Aphorismus
Ehrenmitglied
- Registriert
- 22. Dezember 2004
- Beiträge
- 3.690
An dieser Stelle möchte ich kurz Harry G. Frankfurts Überlegungen zum Begriff der Person und dem Themenkomplex Willensfreiheit zusammenfassen. Dabei werde ich mich darauf beschränken diese so wiederzugeben, wie sie in Frankfurts Freedom of the Will and the Concept of a Person zum Ausdruck kommen und die leichten Modifikationen dieser Theorie, die er in anderen Aufsätzen wie Autonomy, Necesity and Love oder The Faintest Passion vornimmt, zunächst vernachlässigen.
Einleitend unterscheidet Frankfurt zwischen verschiedenen Arten von Wünschen bzw. 'Volitionen':
Wünsche erster Ordnung beziehen sich unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten. So kann ich zum Beispiel den Wunsch haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.
Wünsche zweiter Ordnung beziehen sich nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten, sondern selber auf Wünsche. Beispielsweise kann ich mir wünschen nicht den Wunsch zu haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.
Der Unterschied ist also schlichtweg der, dass Wünsche erster Ordnung sich auf ein bestimmtes Verhalten beziehen, während Wünsche zweiter Ordnung selbst Wünsche zum Inhalt haben.
Bevor eine Definition von Volitionen zweiter Ordnung eingeführt werden kann, muss eine Unterscheidung, die Frankfurt macht, erläutert werden: der Unterschied zwischen handlungswirksamen, oder effektiven Wünschen erster Ordnung und solchen, die nicht handlungswirksam oder effektiv sind.
Ein Wunsch erster Ordnung ist genau dann handlungswirksam, wenn er tatsächlich zu einem bestimmten Verhalten führt. Es ist ja oft so, dass man gleichzeitig mehrere Wünsche hat, zum Beispiel den auf's Klo zu gehen und den Wunsch zu rauchen. Beides sind Wünsche erster Ordnung, da sie sich auf ein ganz bestimmtes Verhalten beziehen. Allerdings ist auch klar, dass oftmals nur einer von beiden Wünschen umsetzbar ist, da man bestimmte Dinge nicht gleichzeitig tun kann.
Man kann natürlich gleichzeitig rauchen und auf's Klo gehen, oder auf's Klo gehen und dort rauchen, aber gehen wir mal davon aus, dass es sich um ein Nichtraucher-Klo handelt und nur einer von beiden Wünschen realisierbar ist. Dann ist klar, dass wir uns nur auf eine bestimmte Art und Weise verhalten können: Wir können entweder rauchen oder auf's Klo gehen.
Es stehen sich zwei Wünsche erster Ordnung gegenüber:
Entscheidet man sich dafür auf's Klo zu gehen und das Rauchen etwas zu verschieben, so ist der erste Wunsch handlungswirksam geworden; entscheidet man sich jedoch dafür, erst nach dem Rauchen die Toilette aufzusuchen, so ist der zweite Wunsch handlungswirksam geworden.
Kehren wir zurück zu unserer ersten Unterscheidung und dem bis dato noch undefinierten Begriff der Volition zweiter Ordnung. Ähnlich wie bei den Wünschen zweiter Ordnung bezieht sich auch die Volition zweiter Ordnung nicht auf ein bestimmtes Verhalten sondern auf einen Wunsch.
Das Prägnante ist hierbei jedoch, dass sich die Volition zweiter Ordnung nur auf Wünsche bezieht, bei denen man die Absicht hat, dass dieser Wunsch handlungswirksam werde. Nehmen wir wieder ein Beispiel zur Veranschaulichung:
Ich kann gleichzeitig den Wunsch erster Ordnung haben zu rauchen und mir wünschen, den Wunsch zu rauchen nicht zu haben. Die Frage ob es sich dabei um einen Wunsch oder eine Volition zweiter Ordnung handelt hängt davon ab, ob es mein Wunsch ist, dass sich der Wunsch zweiter Ordnung, dass ich mir nicht wünsche zu rauchen, auch tatsächlich durchsetzt oder nicht.
Das klingt vielleicht etwas verwirrend und kompliziert, lässt sich aber leicht nachvollziehen, wenn man sich folgenden Unterschied vor Augen führt: Jemand verspürt das Verlangen nach einer Zigarette und denkt sich gleichzeitig - etwa aus Ärger darüber, dass Zigaretten teurer geworden sind - dass es doch eigentlich besser wäre, nicht zu rauchen. Er hat also einmal den Wunsch erster Ordnung zu rauchen und andererseits den Wunsch zweiter Ordnung nicht immer rauchen zu wollen.
Jemand anderes wiederum verspürt ebenfalls das Verlangen nach einer Zigarette und hat ebenfalls den Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer den Wunsch nach dem Rauchen zu verspüren, aber kommt gerade vom Arzt, der bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert hat. Nehmen wir an, dass diese Person aus tiefster Seele wünscht, nicht mehr den Wunsch nach Zigaretten zu haben. Anders als im ersten Beispiel ist es dieser Person wirklich ernst und er möchte, dass sein Wunsch nicht mehr rauchen zu wollen handlungswirksam werde.
Nun soll dadurch keineswegs der Eindruck entstehen, dass es von den äußeren Umständen abhängen würde, wann jemand etwas wirklich will und wann nicht - Geiz kann ebenso dazu führen, dass jemand möchte, dass der Wunsch nicht mehr Rauchen zu wollen handlungswirksam werde, wie die Krebs-Diagnose bei dem anderen und andersherum.
Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass in einem der beiden Fälle jemand möchte, dass sich ein bestimmter Wunsch gegenüber den anderen Wünschen tatsächlich durchsetzt, während der andere zwar auch die entgegen gesetzten Wünsche zu rauchen und nicht rauchen zu wollen hat, aber sich nicht wirklich entscheidet, welcher dieser beiden Wünsche sich tatsächlich durchsetzen soll.
Nur Wünsche zweiter Ordnung, von denen jemand sich wünscht, dass die Wünsche erster Ordnung, auf die sie sich beziehen, tatsächlich handlungswirksam werden, nennt Frankfurt Volitionen zweiter Ordnung. Und ebendiese Volitionen zweiter Ordnung sind dieser Theorie folgend das, was in der Summe den Willen bildet.
Hier wird bereits deutlich, dass die Fähigkeit sich auf Wünsche zu beziehen - und nicht nur welche zu haben - das ist, was einen wirklichen Willen überhaupt erst möglich macht. Viele Tiere folgen beispielsweise einfach blind ihren Wünschen erster Ordnung ohne diese zu reflektieren. Widersprechen sich mehrere Wünsche erster Ordnung, so verhält sich das Tier oft etwas verrückt, während Menschen in der Regel versuchen werden ihre Wünsche zu gliedern und sich dann bewusst für einen dieser Wünsche entscheiden.
Selbstreflexion ist hierbei ein äußerst wichtiges Stichwort. Wer sich mit seinen Wünschen gar nicht kritisch auseinandersetzt und einfach nur blind den Wünschen erster Ordnung folgt, so wie sie gerade daherkommen, der handelt wie ein Triebhafter - und hat keinen wirklichen Willen.
Nun gibt es aber durchaus Menschen, wie zum Beispiel Süchtige, die in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt sind. Aber lassen sich Handlungsfreiheit und Willensfreiheit einfach so gleichsetzen? Frankfurt beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein!
Nehmen wir wieder ein Beispiel: Drei Menschen. A, B, und C sind schwer suchtkrank.
A ist ein Triebhafter, er denkt nicht besonders viel über sich nach und macht sich über seine Wünsche in der Regel keine Gedanken. Er stellt sich überhaupt nicht die Frage, ob er überhaupt möchte, dass er ständig die Droge haben will oder nicht, sondern folgt blind seinem Verlangen, wenn es ihn überkommt.
Der süchtige B hingegen stellt sich diese Frage ab und zu, zum Beispiel wenn er kein Geld für die Droge hat, die Entzugserscheinungen einsetzen oder ihm die Drogensucht auf eine andere Art Probleme bereitet. Er kann sich aber nicht so recht entscheiden, ob er tatsächlich damit aufhören will, die Droge zu nehmen, da ihm der Rausch besser gefällt als nahezu alles andere auf der Welt und er weiß, dass er dieses Glücksgefühl im Grunde nicht aufgeben will, auch wenn er auf Grund der aktuellen Probleme den Wunsch verspürt, sich nicht immer nach der Droge sehnen zu wollen. Er verspürt mal nur den Wunsch erster Ordnung nach der Droge und mal den Wunsch zweiter Ordnung, sich nicht ständig nach der Droge sehnen zu wollen, weiß aber nicht, welchen dieser beiden Wünsche er gerne als handlungswirksamen Wunsch hätte.
Der Süchtige C hingegen ist ein Süchtiger wider Willen. Er genießt zwar wie die beiden anderen den drogeninduzierten Glückszustand, hat aber über seine Wünsche lange nachgedacht und möchte, dass der Wunsch, sich nicht mehr nach der Droge zu sehnen, handlungseffektiv werden solle. Dennoch schafft er es nicht, von der Droge loszukommen.
Wie bei A und B ist auch bei C die Handlungsfreiheit eingeschränkt - er schafft es nicht seine Sucht zu besiegen. Seine Handlungsfreiheit ist klar eingeschränkt. Aber beschneidet das auch seine Willensfreiheit?
Während A gar keinen Willen ausbilden kann, da er nicht in der Lage ist via Selbstreflexion seine eigenen Wünsche zum Inhalt seines Willens zu machen, ist B dazu durchaus fähig. Nur ist B sich eben nicht sicher, ob der Wunsch erster Ordnung nach der Droge oder der Wunsch zweiter Ordnung, nicht ständig die Droge zu wollen, der ist, den er sich zu eigen machen soll. Auch ihm mangelt es an Willensfreiheit, da er den beiden konkurrierenden Wünschen ambivalent gegenübersteht. Er ist wie Treibholz, dass bei Ebbe ins Meer gezogen und bei Flut an den Strand gespült wird.
C hingegen ist sich völlig klar darüber, was sein Wille ist: Er will, dass sich der Wunsch, die Droge nicht ständig zu wollen, durchsetzt. Und trotzdem ist er seinem Verlangen nach der Droge gegenüber machtlos. Er muss mit ansehen, wie sein Wille von der Droge unmöglich gemacht wird, aber anders als A und B bezieht er klar Position.
Dies zeigt, dass - obwohl alle drei Süchtigen in ihrer Handlungsfreiheit auf ein und dieselbe Weise beschränkt sind - nur einer der drei tatsächliche Willensfreiheit genießt: C.
Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.
Interessant ist hierbei auch die Betrachtung des Personenbegriffs aus der juristischen und psychologischen Perspektive: In der Rechtssprechung wird oft davon gesprochen, dass jemand "triebhaft" oder "nicht aus freiem Willen" gehandelt habe. In vielen dieser Fälle wirkt dies strafmildernd, da man jemanden nur für das verantwortlich machen kann, was er freiwillig getan hat.
Aber Frankfurt weist darauf hin, dass diese Betrachtungsweise etwas zu kurzsichtig geraten kann, da man sich auch freiwillig in die volitionale Unfreiheit begeben kann. So ist es für einen Spielsüchtigen durchaus möglich, sich bewusst und aus freien Stücken in eine Situation zu begeben, von der er vorher weiß, dass er in dieser Situation seine Willens- und Handlungsfreiheit verlieren wird.
Anders als in der Rechtssprechung ist Frankfurt der Ansicht, dass jemand, der sich bewusst und absichtlich in einen Zustand hinein maneuvriert, der nicht mehr kontrollierbar ist, bzw. in dem die Willens- und Handlungsfreiheit eingeschränkt sind, dennoch voll verantwortlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht für die Taten selbst, so doch aber in jedem Falle dafür, sich bewusst für den Zustand entschieden zu haben.
Für mich persönlich machen diese Ausführungen eine ganze Menge Sinn und ich habe selten soviel beim Lesen gestaunt wie bei Frankfurts Freedom of the Will and the Concept of a Person. Auch fühlte ich mich ein ums andere Mal an die Philosophie Aleister Crowleys, an "Thelema" und "Do what thou whilt shall be the whole of the Law" erinnert. Auch das "Love ist the Law, Love under Will" findet sich bei Frankfurt in dem Aufsatz Autonomy, Necessity and Love wieder, wenn auch in etwas anderer Form als dies bei den meisten Crowleyanern der Fall ist. Man könnte sagen - und ich bin dieser Meinung: Thelema hat hier eine würdevolle Antwort erhalten, die sich zu Gemüte zu führen lohnt.
Einleitend unterscheidet Frankfurt zwischen verschiedenen Arten von Wünschen bzw. 'Volitionen':
- Wünsche erster Ordnung
- Wünsche zweiter Ordnung
- Volitionen zweiter Ordnung
Wünsche erster Ordnung beziehen sich unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten. So kann ich zum Beispiel den Wunsch haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.
Wünsche zweiter Ordnung beziehen sich nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten, sondern selber auf Wünsche. Beispielsweise kann ich mir wünschen nicht den Wunsch zu haben zu rauchen, schlafen zu gehen, jemanden zu treten, ein Buch zu lesen, etwas zu essen usw. usf.
Der Unterschied ist also schlichtweg der, dass Wünsche erster Ordnung sich auf ein bestimmtes Verhalten beziehen, während Wünsche zweiter Ordnung selbst Wünsche zum Inhalt haben.
Bevor eine Definition von Volitionen zweiter Ordnung eingeführt werden kann, muss eine Unterscheidung, die Frankfurt macht, erläutert werden: der Unterschied zwischen handlungswirksamen, oder effektiven Wünschen erster Ordnung und solchen, die nicht handlungswirksam oder effektiv sind.
Ein Wunsch erster Ordnung ist genau dann handlungswirksam, wenn er tatsächlich zu einem bestimmten Verhalten führt. Es ist ja oft so, dass man gleichzeitig mehrere Wünsche hat, zum Beispiel den auf's Klo zu gehen und den Wunsch zu rauchen. Beides sind Wünsche erster Ordnung, da sie sich auf ein ganz bestimmtes Verhalten beziehen. Allerdings ist auch klar, dass oftmals nur einer von beiden Wünschen umsetzbar ist, da man bestimmte Dinge nicht gleichzeitig tun kann.
Man kann natürlich gleichzeitig rauchen und auf's Klo gehen, oder auf's Klo gehen und dort rauchen, aber gehen wir mal davon aus, dass es sich um ein Nichtraucher-Klo handelt und nur einer von beiden Wünschen realisierbar ist. Dann ist klar, dass wir uns nur auf eine bestimmte Art und Weise verhalten können: Wir können entweder rauchen oder auf's Klo gehen.
Es stehen sich zwei Wünsche erster Ordnung gegenüber:
- Wunsch A: Ich will auf's Klo gehen.
- Wunsch B: Ich will rauchen.
Entscheidet man sich dafür auf's Klo zu gehen und das Rauchen etwas zu verschieben, so ist der erste Wunsch handlungswirksam geworden; entscheidet man sich jedoch dafür, erst nach dem Rauchen die Toilette aufzusuchen, so ist der zweite Wunsch handlungswirksam geworden.
Kehren wir zurück zu unserer ersten Unterscheidung und dem bis dato noch undefinierten Begriff der Volition zweiter Ordnung. Ähnlich wie bei den Wünschen zweiter Ordnung bezieht sich auch die Volition zweiter Ordnung nicht auf ein bestimmtes Verhalten sondern auf einen Wunsch.
Das Prägnante ist hierbei jedoch, dass sich die Volition zweiter Ordnung nur auf Wünsche bezieht, bei denen man die Absicht hat, dass dieser Wunsch handlungswirksam werde. Nehmen wir wieder ein Beispiel zur Veranschaulichung:
Ich kann gleichzeitig den Wunsch erster Ordnung haben zu rauchen und mir wünschen, den Wunsch zu rauchen nicht zu haben. Die Frage ob es sich dabei um einen Wunsch oder eine Volition zweiter Ordnung handelt hängt davon ab, ob es mein Wunsch ist, dass sich der Wunsch zweiter Ordnung, dass ich mir nicht wünsche zu rauchen, auch tatsächlich durchsetzt oder nicht.
Das klingt vielleicht etwas verwirrend und kompliziert, lässt sich aber leicht nachvollziehen, wenn man sich folgenden Unterschied vor Augen führt: Jemand verspürt das Verlangen nach einer Zigarette und denkt sich gleichzeitig - etwa aus Ärger darüber, dass Zigaretten teurer geworden sind - dass es doch eigentlich besser wäre, nicht zu rauchen. Er hat also einmal den Wunsch erster Ordnung zu rauchen und andererseits den Wunsch zweiter Ordnung nicht immer rauchen zu wollen.
Jemand anderes wiederum verspürt ebenfalls das Verlangen nach einer Zigarette und hat ebenfalls den Wunsch zweiter Ordnung, nicht immer den Wunsch nach dem Rauchen zu verspüren, aber kommt gerade vom Arzt, der bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert hat. Nehmen wir an, dass diese Person aus tiefster Seele wünscht, nicht mehr den Wunsch nach Zigaretten zu haben. Anders als im ersten Beispiel ist es dieser Person wirklich ernst und er möchte, dass sein Wunsch nicht mehr rauchen zu wollen handlungswirksam werde.
Nun soll dadurch keineswegs der Eindruck entstehen, dass es von den äußeren Umständen abhängen würde, wann jemand etwas wirklich will und wann nicht - Geiz kann ebenso dazu führen, dass jemand möchte, dass der Wunsch nicht mehr Rauchen zu wollen handlungswirksam werde, wie die Krebs-Diagnose bei dem anderen und andersherum.
Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass in einem der beiden Fälle jemand möchte, dass sich ein bestimmter Wunsch gegenüber den anderen Wünschen tatsächlich durchsetzt, während der andere zwar auch die entgegen gesetzten Wünsche zu rauchen und nicht rauchen zu wollen hat, aber sich nicht wirklich entscheidet, welcher dieser beiden Wünsche sich tatsächlich durchsetzen soll.
Nur Wünsche zweiter Ordnung, von denen jemand sich wünscht, dass die Wünsche erster Ordnung, auf die sie sich beziehen, tatsächlich handlungswirksam werden, nennt Frankfurt Volitionen zweiter Ordnung. Und ebendiese Volitionen zweiter Ordnung sind dieser Theorie folgend das, was in der Summe den Willen bildet.
Hier wird bereits deutlich, dass die Fähigkeit sich auf Wünsche zu beziehen - und nicht nur welche zu haben - das ist, was einen wirklichen Willen überhaupt erst möglich macht. Viele Tiere folgen beispielsweise einfach blind ihren Wünschen erster Ordnung ohne diese zu reflektieren. Widersprechen sich mehrere Wünsche erster Ordnung, so verhält sich das Tier oft etwas verrückt, während Menschen in der Regel versuchen werden ihre Wünsche zu gliedern und sich dann bewusst für einen dieser Wünsche entscheiden.
Selbstreflexion ist hierbei ein äußerst wichtiges Stichwort. Wer sich mit seinen Wünschen gar nicht kritisch auseinandersetzt und einfach nur blind den Wünschen erster Ordnung folgt, so wie sie gerade daherkommen, der handelt wie ein Triebhafter - und hat keinen wirklichen Willen.
Nun gibt es aber durchaus Menschen, wie zum Beispiel Süchtige, die in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt sind. Aber lassen sich Handlungsfreiheit und Willensfreiheit einfach so gleichsetzen? Frankfurt beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein!
Nehmen wir wieder ein Beispiel: Drei Menschen. A, B, und C sind schwer suchtkrank.
A ist ein Triebhafter, er denkt nicht besonders viel über sich nach und macht sich über seine Wünsche in der Regel keine Gedanken. Er stellt sich überhaupt nicht die Frage, ob er überhaupt möchte, dass er ständig die Droge haben will oder nicht, sondern folgt blind seinem Verlangen, wenn es ihn überkommt.
Der süchtige B hingegen stellt sich diese Frage ab und zu, zum Beispiel wenn er kein Geld für die Droge hat, die Entzugserscheinungen einsetzen oder ihm die Drogensucht auf eine andere Art Probleme bereitet. Er kann sich aber nicht so recht entscheiden, ob er tatsächlich damit aufhören will, die Droge zu nehmen, da ihm der Rausch besser gefällt als nahezu alles andere auf der Welt und er weiß, dass er dieses Glücksgefühl im Grunde nicht aufgeben will, auch wenn er auf Grund der aktuellen Probleme den Wunsch verspürt, sich nicht immer nach der Droge sehnen zu wollen. Er verspürt mal nur den Wunsch erster Ordnung nach der Droge und mal den Wunsch zweiter Ordnung, sich nicht ständig nach der Droge sehnen zu wollen, weiß aber nicht, welchen dieser beiden Wünsche er gerne als handlungswirksamen Wunsch hätte.
Der Süchtige C hingegen ist ein Süchtiger wider Willen. Er genießt zwar wie die beiden anderen den drogeninduzierten Glückszustand, hat aber über seine Wünsche lange nachgedacht und möchte, dass der Wunsch, sich nicht mehr nach der Droge zu sehnen, handlungseffektiv werden solle. Dennoch schafft er es nicht, von der Droge loszukommen.
Wie bei A und B ist auch bei C die Handlungsfreiheit eingeschränkt - er schafft es nicht seine Sucht zu besiegen. Seine Handlungsfreiheit ist klar eingeschränkt. Aber beschneidet das auch seine Willensfreiheit?
Während A gar keinen Willen ausbilden kann, da er nicht in der Lage ist via Selbstreflexion seine eigenen Wünsche zum Inhalt seines Willens zu machen, ist B dazu durchaus fähig. Nur ist B sich eben nicht sicher, ob der Wunsch erster Ordnung nach der Droge oder der Wunsch zweiter Ordnung, nicht ständig die Droge zu wollen, der ist, den er sich zu eigen machen soll. Auch ihm mangelt es an Willensfreiheit, da er den beiden konkurrierenden Wünschen ambivalent gegenübersteht. Er ist wie Treibholz, dass bei Ebbe ins Meer gezogen und bei Flut an den Strand gespült wird.
C hingegen ist sich völlig klar darüber, was sein Wille ist: Er will, dass sich der Wunsch, die Droge nicht ständig zu wollen, durchsetzt. Und trotzdem ist er seinem Verlangen nach der Droge gegenüber machtlos. Er muss mit ansehen, wie sein Wille von der Droge unmöglich gemacht wird, aber anders als A und B bezieht er klar Position.
Dies zeigt, dass - obwohl alle drei Süchtigen in ihrer Handlungsfreiheit auf ein und dieselbe Weise beschränkt sind - nur einer der drei tatsächliche Willensfreiheit genießt: C.
Aber Frankfurt geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass überhaupt nur diejenigen, die in der Lage sind, sich ihre Wünsche zum Gegenstand von Volitionen zweiter Ordnung zu machen, tatsächlich Personen sind. Weder der unreflektierte Triebhafte, noch das Kleinkind, noch das Tier, noch der Ambivalente sind demnach Personen.
Interessant ist hierbei auch die Betrachtung des Personenbegriffs aus der juristischen und psychologischen Perspektive: In der Rechtssprechung wird oft davon gesprochen, dass jemand "triebhaft" oder "nicht aus freiem Willen" gehandelt habe. In vielen dieser Fälle wirkt dies strafmildernd, da man jemanden nur für das verantwortlich machen kann, was er freiwillig getan hat.
Aber Frankfurt weist darauf hin, dass diese Betrachtungsweise etwas zu kurzsichtig geraten kann, da man sich auch freiwillig in die volitionale Unfreiheit begeben kann. So ist es für einen Spielsüchtigen durchaus möglich, sich bewusst und aus freien Stücken in eine Situation zu begeben, von der er vorher weiß, dass er in dieser Situation seine Willens- und Handlungsfreiheit verlieren wird.
Anders als in der Rechtssprechung ist Frankfurt der Ansicht, dass jemand, der sich bewusst und absichtlich in einen Zustand hinein maneuvriert, der nicht mehr kontrollierbar ist, bzw. in dem die Willens- und Handlungsfreiheit eingeschränkt sind, dennoch voll verantwortlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht für die Taten selbst, so doch aber in jedem Falle dafür, sich bewusst für den Zustand entschieden zu haben.
Für mich persönlich machen diese Ausführungen eine ganze Menge Sinn und ich habe selten soviel beim Lesen gestaunt wie bei Frankfurts Freedom of the Will and the Concept of a Person. Auch fühlte ich mich ein ums andere Mal an die Philosophie Aleister Crowleys, an "Thelema" und "Do what thou whilt shall be the whole of the Law" erinnert. Auch das "Love ist the Law, Love under Will" findet sich bei Frankfurt in dem Aufsatz Autonomy, Necessity and Love wieder, wenn auch in etwas anderer Form als dies bei den meisten Crowleyanern der Fall ist. Man könnte sagen - und ich bin dieser Meinung: Thelema hat hier eine würdevolle Antwort erhalten, die sich zu Gemüte zu führen lohnt.