Rätsel um den Genter Altar

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Dies hier ist eine kleine Geschichte, die genauso unheimlich und mysteriös anmutet, wie das Turiner Grabtuch, das letzte Abendmahl von Leonardo Da Vinci oder Rennes le Chateau.

Die Zutaten dieser kleinen Geschichte:

- Ein Bild voll geheimnisumwobener Andeutungen
- Ein rätselhafter Diebstahl
- Verlust von Menschenleben
- Die okkulte Jagd des deutschen Reiches.


Ein Bild voll geheimnisumwobener Andeutungen.
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Abb.1: Selbstportrait von Jan van Eyck.

Bis heute ist sich die Fachwelt nicht einig über die Herkunft von Jan van Eyck. Geboren soll er um 1390 in Maaseik, verstorben in Brügge Anfang Juli 1441 sein. Wie um den niederländischen Tafelmaler ranken sich auch Mythen um seinen Bruder, Hubert van Eyck.
Jan van Eyck fertigte eine Tafelmalerei für den Altar der Kathedrale von Gent an, wobei ihm sein Bruder Hubert zur Seite stand. Es wird sogar vermutet, dass Hubert von Eyck mit den Arbeiten am Altar begann, Jan van Eyck die Arbeiten jedoch beendete. Dies führte dazu, dass das Werk mal Jan, mal Hubert von Eyck zugeschrieben wird.
Die Quellenverweise dieses Artikels zeigen dies ebenfalls. Somit kommt erschwerend hinzu, dass die Fachwelt kaum anhand stilistischer Nuancen zu unterscheiden vermag, welcher der Brüder welchen Anteil an diesem Werk vollbracht hat.

Wikipedia schrieb zu Hubert van Eyck, dass er unberechtigt im Zusammenhang mit Jan van Eyck stünde, vermutlich nicht einmal verwandt sei, nicht an der Erschaffung des Genter Altar beteiligt war und schreibt dazu über Röntgenuntersuchungen aus 1950 sowie einer Studie aus 1995 - nennt jedoch keine zugänglichen Quellen. Auch weichen die Bezeichnungen der Tafeln von denen in der Artcyclopedia dargestellten ab. Zahlreiche Bildnisse aus dem Genter Altar werden jedoch in der Kategorie "Hubert van Eyck" dargestellt. Wir halten uns daher an die mehrheitlich angenommene Version, sind jedoch für fundierte Hinweise dankbar.

Jan van Eyck, der seine Werke gelegentlich mit "Johann de Eyck" signierte, hat die Technik der Ölmalerei bis zur höchsten Perfektion entwickelt und der Welt der Malerei - wie sie viele von uns kennen - vieles vorweg genommen.
Der Stil, den Manet und Van Gogh mit lebendigem Pinselstrich Jahrhunderte später auf die Leinwand bannten, zeichnete sich bereits in den Werken von Jan van Eyck ab.
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Abb2: Genter Altar, obere mittlere Haupttafel, Szene: Thronender Gottvater, Detail: Krone und Gewand

Nur als Tupfer sind bei ihm die Blüten angedeutet und mit einem Stöckchen durchzog van Eyck die feuchte Farbe, um Grashalme zu stilisieren. In seiner Darstellung der glänzenden Juwelen kam er mit der Technik ebenfalls dem faszinierenden Glanz der Früchte im Stillleben von Cézanne zuvor.
Die burgundischen Gewänder singender Engel waren mit blauen Edelsteinen verziert, wobei er das Funkeln der Edelsteine mit weißen Strichen betonte. Doch das war noch nicht alles:
In einem rechteckigen, blauen Edelstein, den einer der Engel als Mantelbrosche trägt, erzeugte Jan van Eyck tatsächlich eine Spiegelung eines gotischen Glasfensters - ebenfalls durch Ritzen des Motivs in die feuchte Farbe. Noch beachtlicher war, dass diese Spiegelungen bereits abgestimmt waren auf den späteren Standort des Kunstwerkes in der Kathedrale.
Der individuelle Gesichtsausdruck in den Gesichtern der Engel auf dem Bildnis lässt einen tiefen Einblick auf seine Detailverliebtheit zu. Andererseits erlaubt die Detailfülle hinreichend Spielraum für Interpretationen und sich daraus ergebende Rätsel.

Abb. 3 - Steine der Engel

1422 fand Jan van Eyck erstmals Erwähnung. Er war Kammerdiener und Hofmaler des Herzogs "Johann von Bayern" bis zu dessen Tod.

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Abb. 4: Die Kreuzigung
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Abb. 5: Das jüngste Gericht
Jan van Eyck war Maler und seit 1425 Diplomat und Hofmaler und später auch Freund von Philipp III., der Gute, Herzog von Burgund.
Für ihn reiste Jan um 1420 bis nach Palästina. Man sieht dies an seinen Bildern, "die Kreuzigung"und "Das jüngste Gericht", dessen Urheberschaft jedoch noch umstritten ist.

Philipp III. war auch Taufpate bei einem der Kinder Jan van Eyks.
Im Januar 1430 hatte die 3. Hochzeit von Philipp III. mit Isabella von Portugal statt gefunden. Jan van Eyck war nach Portugal gereist, hatte ein Bild der Braut gemalt und Philipp III. senden lassen. Danach begleitete er die Braut mit einer Gesandtschaft über das Meer nach Brügge.

Philipp III. war ein Förderer von Kunst und Wissenschaften sowie Stifter des Orden vom Goldenen Vlies oder "Toison d´Or" - einem der ältesten, vornehmsten und noch heute bestehenden mittelalterlichen Ritterorden.
Er wurde 1430 aus Anlass der Vermählung mit Prinzessin Isabella von Portugal und zu Ehren des heiligen Andreas gestiftet.



Die Tafeln des Flügelaltars


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Abb. 6: Die Werkstagsseite des Genter Altars
Der Flügelaltar hat eine Werktags- und eine Sonntagsseite. Im geschlossenen Zustand zeigt der Altar die Botschaft des Engels an Maria im Inneren eines flämischen Hauses, dessen Fenster sich über eine Balustrade zu einem Genter Stadtteil hin öffnen.
Oben ist links außen der Prophet Zacharias, rechts außen der Prophet Micha zu sehen. Dazwischen hat er zudem links die Sibylle von Erythträa sowie rechts dazwischen die Sibylle von Cumädargestellt, die die Ankunft des Messias vorher sagen. Der Betrachter kann darunter ebenfalls einen Ausblick auf Gent erhaschen. Experten glaubten sogar, das Haus der Brüder van Eyck zu erkennen - doch dieses bleibt dem gemeinen Betrachter verborgen, da sich das Bildnis in der Kathedrale von St. Bavo hinter Panzerglas befindet und ausschließlich den Blick auf die Sonntagsseite ermöglicht.

Betrachtet man die aufgeklappte Sonntagsseite, so werden in einer der linken Tafeln Tempelritter - vor den gerechten Richtern stehend - dargestellt, was damals im Grunde eine ungeheure Provokation gegenüber der herrschenden Amtskirche war, denn:
Im Jahre 1307 hatte König Philipp IV, König von Frankreich, mit Zustimmung der katholischen Kirche die Bruderschaft der Tempelritter verbieten lassen.

Das Motiv für das Verbot durch Philipp IV. - der "Schöne" genannt - war im Grunde
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Abb.12: Die Sonntagsseite des Genter Altars
die Enttäuschung über seine Ablehnung über die Aufnahme in der Bruderschaft - zudem war er Schuldner bei der Bruderschaft der Tempelritter. König Philipp IV. schlug wohl zwei Fliegen mit einer Klappe, indem er sich seiner Gläubiger aus Rachemotiven entledigte. Hierzu wurde der Letzte der Tempelritter, Jaques de Molay, im Vorhof der Kathedrale von Notre Dame im Jahre 1314 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Philipp versuchte auch, Flandern in die Domaine Royal(Krondomäne) einzugliedern und scheiterte 1302 bei der Sporenschlacht von Courtrai.

Nach der Gründung der Templer breitete sich der Orden insbesondere in Südfrankreich, sowie in Flandern aus. Aus Flandern stammte auch der 6. Großmeister des Ordens: Bertrand de Blanchefort.
Viele Tempelritter aus England und vermutlich auch aus Frankreich fanden in Schottland Zuflucht. Gerüchte, nach denen der Orden in Schottland noch weitere 400 Jahre als Institution existiert haben soll, sind nicht widerlegt worden.

Was wollten die Brüder van Eyck also andeuten, wenn es sich in der Tat um Tempelritter auf der Tafel handelte?
Ein versteckter Vorwurf der Heuchelei gegenüber der Kirche?

In den vier Reitern - auch als die "gerechten Richter" bezeichnet - meinen Kunsthistoriker Philipp II., "der Kühne", Ludwig von Male, Johann Ohnefurcht und Philipp III. "den Guten" zu erkennen. Sah sich Philipp III., der Gute, in einer Linie mit den Tempelrittern? Stand er - nicht nur auf dem Bildnis, sondern auch ideologisch - hinter der Bruderschaft der Tempelritter?

Doch zu den "gerechten Richtern" später mehr...


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Abb. 15: Johannes, der Täufer
Die auf den Tafeln abgebildeten Kirchenfürsten, Johannes der Täufer links im Bild sowie Johannes der Evangelist, stehen seltsamerweise auf der Werktagsseite - mit dem Rücken zu Gott auf der Sonntagsseite gewandt: Sollte dieses darauf hindeuten, dass sich die amtierende Kirche eigentlich schon längst von Gott abgewandt hatte? Eine weitere Andeutung mag sich darin verbergen, dass die Kirchenfürsten abgewandt - Rücken an Rücken - zu den heiligen Pilgern, als auch den Tempelrittern angeordnet wurden. Bedenkt man das Streben nach Perfektion der Brüder van Eyck, so scheint ein Zufall ausgeschlossen.

Adam und Eva werden auf der selben Höhe zum thronenden Gottvater dargestellt, was zu jenen Zeiten sehr ungewöhnlich war. Eine Andeutung, dass der Mensch Gott ebenbürtig ist? Symbol für gnostisches Christentum, dass ja darauf baut, dass Jesus nur ein Mensch war und nicht unbedingt der Sohn Gottes?

Mehr nach innen hin sind Eremiten - auch die büßende Maria Magdalena und eine weitere Frau, meistens als die »Maria aegyptica« gedeutet, dargestellt.
In der Gruppe der Frauen, die sich von rechts dem Lamm nähern, ist in der Mitte der Tafel eine Frau zu sehen, die offensichtlich schwanger ist und aus deren Schoß ein Lamm hervor sieht.
Ist dies eine Andeutung auf eine Blutlinie Christi?

Kunsthistoriker sind davon überzeugt, dass noch weitere seltsame Hinweise auf den Bildern zu finden seien, wenn man diese nur richtig zu deuten vermag.

Im Jahre 1823 - bei Restaurierungsarbeiten - wurde auf den unteren Leisten der Außenflügel folgende Widmungsinschrift, die unter einer grünen Bemalung verborgen war, entdeckt:

PICTOR HUBERTUS EEYCK. MAIOR QUO NEMO REPERTUS
INCEPIT. PONDUS. QUE JOHANNES ARTE SECUNDUS
(FRATER) PERFECIT. JUDOCI VIJD PRECE FRETUS
VERSV SEXTA MAI. VOS COLLOCAT ACTA TVERI

... was übersetzt bedeutet:
"Maler Hubert van Eyck, einen größeren gab es nicht, hat dies Werk begonnen und sein Bruder Johannes, der zweite in dieser Kunst, hat im Auftrag von Jodocus Vijd die schwere Aufgabe vollendet. Durch diese Verse vertraut er Eurer Obhut das an, was am 6. Mai entstand."

Im letzten Satz:
"VERSV SEXTA MAI. VOS COLLOCAT ACTA TVERI"
scheint ein Chronogramm enthalten:
Addiert man alle Buchstaben des letzten Satzes, die im Latein einer Zahl entsprechen, so ergibt das "MCCCLLXVVVVII" = 1432, das Jahr der Vollendung. Doch es erscheint seltsam, weshalb sich ein Maler, der ansonsten so präzise gearbeitet hatte, diese Schreibweise nutzte.
Normalerweise würde sich die Jahreszahl wie folgt schreiben: MCDXXXII. Ein Perfektionist hätte eher diese Buchstabenkombination genutzt, um daraus einen Satz zu bilden. Wollte er etwas verschlüsseln? Doch wozu? Sein Name steht dort in Klarschrift. Oder war es gar ein Necken unter Brüdern, wie es millionenfach vorkommt? War es Zufall, dass das Werk an jenem Tag beendet wurde und nicht etwa eine Woche später, womit eine andere Zeichenfolge nötig gewesen wäre?


Ein rätselhafter Diebstahl

In der Nacht vom 10. zum 11. April 1934 stahlen zwei, möglicherweise auch drei Männer zwei der Bildtafeln des Genter Altars aus der Kathedrale von St. Baaf. Zufällig unter den Augen eines kleinen Ganoven, der selbst unterwegs war, um seinen "Geschäften"nachzugehen. Dieser Ganove beobachtete dabei einen Lichtschein in der seit 19:00 Uhr geschlossenen Kathedrale.
Der Kleinganove wurde mit Bargeld bestochen, als er sich zwei Personen näherte, die etwas Sperriges in einem Wagen verstauen wollten.

Zwei Teile des Altars wurden gestohlen. Und es war weder Zufall, dass es genau diese Tafeln waren noch, dass nicht noch mehr Tafeln vom Altar gestohlen wurden. Die beiden Tafeln (1,55 m hoch und 0,55 m breit) waren - im Gegensatz zu den übrigen - nur lose im Rahmen eingefasst.
Der traurige Anblick des Altars.
Die Diebe gingen demnach ganz einfach den Weg des geringsten Widerstandes.
Am Morgen, gegen 08:35 Uhr, entdeckte der Konservator den Diebstahl. Die Nachricht vom Diebstahl sprach sich in Windeseile herum. Im Handumdrehen war die Kathedrale überfüllt mit Schaulustigen, die den Ort des Verbrechens erkundeten. Mitten im Tumult die Polizei, die mit der Spurensuche begann und offenbar die Sensation genoss. Die Polizisten hätten mindestens den Altar abschirmen sollen, um Fingerabdrücke zu sichern. Doch die Polizei verließ den Tatort, ohne grundlegende Schlüsse gezogen zu haben - so war es kein Wunder, dass die Bevölkerung zwei Tage nach dem Diebstahl nur eines wusste: Es wurden zwei Tafeln gestohlen.
Die Tafel "Werkstagsseite" mit "Johannes dem Täufer" und die dazugehörige "Sonntagsseite" mit dem Bildnis "die gerechten Richter".

Zwei Tage später übernahm Scotland Yard die Ermittlungen im Fall des wohl spektakulärsten Kunstraubes aller Zeiten. Doch die Ermittlungen gingen nicht voran - bis zum 1. Mai 1934:
Mit einem Brief im hellgrünen Umschlag, der dem Bischof von Gent, Monsignore Coppieters, überstellt wurde, forderten die Diebe eine Million Belgische Francs für die sichere Rückgabe der Tafeln - umgerechnet entspricht dies ca. 30.000 Euro. Der Erpresserbrief wurde mit "D.U.A." unterzeichnet - doch wer oder was war "D.U.A."? Der Dieb, ein Auftraggeber, eine Organisation?
Als Beweis für die Authentizität des Schreibens wurde dem Bischof die Rückgabe der rückwärtigen Tafel mit dem Abbild von "Johannes dem Täufer" angeboten. Für den Fall, dass Bischof Coppieters mit einer Übergabe des Bildes gegen das Lösegeld einverstanden sei, sollte der Bischof dieses in einer Zeitungsanzeige kundtun.
Als der Bischof in einem Zeitungsinserat zustimmte, wurde ihm ein Gepäckaufbewahrungsschein des Brüsseler Nordbahnhofs überstellt.
Und tatsächlich fand die Polizei eines der Bilder wieder: Die Rückseite der "gerechten Richter", die Darstellung von Johannes dem Täufer, einem der damaligen Stifter. Sorgfältig aufgewickelt fand sich die Tafel im schwarzen Öltuch und im braunen Papier wieder. Froh über den Fund - auf Anweisung von D.U.A. - wurde darüber jedoch Stillschweigen bewahrt.
In den folgenden Briefen wurde das Lösegeld nicht mehr erwähnt - der Preis schien nicht verhandelbar.
Doch die Spielregeln änderten sich: Durch den Druck der Behörden lehnte die Kirche die Zahlung ab und berief sich dabei auf Eigentumsansprüche der Belgischen Regierung den "gerechten Richtern" gegenüber.
Der Bischof konnte nicht zahlen, brach nun die Vereinbarung. Hierzu folgte auch ein Brief von D.U.A., in dem der Bischof des Wortbruchs bezichtigt wurde - "und das wegen eines relativ kleinen Betrages, der nicht dem Wert eines der größten Kunstwerke der Welt gereicht" - so die Ansicht des Schreibers.
Der vierte Brief erreicht Pastor Meulepas, Geistlicher in Antwerpen. Am 14. Juni 1934 klingelt ein Taxifahrer an der Tür des Pastors, um ein Päckchen abzuholen. In dem Päckchen befand sich ein Umschlag mit zwei 10.000 Francs und fünf 1.000 Franc-Noten. Zudem ein Brief, in dem die geänderte Situation erklärt wurde. Der Mann nimmt das Päckchen und geht damit zügig zurück zum wartenden Wagen. Als der Hausmeister des Pastors dem Wagen hinterher sieht, kann er nur noch Brillengläser einer Person erkennen, die die Sonne reflektierten.
Über die folgenden acht Briefe ist nichts bekannt. Es schien, als ob "D.U.A." auf einer Million Belgischer Franc bestehen musste.
Der letzte der insgesamt dreizehn Erpresserbriefe ging am 1. Oktober 1934 bei Bischof Coppieters von Gent ein - alle Briefe waren bis dahin mit "D.U.A." unterzeichnet worden.

Die Ermittlungen führten nicht weiter - und es waren nun schon sieben Monate seit dem Diebstahl vergangen.

So wie das Bild Rätsel aufgibt, so gilt dieses auch für den vermutlichen Verfasser der Briefe. War er Auftraggeber oder selbst Dieb? Oder stand er gar im Dienste einer Organisation?

Arsène Goedertier

Arsène Goedertier wurde am 23. Dezember 1876 in Lede geboren. Seine Eltern - Maria und Emile - brachten zwölf Kinder zur Welt.
Im Jahre 1913 zog AG nach St. Niklaas, wo auch sein jüngster Bruder, Valère Goedertier, zuletzt ein Juweliergeschäft führte.
Am 3. November 1915 heiratete er Julienne Minne, die am 6. Mai 1884 in Paris geboren wurde.

Arsène Goedertier war allseits als ehrbares Mitglied der Gesellschaft bekannt. Er widmete sich mit Vorliebe den Wissenschaften und entwarf sogar ein Fluggerät. Doch der Entwurf sollte von Herrn Breguet, dem Inhaber der gleichnamigen Flugzeugfabrik, abgelehnt werden. Der Entwurf war zwar überzeugend, doch zu langsam für die moderne Welt, in der sie nun lebten.
Als angesehener Geschäftsmann und Börsenmakler war er anderen als rastloser Geist bekannt und betätigte sich durch seine Kenntnisse zudem als Dozent an der Wirtschaftsschule. Er galt als überzeugter Katholik und so wurde er mit der Zeit Mitglied des Kirchenvorstandes der Kathedrale von St. Baaf.

Arsène Goedertier war im November 1934 als Redner auf einer politischen Veranstaltung gewesen - die meisten Quellen berichten von einer Veranstaltung in Dendermonde.
Bildet man ein Dreieck zwischen Antwerpen (dem Übergabeort des vierten Erpresserschreibens), Gent (dem Tatort) und Brüssel (die Übergabe der rückwärtigen Tafel), so befindet sich Dendermonde in der Mitte des Dreiecks - ein Hinweis auf eine Verschwörung? Alle drei Orte sind uns aus den Abläufen des Diebstahls und der Erpressung bekannt. Wollte Arsène Goedertier damit einen Hinweis auf die Verantwortlichen schaffen? Schließlich war er es, der die Briefe schrieb.

Auf der Versammlung in Dendermonde erlitt Arsène Goedertier einen Herzinfarkt. Im Sterben liegend, rief Goedertier seinen Rechtsanwalt, Georges de Vos, zu sich. Mit letzter Kraft gab er George de Vos einen Hinweis, der ihn zu dem Ort geleiten würde, an dem sich die Tafel der "gerechten Richter" befinden sollte.
Valère Goedertier war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach Dendermonde, um sich mit seinem Bruder zu treffen. Als er Dendermonde erreichte, war Arsène bereits an den Folgen des Infarkts verstorben.
Er soll jedoch kurz vor seinem Tod zu seinem Rechtsanwalt gesagt haben:
"Ich allein weiss, wo die gerechten Richter gefunden werden sollen: Meine Studie, Schlüssel, Schrank"...

Abb. 23: Übersichtskarte Sint-Niklaas, Gent, Antwerpen und Brüssel - ein Hinweis auf eine Verschwörung?

War dieser Mann, Arsène Goedertier, für den Raub des wichtigsten kulturellen Erbes von Belgien verantwortlich?

Nach seinem Ableben und diesem Hinweis geriet wieder Bewegung in den Fall. Die Wohnung von Arsène Goedertier wurde durchsucht und das, was sich dort befand, schien der Jagd nach den Tätern des spektakulären Diebstahls von Gent eine Wendung zu geben:
Es wurden mit Kohlepapier erzeugte Kopien aller dreizehn Erpresserbriefe gefunden, die versandt wurden. Neben der Schreibmaschine fand man einen weiteren, vierzehnten Brief vor, der allerdings nicht versendet wurde. Man fand heraus, dass Arsène Goedertier diese Schreibmaschine unter dem Decknamen "Arseen van Damme" gemietet hatte. Hier stößt man auf einen möglichen nächsten Hinweis auf eine Verschwörung: Ein gut getarntes Anagramm.
Arseen van Damme - AvD - umgedreht ergäbe dieses zunächst DvA. Im Lateinischen wird das "V" einem "U" gleich gesetzt. Demnach könnten die Initialen auch D.u.A. ergeben - genau wie die Initialen, mit denen die Erpresserbriefe signiert wurden.
Seine Frau beteuerte immer wieder, dass ihr Mann unmöglich mit dem Kunstraub zu tun haben konnte. Er litt unter einer seltenen Augenkrankheit, die es schwierig für ihn machte in der Nacht zu sehen. Wie sollte er in einer Nacht einen Kunstraub vollzogen haben?
Doch diese Information führte zu einer weiteren Annahme: Arsène Goedertier musste auf die Hilfe von Komplizen zurückgegriffen haben - so wie es auch der Hauptaugenzeuge aussagte.

Bis zum Tod von Arsène Goedertier gab es keine Spuren, die zum Bild führten und leider wurden die Ermittlungen wieder nachlässig geführt:
Die Schreibmaschine, die unter dem Namen "Arseen van Damme" gemietet wurde, ist kurzerhand weggeworfen worden. Man schrieb der durchaus wichtigen Frage nach dem Motiv keine Bedeutung zu.
Der Witwe Goedertier war der Umfang des Reichtums ihres verstorbenen Mannes wohl bekannt. Beide verfügten im Jahre 1934 über ein Vermögen von circa 3 Millionen belgischer Francs. Wozu hätte Arsène Goedertier eine weitere Million gebraucht? Er selbst galt als ein bescheidener Mensch. Er ging nie auf Reisen, trank nicht, rauchte nicht... aus Geldgründen konnte er es wohl kaum getan haben. Zwar gab es vor seinem Ableben Verpflichtungen, doch konnten alle Gläubiger ausgezahlt werden - und es blieb dabei ausreichend für die Witwe Goedertier übrig.
Und obwohl die Ermittlungen nachlässig geführt wurden - oder vielleicht gerade deshalb - präsentierte man der Öffentlichkeit zwei weitere Komplizen:
De Swaef und Lievens.
Achille de Swaef war der Cousin von Arsène Goedertier. Oscar François Joseph Lievens war einmal mit der Schwester, Julie de Swaef, verheiratet. Komplett sah man die Indizienkette dadurch,
dass Arsène Goedertier im Kirchenvorstand der Kathedrale von St. Baaf war. Als Insider wäre es ihm sicher gelungen, seine beiden Verwandten und vielleicht auch sich selbst unbemerkt in der Kirche einschließen zu lassen - denn es wurden lediglich Spuren eines Ausbruches gefunden!
Doch dies alles half den Behörden nicht die verschwundene Tafel der "gerechten Richter" zu finden.
Mysteriöserweise starb Achille de Swaef am 29. November 1934 - nur fünf Tage nach dem Ableben Goedertiers. Einem Attest zufolge starb er eines natürlichen Todes.
Und auch Oscar Lievens ereilte ein natürlicher Tod - er wurde am 5. März 1935 tot in seiner Wohnung aufgefunden.

Zu Lebzeiten bot sich Valère Goedertier aus Eigeninitiative seinem Bruder Arsène Goedertier an, um etwas über den Diebstahl in Erfahrung zu bringen. Doch Arsène lehnte ab und bat seinen Bruder, sich aus der Angelegenheit heraus zu halten. In der Tat erfuhr Valère Goedertier erst im Februar 1935 von einem Zusammenhang zwischen seinem Bruder und dem Kunstraub. Man wollte Valère Goedertier von diesen Dingen verschonen, hieß es. Doch es ist möglich, dass den Verwandten der Tod von Achille de Swaef und Arsène Goedertier nicht nach einem Zufall aussah, so dass sie Valère Goedertier vielleicht sogar das Leben retteten. Vielleicht wäre auch Valère etwas zugestoßen, hätte er mit dem Trio in Verbindung gebracht werden können. Doch der Lauf der Dinge erlaubte es Henry Koehn, ein Interview mit Valère Goedertier zu führen. Als letzter überlebender Sohn von einst zwölf Kindern gab Valère Goedertier am 30. August 1942 Auskunft über die Geschehnisse aus seiner Sicht. Drei Stunden lang erzählte er von seinem Bett aus - die damals vorherrschende Hitze machte ihm zu schaffen. Doch sein Bestreben, selbst endlich zur Aufklärung des Falles beitragen zu können, war ihm die Anstrengung wert.
Beinahe zehn Jahre lang litt er nach wie vor unter den Folgen des Kunstraubes. Er selbst stand seinem Bruder Arsène Goedertier sehr nahe, weshalb ihn der Fall fortwährend beschäftigte.

Es folgt nun eine Zusammenfassung des Interviews von Henry Koehn:

Henry Koehn schätzt die Einstellung von Valère Goedertier zur Mittäterschaft und zum Diebstahl selbst als durchaus objektiv ein. Nach seinem Empfinden litt Valère Goedertier stark unter den Vorkommnissen seit 1934:
Valère Goedertier sprach sich im Interview in jeder Hinsicht sehr offen über seine Vergangenheit aus.
Valère Goedertier lebte zusammen mit seinem Bruder in Wetteren, im Elternhaus der Brüder. Im Jahre 1913 zog Valère Goedertier nach St. Niklaas, genau wie sein Bruder.
Die vielen Geschwister waren bereits an den verschiedensten Erkrankungen gestorben, Arsène Goedertier selbst war in seiner Kindheit derart geschwächt, dass er vorzeitig die Schule verlassen musste. Sport half ihm, sich zu kräftigen.
Das Bild, das Valère Goedertier von seinem Bruder wieder gab, stimmte mit den voran gegangenen Aussagen verschiedener Menschen - unter anderem vom Anwalt De Vos - überein, wobei Valère Goedertier selbst das vollständigst Bild von allen bisherigen vermitteln konnte. Arsène Goedertier war demnach ein guter, bescheiden lebender Philanthrop. Arsène Goedertier brauchte Geld nicht wirklich, obwohl er 1934 reichlich davon besaß. Valère Goedertier ist von der Unschuld seines Bruders überzeugt - auch, weil sein Bruder dieses nie aus Geldgründen hätte tun müssen.
Am Tag nach dem Diebstahl war Valère Goedertier zu Besuch bei seinem Bruder. Ihm und auch Frau Goedertier gegenüber sagte Arsène Goedertier, dass das gestohlene Bild sicher nicht in Deutschland zu suchen sei. Arsène Goedertier vermutete das Bild in der Kathedrale von St. Baaf selbst. Arsène Goedertier sagte dazu: "Ich werde es binnen acht Tagen gefunden haben.". Valère Goedertier bot seinem Bruder Hilfe bei der Suche nach dem verschwundenen Bild an, doch Arsène Goedertier lehnte das Angebot ab.
In Gent soll nach Aussage von Arsène Goedertier zu der Zeit vor dem Diebstahl ein Wechselagent Bankrott gegangen sein, der nahe bei der St. Niklaaskirche wohnte. Valère Goedertier konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern, den ihm der Bruder nannte. So hatte Arsène Goedertier selbst auch nie Geschäfte mit diesem Wechselagenten getätigt. Dies bestätigte auch Arsènes Frau, die sich selbst ebenfalls nicht an diesen Wechselagenten erinnern konnte. Für Valère Goedertier allerdings käme dieser Mann für den Diebstahl in Frage - genau wie er sich vorstellen konnte, dass ein Priester darin verwickelt sein könnte.
Valère Goedertier sagte zudem, dass sein Bruder Arsène den oder die Diebe ausfindig gemacht hätte. Er hat nur keine Ahnung, wie Arsène Goedertier dieses geschafft habe. Valère Goedertier sagt über seinen Bruder, dass "er ein ganz besonderer Mensch war - er war flink."
Arsène Goedertier hatte sich immer und immer wieder mit solchen Dingen beschäftigt: So gelang es ihm, innerhalb von 24 Stunden drei gestohlene Gegenstände aus der Kirche in Wetteren herbei zu schaffen - obwohl der Geistliche der Kirche nicht der Ansicht war, dass die Suche nützen würde.
Doch Arsène war davon überzeugt bei der Suche keine Zeit zu verschwenden, was ihm offenbar einen entscheidenden Vorteil verschaffte.
Im Zusammenhang mit einem Diebstahl in der Michaelskirche, mit dessen Aufklärung Arsène Goedertier beschäftigt war, bewies er einmal mehr, dass er für solche Dinge eine Begabung innehatte. So soll Arsène Goedertier auch nicht viele Kriminalromane gelesen haben - das schrieben nur die Zeitungen. Er soll ohnehin nicht viel gelesen und wenn, sich eher wissenschaftlicher Literatur gewidmet haben.
So denkt auch Valère Goedertier selbst, dass das Bild nicht aus der Kirche verschwunden sei. Er vermutet eher, dass Arsène Goedertier das Bild sogar gefunden und an einer anderen Stelle versteckt haben könnte. Valère Goedertier geht weiter davon aus, dass sein Bruder das Bild gut und vor allem geschützt versteckt hielt. Die Drohung in einem Erpresserbrief, wonach das Bild mit der Zeit verdorben werden könnte, hält Valère Goedertier für ein simples Druckmittel.
Henry Koehn übergab Valère Goedertier Abschriften des 13. und 14. Erpresserbriefes, wobei Letzterer nicht versandt wurde. Nachdem Valère Goedertier diese beiden Briefe in Augenschein nahm, konnte er am Stil erkennen, dass diese von seinem Bruder geschrieben worden waren. Er war davon überzeugt, dass die Briefe aus der Feder von Arsène Goedertier stammten. Valère Goedertier meinte, dass sein Bruder - nicht zuletzt durch seine Frau - sehr gut französisch sprach, dies galt jedoch nicht für seine Schriftform. Doch Frau Goedertier war anderer Ansicht. Sie hätte Arsène Goedertier nicht so viele orthografische Fehler zugetraut - im Gegensatz zur Ansicht von Valère Goedertier.
Doch ist auch Valère Goedertier unklar, wo sein Bruder die Briefe geschrieben hatte. Er konnte sie nicht in Wetteren geschrieben haben, eher in Gent. Doch hätte er dazu ein eigenes Zimmer mieten müssen, von dem niemand weiter wusste.
Valère Goedertier meint, dass sein Bruder das Bild der "gerechten Richter" sicher nicht in Wetteren verborgen hätte - so ein Risiko einzugehen, traute er ihm nicht zu. Valère Goedertier ist überzeugt, dass das Bild in Gent zu suchen sei. So zum Beispiel erwähnte er den Schlüssel, den man bei den Habseligkeiten seines Bruders fand. Valère Goedertier hatte ihn nie zuvor gesehen und er passte auch nicht zu denen des Elternhauses in Wetteren.

Wie Arsène Goedertier zwecks Geldübermittlung auf Pastor Meulepas aus Antwerpen gekommen sei, kann auch Valère Goedertier nicht erklären. Der älteste Bruder, Edmond Goedertier, wohnte in der Nähe von Pastor Meulepas; doch Edmond Goedertier starb im Jahre 1913, so dass auch dort kein Zusammenhang zu erkennen ist. Valère Goedertier ist ebenfalls keine Verbindung zwischen Pastor Meulepas und Arsène Goedertier bekannt. Auch denkt er nicht an eine Beteiligung von Achille de Swaef, denn dieser wurde von Arsène Goedertier als sehr unverlässig eingestuft. Er hätte sich niemals für einen solchen Handlanger entschieden.

Valère Goedertier hatte nun im Interview Gelegenheit, die Erpresserbriefe zu lesen. Nicht einmal Arsène Goedertiers Frau kannte den Inhalt. Damals wurden die Briefe von ihr an den Anwalt, Georges de Vos, übergeben, so dass wohl nur Georges de Vos und dem Gericht der genaue Inhalt der Erpresserbriefe bekannt war. Alle anderen konnten demnach nur die Hauptsätze aus den Briefen den berichtenden Zeitungen entnehmen, wobei sich darin keine Anhaltspunkte über den Verbleib der "gerechten Richter" widerspiegelten. Henry Koehn fragte Valère Goedertier, ob er wisse, was der Satz "zonder de publieke aandacht op de trekken" (können weder sie noch ich es - das Bild - fort holen) bedeuten könnte. Valère Goedertier meinte, dass das bedeuten soll, dass sich das Bild an einem öffentlichen Ort bzw. in einem öffentlichen Gebäude befindet.

Valère Goedertier ging seinerzeit mit der Witwe Goedertier in Gent zu "Het Pand", weil er dort die Existenz des Bildes vermutete. Um nicht aufzufallen, gingen die beiden nicht in Trauerkleidung, doch auch inkognito war nicht die kleinste Spur von Arsène Goedertier zu finden. Der Concierge bekam von den beiden ein Foto von Arsène Goedertier gezeigt, doch er konnte sich weder an den Namen noch an das Gesicht erinnern.

Valère Goedertier wurde tatsächlich nur einmal von den ermittelnden Behörden aufgesucht. Die Beamten Luysterborgh und Aerens durchsuchten ergebnislos die Wohnung von Valère Goedertier. Arsène und Valère Goedertier waren sich einig darin, dass Luysterborgh einen korrekten und ordentlichen Eindruck hinterließ.
Doch diesen Eindruck konnten sie nicht im Ansatz von Aerens gewinnen, auch da waren sich die Brüder einig - Valère Goedertier begründete dies jedoch nicht während des Interviews.
Arsène Goedertier hatte sich bereits zuvor über Luysterborgh und Aerens informiert. Er verdächtigte Aerens der Mittäterschaft, wobei Arsène Goedertier dabei durch einen verlorenen Handschuh am Tatort auf ihn schloss. Aerens konnte eine Hand nicht benutzen und trug daher einen Handschuh darüber. Einen Handschuh wie jenen, der in der Kathedrale St. Baaf zurück geblieben war. Luysterborgh und Aerens informierten Valère Goedertier darüber, dass sie inoffiziell - nicht auf Bitten des Staatsanwaltes - ermitteln würden. Von der Genter Staatsanwaltschaft selbst sei Valère Goedertier nie verhört worden.

Obwohl eine Auskunftssperre zu Zeiten des Raubes angestrebt war, bekamen die Zeitungen Informationen zugespielt. So sagte Valère Goedertier, dass er De Heem von dessen Tätigkeit her aus Dendermonde - dem Ort, in dem Arsène Goedertier starb - kannte. Valère Goedertier hielt De Heem nicht für besonders intelligent, dafür um so mehr für einen eitlen Menschen. De Heem soll Freimaurer gewesen sein, der politisch und nicht katholisch überzeugt war. So würde sich auch erklären, weshalb De Heem gegen den katholisch gläubigen Arsène Goedertier gearbeitet hatte. Es musste De Heem gewesen sein, der Informationen zum Diebstahl in die Zeitungen brachte. Henry Koehn warf indes ein, dass es eine Indiskretion der Brüsseler Staatsanwaltschaft gewesen sein soll, die die Zeitungen auf den Kunstraub aufmerksam gemacht hatte.
Es war im Februar 1935, nach dem Tod von Arsène Goedertier, als Valère Goedertier von einer Verwicklung seines Bruders in den Kunstraub erfuhr. Valères Schwägerin, Frau Goedertier, erzählte ihm nun davon. Denn es war Herr Van Ginderachter, von der Staatsanwaltschaft in Dendermonde, der Frau Goedertier eindringlich aufforderte, mit niemandem über den Fall - insbesondere über die Erpresserbriefe an den Bischof von Gent - zu sprechen. Als Valère Goedertier davon erfuhr, machte er sich auf den Weg zu Staatsanwalt Van Ginderachter, um ihm seine Hilfe bei der Aufklärung des Verbrechens anzubieten. Damals schlug er Van Ginderachter vor, mit der Suche in der Kirche von Wetteren zu beginnen. Doch Herr Staatsanwalt Van Ginderachter ließ dieses nicht zu, da er kein Familienmitglied von Arsène Goedertier in die Falluntersuchungen involviert wissen wollte.
Wäre Valère Goedertier nicht zu spät in Dendermonde eingetroffen, hätte er sicher mehr gewusst. George de Vos, Arsènes Anwalt, war stattdessen bei AG in der Stunde seines Todes. Wäre sein Bruder bei ihm gewesen, hätte Arsène Goedertier sicher ohne Umschweife und Erklärungen das Versteck des Gemäldes offenbart.
Valère Goedertier erwähnte Herrn Koehn gegenüber, dass er früher mit dem Schatzbewahrer von St. Baaf, Kanonikus van den Geyn, befreundet war. Anlässlich des Diebstahls schrieb Van den Geyn einen Brief, in dem er Valère Goedertier mitteilte, dass das beiderseitige Verhältnis ungetrübt bleiben würde. Er bezeichnete Valère Goedertier in diesem Brief als "honnête homme" - einen Ehrenmann, der er ungeachtet der Geschehnisse für ihn bleiben würde. In einem Gespräch mit Bischof Coppieters in der Kathedrale St. Baaf wurde Valère Goedertier gebeten, sich gänzlich aus den Ermittlungen heraus zu halten.
Gelegentlich, auf späteren Versammlungen, traf Valère Goedertier auf die beiden Geistlichen, doch hielten diese stets Abstand von ihm. Coppieters vermied den Blickkontakt, als er einst Valère Goedertier auf einer Versammlung gegenüber saß. Van den Geyn lief nur einen Meter entfernt an Valère Goedertier vorbei und ist in seinen Wagen gestiegen, ohne Valère Goedertier auch nur eines Blickes zu würdigen. Valère Goedertier denkt, dass eine persönliche Begrüßung durch die Vertreter der Kirche womöglich ein Zeichen gewesen wäre, nach dem Valère Goedertier rein bzw. amnestiert da stünde. Valère Goedertier denkt, dass man mit seiner Hilfe das Bild gefunden hätte, wären da nicht die Berichterstattungen der Zeitungen gewesen, die nach seiner Ansicht ein wesentlicher Störfaktor in den Ermittlungen gewesen waren.

Doch ob Valère Goedertier mit seinen Einschätzungen bezüglich seiner Isolation vor der Kirche richtig lag?

Rätsel über Rätsel - war der Raub der Bilder ein Auftrag der Kirche?
Dafür spricht, dass das Geld für Goedertier eigentlich nicht als Motiv dienen konnte, denn wie oben bereits bemerkt, hatte er mehr als 3 Millionen Belgischer Franc auf dem Konto, war also in einer sicheren Finanzlage.

Valère Goedertier sagte aus, dass Arsène Goedertier Herzprobleme hatte. Dazu sagte Arsène Goedertier seinem Bruder, dass er daher wohl nicht mehr lange leben würde. Starb Arsène Goedertier demnach eines natürlichen Todes? Oder wurde dieser Umstand, der sicher nicht nur seinem Arzt, Dr. de Bruyker; bekannt war, im Rahmen einer Verschwörung missbraucht? Wenn Arsène Goedertier wusste, dass er sterben würde, weshalb hatte er nicht ein Testament verfasst? Rechnete er womöglich noch nicht mit seinem Tod? Es gab keine Anzeichen für die Vorbereitung auf den Tod, keine Nachrichten für die Hinterbliebenen.


Das Resümee der Unterhaltung:

Arsène Goedertier ist nicht der Dieb. Er musste die Diebe ausfindig gemacht haben. Es lag in seiner Natur, sich mit solchen kriminellen Vorfällen auseinanderzusetzen und durch seine einzigartige Weise ist es ihm gelungen, den Diebstahl aufzuklären beziehungsweise die Diebe ausfindig zu machen. Nach dem Muster vorangegangener Kirchendiebstähle die er aufgeklärt hatte, plante er, das Bild zurückzubringen. Er achtete in der Formulierung der Erpresserbriefe genau darauf, dass den Briefen keine unnötigen Anhaltspunkte zu entnehmen sind. Und hinter diesem Schema könnte sich schlicht die Absicht verbergen, dass Arsène Goedertier eine vorzeitige Aufklärung des Falles durch Dritte verhindern wollte.

Valère Goedertier meint, dass es möglich sein kann, dass sein Bruder dem versteckten Bild eine Nachricht beigefügt haben könnte. Auch die Frau von Arsène Goedertier ist der Ansicht, dass mit dem Auffinden des Bildes gleichfalls die Unschuld ihres Mannes bewiesen werden wird.
Der oder die Diebe müssen ganz besondere Persönlichkeiten gewesen sein, da sich Arsène Goedertier als Vermittler unentwegt für sie eingesetzt hatte. Er hätte die Tafeln jederzeit zurückgeben können. Es musste wohl für ihn eine besondere Herausforderung gewesen sein, die Diebe zu identifizieren bzw. zu überführen.
Aus psychologischer Sicht erscheint Arsène Goedertiers Beteiligung an den Verhandlungen sehr schleierhaft - vorausgesetzt, dass er keinerlei Ansprüche auf Teile des Lösegeldes gestellt hätte. Vielleicht hätte er den Bergungsort auch dem Bischof mitgeteilt, wenn abzusehen gewesen wäre, dass die Verhandlungen scheitern würden. Das sonderbare Wesen des Arsène Goedertier gilt es, so genau wie möglich zu verstehen, um dadurch eher Rückschlüsse auf seine Vorgehensweise und möglicherweise eine Spur zum verschollenen Bild zu entdecken.
Arsène Goedertier war absonderlich. Sein Spürsinn und sein Forschungstrieb sind nicht ohne weiteres fassbar. So extrovertiert er auch war, so verschwiegenen verhielt er sich im Zusammenhang mit der Kirche oder den Diebstählen, mit denen er sich befasste.
Seine letzten Worte an seinem Anwalt können von einem streng gläubigen Menschen vielleicht nur so aufgefasst werden, dass er selbst nicht der Dieb sei, diesen jedoch ausfindig gemacht hatte. Möglicherweise handelt es sich bei dem Dieb um eine bekannte Person mit hochgestelltem Namen oder ein Mitglied einer angesehenen Familie, einen Geistlichen oder einen Menschen aus der Politik. Es muss einen Grund gegeben haben, dass der oder die Täter nicht angezeigt wurden, obwohl die Identität offenbar von Arsène Goedertier enttarnt wurde.

1937 wurde die Akte "Arsène Goedertier" geschlossen, und die "gerechten Richter" blieben verschwunden.

Eine Kopie aus den Jahren 1943 / 1944 wurde leider nicht vollständig rekonstruiert.
Auf dem Original, auf dem ursprünglich eine gotische Steinarchitektur, das Altarbild, wie ein überkröntes Baldachin zu sehen ist, wurde nicht übernommen. Dass sie angefertigt werden konnte, ist u. a. der "Kapelle des Jodocus Vijd", einem Gemälde von Pierre François de Noter, zu verdanken.

Jodokus Vijd war der Stifter des Genter Altars. Und Jodokus Vijd war Taufpate bei Jos, dem jung verstorbenen Sohn Philipps III., an dessen Tauftag, dem 6. Mai 1432, der Flügelaltar eingeweiht worden ist. Und somit schließt sich der Kreis.

Es wurde einiges getan um das verschwundene Bild zu finden. Man ließ Wünschelrutengänger nach der Tafel suchen und trug 1990 gar eine Brücke ab, weil man in ihr die Bildtafel vermutete. Sechs Jahre zuvor war das Kriegsdenkmal in Melle zerlegt worden und auch das Haus von Goedertier wurde abermals auf den Kopf gestellt - doch die meisten vermuten das Bild in der Kirche (im Glockenturm oder der Krypta).
Im Jahre 2002 wurde die hölzerne Verkleidung hinter dem Altar von St. Gertrude (in der kleinen Stadt von Wetteren) heraus getrennt, in der um 1934 Bischof Coppieters und Arsène Goedertier als Organist tätig waren. Ohne einen Erfolg.

Ein weiteres seltsames Rätsel in diesem Zusammenhang ist ein Kriminalroman des belgischen Autors Maurice Leblanc ("Le monde d'Arsène Lupin" aus dem Jahr 1908/09, in Deutschland erschienen unter dem Titel "Die hohle Nadel oder Die Konkurrenten des Arsene Lupin").
In diesem Roman geht es um eben einen solchen Gemäldediebstahl aus einer Kirche.

Arsène Goedertier kannte diesen Roman vielleicht.
In seinem Schreibtisch fand sich eine nichts sagende Notiz in einem Geheimcode, wie er auch in besagtem Roman vorkommt. Vor einigen Jahren jedoch tauchte in einem antiquarischen Buchladen in Gent ein altes Buch auf, welches den Titel trug:
"Die gerechten Richter".
Doch die Seiten waren nicht bedruckt, nur auf der letzten Seite war eine handgeschriebene Notiz in eben genanntem Geheimcode.

Durch den oben genannten Roman konnte der Code nun relativ einfach übersetzt werden:
"Unter der Kathedrale - Kurzer Tag - Treffpunkt von Vogel und Kuh"

Die gerechten Richter und die Nazis

Nach außen hin hielt man im 3. Reich die okkulten Wurzeln der Partei eher im Verborgenen. Hitler verbot Esoterik und Okkultismus ebenso wie in der NS-Bewegung übliche Begriffe, wie z.B. "Weihestätte" usw. - und scheute offenbar auch einen offenen Konflikt mit den christlichen Kirchen Dennoch versuchte man, die mythische Religion des NS. zu "untermauern".

So erwählte Himmler nach okkulten Auswahlkriterien die Wewelsburg bei Paderborn, welche durch "Kraftlinien" mit den Externsteinen verbunden sein soll, zur Ordensburg und begann mit einem wahnwitzigem Ausbau der Festungsanlage.

Heinrich Himmler verfolgte einen Plan. Gemeinsam mit seinem Freund und persönlichen Berater, Karl Maria Wiligut - auch "Weisthor"genannt, galt es eine neue Religion für Deutschland zu erschaffen. Willigut sprach stets von einem germanischen Großreich, dass vor 200.000 Jahren alles beherrschend existiert haben soll. Willigut entwarf sogar einen Bauplan zur Errichtung eines "SS-Vatikans", das Kultzentrum an seinem Arbeitssitz - der Wewelsburg. Willigut widmete seine Arbeit der "Stiftung Ahnenerbe" - dem okkulten Teil des Deutschen Reiches. Die Hauptaufgabe der Stiftung lag im Sammeln und Auswerten von Informationen, die zum Teil auf pseudowissenschaftlicher Basis ausgeübt wurde.

Himmler versammelte dort einmal im Jahr die oberste Führung der Schutzstaffel, um geistige Exerzitien und Konzentrationsübungen zu praktizieren. Himmler wollte die Wiedergeburt der legendären Tafelrunde des König Arthurs einleiten, am runden Tisch durften neben ihm nur zwölf Auserwählte sitzen. Die SS verstand sich intern als Erben der Templer und der Deutschritter. Hitler ließ sich als Ritter im Harnisch porträtieren, er liebte die Pose des Ritters und Wächters des heiligen Grals. Die Abteilung "Ahnenerbe" betrieb "Forschung" um mythische Spuren, welche den arischen Ursprung dieser belegen sollte. Sie war darum auch am Genter Altar interessiert. Es wurde an der verborgenen Bildsprache in den Bildern des Altars geforscht, in dem man glaubte, einen Schlüssel zum heiligen Gral zu finden.

So wurde nach dem Überfall Deutschlands auf Belgien auch der direkte Vormarsch Richtung Frankreich teilweise unterbrochen, um einen Umweg über Gent zu nehmen und den Altar zu sichern. Doch der Genter Altar war zu diesem Zeitpunkt bereits entfernt worden und befand sich zum Schutz vor den Deutschen auf dem Weg in den Vatikan. Durch den Kriegseintritt Italiens wurde dieses Vorhaben allerdings behindert, so dass man den Transport in den Südwesten Frankreichs umlenkte.
Man bot der Vichy-Regierung damals 7000 französische Kriegsgefangene zum Austausch gegen den Altar an.

Es gibt Vermutungen, dass der Diebstahl 1934 ebenfalls schon auf Initiative der Nazis zurückzuführen sei - doch warum suchte man dann offensichtlich nach den Tafeln? Himmler schickte nach der Besetzung Belgiens um 1942 einen SS-Oberstleutnant nach Gent, um nach der verschwundenen Tafel der "gerechten Richter" zu suchen.

Noch heute wird fieberhaft nach den "Gerechten Richter" gesucht.

Führt der Altar wirklich zum Heiligen Grahl ?
Einige vermuten, dass Jan van Eyck in seinem Bild Hinweise dafür in den kleinen Details zurückgelassen hat.
Geographische Anhaltspunkte sollen den Weg zum Gral zeigen.
Um dieses Ort zu finden, braucht man das letzte Teil des Puzzles: Das verlorene Bild.

Oder zeigt das Bild ein uraltes Geheimnis der Kirche über die wahre
Blutlinie von Jesus? Experten scheinen dies nicht auszuschließen.

Nach 70 Jahren liegt immer noch ein Schatten auf dem wohl geheimnisvollsten Kunstraub der Geschichte ...




Bilder von:

Wikimedia Commons


Links

Jan van Eyck und das Geheimnis des Lamm Gottes

Genter Altar

BBC Seite

Holy secrets

Belgische Seite

http://www.utexas.edu/courses/hafner/medieval/Public/newMittChronC.html

http://www.ask1.org/modules.php?name=Amazon&asin=3404701828

http://www.artcyclopedia.com/commons/hubert-van-eyck.html

http://www.canisianum.de/bisher/latein/nach.htm

http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Philipp_III._(Burgund).html

http://www.hofberichterstatter.com/Joomla/index.php/content/view/42/29/

http://www.cwnews.com/news/viewstory.cfm?recnum=20647

http://www.museum-security.org/02/145.html

http://speurrsite.erdasys.com/Allerlei/VerhoorValereGoedertier.pdf
 

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