Realitätskriege

Ask1 Redaktion

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Unsere Realität ist ein Konstrukt unseres psychologisch/physischen Komplexes, geschaffen aus dem Datenmaterial, das wir im Rahmen unserer Fähigkeiten aus der Wirklichkeit extrahieren können.

Was nach all dem Filtern der ungeheuren Informationsflut um uns herum übrig bleibt und zu einem scheinbar umfassenden, üppigen Bild dessen, was da ist, "verbacken" wurde, ist letztlich nicht mehr als eine grobe Karte, die uns hilft, unser Überleben zu sichern.

Neben der individuellen Realität ist da jene, die wir miteinander teilen. Eine Datenkonstruktion, von der die meisten von uns übereinstimmend meinen, wir würden sie zumindest ähnlich wahrnehmen. Tatsächlich jedoch erfahren wir nicht alles, was um uns herum geschieht. Was wir über die Nachrichtenagenturen über unsere Welt erfahren, was wir über die Gründe und Entscheidungsgrundlagen unserer politischen Vertreter erfahren, ist das Ergebnis eines Prozesses. Information wird geschaffen und uns - mal mehr, mal weniger - zielgerichtet verabreicht.

Wir werden informiert und gleichzeitig oft genug manipuliert. Dies gilt ganz besonders für Kriegszeiten, aber natürlich auch für die Informationspolitik zu Friedenszeiten.

Fakt ist ganz sicher, dass die Welt, die wir als gemeinsame Realität akzeptieren, sich in einer Vielzahl von Punkten von der Welt unterscheidet, die gewisse Menschen in gewissen Entscheidungspositionen als Realität kennen. Etwas poetisch ausgedrückt könnte man sagen, wir Leben in einer Welt gestaffelter Realitäten mit unterschiedlichen Informations- und Wirklichkeitsgehalten. Die Position der Mehrzahl der Menschen, des normalen Bürgers in diesem System aus Wahrheiten und Informationen, ist eine nicht all zu Gute. Denn das, was wir als gemeinsame Realität kennen, ist gekennzeichnet durch teils bewusst herbeigeführten Informationsmangel und ebenso absichtlicher Fehlinformationen.

In so manchem Fall kann man getrost das Wort Propaganda benutzen, um das Werkzeug, mit dem unsere Realität geschaffen wird, grob zu benennen.

Die peinlichen Pannen in der Informationspolitik der "Allianz der Willigen", zu Zeiten des zweiten Golfkrieges unter US-Amerikanischer Führung, haben die Bedeutung der Propaganda auch in modernen Demokratien verdeutlicht. Wenngleich es sich dabei auch nur um besonders augenscheinliche und drastische Beispiele für die permanente Manipulation unserer Ansichten handelt.

Propaganda, ein Begriff, der erstmals verwendet wurde von der Katholischen Kirche - als diese versuchte, den "wahren Glauben" gegen die Reformatoren zu verteidigen - ist an und für sich nicht neu. Bereits Alexander der Große ließ Schreiber seine Heerscharen begleiten, um den siegreichen Zug zu dokumentieren und die glorreichen Neuigkeiten in den umliegenden Städten und Ländern zu verbreiten. Ganz ähnlich, wie es alle kennen, von den "embeded correspondents" aus dem letzten Konflikt zwischen der US geführten Allianz und dem Irak.

Nicht zuletzt die raffinierte Propaganda des Reichspropagandaministeriums unter Goebbels oder die ausgefeilten Propagandatechniken auf sowjetischer Seite trugen wohl zur Ansicht bei, dass Propaganda in erster Linie mit diktatorischen Regimen zu assozieren sei. So fiel es leicht, die Ausbrüche des als "Comical Ali" bekannt gewordenen irakischen Informationsministers Mohammed Saeed al-Sahaf als plumpe Propaganda zu identifizieren. Während die Propaganda der westlichen Allianz weit weniger als Werkzeug einer informationellen Kriegführung identifiziert wurde.

In modernen, westlichen Demokratien umschreibt man diese Manipulation der Meinung durch staatliche Stellen euphemistisch mit Einflussnahme. Das OSI (Office of Strategic Influence), ein zeitweise von Rumsfeld eingeführtes Büro, das die Aufgaben übernehmen sollte, die bisher kommerziellen PR-Agenturen im Auftrag überlassen waren, musste zwar nach internationalen Protesten Federn lassen. Jedoch wurde das OSI lediglich geheimer und arbeitete seither als ein "Office Whithout Name" weiter. Ähnlich dürfte es sich mit dem TIA (Total Information Awareness) verhalten. Auch dieses Projekt wird zwar offiziell nicht finanziert, es ist jedoch zu vermuten, dass es trotzdem in irgendwelchen dunklen Kammern des Pentagons arbeitet.
Der Afghanistanfeldzug beispielsweise wurde von der Firma Rendon Group vermarktet. Und im Vorfeld des Golfskriegs von 1991 wurde von einer Organisation "Citizens for a Free Kuwait" - die von der kuwaitischen Regierung finanziert wurde - bei der PR-Agentur Hill & Knowlton eine frei erfundene Geschichte von Gräueltaten irakischer Soldaten an kuwaitischen Babys so geschickt in Szene gesetzt, dass die Debatte um ein Eingreifen massiv beeinflusst wurde.

Einrichtungen wie das TIA, das ja offiziell so nicht mehr existiert, nutzen Strukturen wie ECHELON, die der Sammlung und Zusammenstellung von Information dienen. ECHELON ist ein Netzwerk aus Abhöreinrichtungen, die sowohl Satelliten- als auch landgestützte Kommunikationssysteme infiltrieren können. So hat sich der US-Dienst NSA weltweit Zugriff auf gewöhnliche e-Mails, Faxe, Telexe und Telefongespräche verschafft. Wobei das System nach Schlüsselbegriffen in der Kommunikation fahndet und sich dementsprechend abhörend zuschaltet.
Ziel der ECHELON-Struktur ist es, Wissen über potenzielle Terroristen und ganz nebenbei über das wirtschaftliche Geschehen in aller Welt zu sammeln.
Offenbar wurde schon 1977 eigens eine geheime "Behörde für Nachrichtenverknüpfung" gegründet, die unter anderem das US-Handelsministerium mit wirtschaftlich relevanten Informationen versorgte. Es ist naheliegend, dass das Handelsministerium diese Daten dann auch an Unternehmen der US-Wirtschaft weitergegeben hat, die sich damit gezielt einen Vorteil im internationalen Wettbewerb verschaffen konnten.

Obwohl das TIA mit einiger Wahrscheinlichkeit inoffiziell vom Pentagon weiter betrieben wurde, hat das Weiße Haus das "White House Office of Global Communications (OGC)" eingerichtet. Eine weitere propagandistische Einrichtung, die sich seit ihrem Bestehen mit dem Erfinden von "der Sache dienlicher Sprachregelungen" und erfreulich gefärbten Nachrichten beschäftigt.

Doch wie schon seit jeher, ist Propaganda nur ein Teil des informationellen Krieges (information warfare), der nach Brian C. Lewis "... im weitesten Sinne der Kampf um Informationen und Kommunikationsprozesse ist. Ein Kampf, der bereits seit dem Beginn der menschlichen Kommunikation andauert. In den letzten Jahrzehnten hat jedoch das schnelle Wachstum der Kommunikations- und Informationstechnologien und ihre zunehmende Wichtigkeit in der Gesellschaft, den Kommunikationsprozess selbst, sowie die Signifikanz und die möglichen Auswirkungen des Information Warfare revolutioniert. Information Warfare ist das Anwenden von zerstörerischen Kräften in großem Maßstab gegen Informationsquellen und Systeme. Er greift auch die vier wichtigsten Säulen der Infrastruktur an: Elektrizität, Kommunikation, Finanzwesen und das Transportwesen."

Diesen informationellen Krieg in modernen Demokratien zu führen ist auch (neben schon erwähnten propagandistischen Einrichtungen)Aufgabe spezieller Einheiten wie der PSYOPS (Psychological Operations) bei der US-Army oder der Bundeswehrtruppe OpInfo (Truppe für Operative Information).

Ziele solcher Einheiten sind zahlreich. Dazu gehören unter anderem: - Die Veränderung und Kontrolle der öffentlichen Meinung durch die Erzeugung von Bedrohungs-Szenarien, die eine allgemeine Kriegsbereitschaft innerhalb der eigenen Gesellschaft herstellen, bzw. aufrecht erhalten sollen. Als Beispiel sei hier die Informationspolitik von der Front genannt, wie man sie sowohl bei der Nato-Aktion gegen Serbien als auch bei beiden Golfkriegen erleben konnte. - Aktionen, die an der Front dazu beitragen sollen, Gefechte zu vermeiden. Vorgehen können hier sein: Propaganda, mit der man den Gegner zur Aufgabe bewegt. Oder Störung und Manipulation des gegnerischen Informationsstroms, so dass die Situation diesen auswegslos erscheint oder der Gegner so im Unklaren über die Lage ist, dass er nicht mehr reaktionsfähig ist.
- Manipulation der Informationsstruktur der "gegnerischen Gesellschaft", in dem man zB Nachrichtensendungen verhindert oder manipuliert ersetzt, damit Streitkräfte und Regierung den Rückhalt in ihrer Bevölkerung verlieren. Oder man legt durch cybernetische Angriffe Informationssysteme lahm im Bereich Transport, Energie, Verwaltung, etc.

Es gilt - auf dieser Ebene einer Auseinandersetzung - nicht nur, dem Gegner einen Nachteil zu bescheren, sondern auch den eigenen Kräften einen Vorteil zu verschaffen, in dem zB verschiedene Einheiten aufgrund von Informationstechnologien so vernetzt sind, dass sie mit höchster Effizienz koordiniert werden können. Der mit Video-, Navigations- und Kommunikationssystemen ausgerüstete Soldat der Zukunft (Landwarrior) mit seinem gefechtstauglichen Laptop auf dem Rücken ist ein weiterer Schritt in die Alltäglichkeit des informationellen Krieges.

Der militärische Kontext ist jedoch. wie bereits erwähnt, nicht das einzige Spielfeld der Manipulatoren. Obwohl in diesem Zusammenhang naturgemäss Propaganda oft besonders auffällig ist. Der Kampf um Meinungen, Einstellungen, um Gedanken und Willen findet auch ganz alltäglich und als normal akzeptiert in unseren Gesellschaften statt.

Parteien pressen ihre Programme in Schlagworte und personifizieren ihre Vorstellungen mit Kandidaten, die für die "Sache" werben. Es werden uns viele Gründe genannt, warum wir diese oder jene Partei wählen sollten. Doch all zu oft stellt sich heraus, dass die schönen Formulierungen nicht viel mehr waren, als eben machtpolitisches Phrasendreschen. Da ist von ominöser Nachhaltigkeit die Rede und es wird ein wundersamer Segen für Wohlstand und Perspektiven versprochen. Die Realität jedoch holt die schönen Phrasen bald ein. Nun wird der politische Gegner lächerlich gemacht und scheinbar widerlegt, in dem die Wahlplakate der Gegenseite mit neuen Bedeutungen okkupiert werden. Inhaltlich jedoch bleiben diese Plakate all zu oft hohl und leer und lassen kaum einen Rückschluss oder Vorausblick auf das zu, was die jeweilige Partei nun tun würde, wäre sie nur auf der politischen Bühne in einer Position größeren Einflusses.

Mit feinem Sinn für "Meinungsmache" übernehmen renomierte Werbeagenturen das Design des Wahlplakates, der Cooperate Identity. Im Falle der Partei "die Grünen" arbeitete zB das als qualitativ hochstehend geltende Unternehmen zum Goldenen Hirschen" am Design der Plakate und dem Wortlaut der Schlagworte. Ganz klar: Das psychologisch wirksame Design soll uns ansprechen, soll die werbende Partei mit ihrer vereinfachten Botschaft in unserem Verstand positionieren,und soll uns unverhohlen dazu bewegen, unsere Stimme dieser Partei und nicht einer anderen zu geben.

Werbe- und Informationsbranche werden manchmal auch als Bewusstseinsindustrie bezeichnet. Dieser Begriff impliziert kritisch, dass unser Bewusstsein professionell manipuliert, ja nahezu geschaffen wird. Bewusstsein als industrielles Produkt.

Ein schönes Beispiel für gelungene und wirksame Öffentlichkeitsarbeit ist der Rummel um die Castingshows. Egal, ob man sich für einen Daniel Kübelböck interessiert oder nicht. Egal, ob man die neuesten Sternchen aus der Starsearchindustrie kennen möchte. Man wird darüber informiert. Das Wissen um diese Dinge brüllt einen von Zeitungsständen an und schleicht über das Dauerbombardement von Fernseh- und Radio-Werbung in unser Leben. Egal, ob wir selbst diese Medien nutzen. Irgendwo, irgendwann nimmt man es nebenbei wahr. Es scheint unmöglich heutzutage, nicht zu wissen, wer Dieter Bohlen ist. Genauso schnell jedoch, wie diese Leute in unser Bewusstsein implantiert werden, können sie aber auch wieder verschwinden - sobald die Industrie ihren Fokus verändert.
Die Arbeit der Marketingteams scheint dabei vor allem zu sein, eine mediale Welle loszutreten, die sich in unserem Feld informationeller Technologien fortsetzt und potenziert. Die Welle selbst erlangt dadurch Bedeutung und sogar Nachrichtenagenturen sehen sich - in Anbetracht des gesellschaftlichen Ereignises - zur Randnotiz genötigt. Was wiederum die "Wichtigkeit" des Ereignises weiter verstärkt. Aus ehemals unbedeutenden Personen werden Prominente, deren Äußerungen von allgemeinem Interesse scheinen.

Das alltägliche Bewusstsein wurde zum Schlachtfeld, auf dem verschiedene Interessengruppen um Einfluss ringen.

Obwohl die Möglichkeiten der Manipulation in unseren Tagen enorm groß sind, bieten uns ein kritischer Geist und auch Medien wie das Internet die Chance, Informationen zu hinterfragen und zu prüfen, alternative Informationskanäle zu erschließen und selbst zu "Informanten" zu werden.
 
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