auf eine bestimmte Art zufrieden und die höhervolitionalen Wünsche entfallen.

Wenn du weißt, dass du wirklich nicht willst, dass du immer rauchen willst, dann stellt sich dir gar nicht erst die Frage, ob du auch wirklich wilst, dass du willst, dass du nicht immer rauchen willst. :wink:

In Freedom of the Will and the Concept of a Person formuliert Frankfurt das zunächst wie folgt:

Harry G. Frankfurt - Freedom of the Will and the Concept of a Person schrieb:
Wenn sich eine Person entschlossen mit einem ihrer Wünsche der ersten Stufe identifiziert, dann 'durchhallt' diese Bindung den ganzen potentiell endlosen Raum höherer Stufen. Betrachten wir eine Person, die, rückhaltlos und ohne Zwiespalt, von dem Wunsch, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, motiviert sein möchte. Daß ihre Volition zweiter Stufe, von diesem Wunsch bewegt zu werden, entschlossen ist, heißt, daß kein Raum für die Frage ist, ob Wünsche oder Volitionen höherer Stufe irgend von Belang sind.
 

Benkei

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Re: Willensfreiheit und der Begriff der Person (H.G. Frankfu

Aphorismus schrieb:
Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.
[...]
Aber Frankfurt weist darauf hin, dass diese Betrachtungsweise etwas zu kurzsichtig geraten kann, da man sich auch freiwillig in die volitionale Unfreiheit begeben kann. So ist es für einen Spielsüchtigen durchaus möglich, sich bewusst und aus freien Stücken in eine Situation zu begeben, von der er vorher weiß, dass er in dieser Situation seine Willens- und Handlungsfreiheit verlieren wird.

Anders als in der Rechtssprechung ist Frankfurt der Ansicht, dass jemand, der sich bewusst und absichtlich in einen Zustand hinein maneuvriert, der nicht mehr kontrollierbar ist, bzw. in dem die Willens- und Handlungsfreiheit eingeschränkt sind, dennoch voll verantwortlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht für die Taten selbst, so doch aber in jedem Falle dafür, sich bewusst für den Zustand entschieden zu haben.
Irgendwie haben es mir vor allem die o. a. Passagen angetan von denen ich ja auch schon zwei kommentieren musste.

Nun habe ich zufällig (wer denn an so etwas wie Zufall glaubt) gestern bei weiterlesen eines meiner derzeitigen Bücher folgendes gelesen:
Papst Benedikt XVI alias Josef Kardinal Ratzinger schrieb:
Es ist nie Schuld, der gewonnenen Überzeugung zu folgen - man muss es sogar. Aber es kann sehr wohl Schuld sein, dass man zu so verkehrten Überzeugungen gelangt ist und den Widerspruch der Anamnese (hier: das sich Erinnern an die göttlichen Gebote, vgl. Römerbrief 2,14f) des Seins niedergetreten hat. Die Schuld liegt dann woanders, tiefer: nicht in dem jetzigen Akt, nicht in dem jetzigen Gewissensurteil, sondern in der Verwahrlosung des Seins, die mich stumpf gemacht hat für die Stimme der Wahrheit und deren Zuspruch in meinem Inneren. Deshalb bleiben Überzeugungstäter wie Hitler und Stalin schuldig.[...]
aus "Werte in Zeiten des Umbruchs"
Beachtliche Paralelle, wie ich fand.
 

Aphorismus

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Absolut. Mal abgesehen davon, dass ich und Herr Ratzinger uns wohl nicht über die Inhalte - also was genau "verwahrlost" und welche Überlegungen verkehrt sind - einig sein dürften, kann ich mich seinen Ausführungen nur anschließen.
 

racingrudi

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aphorismus schrieb:
C hingegen ist sich völlig klar darüber, was sein Wille ist: Er will, dass sich der Wunsch, die Droge nicht ständig zu wollen, durchsetzt. Und trotzdem ist er seinem Verlangen nach der Droge gegenüber machtlos. Er muss mit ansehen, wie sein Wille von der Droge unmöglich gemacht wird, aber anders als A und B bezieht er klar Position.

hm, reicht denn bloßes positionbeziehen? muss ein formulierter wille nicht auch durchgeführt werden, um als frei gelten zu können? im grunde ist er durch seine eingeschränkte handlungsfreiheit auch in seinem willen unfrei, diesen zum abschluss zu bringen.

noch was zu dem "volition zweiter ordnung":
- auch ich vermisse die "erste ordnung"
- wiki spricht bei volition (hm, hab den begriff vorher noch nie gehört ... :oops: ) von "willensbildung", so wie oben auch ausgeführt wurde (volition = wille). ist es dann nicht besser zu sagen, ich habe einen wunsch im weiteren sinne ("ich wäre gerne fußballprofi") und einen wunsch im engeren sinne, der sich wiederum in den wunsch i.e.s. 1. ordnung und in den wunsch i.e.s. 2. ordnung teilt. die 1. ordnung wäre deckungsgleich zu frankfurts ausführung, die 2. ordnung wäre dann quasi frankfurts "volition 2. ordnung", denn letztendlich unterscheiden sie sich doch tatsächlich nur dadurch, dass bei ersterem im gegensatz zu frankfurts "volition 2. ordnung" keine willensbildung erfolgen muss, weil man dem wunsch "einfach so" nachgeht. der wunsch ist ja in jedem fall vorhanden, nur die umsetzung unterscheidet sich in ihrer jeweiligen ausprägung.

um mein fußballbeispiel zu komplettieren:
1. wunsch i.w.s. ("ich wäre gerne fußballprofi")
2. wunsch i.e.s. 1. ordnung ("ich kicke einfach und es ergibt sich von allein, weil ich's einfach drauf hab, ohne groß nachzudenken")
3. wunsch i.e.s. 2. ordnung ("ich muss kräftig dafür trainieren, um meine limitierten fähigkeiten auszugleichen und trotzdem mein wunsch zu erfüllen")


warum frankfurt nur bei seiner volition 2. ordnung von "person" spricht leuchtet mir nicht so recht ein, zumal die grenzen - wie so oft - recht fließend sind. wird ein süchtiger quasi erst dann zur person, wenn er seinen willen formuliert, den wunsch, von der droge loszukommen, zu erfüllen? wäre es nicht möglich, dass er das erst im zweiten anlauf schafft? das erste mal war er noch keine person, das nächste mal ist er qua definitionem eine? muss man dann den begriff "person" diesbezüglich überhaupt neu definieren? ich denke nicht. so ist es m. e. durchaus legitim zu sagen, es gäbe sowohl triebhafte als auch willensbildende personen, aber es sind in beiden fällen personen, die einmal triebhaft handeln können, sich das andere mal einer willensbildung unterziehen. insofern hänge ich eher denen an, die grundsätzlich jedem menschen die würde, eine person zu sein, zugestehen, die sich dann wieder graduell unterschiedlich ausdrückt.

gruß
rg
 

Aphorismus

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racingrudi schrieb:
hm, reicht denn bloßes positionbeziehen? muss ein formulierter wille nicht auch durchgeführt werden, um als frei gelten zu können? im grunde ist er durch seine eingeschränkte handlungsfreiheit auch in seinem willen unfrei, diesen zum abschluss zu bringen.

Diese Position wird in der Philosophie auch von einigen Leuten vertreten. Frankfurt würde evtl. antworten, dass jemand so lange in seinem Willen frei ist, wie er weiß, was er will. Ob die Welt ihm dann die Möglichkeit lässt, tatsächlich so zu handeln, ist eher sekundär.

racingrudi schrieb:
noch was zu dem "volition zweiter ordnung":
- auch ich vermisse die "erste ordnung"

Hmmm, ich weiß gerade nicht, wie ich das noch besser oder anders erklären könnte, ist eben alles andere als ein leichtes Thema. :gruebel:

Volition heißt einfach nur Wunsch. (Angelehnt an's Lateinische.) Es geht nur um den Unterschied zwischen Wünschen zweiter Ordnung, die Teil des Willens sind und solchen Wünschen zweiter Ordnung, bei denen dies nicht der Fall ist. Alle Wünsche zweiter Ordnung beziehen sich ja auf Wünsche.

Nur die, bei denen man sich aus ganzem Herzen sicher ist, dass man den Wunsch, auf den sie sich beziehen, wirklich umsetzen will, sind Volitionen zweiter Ordnung. Frankfurt führt den Begriff nur ein um diese Unterscheidung machen zu können.

Die Bezeichnung als solche ist willkürlich. Er könnte auch statt "Wünsche erster Ordnung" von "Volitionen erster Ordnung" und statt "Wünschen zweiter Ordnung" von "Volitionen zweiter Ordnung" sprechen, und dann das, was er jetzt "Volitionen zweiter Ordnung" nennt als "Wünsche zweiter Ordnung" bezeichnen.

Geht wirklich nur darum eine bestimmte Differenzierung zwischen Wünschen, die sich auf Wünsche beziehen und bei denen man möchte, dass der Wunsch auf den sich dieser Wunsch dann bezieht, handlungswirksam wird, von solchen Wünschen zu unterscheiden, die sich auf Wünsche beziehen von denen man nicht aus ganzem Herzen will, dass sie handlungswirksam werden.

Ist etwas kompliziert, leider...

racingrudi schrieb:
- wiki spricht bei volition (hm, hab den begriff vorher noch nie gehört ... ) von "willensbildung", so wie oben auch ausgeführt wurde (volition = wille).

Soweit ist das offenbar mit Frankfurt deckungsgleich.

racingrudi schrieb:
ist es dann nicht besser zu sagen, ich habe einen wunsch im weiteren sinne ("ich wäre gerne fußballprofi") und einen wunsch im engeren sinne, der sich wiederum in den wunsch i.e.s. 1. ordnung und in den wunsch i.e.s. 2. ordnung teilt. die 1. ordnung wäre deckungsgleich zu frankfurts ausführung, die 2. ordnung wäre dann quasi frankfurts "volition 2. ordnung", denn letztendlich unterscheiden sie sich doch tatsächlich nur dadurch, dass bei ersterem im gegensatz zu frankfurts "volition 2. ordnung" keine willensbildung erfolgen muss, weil man dem wunsch "einfach so" nachgeht. der wunsch ist ja in jedem fall vorhanden, nur die umsetzung unterscheidet sich in ihrer jeweiligen ausprägung.

um mein fußballbeispiel zu komplettieren:
1. wunsch i.w.s. ("ich wäre gerne fußballprofi")
2. wunsch i.e.s. 1. ordnung ("ich kicke einfach und es ergibt sich von allein, weil ich's einfach drauf hab, ohne groß nachzudenken")
3. wunsch i.e.s. 2. ordnung ("ich muss kräftig dafür trainieren, um meine limitierten fähigkeiten auszugleichen und trotzdem mein wunsch zu erfüllen")

Dem ersten Teil kann ich leider nicht ganz folgen. :oops:

Wünsche erster Ordnung sind bei Frankfurt Wünsche, die sich auf ein bestimmtes Verhalten beziehen. Fußball-Profi zu sein ist kein Verhalten, deshalb fällt es mir schwer das Beispiel auf Frankfurts Theorie anzuwenden.

Wie wäre es stattdessen mit dem Wunsch Fußball spielen zu wollen?

Der Wunsch erster Ordnung Fußball zu spielen kann dann durch die äußeren Umstände verhindert werden (wer kennt das nicht noch aus Kindertagen), bleibt aber als Teil des Willens, respektive als Volition zweiter Ordnung bestehen (was sich dann meistens in Gequengel äußert :D).

racingrudi schrieb:
warum frankfurt nur bei seiner volition 2. ordnung von "person" spricht leuchtet mir nicht so recht ein, zumal die grenzen - wie so oft - recht fließend sind.

Hmm, ich finde die Grenze ziemlich scharf gezogen und präzise. Aber wahrscheinlich habe ich Frankfurt nicht genau genug wiedergegeben. Siehe den nächsten Punkt:

racingrudi schrieb:
wird ein süchtiger quasi erst dann zur person, wenn er seinen willen formuliert, den wunsch, von der droge loszukommen, zu erfüllen? wäre es nicht möglich, dass er das erst im zweiten anlauf schafft? das erste mal war er noch keine person, das nächste mal ist er qua definitionem eine?

Eine Person ist laut Frankfurt jemand, der die Fähigkeit hat sich seine Wünsche selbst zum Gegenstand von Wünschen zu machen und sich darüber im klaren ist, welchen Wunsch erster Ordnung er handlungswirksam werden lassen will. Also wäre jemand bereits dann eine Person, wenn er oder sie ein einziges Mal diese Fähigkeit unter Beweis stellt. Mit anderen Worten: Es geht um die Fähigkeit, nicht um die konsequente Umsetzung. Tiere können das nicht, während es Menschen freisteht, sich einen freien Willen zu erarbeiten oder es zu lassen.

Der Junkie ist also dann eine Person, wenn er in der Lage ist sich eine Volition zweiter Ordnung zu eigen zu machen, sprich: einen Willen hat. Diesen dann umzusetzen ist keine notwendige Bedingung für den Status des Person-seins.

racingrudi schrieb:
muss man dann den begriff "person" diesbezüglich überhaupt neu definieren? ich denke nicht. so ist es m. e. durchaus legitim zu sagen, es gäbe sowohl triebhafte als auch willensbildende personen, aber es sind in beiden fällen personen, die einmal triebhaft handeln können, sich das andere mal einer willensbildung unterziehen. insofern hänge ich eher denen an, die grundsätzlich jedem menschen die würde, eine person zu sein, zugestehen, die sich dann wieder graduell unterschiedlich ausdrückt.

Dann siehst du das fast ganz genau so wie Frankfurt. Der einzige Unterschied ist, dass er nicht ausschließt, dass es zumindest theoretisch einen Menschen geben könnte, der sich nie seine eigenen Wünsche zum Gegenstand von Wünschen macht, weil ihm die Fähigkeit dazu abgeht. So jemanden würde Frankfurt dann nur im alltagssprachlichen, juristischen oder psychologischen Sinne, aber nicht gemäß dieser Theorie als "Person" bezeichnen. :wink:
 

Sesto

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Vielen Dank für diesen höchst spannenden Thread! Hat mich doch glatt zu meinem ersten Beitrag in diesem einschüchterndem Forum inspiriert.


So wie ich das verstanden habe, erlangt ein Wesen durch Reflektion über die eigenen Begierden (Wünsche 1. Ordnung) den Status "Person".
Anders gesagt, man denkt über seine akute Begierde nach und gelangt dadurch zur Erkenntnis, was in Wirklichkeit der eigene Wille ist.

Jetzt würde ich aber behaupten wollen, dass dieser zugrunde liegende "Wille" (Volition 2. O.) unbewusst gesteuert wird - von tief verankerten Moralvorstellungen, Ängsten, Erfahrungen oder auch Instinkten.

Um zu dem Beispiel "Rauchen" zurück zu kommen:
Raucher mit Lungenkrebs denkt: "Ich will eine Zigarette."
Raucher mit Lungenkrebs überdenkt Wunsch und kommt zum Schluss: "Ich will keine Zigarette, weil Zigaretten den Krebs verschlimmern."
Damit ist es eigentlich der Überlebenstrieb des Rauchers, der ihn vom Rauchen abhält.

Das nur als Beispiel.

Was ich sagen will: Ein Wesen erlangt den Status "Person", wenn er einen Willen hat, der von akuten Begierden unabhängig existiert und bewusst wahrgenommen wird.
Meiner Ansicht nach wird aber der sogenannte "Wille" wiederum auch von unbewussten Trieben/Begierden (in meinem Beispiele die Begierde, zu überleben) gesteuert.
Insofern hätte dann doch niemand das Recht, sich als "Person" zu verstehen, oder?

... Danke für's Lesen dieses langen Beitrags eines Neulings... :p
 

the_midget

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Herzlich Willkommen erstmal...

Sesto schrieb:
Jetzt würde ich aber behaupten wollen, dass dieser zugrunde liegende "Wille" (Volition 2. O.) unbewusst gesteuert wird - von tief verankerten Moralvorstellungen, Ängsten, Erfahrungen oder auch Instinkten.

Das ist ein interessanter Einwand, aber so wie ich das verstanden habe trifft er nicht zu. Wesentlich ist in dem ganzen Konzept ja, ob der Wunsch erster Ordnung und die Volition zweiter Ordnung (EDIT/Korrektur: Ich glaube richtiger wäre: ob der Wunsch erster Ordnung zum Wunsch zweiter Ordnung passt, denn dann wäre es eine Volition 2. O.) zusammenpassen oder in Konflikt zueinander stehen. Eine Person im Franfurtschen Sinne ist nur eine Person, bei der beides zusammenpasst.

Ich würde es so verstehen, daß jemand bei dem dies der Fall ist eine Person ist, unabhängig davon wovon die Volition zweiter Ordnung beeinflusst ist.

Um zu dem Beispiel "Rauchen" zurück zu kommen:
Raucher mit Lungenkrebs denkt: "Ich will eine Zigarette."
Raucher mit Lungenkrebs überdenkt Wunsch und kommt zum Schluss: "Ich will keine Zigarette, weil Zigaretten den Krebs verschlimmern."
Damit ist es eigentlich der Überlebenstrieb des Rauchers, der ihn vom Rauchen abhält.

Man könnte aber auch sagen der Wille zu Leben ist stärker als der zu Rauchen.

Oder man könnte es wieder anders interpretieren und sagen, er will eigentlich rauchen, aber sein Gesundheitszustand hält ihn davon ab es zu tun, also handelt er unter Zwang. Insofern hättest du recht, wenn du meinst, daß der Raucher in diesem Falle nicht im Sinne Frankfurts als Person entscheidet.

So richtig hat mich das Konzept von Frankfurt noch nicht überzeugt, daß mag allerdings daran liegen, daß ich es immer noch nicht so ganz kapiert habe.

Was ich sagen will: Ein Wesen erlangt den Status "Person", wenn er einen Willen hat, der von akuten Begierden unabhängig existiert und bewusst wahrgenommen wird.

Ich denke, es kommt nur auf die bewusste Wahrnehmung an, nicht ob es von akuten Begierden abhängig ist oder nicht.

Ich bin sicher Aphorismus kann uns diesen Punkt noch etwas erläutern.


gruß

midget
 

Sesto

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Beiträge
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Danke für den Willkommensgruß! *verbeug*

So wie ich diese Theorie verstanden habe, geht es auch um eine Definition des Begriffes "Person".
Wer nur nach Wünschen 1. Ordnung - Trieben, Begierden, etc. - handelt, ist keine Person.
Zur Person wird man durch "Willensbildung", also diese Volition 2. Ordnung.

Dazwischen gibt es den "Wunsch 2. Ordnung".
Um beim Beispielt Raucher zu bleiben:
Raucher wünscht sich "Ich will eine Zigarette.", denkt aber auch "Eigentlich will ich ja nicht rauchen..." .
Tatsächlich aufhören zu rauchen will er aber nicht.
Insofern hat er eigentlich doch einen zugrunde liegenden Willen:
"Sch*** drauf, ich will eine Zigarette, was kümmert mich die Gesundheit."
Der Unterschied zur Volition 2. O. ist hierbei, dass der Wille nicht bewusst formuliert wird.

Deswegen kam ich auf den Gedanken, dass es letztlich das Bewusst-werden über den eigenen Willen ist, das ein Wesen nach Frankfurt zur Person macht.

Inwieweit dies dann ein "freier Wille" ist, ist wiederum eine andere Frage...
 

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