Von Menschen und Moorhühnern

Ein_Liberaler

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Wem es langweilig wurde, so viele virtuelle Moorhühner zur Strecke zu bringen, daß er damit im RL eine Schnellimbißkette hätte beliefern können, dem bietet die Karlsruher Hochschule für Gestaltung jetzt eine Abwechslung. Einer ihrer Studenten hat ein Computerspiel entwickelt, das es dem Spieler erlaubt, in die Rolle eines Grenztruppensoldaten zu schlüpfen und Grenzverletzer (bzw. Flüchtlinge) hinterrücks niederzuschießen. Der Entwickler betont allerdings den pädagogischen Ansatz des Spiels - man könne es nur gewinnen, indem man gerade nicht schießt.

Nun ist Nichtstun relativ unspannend, deshalb war es wohl angezeigt, eifrigen Mauerschützen dadurch die Freude am Spiel zu nehmen, daß es nach dem dritten Todesschuß für mehrere Minuten für ein virtuelles Strafverfahren unterbrochen wird...

Trotzdem ist die Nachfrage erst einmal hoch, die Server sind überlastet.

http://www.onlinekosten.de/news/artikel/41812/0/Mauerschuetzen-Spiel-geht-online-Server-ueberlastet
 

dkR

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In einem anderen Szenario oder einem anderen Land würde das Programm keine Sau interessieren.
 

TheFreeman

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Ich gehe jede Wette ein, dass das dieses 'Kunstobjekt' bald von irgendeiner GmbH vermarktet wird. Ab 20.000 Klicks pro Tag ist es dann auch nur noch eine 'Brand', mit der Geld verdient wird. Außerdem bin ich der Meinung, dass auch 'Kunst' ethisch angreifbar ist, wenn sie entsprechende Inhalte hat...


Gruß,
TheFreeman
 

Telepathetic

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Auf den ersten Blick erscheint es mir so, als würde das Kunstobjekt mehr von der Sensation leben, dem Thrill virtuell zu einem Mauerschützen oder einem Flüchtling zu werden.

Ich stelle mir vor, dass eine Führung durch einen ehemaligen Grenzposten, durch einen Wachturm, durch den Grenzstreifen um Einiges informativer und spannender sein dürfte.

In Zeiten der um sich greifenden Virtualisierung mag der Gedanke Häresie sein .. aber das reale Leben ist einfach erfüllender .. selbst dann wenn es sich lediglich um einen kleinen, übriggebliebenen Brocken der Mauer handeln würde, an dem aber ein echtes Stück Geschichte hängt.
 

gaia

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Hmm...mir geht der psychologische Aspekt an diesem Spiel überhaupt nicht auf....Wegen dieser kurzen "Auszeit" vor Gericht? Die reichen gerade mal um eine Zigarette zu rauchen, bevor es dann weiter geht.
Ich habe gar nicht mal so ein grossen Problem mit Spielen in denen man auf Menschen schießt- ich habe nur sehr wenig Verständiss wenn tatsächliche geschichtliche Ereignisse Gegenstand eines Spiels werden .Das ist ja "JFK reloadet" auch nicht anders:egal: Das Attentat auf den Präsidenten nachspielen...was für ein Spass......Ich frage mich hier mal wieder, ob wir tatsächlich so gefühlskalt geworden sind.....
 

haruc

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Meiner Information nach wollte der werte Herr kein spannendes Spiel kreieren, es ging viel mehr um das Design der Atmosphäre vor dem Hintergrund der deutsch-deutschen Grenze. Man könnte auch jeden anderen Konflikt nehmen. Aber gerade dieses Thema ist noch sehr jungfräulich, außerdem ist ein Shooter (auf Basis von HL2!!) bei dem man nicht schießen darf, mehr oder weniger ein Novum.

Ich persönlich halte die Idee nicht für sonderlich prickelnd. Muss ja jeder selber wissen was er einreicht.

Eines hat der Mensch aber erreicht:

Jetzt wird nicht nur über Spiele gegeifert, in denen man Menschen umbringt, jetzt regt man sich auch über Spiele auf, in denen man Menschen nicht umbringen darf.

Wenn es darum ging, die Doppelmoral und das praktisch nicht vorhandene Nachdenken weiter Teile der Gesellschaft und der Presse aufzuzeigen, dann ist das mit diesem "Spiel" gelungen.


Ich spiele Day of Defeat Source, Battlefield 1918 und RedOrchestra. (letzteres is übrigens das einzige Spiel, in dem Jubeln nach dem Sieg mehr oder weniger verpönt ist.)

Ich frage mich ja auch ständig selbst nach den Beweggründen, solche Spiele erstens als "spiel" und zweitens als "Freizeitbeschäftigung" anzusehen. Immerhin wird das Töten von Menschen sehr realistisch dargestellt und ist der einzige Sinn und Zweck im Spiel.

Nun, im echten Leben könnte ich selbst bei ner Kneipenschlägerei nicht so ohne weiteres einem eine runterhauen. Im Spiel mäht man ohne mit der Wimper zu zucken mit dem Mg42 4-5 Russische Infanteristen nieder, die um die Ecke kommen, wechselt den glühenden Lauf aus und nimmt den nächsten Russki ins Visier.....
Wenn ich mir dann vorstelle, das wären echte Menschen gewesen, wirds mir etwas flau in der Magengrube. Ich stell mir dann vor, wieviel Mühe und Liebe ihre Eltern jahrelang in die Erziehung ihrer Kinder gesteckt haben... und all das soll im Alter von 18, 19 oder 20 Jahren binnen Sekundenbruchteilen von einer deutschen MG-Garbe ausgelöscht werden?

Egal.. ist ja nur am PC. Da hat solches Handeln keine Konsequenzen. Selbst der eigene virtuelle "Tod" infolge Unachtsamkeit bei der Stellungswahl (dummerweise war in der Grabenwand ein Loch infolge Artilleriebeschusses, so konnte unbemerkt ein russischer Heckenschütze meinem Dasein als MG-Schütze ein Ende setzen) oder warum auch immer ist hinnehmbar, kann man doch zu jedem Zeitpunkt aus dem Kessel von Kurland 45 zurück ins gutgeheizte Zimmer 2010 springen... Gedanke: Die damals konntens nicht. Man fühlt sich irgendwie schuldig, dass man das Leiden von Millionen braver deutscher und russischer Soldaten als Vorlage für Freizeitunterhaltung nimmt... Was würden die Toten von damals sagen, die jetzt irgendwo in tiefgefrorener Russischer Erde ihren 85. "Geburtstag" und ihren 66. Todestag begehen?

Egal. Eigentlich gibts keine moralische Rechtfertigung. Und dennoch tu ichs. Immer wieder. Und ich weiß nicht warum.

sehr verstörend, diese Reflexion.

ich glaube, es ist die Faszination vom Abgrund... der virtuelle Tod als schneller nervenkitzel. Das taktieren, das Messen mit dem Gegner. Davon kann in einem Spiel, in dem man von einem Turm aus Flüchtlinge in den Rücken schießt keine Rede sein. Aber genau deshalb ist es ja auch verboten...
 

Telepathetic

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Ich bin da ähnlich eingestellt wie Du, haruc, ich habe (früher) Ego-Shooter wie Medal of Honor gespielt. Diese Spiele sind und bleiben Spiele, zumal sie nichts weiter als Zeitvertreib sind für Leute, die gerne bewegte Objekte zielsicher treffen wollen.

Diese Spiele sind wie virtuelle Schützenvereine, in Perfect Dark hat der Spieler die Möglichkeit auf der Range nicht nur alle Waffen zu testen, sondern auch Bronze, Silber und Gold im Geschicklichkeits-Schießen zu erreichen.

Auch ich kenne die Wut, die im Spieler aufsteigt, wenn man im Spiel nicht mehr weiterkommt, an irgendeiner Stelle hängenbleibt. Da kann es schonmal passieren, dass sich die Frustration entlädt und der Controller an die Wand fliegt. Dies passiert aber auch Spielern, die gewaltfreie Spiele bevorzugen.

Ich habe aber nicht ein einziges Mal den Gedanken gehabt, aufgrund meiner Unzulänglichkeit, irgendeinen, für mein reales Leben unwichtigen, Spielverlauf nicht zu bewältigen, einen anderen Menschen dafür leiden zu lassen.

Ich lehne das Argument ab, dass Ego-Shooter Schuld seien an Amokläufen. Sie mögen ein mitauslösender Faktor sein können, aber nicht die Ursache. Siehe Frust-Entladung. Soviel Lebens-Frust kann ein Spiel doch gar nicht aufbauen.

Der Unterschied zwischen einem Spiel mit Kriegshintergrund und den echten dramatischen Kriegszuständen, die tausendfach Leid in die Welt tragen, sollten jedem einleuchten können. Das viele Kinder und Jugendliche in unserem im Vergleich immer noch sehr reichen und vor allem friedlichen Land, den Ernst echter Kriegszustände intellektuell (womöglich!) nicht verarbeiten, hat andere Ursachen. Wohlstand und andere Lebensprobleme mögen nur zwei dieser Gründe sein.

Da frage ich mich doch, welcher der unzähligen Kriege in der Menschheitsgeschichte von Video-Kriegsspielen ausgelöst worden ist.
 

haruc

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Telepathetic schrieb:
Ich lehne das Argument ab, dass Ego-Shooter Schuld seien an Amokläufen. Sie mögen ein mitauslösender Faktor sein können, aber nicht die Ursache. Siehe Frust-Entladung. Soviel Lebens-Frust kann ein Spiel doch gar nicht aufbauen.


Ja ich halte die Behauptung, die "Killerspiele" seien schuld auch für Humbug.
Es ist nichts als ein Schutzreflex der Verantwortlichen, die damit ihr Versagen auf Andere schieben wollen.

Eltern, Lehrer, Politiker. Alle tragen an Amokläufen einen Teil der Verantwortung. Genau diese Leute schieben aber die Schuld auf die vermeintlich bösen Killerspiele. Wenn dann der Amokläufer noch Rockundroll gehört hat und Sonntags nicht in die Kirche ging, dann ist ja alles klar.

Denn wir wissen: Menschen die in die Kirche gehen, können nichts Böses tun..... :twisted:

Und so rollen Köpfe, der Sündenbock ist gefunden, das Problem nicht gelöst, die Verantwortlichen, die wirklich etwas bewirken könnten, ignorieren weiterhin die Hilfeschreie gequälter Seelen und alles geht weiter wie zuvor, ohne Killerspiele, aber mit Amokläufen.

Bis heute fehlt jeglicher belastbarer Nachweis, dass so genannte Killerspiele Ursache für tatsächliche Gewalt sind. Ebenso wie für die böse aggressive Musik.

Was ich jedoch problematisch finde ist, wenn Kinder solche Spiele spielen, und zwar exzessiv und in einem Alter in dem das wirklich unangebracht ist. Über die Alterseinstufung kann man ja in gewissen Fällen streiten, eines aber ist dennoch klar: Spiele, die das Töten simulieren, gehören nicht in die Hände zb. 11-Jähriger.

Das Gehirn befindet sich in diesem Alter noch in einer Phase starker Prägung und es ist nicht abzusehen, welche Folgen das Spielen solcher spiele auf die Entwicklung hat.

Und da sind wir wieder bei der Verantwortung der Eltern.... wenn ich 9-Jährige seh, die bei Day of Defeat:source in ner Wehrmachtsuniform mit ner Mp40 rumrennen, "Superhitler" heißen und Sprüche ablassen wie "Du dreckiger Ami, dich krieg ich!", dann möcht ich das Elternhaus von dem Bub ehrlich gesagt nicht sehen...
 

Telepathetic

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haruc schrieb:
Und da sind wir wieder bei der Verantwortung der Eltern.... wenn ich 9-Jährige seh, die bei Day of Defeat:source in ner Wehrmachtsuniform mit ner Mp40 rumrennen, "Superhitler" heißen und Sprüche ablassen wie "Du dreckiger Ami, dich krieg ich!", dann möcht ich das Elternhaus von dem Bub ehrlich gesagt nicht sehen...
An der Stelle erreicht der Staat, wie es aussieht, eine Grenze seiner Macht. Ebenso "die" Gesellschaft. Wie kann der Kinder ihr, wie kann der Elternhäuser ihr Hass besänftigt werden?

Indizierung bestimmter Videospiele steigert deren Beliebtheit. Das Verbot sämtlicher Videospiele müsste mit einer Zwangsherausgabe sämtlicher Konsolen einhergehen, um zu verhindern, dass bereits erstandene Spiele nicht heimlich weitergespielt werden können.

Solcherlei Maßnahmen würde ein Aufschrei in der Bevölkerung nach sich ziehen, Randparteien Zulauf bescheren. Ganz schlicht gesagt, diese Maßnahmen würden mehr Wut und ein vergrößertes Gefühl von Ungerechtigkeit erzeugen.

Man müßte in den Familien selbst ansetzen. Aber wie?
 

haruc

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Telepathetic schrieb:
An der Stelle erreicht der Staat, wie es aussieht, eine Grenze seiner Macht.

Genau. Das ist der Punkt an dem Verbote nicht mehr greifen.

Indizierung bestimmter Videospiele steigert deren Beliebtheit. Das Verbot sämtlicher Videospiele müsste mit einer Zwangsherausgabe sämtlicher Konsolen einhergehen, um zu verhindern, dass bereits erstandene Spiele nicht heimlich weitergespielt werden können.

Welche Spiele sind dann noch legitim? Welchen Eindruck erweckt es, wenn der Staat ein Spiel verbietet und einsammelt, in dem man zb. als Geheimagent in den Mittelbau Dora eindringt um Nazi-Vergeltungswaffen zu sabotieren?

Abgesehen davon wäre das wohl eine der größten Zwangsenteignungen der deutschen Geschichte. Man müsste ja nicht nur Konsolen einsacken, sondern auch PCs.
Damit nimmt man Leuten Arbeitsgeräte weg.

Nicht nur, dass es damit getan wäre den Menschen die Geräte zu stehlen, nein, der zukünftige Vertrieb und die Produktion müssten gleich mit untersagt werden.

Dies würde dem Hitech-Standort Deutschland den Todesstoß versetzen und hunderttausende Menschen in die Arbeitslosigkeit schicken.
Zudem würden die Einnahmen stark einbrechen.
Deutschland würde seinen Anschluss ans 21. Jahrhundert und alle Zukunftsperspektiven aufgeben. Denn das Internet bräuchte dann auch keiner mehr.

Kurzum: diese von mir sicherlich drastisch überzeichnete Maßnahme ist praktisch nicht zu realisieren.

Abgesehen davon wäre das imho so ziemlich das Einzige, womit man die Deutschen zur Zeit zu einem Bürgeraufstand bewegen könnte...

Man müßte in den Familien selbst ansetzen. Aber wie?

Keine Ahnung. Ich vermute einfach mal, dass es zwei Risikofaktoren gibt, die zu solchen Erziehungsunfällen führen: 1. Vernachlässigung des Kindes durch die Eltern infolge des Verfolgens der beruflichen Karriere. 2. Bildungsferne.

Zum glück treten 1 und 2 niemals gemeinsam auf.

In beiden Fällen ist es äußerst schwierig zu intervenieren, zumal damit ja prinzipiell zunächst mal die Rechte der Eltern durch den Staat verletzt würden.

Man könnte nun sowas wie eine zentral registrierte Idendität einführen, bei der jeder Mensch, der ein Spiel spielen möchte, das wegen bestimmter Kriterien eine Altersfreigabe erfordert, seinen Altersnachweis einreichen muss um freigeschaltet zu werden.
Dies ist aber aus mehreren Gründen abzulehnen:

1. Ist es nur die Schaffung einer weiteren staatlichen Institution, die Macht und Kontrolle ausüben kann über Dinge, die weder den Staat noch sonstwen was angehn.
2. Bietet diese Maßnahme eigentlich keinen wirklichen Schutz. Wenn die Eltern der Meinung sind, ihr 9 Jähriger Bub müsse unbedingt brutale Ballerspiele spielen, damit sie weiterhin ungestört ihre Talkshows im vormittaglichen Blödfernsehn gucken können, dann werden sie ihm schon Zugang zu dem Spiel verschaffen.

Selbst die Bankkarten-Kontrolle am Zigarettenautomaten ist lächerlich. Mein Bruder (16) hat mir erzählt, dass seine jüngeren Kumpels im Besitz fremder EC-Karten sind mit denen sie die Alterskontrolle umgehen.

Kurz: Jedes Verbot provoziert neue Wege, das Verbot zu umgehen.
Man schaukelt sich auf der technologischen Seite gegenseitig hoch bis irgendwann Gewalt und Sachbeschädigung in Kauf genommen werden.

Daher bieten Verbote niemals effektiven Schutz. Der einzige Weg, wirklich etwas zu bewirken ist tiefgreifende Erziehung und Bildung.

Und gerade das fehlt dort, wo die Probleme am ärgsten sind.

Fazit ist, dass:

1. Es keine praktikable Möglichkeit gibt, diese Art von Spielen zu verbannen.

2. es sinnlos ist, Verbote einzuführen, die mit Kontrollen verbunden sind, da diese normalerweise ohne weiteres umgangen werden können; ob mit oder ohne fremde Hilfe.

3. Das Problem in der Tat ein Gesellschaftliches ist, welches sich in der Zukunft weiter verschärfen wird. In einer Gesellschaft, in der Bildung, Erziehung und Werte nicht mehr wichtig sind, um zu überleben, wird zwangsläufig ein Bodensatz übrig bleiben, der von den geistigen Errungenschaften der Neuzeit weitgehend unbefleckt sein wird.

Nun, wie könnte man also bewirken, dass in gewissen Teilen der Bevölkerung sich die Einsicht durchsetzt, dass es keine gute Idee ist, seine Kinder den ganzen Tag vor dem Fernseher/PC zu parken?

Ich befürchte fast gar nicht.

Vielleicht kommen mir morgen früh bessere ideen.

Gruß

Haruc
 

Telepathetic

Großmeister
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haruc schrieb:
Ich vermute einfach mal, dass es zwei Risikofaktoren gibt, die zu solchen Erziehungsunfällen führen: 1. Vernachlässigung des Kindes durch die Eltern infolge des Verfolgens der beruflichen Karriere. 2. Bildungsferne.

Zum glück treten 1 und 2 niemals gemeinsam auf.
Leider doch, zumindest habe ich die Erfahrung in meinem persönlichen Umfeld erleben müssen. Da sind die Kinder eher als Mittel angesehen worden, um Besitz zu erhalten. Riesige Film-Leinwand im Wohnzimmer eingebaut, aber die familien-internen Probleme unbeachtet gelassen. In dieser Familie haben Spannungen geherrscht, die sich ab und an explosiv freigesetzt haben und dann sind da auch schonmal Gegenstände durch die Räume gepfeffert worden.

haruc schrieb:
1. Ist es nur die Schaffung einer weiteren staatlichen Institution, die Macht und Kontrolle ausüben kann über Dinge, die weder den Staat noch sonstwen was angehn.
2. Bietet diese Maßnahme eigentlich keinen wirklichen Schutz. Wenn die Eltern der Meinung sind, ihr 9 Jähriger Bub müsse unbedingt brutale Ballerspiele spielen, damit sie weiterhin ungestört ihre Talkshows im vormittaglichen Blödfernsehn gucken können, dann werden sie ihm schon Zugang zu dem Spiel verschaffen.
Ich bin auch davon überzeugt, dass staatliche Einmischung in dieser Form nicht viel bringen würde. Erzieher haben da imo mehr Möglichkeiten, gut haltende Vertrauensverhältnisse zu den Kindern aufzubauen und einfach als Vorbilder für einen (vor allem) gewaltlosen Umgang zu dienen.
Vernachlässigte Kinder können auf diese Weise eine zwischenmenschliche Kommunikation erlernen, die auf Zugewandtheit, Ehrlichkeit, Respekt basiert, eine Kommunikation, die nicht heruntergeschluckt wird und sich dann irgendwann in gewalttätigem Verhalten an die Oberfläche zwingt.

haruc schrieb:
Nun, wie könnte man also bewirken, dass in gewissen Teilen der Bevölkerung sich die Einsicht durchsetzt, dass es keine gute Idee ist, seine Kinder den ganzen Tag vor dem Fernseher/PC zu parken?
Schwierig. Im Prinzip müßten die Leute, die ein harmonischeres Familien-Leben haben und die aus beruflichen oder / und ehrenamtlichen Gründen mit Menschen aus diesen Familien zu tun haben, individuelle Wege finden, um ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen und mittels Worten andere Perspektiven zu eröffnen, Mut zu machen, ein wenig Hoffnung zu spenden .. kurzum .. als eine Stütze, als jemand Haltgebendes zu fungieren.

Sicherlich ist das eine Herausforderung und schwerer, als nur seinen Job zu machen, aber der Gesellschaft würde mehr Verbundenheit auch zwischen den Schichten wohltun.

Gruß,
Tele
 

haruc

Ehrenmitglied
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Telepathetic schrieb:
Schwierig. Im Prinzip müßten die Leute, die ein harmonischeres Familien-Leben haben und die aus beruflichen oder / und ehrenamtlichen Gründen mit Menschen aus diesen Familien zu tun haben, individuelle Wege finden, um ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen und mittels Worten andere Perspektiven zu eröffnen, Mut zu machen, ein wenig Hoffnung zu spenden .. kurzum .. als eine Stütze, als jemand Haltgebendes zu fungieren.


Abseits davon bin ich der Meinung, dass das Erziehungsversagen, dessen "Früchte" wir gerade erst zu ernten beginnen, nicht (nur) den gegenwärtig Erziehenden zur Last gelegt werden kann und darf sondern in hohem Maße auch deren Elterngeneration.

Früher haben Schule und der Zwang, etwas zu lernen damit man einen Lebensunterhalt hat, zwangsläufig zu einer gewissen Angleichung geführt. Das deutsche Schulsystem der 1950er und 1960er Jahre mag zwar mit vielen Mängeln behaftet gewesen sein und es war gewiß nach unseren heutigem Maßstäben (und eigentlich auch schon nach den Zeitgenössischen) nicht gerade sehr Schülerzentriert, aber ich denke dass es unwissentlich eine gewisse integrative Funktion ausübte, deren Effekt nach 1968 verloren ging.
Gleichzeitig damit ging auch ein Verlust der "alten Werte" in weiten Kreisen der Bevölkerung einher (oder vielleicht eher eine langsame Verschiebung hin zu anderen Werten. Ein Prozess der anscheinend gerade erst seine höchste Entfaltung erreicht).

Zu den weiteren Externen Faktoren möchte ich noch die durch Grünsozialistische Bildungspolitik verursachte scheinbare Perspektivlosigkeit vieler Kinder und Jugendlicher erwähnen: Durch den politischen Druck, möglichst viele Abiturienten zu erzeugen (bei gleichzeitig immer weiter beschränkten Mitteln!) wurde das Abitur entwertet. Dies ging wie wir alle wissen insbesondere zu Lasten de Mittleren Bildungsabschlusses, aber auch des Hauptschulabschlusses.

Wer heute kein Abitur mehr hat, hat kaum eine Chance auf einen guten Job. So die Wahrnehmung. Dass es natürlich nach wie vor Berufe gibt, in denen das Abitur nicht erforderlich ist, liegt auf der Hand.

Nur wenn schon Bäckereien nach Realschulabsolventen als Verkäufer suchen, dann kann man sich ein Bild davon machen, welche berufliche Zukunft sich Leute ausmalen können, die Probleme haben, die Mittlere Reife zu erreichen.

Alles in Allem führt der Einheits-Abitur-Für-Alle-Brei zu großen gesellschaftlichen Verwerfungen und vor Allem zu Perspektivlosigkeit unter Jugendlichen.

Perspektivlosigkeit produziert Resignation.

Ich glaube man versteht was ich meine. Man könnte den Kreis der Ursachen, die das Problem "Erziehungsversagen" verschulden noch erweitern. Jedoch denke ich dass sich jeder selbt ein Bild davon machen kann.

Am Ende dieser verketteten Prozesse und Entwicklungen steht das Erziehungsversagen unserer Tage.

Und das Fazit ist:

Allein mit gut gemeinten Worten von Außenstehenden ist es nicht getan.
Es muss ein grundlegender Wandel weg von der "Jeder außer mir hat gefälligst meines Glückes Schmied zu sein"-Mentalität hin zu einem ehrenvollen Selbstbild, in dem es als Selbstverständlichkeit gilt, sein eigenes Leben selbstbestimmt zu leben und dafür Verantwortung zu tragen.
Und dazu gehört auch, dass man als Eltern dafür Sorge trägt, dass die Kinder die bestmöglichen Startbedingunen ins Leben "erben".
Wer ein Kind zeugt akzeptiert diese Verantwortung. Wer sie vernachlässigt begeht ein Verbrechen an seinem Kind und der Gesellschaft!



Erzieher haben da imo mehr Möglichkeiten, gut haltende Vertrauensverhältnisse zu den Kindern aufzubauen und einfach als Vorbilder für einen (vor allem) gewaltlosen Umgang zu dienen.

Ja, die Rolle, die das Vorbild bei der Erziehung und Entfaltung des Menschen spielt, ist ja hinlänglich bekannt.

Es ist daher sehr wichtig, dass Kinder bereits früh zusammen mit anderen Kindern, am besten auch aus anderen Kulturkreisen, gemeinsam soziales Verhalten erlernen.


Gruß

haruc
 

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