Kritik an meinem Schreibstil

deLaval

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Hallo Gemeinde,
Ich schreibe nun schon ne ganze Weile, und möchte einfach mal Testen, wie das ganze so auf den Endverbraucher wirkt. Aus schierer Langeweile habe ich mal ein ganzes Buch geschrieben aber nie veröffentlicht, weil mir da irgendwie die Überzeugung und die Begeisterung für das Genre (Vampire) fehlte, da Energie rein zu investieren.
Ich gebe euch einfach mal ne Kostprobe aus dem Text. Wer alles lesen möchte, der schicke mir ne PN dann sende ich ihm das ganze per eMail zu.

Auch wer nicht alles lesen will, soll mir gerne ne Kritik dazu schreiben (vor allem zum Stil, wobei auch alles andere Kritisiert werden darf).
Also hier:

die Dornenkrone

1. Kapitel

„Auf den Herrn im schwarzen Samt,“ grölte Ferguson und hob sein mit Wasser gefülltes Glas, „und auf den König.“
Die anderen stimmten in den Trinkspruch ein.
„Auf den König!“ wiederholten sie Fergusons Worte, ohne den Unterton in seiner Stimme zu bemerken.
Der alte Schotte war nach York gekommen, um mit seinem langjährigen Handelspartner Thomas Fitzgerald ein Geschäft abzuschließen, das die beiden schon seit längerem planten. Im Grunde war es ein einfacher Tausch, Ferguson lieferte immense Mengen Rohwolle und erhielt dafür die modernsten Musketen. Sicher zahlte er zuviel, aber er war durchaus bereit jeden Preis, den Fitzgerald verlangte, zu zahlen, da er wußte, welches Risiko Fitzgerald einging.
Seine Landsleute würden ihm Hochverrat vorwerfen, wenn bekannt würde, das Fitzgerald Waffen an die Schotten verkaufte, die überhaupt keine Waffen besitzen durften.
Inzwischen war der Handel unter Dach und Fach und die beiden hatten sich einer Trinkgesellschaft im „Horn-of-Herne“ angeschlossen.
„Sag mal, Ferguson, was säufst Du da überhaupt? Sieht ja aus wie Wasser,“ bemerkte einer der anderen, ein jüngerer englischer Kaufmann, der wohl nicht so richtig mit seinem Profit umgehen konnte (es sei denn, man bezeichnete es als gut durchdacht, sich jeden Abend zu besaufen und rumzuhuren).
„Ist es auch,“ kicherte Ferguson.
Er hatte auf den König getrunken, jawohl, auf den König über dem Wasser. Er war ein treuer Anhänger der Stewards, ein Jakobiter, der, natürlich ohne das Wissen der englischen Beamten, einen Aufstand vorbereitete. Eine glorreiche Rebellion, angeführt von James´ Erben.
Ferguson sah sich um. Es war ein recht gewöhnliches Gasthaus. Die Theke bestand nur aus einem Brett, das man auf ein paar leere Fässer genagelt hatte. Dahinter stand der Wirt, ein dicker rotnasiger Engländer, der eine lederne Schürze und ein dreckiges weißes Hemd trug.
Das Gasthaus war gut besucht, nicht ungewöhnlich für diese Tageszeit. Ferguson tätschelte den Hintern der dunkelhaarigen Dirne, die auf seinem Schoß saß und rief dem Wirt zu, er solle ihm noch ein Bier bringen.
Agatha, seine Frau, hätte ihm vermutlich das Herz herausgerissen, hätte sie ihn so saufend und hurend gesehen , aber sie war bereits vor einigen Jahren verstorben und er hatte etwas zu feiern. Es war an der Zeit, das ihn diese ständigen schuldvollen Gedanken verließen, schließlich war sie tot, und nicht er.
Ihm fiel ein Mann auf, der in einer der dunkleren Ecken des Raumes stand. Er trug einen dunkel grauen Gehrock, eine weinrote Kniehose, weiße Strümpfe und schwarze Schnallenschuhe. Sein längeres, dunkelbraunes Haar hatte bereits ein paar graue Strähnen, hing aber voll bis zu den Schultern. Der Mann war schlank und hatte ein sehr markantes und gutaussehendes Gesicht. Er sah sehr blaß aus, aber seine Augen leuchteten vor Tatkraft, obwohl sie tief im Schatten lagen.
Ferguson begann sich unter dem Blick des Fremden unwohl zu fühlen.
„Elaine,“ sagte er zu der attraktiven Frau, die auf seinem Schoß saß, „meine Teuerste, laß mich mal aufstehen. Ich will mir mal die alten Knochen vertreten.“
Sie erhob sich anmutig und ging zum Wirt hinüber. Dort drehte sie sich noch mal um und warf ihm eine Kußhand zu. Der Wirt hatte gerade einen Krug mit Bier gefüllt, und wollte diesen nun zu Ferguson bringen, als Elaine zu ihm sagte:
„Ich glaube nicht, das er das noch haben will.“
...

adfag
 

Laurin

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mehr davon!!!!!!!!!!!!!!!!!!



ich finde es sehr gut zu lesen.....sehr schöne bildsprache (geschmackssache???), schöne beschreibung und einbindung der charachtäre...ausser bei dem zukünftigen protagonisten...dem fremden. da würd ich mir nochmal was überlegen, eine situation, in der man näher auf das aussehen eingeht, denn es sticht arg heraus, dass du ihn besonders beschreibst, ausführlicher als die anderen. das macht es etwas lang. nur ne idee :)
aufpassen bei einigen sätzen, dass diese nicht zu lang werden...bei betonung gern auch in kursiv arbeiten " es war sie die tot war, nicht er..." oder aber bei der anmerkung in klammern....hierbei find ich die lösung von terry prachett ganz elegant....anmerkungen mit sternchen, und unter dem text, so kann der leser selbst entscheiden, ob er überhaupt die zynischen kommentare zuläßt, oder aber kurz die situation zuende gehen, und dann die bemerkung nachholen. die klammern mittendrin bringen etwas raus.

ich jedenfalls möcht schon wissen wie es weitergeht....hab gerade gelesen, obwohl ich dringendst(!!!) BWL lernen muss.


noch ein kleines kompliment...hatte mal angefangen, vampire romane zu lesen, mit nem toreador angefangen, hab aber wegen der miesen übersetzung und dem schrecklich stumpfen schreibstil das buch nicht mals bis zur hälfte bringen können und auch keinen anderen clan angefangen.


PS: die kulisse gefällt mir...neuzeitlich mag ich net so...hafenkneipe, dirnen, schankwirte is schon mehr was zum sich reinversetzen wollen.


Gruß

Laurin
 

Niks Te Maken

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Eigentlich gefällt mir der Ausschnit sehr gut, allerdings habe ich an zwei Einzelstellen rumzumäkeln (wenn man schon die Gelegenheit hat).

„Sag mal, Ferguson, was säufst Du da überhaupt? Sieht ja aus wie Wasser,“

An dieser Stelle wirkt das "Du" für mich eher unpassend, soweit ich es anhand dieses Ausschnittes beurteilen kann.

Agatha, seine Frau, hätte ihm vermutlich das Herz herausgerissen,...

Ich kann es nicht wirklich begründen, aber dieser Satz hat die Atmosphäe irgendwie gestört...

Wie gesagt, Einzelfälle, noch dazu aus meiner rein subjektiven Sicht. Ansonsten finde ich den Ausschnitt sehr gelungen. Ach ja, ich bin - im Gegensatz zu Laurin - eher ein Freund langer, verschachtelter Sätze, solange sie sich nicht zu kant'schen Ausmaßen entwicklen. Vermutlich, weil ich selbst dazu neige; der letzte Spiegel-Artikel über das Coltan im Kongo, welcher fast nur aus Hauptsätzen zu bestehen schien, hat mich jedenfalls sehr verstört.

PN kommt... :wink:
 

Ramses

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Also mir hat das was ich gelesen habe auch gut gefallen. Es ist schön flüssig geschrieben und gut zu lesen. Es ist auch interessant, dass du nicht gleich mit dem Thema mit der Tür ins Haus fällst. Es gibt die Möglichkeit, das ganze unter anderen Gesichtspunkten zu sehen, als genretypische Romane, die gleich mit den Blutsaugern anfangen.

Nur bei dem "Horn-of-Herne" konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, da es mich sehr an eine alte Robin-Hood-Fernsehserie erinnerte ... :D

Bei der Beschreibung des Fremden, und dann die plötzliche Intention von Ferguson, Elaine runterzuschmeißen, merke ich einen Bruch. Eine genauere Beschreibung des Blickes und des Gefühls, das er in Ferguson auslöst wäre eine bessere Überleitung ... .

Aber es ist das Werk des Künstlers, und seine Sache, wie er schreibt und schreiben möchte!! Auf alle Fälle macht es Lust auf mehr!
 

deLaval

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hier mal der Rest von dem ersten Kapitel...

...
„Ich glaube nicht, das er das noch haben will.“
Ferguson stand auf.
Der Mann, der eben noch in der Ecke des Raumes gestanden hatte, war verschwunden. Er sah sich um. Einfach weg, dachte er. Und das selbe galt für Elaine. Ferguson kratzte sich am Hinterkopf. Er war sichtlich beunruhigt, als der Wirt mit seinem Bier kam.
„Alles in Ordnung?“ fragte dieser, aber er bekam keine Antwort.
„Hey, Mann, hast Du einen Geist gesehen?“
„Ich komme gleich wieder,“ sagte Ferguson, ließ den Wirt dort mit offenem Mund stehen und trottete durch die Tür nach draußen.
Auf der Straße stiegen ihm die Gerüche der verschiedensten Fäkalien in die Nase. Es regnete, aber der Mond schien durch die Wolkendecke hindurch.
Verdammtes englisches Wetter, dachte der Schotte, ich kann nicht verstehen, wie die das hier aushalten.
Er stellte entgeistert fest, das er seinen Mantel im „Horn-of-Herne“ vergessen hatte, aber er wollte jemanden wiederfinden, also zog er seinen Gehrock enger zu und stapfte die schmale Gasse entlang.
Eigentlich hatte er nicht die leiseste Ahnung, warum er ohne seinen Mantel im Regen nach einem Unbekannten suchte, der so ziemlich überall sein konnte. Eigentlich war es ihm aber auch egal. Er wußte schon was er zu tun hatte und was nicht. Was konnte schließlich schlimmeres passieren, als das er naß wurde, sich eine Lungenentzündung zuzog und daran starb.
Jedenfalls wurde er jetzt naß, sehr sehr naß. Das Gewicht seiner Kleidung hatte sich durch den Regen bestimmt schon verdoppelt, als er hinter sich plötzlich eine Stimme hörte.
„Wie sind die Verhandlungen gelaufen?“ wollte die Stimme wissen.
Ferguson drehte sich um. Dort stand der Fremde, der ihm im Gasthaus aufgefallen war. Wer war dieser Mann, woher wußte er von den Verhandlungen?
Nun gut, da Ferguson einen Kilt trug, war er recht deutlich als Schotte zu erkennen, und das ein Ausländer in York war, um Handel zu treiben, war leicht zu erraten, aber der Fremde schien mehr zu wissen. Ferguson war sich nicht sicher, wie er zu dieser Schlußfolgerung gekommen war, aber das war ihm auch egal.
„Wer seid Ihr?“ fragte Ferguson, als der Fremde nichts weiter sagte.
„Mein Name ist Duncan Graham,“ sagte der Fremde mit gedämpfter Stimme. Der Name sagte Ferguson überhaupt nichts, aber das hatte er auch nicht erwartet.
„Was wißt ihr über meine Geschäfte?“ fragte Ferguson erneut.
Duncans Augen schienen sich direkt in sein Gehirn einzubrennen.
„Nur das, was Du der Hure erzählt hast,“ sagte Duncan, und kam einen Schritt näher.
„Aber ich habe ihr doch gar nichts gesagt,“ protestierte Ferguson.
Duncan grinste. Er hob seine rechte Hand und strich damit über Fergusons Wange.
„Du hast ihr gesagt, Du hättest einen großartigen Handel abgeschlossen, der dem ganzen Land zu gute käme.“
„Aber...“
Ferguson wollte etwas sagen, aber Duncan schnitt ihm das Wort ab.
„Du hast auf den König über dem Wasser getrunken,“ fuhr Duncan fort.
Ferguson erbleichte. Er war zu unvorsichtig gewesen. Aber woher kannte dieser Mann die geheimen Trinksprüche der Jakobiter. Duncans Hand glitt herunter zu Fergusons Hals.
„Du bist ein Jakobiter,“ stellte Duncan fest, „und ein dämlicher dazu. Ein Wort von mir und man würde Dich an der nächsten Ecke aufhängen.“
„Was wollt ihr von mir?“ winselte Ferguson.
Er spürte, wie sich Duncans Finger um seine Kehle legten. Außerstande sich zu wehren fragte er erneut:
„Was soll ich tun?“
Duncan lächelte düster, während er seine Hand zurück zog. Er machte einen Schritt rückwärts.
Plötzlich spürte Ferguson, wie sich eine Hand von hinten um seine Taille legte. Er wagte nicht sich umzudrehen.
„Ich will, das Du derartige Plumpheit in Zukunft unterläßt. Du hattest Glück, das es Elaine war, der Du deine Pläne anvertraut hast, und keine englische Spionin. Ich will, das Du in Zukunft tust, was ich Dir sage, und nicht was Du für richtig hältst.“
Ferguson war erschreckt und erleichtert zugleich. Er war erst mal in Sicherheit, aber er sollte sich unterwerfen. Und noch dazu einem völlig Fremden.
„Meinst Du, das er das kann?“ fragte die Person hinter ihm.
Es war eine tiefe klare Frauenstimme, die Ferguson nicht unbekannt vorkam.
„Ich denke schon. Ich beobachte ihn schon seit Jahren,“ sagte Duncan.
Ferguson versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen. Dessen war er sich sicher. Er fragte sich ob Duncan vielleicht verrückt war. Aber das erschien ihm nicht logisch.
„Wenn etwas hiervon in die falschen Ohren sickert, ist es vorbei mit Deinen Plänen, Duncan. Du solltest Dir absolut sicher sein, das Du ihm vertrauen kannst, und da wäre ich mir nicht sicher. Ich würde ihn töten, wenn Du mich fragst,“ sagte Elaine, während sie auf Duncan zuging.
Ferguson konnte ihre Schritte im Matsch nicht hören, obwohl er direkt neben ihr stand. Er hatte sich gefragt, wie sie so plötzlich hinter ihm auftauchen konnte, ohne das er sie bemerkt hatte. Jetzt verstand er es.
Plötzlich schreckte Elaine auf. Sie sah sich um wie eine Katze, die ein Geräusch gehört hatte und nun versuchte, dessen Ursprung auszumachen. Einen Augenblick später war sie verschwunden.
Sie hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst.
Ferguson stieß einen Laut des Erstaunens aus, als er von Duncan gepackt, und mit in die Nische zwischen den beiden Häusern auf der anderen Seite der Gasse gerissen wurde.
„Wenn Du Dich bewegst, wirst Du sterben,“ flüsterte Duncan, „und zwar nicht von meiner Hand.“
Ferguson nickte. Er hatte Angst, entsetzliche Angst.
Duncan zog einen kleinen, blanken Dolch und machte sich bereit diesen einem Angreifer ins Herz zu stoßen.
Ferguson wußte nicht, was vor sich ging. Weder hatte er etwas gesehen, noch etwas gehört. Ihm war das alles zu viel für einen Abend. Er stand in der Nische und rührte sich nicht.
Duncan gegenüber erschienen wie aus dem Nichts zwei Gestalten.
Ferguson schauderte bei ihrem Anblick. Noch nie in seinem bisherigen Leben - und er war auch nicht mehr der Jüngste - hatte er etwas abscheulicheres gesehen, wie diese beiden Ausgeburten der Hölle. Sie wirkten wie groteske Verzerrungen der Wirklichkeit.
Beide waren in Lumpen gehüllt, und hatten eine ölige, schimmelige Haut. Krallen krönten ihre knochigen Finger und machten ihre Hände zu tödlichen Klauen. Ihre lippenlosen Gesichter waren entstellt und die Schädel kahl. Sie fauchten wie tollwütige Bestien.
Ferguson wurde übel. Nur mit größter Mühe konnte er dem Brechreiz widerstehen. Einen würgenden Seufzer konnte er jedoch nicht vermeiden.
Die beiden Gestalten blickten in seine Richtung. Duncan nutzte die kurze Unachtsamkeit seiner Widersacher. Er schnellte hervor und rammte der einen Gestalt seinen Dolch in die Kehle.
Sie taumelte rückwärts.
Gleichzeitig hob die andere Gestalt eine Klaue und schlug damit nach Duncan. Er schrie auf. Die messerscharfen Krallen hatten sich in seine rechte Schulter gebohrt. Der Dolch entglitt seiner Hand. Das Ungeheuer holte zu einem zweiten Hieb aus. Duncan sprang blind nach hinten und wich so dem Schlag aus.
Unfähig das Gleichgewicht zu halten, fiel er zu Boden.
Die Gestalt wollte sich mit erhobenen Klauen auf ihn stürzen. Er rollte sich durch den Schlamm zur Seite. Als der Unhold auf den Erdboden traf, spritzte ihm der Matsch ins Gesicht.
Duncan richtete sich auf und schlug mit beiden Fäusten nach dem Kopf des Monsters. Er traf, aber der Schlag verletzte die Gestalt nur leicht.
Schnell hob Duncan die Fäuste zu einem weiteren Hieb, ebenso wie der Unhold. Diesmal grub sich die Klaue in Duncans Seite, während er wieder den Kopf des Unholds traf.
Ein weiterer Schrei entwich Duncan. Er fühlte sich deutlich unterlegen, aber es half nichts. Wenn er nicht vernichtet werden wollte, mußte er siegen, oder wenigstens fliehen.
Ferguson zitterte am ganzen Körper. Er wußte nicht was er tun sollte, ja nicht einmal was er überhaupt tun konnte. Seine Hände umklammerten das Heft seines Messers, wagten aber nicht es aus der Scheide zu ziehen. Tränen der Verzweiflung liefen ihm über sein Gesicht, und wurden dann von seinem Bart aufgehalten. Er wußte nicht einmal ob es besser für ihn wäre, Duncan zu helfen, oder ihn sterben zu lassen. Nicht das er wirklich Einfluß darauf nehmen könnte.
Auf einmal begannen die Lichtverhältnisse in der Gasse sich zu verändern. Obgleich es längst Nacht war nahm die Dunkelheit weiter zu, bis weder Ferguson, noch Duncan oder die Gestalt etwas sehen konnte. Dann ließ ein unmenschlicher Schrei Ferguson erzittern.
„Heilige Mutter Gottes, was geht hier vor?“ schrie er, konnte jedoch seine eigenen Worte kaum verstehen, da sie von diesem allesverschlingenden Schrei übertönt wurden.
Als die Lichter der Nacht zurückkehrten, stand Elaine mitten in der Gasse. Ihr Mund war blutverschmiert, und zu Ihren Füßen lagen zwei Männer, die Ferguson gegen Abend auf dem Markt gesehen hatte, leblos und ausgeblutet. Die beiden Gestalten waren verschwunden.
Duncan hockte einen Schritt weiter im Schlamm und hatte schützend die Arme über den Kopf. Offensichtlich konnte er auch wieder sehen, denn er erhob sich ging auf Ferguson zu.
„Geh jetzt zurück und hole deinen Mantel.“
„Ja, Herr,“ wimmerte Ferguson, ehe Duncan fortfuhr:
„Kehre auf deinem Heimweg in Edinburgh in „McDougalls Inn“ ein. Dort treffen wir uns wieder. Bis dahin kein Wort, egal zu wem.“
„Ja, Herr,“ erwiderte Ferguson. „Und nenn mich Duncan. Ich bin nicht von Adel.“
Einen Moment später war Ferguson auf dem Weg zurück zum „Horn-of–Herne“. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, aber es war ihm zuviel gewesen.
„McDougalls Inn“ ich werde dort sein, dacht er, ja ich werde dort sein.
 

deLaval

Erleuchteter
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und das zweite gleich hinterher....

2. Kapitel

Mit einem Gefühl von Unbehagen stieg der junge Mann die Stufen hinab. Obwohl er schlank und nicht überdurchschnittlich groß war mußte er hin und wieder den Kopf einziehen wobei ihm sein hellblondes Haar oft ins Gesicht hing.
Er war gerade erst aus San Francisco eingetroffen und war nun auf dem Weg zu einer bedeutenden Verabredung.
Als er am Flughafen von Alexandria ankam hatte ihn ein Mann angesprochen, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Dieser hatte sich ihm als Murat al Habre vorgestellt und ihm die Visitenkarte des Clubs gegeben, in dem er sich jetzt befand. Nicht unbedingt der Ort, an dem er einen Milliardär vermutet hätte.
Der Club, dessen Name übersetzt soviel bedeutete, wie „das Grab der Vernunft“, lag im übelsten Viertel der Stadt und war in erstaunlich schlechtem Zustand.
Anfangs hatte er dort an der Bar gesessen und gewartet. Er hatte versucht die junge Frau hinter der Theke nach seiner Verabredung zu Fragen, allerdings ohne großen Erfolg, da sie kein Wort Englisch sprach und auch sein Arabisch durchaus der Beschreibung „miserabel bis überhaupt nicht“ entsprach. Sicher, er hatte sich die wichtigsten Begriffe - „Hallo“ und „wie komme ich zum Bahnhof“ - angeeignet, verstand aber äußerst selten die Antworten.
Er hatte also gewartet, bis jemand hinter der Theke auftauchte, der einigermaßen seine Muttersprache Englisch beherrschte. Da er nichts bestellte, zog er sehr bald mehr Aufmerksamkeit auf sich als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Kurz darauf kam ein kleiner, muskelbepackter Mann auf ihn zu und fragte in recht gutem, doch nicht akzentfreiem Englisch:
„Warten Sie auf jemanden?“
„Könnte schon sein,“ erwiderte der junge Mann.
Der Ägypter musterte ihn kurz und fragte dann:
„Wie ist Ihr Name?“
„Ich bin Andrew Ragnar aus San Francisco.“ antwortete der junge Mann kurz.
„Weshalb sind Sie hier?“ hakte der Ägypter weiter nach.
Andrew überlegte kurz in wie weit er den Ägypter in seine Angelegenheiten einweihen sollte, antwortete dann aber:
„Ich will mit Ishem Ramal sprechen.“
„Jeder, der herkommt, will mit Ishem sprechen. Sie müssen schon sagen, worum es geht, wenn ich in Erwägung ziehen soll Ishem zu stören.“
Der Ägypter grinste.
Andrew war wütend. Er wurde leicht wütend, besonders wenn sich jemand wichtiger machen wollte als er war.
Mit einer schnellen Bewegung griff er mit beiden Händen nach dem Kragen des Ägypters und zog ihn mit Gewalt zu sich heran.
„Wenn Du nicht willst, das ich Dir den Arsch aufreiße, bring mich jetzt zu Ishem.“
Dann ließ er den Ägypter wieder los. Dieser warf ihm einen giftigen Blick zu, während er den Kragen seines Hemdes wieder richtete.
Andrew sah sich um.
Es waren eine Menge Augenpaare auf ihn gerichtet. Der Mann, der inzwischen hinter der Bar aufgetaucht war, stellte die Schrotflinte, die er unter dem Tresen hervorgeholt hatte, an die Theke und kam auf Andrew zu.
„Was wollen Sie?“ fragte er.
Nachdem Andrew ihm aber sein Anliegen vorgetragen hatte, sagte er kurz:
„Folgen Sie mir.“
Andrew war ihm gefolgt, zuerst auf die Toiletten, was Ihm merkwürdig erschien, aber da er wohl in der Lage war, auf sich aufzupassen, dachte er sich nichts dabei. Das zweite der vier Klos war derartig verdreckt und versifft, das Andrew sich beinahe übergeben hätte.
„Riecht gut,“ sagte der Barkeeper mit einem schelmischen Grinsen.
Dieser miese Gangsterhumor war nicht unbedingt Andrews Wellenlänge. Er hielt die Luft an, bis der Barkeeper den Abzug des Klos betätigt hatte. Daraufhin öffnete sich ein schmaler Schacht neben dem Klo.
„Die Idee gibt es schon,“ bemerkte Andrew.
„Ist aber effektiv,“ entgegnete der Barkeeper.
„Trotzdem geklaut,“ setzte Andrew noch dazu und stieg den Schacht hinab.
Hinter ihm schloß der Barkeeper den Schacht wieder, so das es sehr dunkel wurde.
Es hatte einige Zeit gedauert bis Andrews Augen sich von diesem penetranten Neonlicht auf die Dunkelheit umgestellt hatten, aber inzwischen konnte er wieder recht gut sehen. Das schwache Flimmern, das die Treppe erleuchtete, reichte gerade aus um die Stufen zu erkennen.
Je tiefer Andrew kam desto breiter und höher wurde der Schacht bis er schließlich vor einer großen, steinernen Tür stand, in die eine Kobra - das Zeichen der Macht - eingemeißelt war.
Er klopfte an.
Kurz darauf wurde die Tür von zwei sehr attraktiven, jungen Frauen, die in weiße Seidentücher gehüllt waren, geöffnet und gab den Blick in eine riesige, steinerne Halle frei.
Die Halle war durch Fackeln erleuchtet, viele Fackeln, wodurch es sehr hell darin war. Um die zwanzig Personen befanden sich in dem Raum, alle mehr oder weniger mit weißer Seide bekleidet, die sich Geschlechtsakten oder Drogenexzessen (oder beidem) hingaben.
Am Ende der Halle stand ein gewaltiger Steinthron, auf dem ein extrem gutaussehender junger Mann von höchstens zwanzig Jahren saß, der ebenfalls ein Gewand aus weißer Seide trug. Er hatte eine goldbraune Haut und langes schwarzes Haar mit einem leichten Rotschimmer. Um seine Handgelenke schlängelten sich zwei goldene Kobras, und seine Hände ruhten an den Hälsen zweier Personen, die zu seinen Füßen saßen.
Andrews Blick schweifte durch den Raum und blieb plötzlich in einer Ecke der Halle hängen. Dort saß eine entsetzliche Gestalt mit faulem, halbverwestem Fleisch an einem Schachtisch.
Die Luft in der Halle war stark parfümiert. Andrew konnte sich nun denken warum.
Er schritt den roten Teppich entlang, der die Halle in der Mitte teilte, und blieb vor dem Steinthron stehen.
„Ishem Ramal?“ sagte er.
Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
Ishem lächelte freundlich.
„Mit wem habe ich das Vergnügen?“ fragte er.
„Ich bin Andrew Ragnar,“ begann Andrew, „ich wurde hierher geschickt um einige Auskünfte einzuholen.“
Andrew hielt nicht sehr viel von Diplomatie. Er beherrschte sie zwar, aber er war lieber direkt. Deswegen hatte man auch ihn geschickt, und nicht jemand anderen.
„Von wem?“ fragte Ishem interessiert.
„Jeremias Benson,“ antwortete Andrew, wohl wissend, das dies Ishem nicht unbekannt war.
„Welche Fragen sollte ich dem wichtigsten Mann von San Francisco beantworten können?“
Obwohl dies wie eine gewöhnliche Frage klang, machte Andrew der Hohn in der Aussage rasend. Er haßte es, nicht ernst genommen zu werden. Es kostete ihn viel Willenskraft, nicht auf Ishem loszugehen.
Als er sich ein wenig beruhigt hatte, sagte er höflich:
„Ich habe gehört, das Sie in Alexandria mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie wir in der Neuen Welt.“
„Ich bin mir nicht sicher ob ich Ihre Direktheit bewundern oder belächeln soll.“
Ishems Arroganz machte Andrew wahnsinnig.
„Selbstverständlich konnten wir uns hier den Schwierigkeiten, die überall auf der Welt die selben sind, nicht entziehen, aber ich wüßte nicht, warum ich auf die Unterstützung dieses Nachwuchstalentes angewiesen sein sollte. Sie haben einen Tag Zeit um meine Stadt zu verlassen. Sollte einer meiner Mitarbeiter Sie in der Stadt antreffen, werde ich Sie lebendig verbrennen lassen.“
Kurze Zeit später saß Andrew in einem Taxi, das zum Flughafen fuhr. Er war zufrieden mit dem Ergebnis des Treffens mit Ishem.
Das Ishem eine niedere Kreatur war, hatte er gewußt, aber er hätte nicht gedacht, das Ishem überhaupt mit ihm sprechen würde. Offensichtlich konnte Ishem sich die Dinge, die sich weltweit zutrugen, auch nicht erklären.
Wirklich weiter hatte ihn das nicht gebracht, aber man konnte erst mal ausschließen, das die Ursachen für die Geschehnisse in Alexandria zu suchen waren. Ihn wunderte allerdings, das Ishem nicht mehr Fragen gestellt hatte.
Sicher - Ishem und Jeremias waren nicht unbedingt die besten Freunde, Haß beschrieb das Verhältnis deutlich besser. Aber trotzdem hatte Ishem mehr verraten, als er in seinen Sätzen gesagt hatte. Er wollte offensichtlich sehen, was Andrew über die Ereignisse wußte. Weshalb hätte er ihn sonst durch diesen Murat in seinen Club zitiert. Selbstverständlich hatte Ishem vor Andrews Ankunft von seinem Eintreffen gewußt. Das war eindeutig.
Andrew überlegte. Er hatte noch weitere Nachforschungen anzustellen. Als nächstes wollte er nach Europa.
 

cadaei

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Sehr schön! Die Atmosphäre und Umgebung kommt auch nicht zu kurz, auch wirkt die Handlung lebendig. Auf die Schnelle fiel mir folgender Satz störend auf:

"Als er sich ein wenig beruhigt hatte, sagte er höflich:"

Das "Beruhigen" suggeriert den Eindruck, dass Andrew schon halb auf sein Gegenüber losgegangen wäre, und von Wachen o.ä. zurückgehalten werden musste und sich dann erst beruhigen konnte.
Es ist nur eine Nuance, aber irgendwie fiel es mir eben störend auf. Liegt vielleicht auch an der späten Uhrzeit.
 

asamandra

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Also, das ganze macht wirklich Lust auf mehr! Mir sind allerdings ein paar Kleinigkeiten aufgefallen. Z.B. der Übergang hier:

Ferguson stand auf.
Der Mann, der eben noch in der Ecke des Raumes gestanden hatte, war verschwunden. Er sah sich um.

ist etwas... sagen wir mal unglücklich. Dieses Er kann sowohl auf Ferguson als auch auf den Mann bezogen werden... Das war mein erster Gedanke beim lesen. Evtl. kannst du das, mit dem umsehen in den ersten Satz mit ziehen... F. stand auf und sah sich um...

„Horn-of-Herne“

Dabei ist mir auch gleich 'Robin of Sherwood eingefallen', und das bevor ich Ramses' Kommentar gelesen hatte.

...er hinter sich plötzlich eine Stimme hörte.
„Wie sind die Verhandlungen gelaufen?“ wollte die Stimme wissen...

Das is ne Wiederholung. Den nachgestellten Satz kann man getrost weglassen, ohne den Sinn zu verändern.

...Aber ich habe ihr doch gar nichts gesagt... "Aber...".. etwas sagen, aber Duncan ... Aber woher kannte...

Auch hier, einige Wiederholungen...

...abscheulicheres gesehen, wie diese beiden Ausgeburten...

So abscheulich wie... abscheulicher als!!

begannen die Lichtverhältnisse in der Gasse sich zu

besser: begannen sich die Lichtverh. in der Gasse zu...

Das zweite der vier Klos war derartig verdreckt und versifft, das Andrew sich beinahe übergeben hätte.
„Riecht gut,“ sagte der Barkeeper mit einem schelmischen Grinsen.
Dieser miese Gangsterhumor war nicht unbedingt Andrews Wellenlänge. Er hielt die Luft an, bis der Barkeeper den Abzug des Klos betätigt hatte. Daraufhin öffnete sich ein schmaler Schacht neben dem Klo.

Hmm... kommt mir bekannt vor. Desperado??

Ansonsten? Schau dir mal die ss-ß Regeln an.

Das ganze lässt sich gut lesen und macht wirklich Bock auf mehr. Ich hoffe, da kommt noch'n Nachschlag ;)
 

deLaval

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OK Ok, ich hätte nicht gedacht, daß noch so viele die alte "Robin of Sherwood" Serie kennen. :wink: Aber immerhin handelt es sich dabei um einen Keltische Gottheit...

Hmm... kommt mir bekannt vor. Desperado??

Deshalb ja auch dieser Kommentar ;)

Daraufhin öffnete sich ein schmaler Schacht neben dem Klo.
Die Idee gibt es schon,“ bemerkte Andrew.
„Ist aber effektiv,“ entgegnete der Barkeeper.

Witzig ist, daß der ganze Text schon mehrfach Korrektur gelesen wurde... Teilweise mit heftigen verschlimmbesserungen...

naja, der nächste Teil soll auch folgen....
 

deLaval

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3. Kapitel

Das Letzte, woran Aisha sich erinnern konnte, war ein Orgasmus, der sie fast in Stücke gerissen hätte. Sie war wohl eingenickt, konnte aber nicht lange geschlafen haben, denn der Schweiß auf ihrer Satin-Bettwäsche war noch nicht getrocknet.
Sie sah zum Nachttisch hinüber, wo ihre silberne Armbanduhr lag. Es war halb vier. Die fahle Mondsichel schien zum Fenster herein.
Aisha war erschöpft. Sie hatte den Abend im „Darknes“ verbracht, einem kleinen Gruftschuppen, der eher ein Insider- als ein Szenetip war. Gothic lag ihr zwar nicht wirklich, aber einige ihrer Freunde schworen auf den Laden.
Gegen Mitternacht war sie dort angekommen. Außer dem Barkeeper kannte sie niemanden, also war sie nur eine halbe Stunde geblieben. Danach hatte sie den Club verlassen.
Es paßte ihr nicht, das sie alleine durch die dunkle Gasse, in welcher der Club lag, gehen mußte. Ein starkes Unwohlsein ergriff Besitz von ihr während ihre Schritte von den Häuserwänden widerhallten.
Die junge Frau war eine sehr anmutige Erscheinung, vermutlich eurasischer Herkunft. Ihr glattes, schwarzes Haar hing offen bis zu ihren Hüften. Sie trug einen Lackmantel und eine eng anliegende schwarze Hose. Unter dem Mantel hatte sie eine weiße Rüschenbluse an.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch, welches sie nicht genau zuordnen konnte.
Als sie sich umdrehte, um den Ursprung des Geräusches auszumachen, spürte sie einen leichten Luftzug. Die Gasse hinter ihr war leer, bis auf eine Katze, die in einiger Entfernung von einem Balkon im ersten Stock herab sprang.
Aishas Herz begann schneller zu schlagen. Sie war beunruhigt. Auch bei näherem Hinsehen konnte sie niemanden entdecken.
„Suchst Du etwas?“ ertönte eine freundliche Männerstimme aus der Richtung, in die sie gegangen war.
Sie fuhr herum. Wie aus dem Nichts stand dort ein sehr gutaussehender Mann Mitte zwanzig. Er hatte schulterlanges blondes Haar und weiche blaue Augen. In seinem Gesicht stand ein sanftes Lächeln. Er trug eine schwarze Lederhose und ein weinrotes Sakko.
„Du hast mich erschreckt,“ sagte Aisha, die den Mann noch nie zuvor gesehen hatte.
Dennoch erschien er ihr vertraut, sie fühlte sich sogar stark von ihm angezogen.
„Tut mir leid, das war nicht meine Absicht,“ antwortete er, „aber ich dachte, wenn ich Dich jetzt nicht anspreche, tue ich es nie mehr.“
„Du bist mir gefolgt,“ stellte Aisha fest.
Lächelnd nahm er ihre Hand.
„Gehen wir noch wohin?“ fragte er.
„Du bist ziemlich direkt,“ sagte sie, „ich kenne nicht mal deinen Namen.“
Er deutete einen Handkuß an und sagte:
„Zacharias Falkner, zu ihren Diensten.“
Sie waren noch ein wenig spazieren gegangen und unterhielten sich dabei über dies und das, ehe sie in Aishas Wohnung angekommen waren und die Natur ihren Lauf genommen hatte.
Aishas Blick schweifte durch den Raum. Zacharias hatte sich bereits angezogen und war gerade dabei die Tür zum Flur zu öffnen.
„Du gehst?“ hauchte sie.
Zu mehr war sie nicht in der Lage gewesen.
„Ich muß weg. Ich rufe Dich an,“ antwortete Zacharias.
Diesen Satz hatte er schon tausendmal gesagt.
Er schloß die Tür hinter sich und trat auf den Flur. Dabei zückte er sein Mobiltelefon und bestellte ein Taxi. Dann ging er die Treppe hinunter.
Sein Verlangen war befriedigt, aber die Leere in seinem Inneren gähnte wie eh und je, seit dem Tag an dem er Joanna verlassen hatte.
Das war jetzt acht Jahre her, aber der Schmerz war geblieben. Er haßte sein Dasein. Und er hatte gewußt, das Joanna es nie verstanden hätte.
Und sie hatte es nicht verstanden. Natürlich hatte er ihr das Herz gebrochen, als er sie ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter verließ. Aber es war nicht seine Entscheidung.
Er hätte sie niemals aus freien Stücken verlassen. Nein, eher hätte er seine Seele verloren. Und genau das war geschehen. Sie kann es niemals verstehen, dachte er, als er an der Straße auf das Taxi wartete.
Hin und wieder besuchte er Joanna, um Fabienne zu sehen. Zumindest behauptete er das.
In Wirklichkeit wollte er sie beide sehen. Fabienne und Joanna, die eigentlich Johanna Brahms hieß, was ihr aber zu altbürgerlich klang.
Sie hatte inzwischen wieder geheiratet. Ihr neuer Mann, Schröder, war wohl der gewöhnlichste Typ, den es überhaupt gab. Nomen est Omen. Das schien zu stimmen.
Das Taxi kam. Zacharias stieg ein und sagte dem Fahrer, wohin er wollte. Sie fuhren los. Im Wagen herrschte Schweigen. Zacharias hatte keine Lust sich mit dem Fahrer zu unterhalten.
Fabienne, dachte er.
Obwohl er sie nur selten besuchte, teilte sie nicht die Abneigung ihrer Mutter. Sie war jetzt acht Jahre alt.
Acht Jahre Finsternis.
Früher am Abend hatte er Joannas Wohnung aufgesucht, um Fabienne zu sehen, aber sie schlief bei einer Freundin. Also sprach er kurz mit Joanna. Sie hatte ihm die üblichen Vorwürfe gemacht, aber an diesem Abend hatten sie ihn tiefer getroffen als sonst. Sie hatten sich gestritten, wie schon so oft.
Er fragte sich, warum ausgerechnet er so brutal aus seinem Glück herausgerissen wurde. Aber es half nicht. Er war allein mit seinem Schicksal.
Ihm fiel eine Zeile aus einem Lied von Metallica ein, „emptiness is filling me, to the point of agony,“ die seine Gefühle seiner Meinung nach recht gut beschrieb.
In der Tat hätte er seiner Existenz ein Ende setzen können. Er hätte es getan, ohne mit der Wimper zu zucken.
Als das Taxi seinen Zielort erreicht hatte, bezahlte er den Fahrer und stieg aus. Anschließend betrat er das Haus, vor dem das Taxi gehalten hatte, und ging in den Keller, wo er sein Studio eingerichtet hatte.
Er setzte sich an das Spinett. Es war sein Lieblingsinstrument. Man sagte, das es einmal dem großen Johann Sebastian Bach gehört hatte. Zacharias wußte nicht ob das stimmte, aber es stammte eindeutig aus der Zeit, in der Bach gelebt hatte.
Langsam begannen seine Finger die Tasten zu betätigen. Er spielte sehr gut. Überhaupt war er einer der begabtesten Musiker der Welt. Er könnte reich und berühmt sein, aber er wollte es nicht. Er wollte nicht das seine Kompositionen von Leuten gehört wurden, die sie nicht im geringsten zu schätzen wußten. Musik war das einzige, was ihm ab und zu einen Grund gab zu lächeln, auch wenn ihn die Muse verlassen hatte, als er sich von Joanna getrennt hatte.
Dafür haßte er die, die ihn in die Dunkelheit gestoßen hatte. Carmen hieß die Hexe, die das getan hatte. Vor acht Jahren hatte sie ihm dieses unheilige Dasein gebracht, und den Hunger nach Blut.
Natürlich konnte Joanna das nicht verstehen. Er begriff es ja selbst nicht.
Der Klang des Stückes, das er spielte, war düster, schwer und sehr melancholisch. Es steigerte sich stetig. Zacharias Finger flogen nur so über die Tastatur des Spinetts.
In dem Streit heute abend hatte er Andeutungen seines wahren Schicksals fallengelassen, doch Joanna konnte - oder wollte - ihm nicht folgen. Wie sollte sie auch.
Er versuchte sie zu vergessen, aber es gelang ihm nicht, wie schon so oft, und das machte ihn wütend. Die Musik spiegelte seine Gedanken wider. Zorn, Rage, Raserei - aber worauf? Er wußte es nicht, und er zweifelte daran, das er es jemals herausfinden würde.
Seine Finger wurden schneller. Die Musik wurde wilder.
Es klingelte an der Tür. Jemand hämmerte gegen den Klingelknopf.
Vermutlich klingelte es schon seit einiger Zeit. Vielleicht auch nicht. Zacharias war das egal. Er spielte noch ein paar Takte, bevor er aufstand und zur Haustür ging.
„Na endlich,“ sagte der junge Mann vor der Haustür.
Er war schlank und trug einen knielangen Ledermantel und eine schwarze B.W.-Hose.
Zacharias kannte ihn, und sagte:
„Andrew, was willst Du denn hier?“
Er war überrascht den amerikanischen jungen Mann zu sehen. Sie kannten einander nicht besonders gut. Abgesehen von ein paar Jam-Sessions hatten sie nicht viel gemeinsam unternommen.
„Ich war gerade in der Gegend,“ sagte Andrew.
„Ich nehme an Du wolltest nur ein bißchen spazieren gehen und hast Dich dabei von San Francisco nach Hamburg verlaufen. Ich kenne das, ist mir auch schon passiert.“
Andrew überhörte den Sarkasmus in Zacharias Stimme einfach und fragte:
„Darf ich herein kommen?“
Kurz darauf saßen sie in Zacharias Wohnzimmer und redeten über Musik. Kein angemessenes Thema in Zacharias Augen, zumal Andrew zwar professioneller Bassist war, aber von der wirklichen Tiefe der Musik keine Ahnung hatte.
Andrew hatte andere Qualitäten. Er konnte hervorragend kämpfen, das hatte Zacharias jedenfalls gehört.
„Sag mal Zack,“ sagte Andrew irgendwann, „was ist eigentlich hier los in der Stadt?“
Er erwartete nicht, das Zack genauer Bescheid wußte. Er war noch viel zu jung, um so etwas zu wissen, aber er hoffte einige Hinweise zu erhalten.
„Man sagt,“ begann Zack, „das eine junge Ahnenlose aus Schottland vor einiger Zeit hier angekommen ist. Damit hat der ganze Schlamassel angefangen.“
Er wußte doch mehr, als Andrew vermutet hatte. Auch wenn er die Gefahr, die Ihnen allen drohte, zu unterschätzen schien.
 

deLaval

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4. Kapitel

Jeremias lag in der Baracke auf seinem Strohlager. Es regnete, was sehr unangenehm war, da das Dach seit längerem nicht repariert worden war. Er schnippte eine Schabe weg, die auf seinem Knie herumgekrochen war. Seine Schulter schmerzte. Die Wunde war nur notdürftig verbunden worden. Es war das erste mal gewesen, das er angeschossen worden war. Er hatte Glück, das er überhaupt noch lebte.
Sechs Männer waren heute gestorben. Zwei von ihnen waren Jeremias Kameraden. Die anderen vier waren die Plantagenaufseher gewesen, die mit ihren Mißhandlungen der Sklaven heute endgültig zu weit gegangen waren. Jeremias hatte den Kampf begonnen und er konnte nicht leugnen, eine gewisse Genugtuung empfunden zu haben, während er den ersten Aufseher erwürgt hatte. Aber war es das wert? Man würde ihn jagen. Nur mit Mühe und Not waren er und sein Freund Rufus entkommen. Für die Nacht waren sie sicher in dieser alten Baracke. Aber was würde morgen geschehen?
Rufus war auch angeschossen worden. Ihn hatte man am Bauch erwischt. Mit etwas Glück überlebte er die Nacht. Länger sicher nicht. Die anderen waren inzwischen bestimmt gehängt worden. Oder erschossen, wenn sie Glück hatten. Da war schon wieder dieses Wort - Glück. Jeremias glaubte nicht an Glück. Nicht seitdem man ihn ohne seine Frau und seine Kinder an diesen d’Arjourant verkauft hatte. Er haßte d’Arjourant.
„Bist Du in Ordnung?“ fragte Rufus nach einer Weile. „Alles bestens,“ erwiderte Jeremias mit einem erzwungenen Lächeln. „Ich mache mir mehr Sorgen um Dich.“ „Ich hab’s überstanden,“ sagte Rufus, „der Schmerz ist bereits weg, aber mir ist so Kalt.“ Jeremias stand auf, ging zu Rufus hinüber und begann ihn mit Stroh zu bedecken. „Das ist zwar feucht, aber was anderes haben wir nicht,“ sagte Jeremias, „sag mal hast Du auch so einen Hunger?“ Rufus antwortete nicht direkt, sagte aber bald: „Denen haben wir es ganz schön gezeigt, was Jerry?“ Jeremias nickte nur.
Mit einem mal wurde die Tür aufgerissen und eine weiße Frau mit schwarzen Haaren kam herein gestürmt. Instinktiv griff Jeremias nach dem Gewehr, welches er dem erwürgten Aufseher abgenommen hatte, als dieser es nicht mehr brauchte. Er zielte auf die Frau. Die fauchte wie eine hungrige Wölfin und die scharfen Zähne fletschte. Jeremias zog den Abzug des Gewehrs. Von der Wucht der Kugel wurde die Frau zu Boden gerissen, aber sie richtete sich wieder auf. Jeremias feuerte erneut. Er konnte es nicht glauben. Die Kugel hatte sie mitten in die Brust getroffen. Wieder riß der Schuß die Frau zu Boden. Jeremias wollte ein drittes mal schießen, aber er hatte keine Patronen mehr. Er faßte das Gewehr am Lauf, um nötigenfalls damit zuschlagen zu können. Die Frau stand wieder auf. Sie fauchte noch wilder als zuvor. Zielstrebig ging sie auf Rufus zu. Mit wachsendem Entsetzen sah Jeremias wie die Frau Rufus packte und ihre fangartigen Eckzähne in dessen Hals schlug. Rufus schrie vor Schmerz. Jeremias unterdrückte ein Würgen. Er war fassungslos. Rufus Blut verteilte sich auf dem Stroh. Jeremias lief los, vorbei an Rufus und dieser fürchterlichen Frau, durch die Tür ins Freie. Er lief ziellos umher.
Verzweiflung machte sich in seinen Gedanken breit. Er war verloren. Er war allein. Man war auf der Suche nach einem großen entlaufenen Sklave, der seine Aufseher umgebracht hatte. Sein Leben hatte keinen Wert mehr. „Jesus loves me,“ begann er zu singen, „for the bible tells me so.“ Sein Gesang erfüllte ihn mit dem Mut der Verzweiflung. Er beschloß zurück zur Baracke zu gehen, um wenigstens mit Rufus, seinem letzten Freund, gemeinsam zu sterben, wenn er ihn schon nicht retten konnte. Vielleicht aber war es eine noch dunklere Sehnsucht, welche ihn zurück zu der Hütte trieb.
Als er die Baracke erreichte - er sang immer noch aus vollem Halse - war die Frau noch da, wie er es gehofft hatte. Jeremias verstummte, als er sie wieder erblickte. Sie hockte neben Rufus Leichnam. Ihr Gesicht war blutverschmiert. „Du hast Mut, alleine zurück zu kommen,“ sagte sie mit ruhiger Stimme. Langsam kam Sie auf ihn zu. Er wollte erst zurück weichen, blieb aber dann doch stehen. Sie hob die Hand, berührte ihn am Hals und ließ die Hand langsam zu seiner verbundenen Schulter gleiten. Ihr Blick war lodernd wie Feuer, aber Jeremias hielt ihm stand. „Wie ist das passiert?“ fragte sie. Er antwortete kurz: „Angeschossen.“ „Du bist ein Rebell, was?“ „Es gibt Grenzen,“ sagte er hart, „die nicht überschritten werden sollten.“ Sie lächelte boshaft und kam ganz nah an ihn heran. „Du willst Dich rächen,“ flüsterte sie ihm ins Ohr, „und Du sollst deine Rache bekommen, aber du wirst Grenzen überschreiten.“

Das war jetzt fast zweihundert Jahre her. Hätte Jeremias gewußt welches Schicksal ihn nach seiner Rückkehr zur Baracke erwartete, hätte er sich der Justiz der Menschen gestellt. Die Frau hatte sich ihm als Alida vorgestellt. Sie war ein Vampir, eine Tochter längst vergessener Mystik, wie sie selbst sagte. Sie hatte ihn in die Dunkelheit gestoßen. An jenem Tag als er den Aufseher getötet hatte, hatte er das Licht des Tages zum letzten mal gesehen. Seitdem litt er dieses unstillbare Verlangen, diesen Hunger. Sicher - er hatte große Macht erlangt, größere als er je erahnt hätte, aber zu welchem Preis. Inzwischen war er der wichtigste Mann von San Francisco. Er beherrschte die Stadt - gerecht und mit eiserner Hand. Viele, jüngere wie ältere, hatten versucht, ihn zu stürzen, aber ohne Erfolg. Alida hatte erkannt, welche Willensstärke er besaß.
Er saß im Arbeitszimmer seiner Wohnung. Obwohl er über genug Ressourcen und Macht verfügte einen gigantischen Palast zu bewohnen, tat er es nicht. Er haßte den Luxus.
Bei ihm saßen die Ältesten der Stadt, welche ihm als Berater dienten und deren Vorsitzender er war. Faith, einer der Ältesten, hatte das Wort. Er berichtete von den Ereignissen, welche die ganze Welt in Aufruhr versetzt hatte:
„Das Phänomen ist in allen größeren Städten der Welt aufgetreten. Aber in der neuen Welt hat es sich ringartig von hier bis nach Alaska und Mexico-City verbreitet.“
„In Europa,“ warf Thomas, der unter den Ältesten als der gelehrteste galt, ein, „ist der Ursprungsort Rom gewesen.“
„Ich habe gehört, das es aus Edinburgh kommt,“ sagte Jeremias, „es hat wohl seinen Ursprung dort. Das beruht allerdings nur auf Gerüchten. Genaueres haben meine Agenten noch nicht in Erfahrung bringen können.“
„Viel wichtiger,“ bemerkte eine Frau namens Joline, „als der Ursprung, ist doch, was es ist. Nehmen wir an es kommt aus Edinburgh, was können wir dann dagegen tun? Nichts, weil wir nicht wissen was es ist.“
„Ich stimme dir zu, Joline,“ sagte Jeremias.
„Wir sollten Herrn DiCara zu Rate ziehen,“ schlug Faith vor, „er erforscht die Angelegenheit bereits und weiß möglicherweise bereits mehr über den Sachverhalt als wir.“
„Undenkbar,“ protestierte Olaf Erikson, dessen Wildheit berüchtigt war, „dieser nekrophile Bastard wird verlangen in unseren Rat aufgenommen zu werden.“
„Wir müssen das kleinere Übel wählen,“ meinte Thomas, dessen ursprüngliches Bild von Gut und Böse sich seit seinen Tagen bei der spanischen Inquisition drastisch verändert hatte.
„Niemals,“ brüllte Olaf, und sprang auf die Füße, „eher sterbe ich im Feuer des Sonnenaufganges, als mich mit diesem Monster an einen Tisch zu setzten.“
Olaf war ein skandinavischer Hüne. Zwei Meter groß und seine rotblonden Haare hingen ihm bis auf die Brust. Er trug zerrissene Jeans und eine nietenbesetzte Lederjacke.
„Ich bin Olafs Meinung,“ sagte Harris, dessen Vater früher dem Rat vorgesessen hatte, ehe Jeremias diesen abgelöst hatte, „es ist eine Schande Pablo DiCara überhaupt zu erlauben unsere Stadt mit seiner unheiligen Präsenz zu entehren. Wir können nicht zulassen, das er sein dreckiges Netz aus unseren Reihen spinnt.“
Jeremias mußte grinsen. Er wußte sehr wohl, das es Harris weniger um das Wohl der Stadt ging, als um sein eigenes. Es war geschickt von ihm gewesen, den naiven Olaf zu überzeugen, das DiCara „böse“ war, was zweifellos funktioniert hatte. Olaf würde in seiner direkten Art jeden herausfordern, der anderer Meinung war. Natürlich war DiCara, der immensen Einfluß auf die Geschäftswelt San Franciscos hatte, dem ehrgeizigen Robert Harris ein Dorn im Auge. Aber dies war weder der Ort noch die Zeit für persönliche Fehden.
Aber er konnte den beiden jetzt auch nicht widersprechen. Olaf war tausend Jahre älter als er selbst. Er überlegte.
„Meine Herren,“ brach Faith die kurze Zeit des Schweigens, „es ist doch sinnlos, wenn wir uns hier um Lappalien streiten...“ „Was nützt es uns,“ unterbrach ihn Olaf, „eine Bedrohung auszuschalten und gleichzeitig eine andere in unseren Rücken zu manövrieren.“ Das klang so gar nicht nach dem sonst eher wortkargen Wickinger. Die Ausdrucksweise erinnerte Jeremias eher an Harris.
Olaf war mit Abstand der älteste Vampir in San Francisco. Er hatte nur wenig politischen Einfluß, dennoch wollte ihn niemand zum Feind haben. Seine Meinung vertrat er in der Regel, indem er seine Widersacher herausforderte.
Um Auseinandersetzungen mit Olaf zu vermeiden, hielten sich die meisten aus seinen Angelegenheiten raus, was eigentlich nicht sehr schwer war. Er beherrschte den größten Teil der Biker-Szene der Stadt, was für die anderen uninteressant war. Aber hier ging es um allgemeine Angelegenheiten. Normalerweise hielt sich Olaf aus allgemeinen Angelegenheiten heraus, da sie ihn nicht interessierten, doch dieses mal verhielt es sich anders.
Harris, Du alter Hurenbock, dachte Jeremias, wie hast Du das gemacht? Was hast Du ihm erzählt? Jeremias überlegte. Die anderen Anwesenden stritten miteinander. Alle bis auf Violence Morgan. Sie war Jeremias engste Vertraute im Rat. Jeremias suchte und fand ihren Blick. Wann immer er nicht weiter wußte, wandte er sich an sie. Seit die Probleme begonnen hatten, hatte er sie schon öfters aufgesucht, aber hier konnte sie auch nicht helfen.
„So kommen wir nicht weiter,“ ergriff Jeremias das Wort, „wir vertagen die Besprechung auf morgen Nacht, wenn wir alle uns ein wenig beruhigt haben. Und jetzt raus hier.“ So beendete er alle Ratsversammlungen. Irgendwie hatte es ihm der Spruch des Richters aus „Picket Fences“ angetan.
Sie standen auf und machten sich bereit zu gehen. Nur Violence blieb sitzen. Sie nahm ihre Handtasche, holte einen kleinen Spiegel heraus und begann ihre Lippen nachzuziehen. Sie war eine äußerst schöne Frau Ende dreißig - zumindest sah sie so aus - mit langem lockigem rotem Haar und elfenbeinfarbener Haut. Um ihre Schultern trug sie ein dunkelblaues Seidentuch, das sich gut von ihrem grünen Kleid abhob. Jeremias sah sie an. Sie kannten sich schon seit sehr langer Zeit, und sie verband eine tiefe und innige Freundschaft.
Als der letzte zur Tür raus war, packte sie den Lippenstift in ihre Tasche zurück, stand auf und sagte: „Sie werden sich in dieser Sache nie einigen.“
„Was schlägst Du vor? Ich halte es für das beste Pablo zu rate zu ziehen.“
„Er wird sowieso nichts sagen,“ meinte Violence, „es sei denn, Du gewährst ihm einen Sitz im Rat. Und selbst dann wird er nur das nötigste, von dem was er weiß, offenbaren. Schick ihm Spione, steck deine Nase in seine Geschäfte, ohne das die anderen davon Wind bekommen.“
„Der Rat wird sich hintergangen fühlen, sollte etwas durchsickern. Das ist ein ziemliches Risiko,“ meinte Jeremias.
„Tu, was Du für richtig hältst,“ sagte Violence, warf sich ihren Mantel über und verließ Jeremias Wohnung.
Sie stieg in den Fahrstuhl und drückte den Knopf „Erdgeschoß“. Auf dem Weg nach unten schwieg sie. Die Fahrstuhltür öffnete sich wieder. Sie ging hinaus. Läßt sich von diesem Wilden beeindrucken, dachte sie, ich hätte dir mehr Rückrat zugetraut.
Es war eine düstere Gegend. Was Jeremias an diesen Wohnblocks fand, hatte sie nie verstehen können. Sie liebte Jugendstil-Villen, und bewohnte auch eine solche. Geschmackvoller Komfort mit einem Hauch Dekadenz, das war ihre Welt. Sie ging über die Straße, zu dem Parkplatz, wo Darron mit ihrem Wagen wartete, einer langgezogenen Limousine aus dem Hause Crysler. Es begann zu regnen, aber das störte sie nicht. Darron stieg aus und öffnete ihr die Wagentür. „Danke Darron, aber ich warte noch auf jemanden,“ sagte sie und lehnte sich an den Wagen. Regentropfen schlugen auf die Motorhaube und perlten ab. Sie sah sich um. Aus einer der nahen Seitenstraßen trat ein junger Mann. Er hatte edle Gesichtszüge und trug einen dunkelgrauen Regenmantel. Er ging mit eleganten Schritten auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. Seine kalten, blauen Augen brannten sich in ihren Geist ein. Wasser tropfte ihm von der Nasenspitze. In seiner linken Hand hielt er einen Spazierstock mit silbernem Knauf.
Violence lächelte ihn an. Er führte seine Hand an ihr Kinn und strich ihr dann über die Wange.
„Hallo Alex,“ sagte sie leise, „lange nicht gesehen.“
Sie küßten sich. Es war ein langer leidenschaftlicher Kuß.
„Und,“ fragte Alex, „hat er angebissen?“
Sie stiegen beide in den Wagen. Darron fuhr los. Der Regen plätscherte gegen die Scheiben.
„Ich denke schon,“ beantwortete sie seine Frage.
 

deLaval

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5. Kapitel


„Darknes imprisoning me
all that I see
absolute horror
I cannot live, I cannot die
Left me with life in hell“
(Metallica, One)

Jeshayah stand auf der Spitze des Berges. Er breitete die Arme aus. Der Wind griff nach seinem langen, weißen Haar und Bart. Sein Mund formte Worte in einer längst vergessenen Sprache.
Blitze zuckten und spalteten den Nachthimmel. Endlich würde sich sein Schicksal erfüllen.
Die Erlösung war nah. Regen peitschte ihm ins Gesicht. Donner grollte. Vergebung - er würde sie bekommen. Seine Vergebung, die des aller Höchsten. Bald wird er zurückkehren, dachte Jeshayah, und die Erlösung all denen bringen, die seinem Weg folgten.
Blutig wird die Rache sein, an denen, die nicht seinem Pfad gefolgt sind. Wieder blitzte es. Der Sturm riß an Jeshayahs Kleidern. Er rief die vergessenen Worte. Blut lief ihm von seiner Stirn in den Mund. Die Dornen seiner Krone hatten sich tief in seine Haut gegraben. Vergebung, dachte er erneut, wird mein sein. Der aller Höchste würde ihm vergeben und seine Rache würde ihn erlösen, von der Last der Millenien, dessen war er sich sicher. Jahrtausende, er wußte nicht wie viele es wirklich waren, aber das Ende war nah.
Er würde die Welt in Blut tränken. Gehenna, Ragnarok, Armageddon. Die Zeichen waren deutlich. Die Welt versank im Hunger seiner Kinder und das Blut war schwach.
Jeshayah senkte die Arme. Der Sturm ließ nach. Der jüngste Tag wird kommen, dachte Jeshayah, unsere unheilige Existenz wird enden.

6. Kapitel

Als Ferguson außer Sichtweite war, gingen Duncan und Elaine die Gasse in entgegengesetzten Richtungen entlang. Es regnete noch immer. Sie gingen raschen Schrittes, denn sie wollten weit weg sein, bevor man die Überreste der beiden Gestalten fand. Und man würde sie finden.
Sie kamen bald auf belebtere Straßen, doch sie blieben vor den Augen der Menschen verborgen. Dann bogen sie wieder ab in eine Seitengasse und betraten den Hinterhof eines leer stehenden Hauses. Hier waren sie ungestört und konnten in Ruhe reden.
„Tut es sehr weh?“ fragte Elaine besorgt.
„Wird mich nicht umbringen,“ sagte Duncan mit einem sarkastischen Grinsen im Gesicht, „woher wußten diese Bluthunde, das ich in England bin?“
„Wahrscheinlich haben sie dich einfach erkannt,“ vermutete Elaine.
Duncan rieb sich den Kopf. Er war ein großes Risiko eingegangen nach York zu kommen, aber er wollte sicher gehen, das sein Gefolgsmann, Fitzgerald, keine Schwierigkeiten mit den englischen Beamten bekam. Außerdem wollte er seine schützende Hand über Ferguson halten, der ein ebenso großer Patriot war wie Duncan selbst. Die Schlinge der englischen Unterdrückung begann
sich damals wieder zuzuziehen.
Aber Duncan würde das nicht hinnehmen. Er hatte viele Anhänger in den Highlands. Aus dem Schatten heraus unterstützte er die Stewards. Duncan plante seinen Befreiungsschlag seitdem James der Erste, der seinerzeit Schottland und England vereinigt hatte, aus dem Land vertrieben wurde. Eigentlich erwartete er nur noch die passende Anführerfigur aus dem Hause Steward. Gemeinsam würden sie die Engländer dahin zurückschlagen, wo sie hingehörten - nach Frankreich. Schließlich waren es letzten Endes die normannischen Eroberer, die den Krieg mit Schottland begonnen hatten. Verdammte Normannen, verdammter William.
„Du solltest möglichst schnell zurück nach Edinburgh. Dort bist Du sicherer als hier,“ sagte Elaine.
Ihr war es eigentlich egal, wer Schottland regierte. Sie mochte Duncan einfach. Mit ihm verband sie ein paar ihrer schönsten Erinnerungen. Sie hatten sich in Paris kennengelernt, im Schatten von Notre Dame. Duncan war damals noch sterblich gewesen. Zehn Jahre lang waren sie ein Liebespaar gewesen, bis ihr Rivale Antoine de Gavriaque Duncan in die Reihen der Verdammten zog.
Antoine hatte inzwischen für sein Vergehen bezahlt. Danach hatten sie einander für einige Dekaden aus den Augen verloren, und sich schließlich in der schottischen Königsstadt wieder getroffen. Aber die alte Liebe war einer innigen Freundschaft gewichen.
„Ich werde nach Paris zurückkehren,“ fuhr sie fort. Sie verabschiedeten sich mit einer langen Umarmung voneinander, ehe sie sich trennten.
Einige Jahre später wurde Duncan der heimliche Herrscher von Edinburgh und stellte die Stadt und das ganze Land gegen die Engländer und ihre Herren. Der letzte Erbe der Stewards, Bonny Prince Charley kam nach Schottland zurück und die Jakobiter erhoben sich. Aber sie wurden geschlagen. Charley floh nach Frankreich - beschämt und entehrt.
Duncan aber versteckte sich in Edinburgh. Aus den Schatten heraus lenkte er weiterhin die Geschicke der Stadt. Seine Zähigkeit führte dazu, das seine Anhänger ihm den Beinamen Bruce gaben, nach König Robert, dem es nach vielen Versuchen am Ende doch gelang die Engländer nach seinem Sieg bei Bannockburn aus Schottland zu vertreiben. Duncan trug diesen Namen mit Stolz.
Elaine mußte Frankreich bald verlassen. Sie ging nach Prag und dort verweilte sie bis heute. Darius Adenev, der Herr der Stadt, erlaubte ihr zu bleiben. Sie zog sich zurück. Die Last der Jahrhunderte hatte sie müde gemacht. Eine einzige Leidenschaft war ihr geblieben. Aus der einst so energischen jungen Frau war eine gelangweilte, dekadente Griesgrämin geworden.
Dann hatte sich vor einigen Tagen alles wieder geändert.
Darius hatte sie aufgesucht und ihr von unglaublichen Vorkommnissen berichtet. Es begann ganz plötzlich. Eine Ahnenlose war aus Alexandria in die Stadt gekommen. Kurz darauf kam der Hunger, von dem die Jüngeren berichteten, wenn sie es noch konnten. Vampire, die verhungerten, gleich wie viel Blut sie verschlangen. Dutzende waren diesem Phänomen bereits zum Opfer gefallen und starben von selbst oder mußten getötet werden, wollte man vermeiden, das die Feuer der Inquisition zurückkehrten, oder sich das Phänomen weiter verbreitete, denn es schien ansteckend zu sein.
„Ich möchte dich um einen Gefallen bitten,“ sagte Darius, „Du kennst doch El Paco.“ Kennen traf den Sachverhalt nicht unbedingt exakt. El Paco und Elaine waren sozusagen Geschwister. Aber was hatte der alte Verhetzer mit den Vorkommnissen zu tun?
„Warum fragst Du?“ wollte Elaine wissen.
Darius fuhr fort, ohne ihre Frage zu beachten:
„Such ihn auf.“ Elaine war schockiert.
Sie haßte El Paco, aber was noch wichtiger war, sie wollte Prag nicht verlassen. Sie hatte dort Geschäfte, um die sie sich kümmern mußte.
„Warum ich?“ fragte sie.
„Du bist die einzige, der ich so weit vertrauen kann. Diese Aufgabe ist von immenser Bedeutung,“ antwortete Darius.
Er war ein sehr ernster, bedachter Mann. Seit über tausend Jahren war er der Herr von Prag, ein sehr mächtiger Despot, der viele Neider hatte.
„Was ist mit Miroslaw?“ fragte Elaine erneut.
„Ich brauche ihn hier,“ sagte Darius, „er ist einer der wenigen, die dem Problem so weit Herr werden können, das wir unentdeckt bleiben.“
Elaine schwieg.
„Wirst Du mir diesen Dienst erweisen?“ hakte Darius nach.
Sie nickte.
El Paco war der einzige Vampir in Alexandria, der mit Prag in Verbindung stand. Ihn verband eine alte Schuld mit der Stadt und mit Darius. Elaine wußte nicht was es war, aber es mußte schwerwiegend sein.
„Wann soll ich aufbrechen?“ fragte Elaine.
Am besten gleich, lautete die Antwort.
Sie verließ Darius’ Villa und ging zu Ihrem Wagen. Victor, ihr Chauffeur, öffnete für sie die Tür des Mercedes.
„Nach Hause?“ fragte er unterwürfig.
„Ja und dann zum Flughafen. Wir werden verreisen.“
„Wohin?“ fragte Victor.
„Nach Ägypten,“ antwortete Elaine.
Er fuhr los. Der Mond stand hoch am Prager Nachthimmel. Elaine starrte aus dem Fenster. Die Stadt war noch immer belebt. Sie bemerkte, das sie hungrig war.
„Victor, halt hier an,“ befahl sie, „laß mich hier raus, fahr dann nach Hause und pack meine Sachen zusammen. Danach holst Du mich wieder hier ab.“
Sie stieg aus. Victor fuhr weiter. Die Straße war zu beiden Seiten mit einigen Kneipen und Nachtclubs bestückt. Sie ging auf einen der Clubs zu. Ihr stieg ein leichter Geruch von Blut in die Nase. Menschen hätten diesen Geruch nicht wahrnehmen können, aber ihre Sinne waren schärfer. Sie folgte dem Geruch. Er führte sie in eine Seitenstraße. Als sie ein paar Schritte in die Seitenstraße gegangen war, hörte sie ein leichtes Stöhnen. Sie sah sich um. Ihre Sinne verschärften sich noch, bis sie sehen konnte wie am hellichten Tag - nicht das sie sich noch an wirkliches Tageslicht erinnern konnte.
Etwa hundert Meter weiter die Straße entlang lag eine Frau auf dem Asphalt. Elaine sah sich kurz um und lief dann auf sie zu. Die Frau war übel zusammengeschlagen worden. Elaine schüttelte den Kopf. Sie konnte rohe Gewalt nicht ausstehen. Sicher, es gab Zeiten, wo sie angebracht war, aber das hier war definitiv unangebracht gewesen. Die Frau hatte eine Platzwunde am Kopf. Elaine ging in die Knie und griff nach dem Handgelenk der Frau. Der Puls war gleichmäßig.
„Ist nicht meine Nacht heute,“ begann sie, „aber Deine auch nicht.“
Dann senkte sie ihre Fänge in die Schlagader der Frau.
 

_Dark_

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wow, nicht übel, muss man echt mal sagen


nur eine kurze bemerkung zu dem ersten kapitel, die andren hab ich mir noch nicht durchgelesen

und rief dem Wirt zu, er solle ihm noch ein Bier bringen.

davor heißt es aber:


hob sein mit Wasser gefülltes Glas,
außerdem kann man beim wasser nicht von saufen reden..

sonst aber echt super
 

deLaval

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7. Kapitel

Das frische, heiße Blut sprudelte Alexander in den Mund. Die junge Frau, die er in den Armen hielt, war nackt. Ihre vollen Brüste schmiegten sich an seinen Oberkörper. Alexanders linke Hand stützte ihren Hinterkopf, während seine rechte auf ihrer Hüfte ruhte. Sie stöhnte lustvoll als ihr Lebenssaft aus ihr herauslief.
Sie hieß Alicia und war die Baronin van Reedersted. Genau wie Alexander war sie mit ihrem Gemahl nach Amsterdam gekommen, um an dem jährlichen Großmarkt teilzunehmen der morgen stattfinden würde.
Der Ball, der vom Grafen Hauke van Grachten am Vorabend des Marktes gegeben wurde, war noch immer im Gange. Dort hatte sie den Mann, der nun ihr Herzblut saugte, kennengelernt. Seine blauen Augen hatten sich sofort in ihre Seele gebrannt. Sie hatte ihn vom ersten Augenblick an begehrt. Ihre Blicke hatten sich oft getroffen, begleitet von einem Streicherquartet, das einen slavischen Tanz spielte.
Dann war er auf sie zugekommen, als ihr Gemahl, der Baron von Reedersted, in ein langes Gespräch mit dem Gastgeber vertieft war.
Der Ball fand in den vier großen Sälen von van Grachtens Schloß, das etwas außerhalb von Amsterdam lag, statt. Van Grachten hatte keine Kosten und Mühen gescheut, dem Prunk Ludwigs des Vierzehnten in nichts nachzustehen.
„Alexander Ferdinand Freiherr von Maringen, zu Euren Diensten,“ sagte Alexander und deutete einen Handkuß an, „darf ich euch um diesen Tanz bitten?“
Sie hakte sich bei ihm ein und sie gingen zur Tanzfläche. Nach den ersten paar Drehungen fragte sie ihn:
„Wollt Ihr denn gar nicht wissen, wer Eure Partnerin ist?“ Er lächelte freundlich.
„Alicia, Ihr beleidigt mich, mir zu unterstellen, die schönste Frau von ganz Holland nicht zu kennen.“
Sie errötete leicht.
„Ihr seid ein schamloser Schmeichler, Alexander,“ entgegnete sie.
„Der Allmächtige ist mein Zeuge,“ sagte Alexander, „ich spreche nur die Wahrheit.“
Sie tanzten weiter. Die Klänge der Geigen wurden langsamer.
„Mich dünkt,“ begann Alexander erneut, „Eurer Gemahl schenkt Euch wenig Aufmerksamkeit am heutigen Abend.“
Ihr werdet unverschämt, wollte sie sagen, aber sie konnte es nicht. Zumal er recht hatte mit seiner dreisten Bemerkung.
„Ich würde eine seltene Blume wie Euch nicht eine Sekunde aus den Augen lassen,“ diese Worte trafen sie mitten ins Herz.
Sie beugte sich zu ihm hin und steckte ihm unauffällig ihren Zimmerschlüssel zu.
„Ich werde mich nun zurückziehen,“ sagte sie und ergänzte dann flüsternd: „Ich hoffe wir sehen uns bald wieder.“
Dann verließ sie den Ballsaal.
Alexander gesellte sich zu ihrem Gemahl und van Grachten.
„Nun, ich hoffe ebenfalls einige Tulpen erstehen zu können,“ war das Letzte, was der Baron von Reedersted gesagt hatte, ehe Alexander die beiden erreichte.
„Herr von Maringen, mein lieber Freund,“ begrüßte ihn van Grachten, „darf ich Ihnen den Baron von Reedersted vorstellen?“
„Sehr erfreut“, heuchelte Alexander und schüttelte dem Baron die Hand.
„Sagt, Euer Durchlaucht,“ sagte er dann wieder zu van Grachten gewandt, „ist es wahr, das Sir Iowed of Aslan hier anwesend ist?“
Van Grachtens Gesicht wurde steinhart.
„Woher habt Ihr diese Information?“ fragte er mit einem wütenden Zittern in der Stimme.
„nun, ich habe es gehört,“ antwortete Alexander.
Van Grachten überlegte kurz und sagte dann:
„Entschuldigen Sie mich, meine Herren, ich muß mich rasch um eine wichtige Angelegenheit kümmern.“
Dann ging er zu einem Mann seiner Garde hinüber, genau wie Alexander es geplant hatte. Natürlich war Sir Iowed nicht auf dem Ball. Das hätte selbst er nicht gewagt, aber er war in der Stadt und Alexander wußte das.
„Wer ist denn dieser Sir Iowed?“ fragte der Baron interessiert. Alexander grinste.
„Irgend so ein Wirtschaftsemporkömmling, der sich dem Grafen gegenüber äußerst respektlos verhalten hat,“ antwortete Alexander.
Das Sir Iowed und van Grachten seid Jahren eine alte Fehde verband mußte der Baron, dieser aristokratische Ignorant, nicht wissen.
„Sagt, Baron,“ fragte Alexander beiläufig, „wo ist eigentlich Eure Gemahlin?“
Der Baron sah ihn überrascht an. Alexander fuhr fort:
„Es ist ja auch egal, wo sie ist und das soll Euch auch den Rest des Abends nicht kümmern.“ In seiner Stimme lag etwas, eine Macht, welcher der Baron nicht widerstehen konnte.
Alexander drehte sich um. Er lächelte. Es war so einfach den Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Dann dachte er an Alicia, als er sich auf den Weg zu ihren Gemächern machte. Ihre feuerroten Locken erinnerten ihn an eine längst vergangene Liebe aus den Tagen seiner Sterblichkeit.
Eine Stelle aus einem Gedicht von Francios Villon ging ihm durch den Kopf während er trank.

„Im Sommer war das Gras so tief
Das jeder Wind daran vorüber lief
Ich habe da Dein Blut gespürt
Und wie es heiß zu mir herüber rann
Du hast nur mein Gesicht berührt
Da starb er einfach hin der harte Mann
Weil’s solche Liebe nicht mehr gibt
Ich hab mich in Dein Rotes Haar verliebt“

Alicias Herz schlug immer langsamer, aber Alexanders Begierde war noch immer nicht gestillt. Er trank langsam und genoß jeden Schluck. Ihr Blut war heiß und voller Leidenschaft. Hätte er sie zu Lebzeiten kennen gelernt, er hätte sie lieben können, aber so war sie nur ein Krug, der sein Lebenselexir enthielt.
Er ließ ab und legte sie auf ihr Bett. Sie atmete keuchend. Ihr Herzschlag war schwach. Es war ein malerischer Anblick, wie sie da lag, nackt in ihren Laken aus türkiser Seide. Ein paar Tropfen ihres Blutes liefen ihr über die Brust. Alexander sah sich in ihrem Schlafgemach um. Es gab zwei Türen, die eine führte zum Flur, die andere zur Kammer von Alicias Zofe.
Auf dem Nachttisch lag ein in Leder gebundenes Buch mit Gedichten. Er nahm es auf und laß ein paar Zeilen.
Alicias Atem wurde ruhiger. Sie hob ihre Hand und berührte ihn am Arm. Er setzte sich neben sie und strich mit seiner Hand über ihr rotes Haar.
„Mein Liebster,“ seufzte sie während er sich über sie beugte und seine Zähne erneut in ihren Hals schlug. Dies mal trank er mit ruhigeren Zügen.
Als er sich wieder aufrichtete atmete sie nicht mehr. Er stand auf und ging zur Tür. Draußen auf dem Gang hörte er Schritte. Er lauschte. Die Schritte kamen näher. Schnell drehte Alexander sich um und durch den Raum, auf die Tür zur Kammer der Zofe zu. Er öffnete die Tür. Die Zofe, die wohl schon geschlafen hatte, schreckte hoch, doch ehe sie schreien konnte hielt Alexander ihr den Mund zu.
„Schlaf wieder ein und vergiß, das Du mich gesehen hast,“ befahl er. Sie gehorchte.
Alexander schloß die Tür hinter sich, keinen Moment zu früh, denn genau in diesem Augenblick ging die Tür zu Alicias Zimmer auf. Alexander hörte die Stimme des Barons schreien:
„Also, doch, Du verdammte Dirne!“ Dann verstummte er.
Alexander schlich auf den Flur. Ein weiterer Schrei des Barons ertönte.
Hast Du tatsächlich schon bemerkt, das sie tot ist, dachte Alexander. Die Zofe erwachte wieder durch die Schreie ihres Herren und eilte zu ihm. Auch sie schrie auf vor Entsetzen als sie den Leichnam ihrer Herrin sah.
Wie oft hatte Alexander solche Szenen miterlebt? Hunderte von Malen. Es kümmerte ihn nicht. Er war Soldat gewesen, als er noch lebte. Der Tod erschien ihm bedeutungslos. Als er die Treppe erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und hörte wie der Baron die treulose Zofe verdammte, die nichts unternommen hatte, das Leben ihrer Herrin zu retten. Der Baron ist so kurzsichtig, dachte Alexander, er hätte sie sowieso verloren, früher oder später.
Er ging die Treppe hinab und kehrte auf den Ball zurück. Van Grachten stand am Eingang des ersten Saals und starrte in die Menge.
„Einen schlechten Scherz habt ihr euch erlaubt, Herr von Maringen,“ sagte er als Alexander ihn erreicht hatte, „Ihr scheint zu vergessen, wer hier der Herr ist.“
Van Grachten war wütend, seine Halsschlagadern angeschwollen.
„Verzeiht, wenn ich mich geirrt habe,“ entgegnete Alexander kühl, „aber wer seid Ihr, mich zu kritisieren. Bedenkt, das Eure Macht lediglich wirtschaftlicher Art ist. All Euer Einfluß basiert auf der Gier Eurer Untergebenen. Ein sehr wackliger Thron.“
Van Grachten fauchte:
„Ihr seid unverschämt.“
Alexander grinste. Er wußte, das die Herrschaft van Grachtens morgen, tagsüber wenn er schlief, enden würde. Das war nicht sein Verdienst, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, van Grachten zu demütigen. Alexander fuhr fort:
„Ich traf vor einigen Jahren einen Bauern, der eine sehr interessante Entdeckung gemacht hatte, und erzählte dies Sir Iowed, den ich zufällig auf einer Reise nach Hamburg traf. Er überredete diesen Bauern, seine Erkenntnisse noch eine Weile für sich zu behalten. Ich glaube er hat dem Bauern das Gewicht seiner gesamten Familie in Gold als Gegenleistung geboten.“
„Worauf wollt Ihr hinaus?“ fauchte van Grachten.
„Wenn ich mich nicht irre,“ meinte Alexander höhnisch, „habt Ihr Euer gesamtes Vermögen in ein todsicheres Geschäft investiert, zu welchem Euch Martin Hovers, Euer Vertrauter geraten hat. Unterbrecht mich, wenn ich mich irre. Ihr habt Hovers Rat befolgt und in Tulpen investiert.“
Van Grachten nickte ungläubig. Das er seit Jahren Tulpen, die aus dem Orient importiert wurden und äußerst begehrt und kostbar waren, einführte und verkaufte war kein Geheimnis. Im Gegenteil, er prahlte bei jeder sich bietenden Gelegenheit damit. Aber das Hovers, sein engster Berater, mit Außenstehenden über seine Geschäftspolitik sprach schockierte ihn.
Alexander fuhr fort:
„Ich muß gestehen, das all dies nicht mir einfiel, sondern Sir Iowed, der im übrigen sehr wohl in der Stadt ist.“
Van Grachten kochte.
„Worauf wollt ihr hinaus?“ brüllte er, „Dieser Pirat kann die Ladung nicht gestohlen haben, denn sie liegt sicher in meinen Lagerhäusern.“
„Oh, dessen bin ich sicher,“ bestätigte Alexander, „nein, um Eure Ladung müßt ihr Euch nicht die geringsten Sorgen zu machen.“
Alexander genoß es van Grachten wie einen Fisch am Haken zappeln zu lassen. Er hegte keinen wirklichen Groll gegen van Grachten, aber er mochte ihn auch nicht. Und das Beste an der ganzen Angelegenheit war, das Sir Iowed Ihm einen Gefallen schuldete. Schließlich hatte Alexander Sir Iowed den entscheidenden Schlüssel geliefert, seine Fehde mit van Grachten für immer zu beenden und gleichzeitig ein Vermögen zu verdienen.
„Was habt Ihr getan?“ fauchte van Grachten.
„Bitte,“ erwiderte Alexander, „Ihr vergreift Euch in Eurem Ton.“
Er drehte sich um und ging in den Garten hinaus, wohl wissend, das van Grachten ihm folgen würde. Im Garten setzte er sich auf eine Bank und wartete. Es dauerte nicht lange, da hörte er hinter sich ein kurzes Schleifen wie von Metall auf Metall. Er stand auf, machte einen Schritt nach vorne und drehte sich um. Van Grachten stand dort mit gezogenem Säbel. Alexander überlegte ob er zu weit gegangen war, entschied sich aber dafür nicht zu weit gegangen zu sein.
„Ihr solltet die Klinge wieder wegstecken,“ sagte er ruhig.
„Sagt mir, was Ihr getan habt!“ befahl van Grachten und ging auf Alexander zu.
Die Bank trennte sie noch und würde Alexander immerhin einen geringen Vorsprung sichern. „Wir haben gar nichts getan,“ sagte Alexander grinsend vor Hohn, „aber sagt, wußtet Ihr, das Tulpen auch in holländischer Erde wachsen?“
Hätte van Grachten Alexander in diesem Moment töten können, hätte er das getan. Statt dessen sprang er mit zwei Schritten über die Bank und hieb mit dem Säbel nach Alexander. Dieser wich aus und lief weiter in den parkartigen Garten hinein. Van Grachten war dicht hinter ihm. Alexander rannte dicht an einer Esche vorbei und brach im vorbeilaufen einen dünnen Ast ab. Dann blieb er stehen, machte einen schnellen Schritt nach rechts, drehte sich um und schlug dem heranstürmenden van Grachten den Ast in die Beine. Van Grachten verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Alexander begann grob die Zweige von dem Ast ab zu brechen, während van Grachten sich wieder aufrichtete.
Da standen sie nun und schätzten einander ab. Jeder wartete auf den Angriff des anderen. Van Grachten verlor zuerst die Geduld. Er war nie ein wirklich guter Fechter gewesen, aber er verfügte über enorme Kräfte. Sein Schlag kam schräg von oben und hätte Alexander zwischen Hals und Schulter treffen sollen, doch dieser lenkte den Schlag geschickt mit seinem Stock rechts an sich vorbei und bewegte sich mit einem schnellen Seitenschritt in van Grachtens Rücken. Alexander nutzte diese Gelegenheit und rammte van Grachten das spitze, abgebrochene Ende seines Stockes in den Rücken. Van Grachten schrie auf. Der Eschenast hatte sich tief in sein Fleisch gebohrt. Alexander zögerte nicht erneut mit dem Pfahl zuzustoßen. Dieses mal durchbohrte er van Grachtens Herz, der darauf zuckend auf die Erde prallte.
Morgen wird er ohnehin Geschichte sein, dachte Alexander als er seine Fangzähne in van Grachtens Hals schlug.
Am Abend des folgenden Tages verließ Alexander Amsterdam, während eine Horde machtgieriger Neugeborener die Herrschaft über die Stadt an sich riß. Er ritt auf seinem Lippizanerhengst nach Westen und erreichte einige Tage später Paris.
 

deLaval

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8. Kapitel

Zack ging alleine durch die verlassenen Straßen des Gewerbegebietes am Berliner Tor. Normalerweise würde er keinen Fuß in diese Gegend setzten, aber er hatte etwas Wichtiges zu erledigen. Er hatte sich nicht einmal Zeit zum Jagen genommen. Es war wirklich wichtig. Andrews plötzliches Auftauchen hatte seinen Tagesplan deutlich durcheinander gebracht und das war etwas was er haßte.
Warum hatte er Andrew damals nur gebeten, ihm diesen verdammten Haifisch von Produzenten vom Leib zu schaffen? Er hätte das auch ohne Probleme selbst erledigen können, aber er wollte sich seine Finger nicht schmutzig machen. Dafür mußte er sie sich jetzt schmutzig machen, extrem schmutzig.
Es war eine Zumutung, das Andrew von ihm verlangte in die Kanalisation hinabzusteigen und diesen häßlichen Typen aufzusuchen. Sicher in Hendriks Brust schlug das geschundene Herz eines Dichters - das heißt schlagen tat sein Herz eigentlich nicht - aber deshalb war er trotzdem häßlich. Es war nicht, das Zack Hendrik nicht mochte, im Gegenteil, er hielt sehr große Stücke auf den ehemaligen Journalisten, der selbst nicht viel älter war, als er selbst, aber er konnte dessen Anblick nicht ertragen. Er konzentrierte sich dann immer auf Hendriks Augen, aus denen das selbe Leid sprach, das auch Zack sein eigen nannte.
Normalerweise trafen sie sich aber auch nicht in dieser stinkenden Kloake von Kanalisation, sondern eher im Stadtpark, wo es nicht so stank. Doch dieses mal war es wirklich dringend und es war keine Zeit erst einen Treffpunkt zu vereinbaren. Ob es so klug war Hendrik auf gut Glück in der Kanalisation zu suchen, Zack war sich da nicht sicher. Aber es nützte nichts, Er hatte es versprochen. Und außerdem gab es ja diese unglaublich praktischen Mobiltelefone. Er drückte den Knopf, auf dem Hendriks Nummer eingespeichert war, während er in die Wendenstraße einbog. Es klingelte dreimal, ehe Hendrik abhob.
„Hi, hier ist Zacharias,“ begann Zack, „ich muß Dich dringend sprechen. Bist Du zu Hause?“ Die Antwort kam direkt:
„Nein, eh ich meine ja.“ Zack ging immer davon aus, das Hendrik wirklich in der Kanalisation hauste. Hendrik wußte es besser.
Natürlich lebte er nicht in der Kanalisation. Er hatte wie die meisten Bewohner Hamburgs eine Wohnung, die ihm tagsüber als Zuflucht vor den gnädigen Strahlen der Sonne diente. Er sah keinen Grund dafür, Zacharias aufzuklären. Er traute ihm zwar mehr als jedem anderen, aber doch nicht hundertprozentig. Bestimmt würde Zacharias ihn nicht absichtlich verraten, aber es gab in der Stadt zu viele, die ein paar Hinweise aus ihm herauskitzeln könnten.
„Was gibt es denn?“ fragte Hendrik.
„Es ist besser, wenn wir uns treffen,“ meinte Zack.
„Wo bist Du gerade?“ wollte Hendrik wissen.
„Wendenstraße“, antwortete Zack.
„Bleib, wo Du bist und warte dort. Ich bin in zehn Minuten bei Dir.“
Hendrik legte auf. Zack war erleichtert. Er mußte doch nicht runter in die Kanalisation. Zehn Minuten, er setzte sich auf die Eingangstreppe eines der Bürogebäude und wartete.
Es war sehr dunkel in der Wendenstraße, weil drei der Straßenlaternen dort defekt waren. Und wie an den meisten Herbsttagen in Hamburg regnete es.
Zack war hungrig. Er bereute schon noch nicht gejagt zu haben. Ein einzelner Radfahrer fuhr an ihm vorbei. Er wägte ab, ob er es wagen sollte ihn anzuhalten, aber Hendrik konnte jeden Moment hier auftauchen, und Zack haßte es, beim Trinken gestört zu werden. Er blieb sitzen. Der bloße Gedanke daran, das er ein potentielles Opfer hatte entkommen lassen, ohne das er auch nur den Versuch, seinen Hunger zu stillen, unternommen zu haben, machte ihn noch hungriger.
Weitere Minuten vergingen. Hendrik hatte sich offenbar verschätzt, was die Entfernung seines „Wohnortes“ vom vereinbarten Treffpunkt anging, denn Zack saß dort nun schon seit elf Minuten.
„Alles in Ordnung?“ fragte Hendrik, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Zack zuckte zusammen.
„Mußt Du Dich immer so anschleichen? Du hast mich zu Tode erschreckt.“ fauchte Zack, der sichtlich gereizt war.
„Tut mir leid, Macht der Gewohnheit,“ antwortete Hendrik, der einen grauen Regenmantel mit hochgeklapptem Kragen, darunter einen Kaputzenpullover, einen dunkelroten Schal, der Mund und Nase bedeckte und einen braunen Schlapphut trug.
Das einzige, was Zack von ihm sehen konnte, waren seine weichen hellbraunen Augen.
„Du siehst nicht gut aus,“ bemerkte Hendrik.
„Na für Dich wird es reichen,“ gab Zack schroff zurück. Der Hunger wurde immer verzehrender.
„Du hast mir doch von dieser Ahnenlosen aus Schottland erzählt, kannst Du das vielleicht noch etwas genauer ausführen?“ begann Zack nachzufragen.
Und Hendrik antwortete nach bestem Wissen:
„Ihr Name ist Phelicia, sie kam ursprünglich aus Alexandria. Ich weiß nicht wer sie nach Rom geschickt hat, aber sicher ist, das ein ein mächtiger alter Vampir namens Ranulf – ich glaube, sie steht sehr in seinem Einfluß - in Edinburgh längeren Kontakt mit ihr hatte. Der Fluch, wie die Älteren die Vorkommnisse nennen, scheint von ihr auszugehen.“ Wie von selbst stand Zack auf und die beiden gingen ein paar Schritte.
„Der Fluch verbreitet sich um so stärker,“ fuhr Hendrik fort, „je schwächer das Blut ist. Besonders betroffen sind die Jüngeren.“
Hendrik fuhr fort, aber Zack hörte nur noch halb hin. Der Hunger überkam ihn wieder. Er hob die Hände an den Kopf und verzog das Gesicht. Schmerzerfüllt rang er um Selbstbeherrschung.
„Alles in Ordnung?“ fragte Hendrik und legte Zack die Hand auf die Schulter. Zack schlug sie weg. Er schrie auf.
Hendrik bekam Angst. Noch nie hatte er gesehen, das Zack derartig um Kontrolle rang. Zack fletschte die Zähne. Hendrik verschwand in der Dunkelheit.
Zack lief los. Er rannte einfach ziellos umher, auf der Suche nach einem Opfer, welches seine Qual lindern könnte. Seine Schritte waren ungleichmäßig. Er taumelte. Dann sah er in einiger Entfernung ein Leuchten. Seine Sinne schärften sich. Das Leuchten, das er sah kam von einer Telefonzelle. Er stolperte darauf zu. Der süßliche Geruch von frischem Blut stieg ihm in die Nase.
Ein älterer Mann in einem grauen Mantel telefonierte gerade. Zack ging weiter auf sein Ziel zu. Der Mann am Telefon log gerade vermutlich seiner Frau vor, das er länger hat arbeiten müssen und heute vermutlich erst in den frühen Morgenstunden nach Hause käme. Zack war das egal. Er wußte, das der Mann überhaupt nicht nach Hause kommen würde.
Mit einem Ruck riß er die Tür der Telefonzelle auf und packte den Mann an der Gurgel. Dann drückte Zack zu. Der Mann röchelte, während eine verwirrte Stimme aus dem Telefonhörer drang. Sekunden später suchten Zacks Fangzähne nach der Halsschlagader des Mannes, der eben noch telefoniert hatte.
Zack schmeckte Blut. Jetzt konnte er sich nicht mehr beherrschen. In gierigen Zügen saugte er das Leben aus dem Mann heraus. Blut rann ihm das Kinn hinab. Der Schmerz ließ nach.
Plötzlich hörte Zack den Klang näherkommender Schritte. Mit blutverschmiertem Gesicht blickte er auf. Der Mann im grauen Mantel sank leblos zu Boden. Eine taumelnde Gestalt stolperte auf die Telefonzelle zu.
Das muß eine Art Treffpunkt sein, dachte Zack trocken.
Es war eine Frau mittleren Alters in einem schwarzen Minirock. Vermutlich eine Prostituierte. Zack sah genauer hin. Die Frau hatte eine Stichverletzung am Bauch, aus der eine gelblich Flüssigkeit tropfte.
Angewidert senkte Zack den Blick und zog die Tür der Telefonzelle zu. Die Erscheinung war ihm unheimlich. Die Frau stieß einen Schrei aus und fiel zu Boden. Ihr Gesicht hatte Zack schon einmal irgendwo gesehen. Er sah noch einmal hin.
Würmer, kleine weiße Würmer krochen der Frau aus dem Mund und den Augen.
„Hilf...“, krächzte sie und robbte weiter auf die Telefonzelle zu. Zack war entsetzt. Ein Schwall dunklen Blutes schoß aus der Nase der Frau.
Dann erbrach sie würgend einen weiteren Schwall dieser widerlichen weißen Maden. „Hilfe...“, stammelte sie erneut, ehe sie ein zweites Mal erbrach. Diesmal wurden die Würmer von Blut begleitet.
Zack wurde übel. Etwas derartig ekelerregendes hatte er noch nicht miterlebt. Wieder stöhnte die Frau:
„Hilf...“ Sie versuchte sich aufzurichten, als ein weiterer Schwall dieser widerlichen Würmer, diesmal aus ihren Ohren herausbrach.
Zack stieß die Tür auf. Er wollte so schnell und so weit weg von dieser Frau, wie möglich. Er rannte an ihr vorbei die Straße entlang, durch die Gotenstraße zum Heidenkampsweg und dann zum Berliner Tor. Dort stieg er immer noch zitternd in die U-Bahn zum Hauptbahnhof.
 

cadaei

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Eklig, das Ende :? Ich habe auch nicht ganz den Überblick über alle Personen, aber insgesamt nicht schlecht.

Etwas unter der Mitte sind zwei Fehler:
"dass ein ein mächtiger alter Vampir namens Ranulf"

cadaei
 

deLaval

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9. Kapitel

Die dünne Mondsichel stand hoch über den Dächern von Alexandria. Es war eine sternklare Nacht, nur sehr wenige Wolkenschwaden zogen über den Himmel. In den Straßen tummelte sich das Nachtleben. Obwohl die Saison bereits vorüber war, verweilte noch immer eine große Menge Touristen in der Stadt.
Ishem stand auf dem Balkon seines Penthouses und starrte in die Blitzlichter aus Neonreklamen und Autoscheinwerfern.
Wie ahnungslos sie alle sind, dachte er.
Dies war seine Stadt. Er hatte alle anderen Herrscher, die versucht hatten die Macht an sich zu reißen, überdauert, die Römer, die Briten und all die anderen, alle. Er war Zeuge historischer Ereignisse gewesen. Als Cäsar die große Bibliothek hatte niederbrennen lassen, hatte er nur gelächelt. Und er war die Schlange gewesen, die dem Leben der legendären Königin Kleopatra ein Ende gesetzt hatte. Viertausend Jahre wandelte er nun schon in den Schatten der Nacht. Das Blut der Unsterblichen war stark in seinen Adern.
Er lächelte, das heißt, sein Mund lächelte, seinen Augen taten das nie. Zumindest nicht in den letzten viertausend Jahren. Das Alter nagte an ihm. Macht allein gab seinem Dasein seine Berechtigung.
Wieviele Kinder hatte er sterben sehen. Es kümmerte ihn nicht. Hunderte waren dem Fluch zum Opfer gefallen. Vielleicht hatte Saad’Adia gestern recht gehabt. Vielleicht spielte er dieses Mal ein zu gefährliches Spiel. Nie zuvor hatte er sich mit Dämonenbeschwörern eingelassen.
Saad’Adia hatte ihn gestern gewarnt. Der alte Verfaulende, wie ihn die Jüngeren seines Aussatzes wegen nannten, war der einzige, auf den die Bezeichnung Freund einigermaßen paßte, denn Ishem glaubte nicht an Freundschaft. Wenn es darauf ankäme würde er auch Saad’Adia opfern, aber es gab wenig, das den Wert dieses langjährigen Begleiters ersetzt hätte. Seit einem halben Jahrtausend kannte er Saad’Adia.
Jemand hatte sich angeschlichen. Wie vermessen zu glauben, ich würde das nicht wahrnehmen, dachte Ishem. Selbst wenn man ihn der Fünf Sinne, auf welche die Sterblichen angewiesen sind, berauben würde, entginge ihm nur wenig von dem, was um ihn herum geschah. Memo an mich, dachte er, Sicherheitspersonal auswechseln.
„Was ist von so großer Wichtigkeit,“ sagte er genervt, nachdem er die verborgene Gestalt eine Weile mental beobachtet hatte, „das es nicht warten kann, bis ich mich zur allgemeinen Information in den Konferenzsaal begebe, und es von Nöten ist mich in meinen privaten Gemächern zu behelligen?“
Er machte eine schnelle Bewegung und griff den noch immer im Schatten versteckten Eindringling am Hals, um ihn ins Licht zu zerren.
„Ich denke du neigst zu Selbstüberschätzung,“ fauchte Ishem, der über den Bruch seiner Privatsphäre schwer verärgert war, „und ich denke, Grieves, Du überschätzt den Einfluß deiner Herrin.“ Er ließ den kräftigen, dunkelhäutigen Mann los und drehte ihm den Rücken zu.
„Ich habe eine Nachricht von meiner Herrin,“ begann Grieves, „sie fürchtet um Deine Loyalität und sie bat mich dich eingehender zu überwachen.“
„Mich überwachen, lächerlich.“
Ohne zu zögern packte Ishem Grieves am Kragen und schleuderte ihn vom Balkon. Grieves schrie auf vor Schreck während er die vierzig Stockwerke hinab stürzte. Mit einem dumpfen Knall schlug er auf dem Asphalt auf.
Gemütlich drehte Ishem sich um und ging zur Treppe. Diesem Grieves mußte unbedingt eine Lektion erteilt werden, das heißt, wenn er den Sturz überlebt haben sollte.
Letztlich war es Ishem egal, ob er den Sturz überlebte oder nicht. Langsam stieg er die Treppen hinab. Er nahm sein Mobiltelefon zur Hand und wählte eine Nummer.
„Hafis,“ sagte er, als der Angerufene abgenommen hatte, „es könnte sein, das in den nächsten Minuten jemand einen Krankenwagen oder die Polizei zu meinem Haus ruft... Genau, sorge bitte dafür, das in dieser Beziehung nichts unternommen wird... Ich verlasse mich auf dich... Wir hören von einander.“
Dann legte er wieder auf. Hafis Ben Mishua war einer der wertvollsten Gefolgsleute, über die Ishem verfügte. Und er war so leicht zu überzeugen, das Geld und das Versprechen ewigen Lebens alles waren, was er brauchte.
Zurück zu diesem Kretin, dachte Ishem, was soll ich bloß mit ihm machen? Ich will die Dunkle nicht verärgern, obwohl sie mir zweifellos zustimmen wird, was die Erziehung von Anhängern angeht. Nach dem Ishem drei Stockwerke über sich gelassen hatte beschloß er doch den Fahrstuhl bis zum Erdgeschoß zu nehmen.
Was glaubt dieses Otterngezücht eigentlich wen es hier vor sich hat. Er stieg in den Fahrstuhl und drückte den Erdgeschoßknopf. Ich werde ihn lehren Respekt vor den Älteren zu haben. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
Vielleicht werde ich ihm sein Genital abreißen, dachte Ishem, das wäre angemessen, wenn auch nicht Strafe genug. Vielleicht noch seine Zunge. Der Fahrstuhl hielt an. Ishem stieg aus, ging über den mit Marmor gefliesten Flur, durch die Tür nach draußen.
Grieves lag direkt vor der Tür in einer Blutlache. Sein Brustkorb war zerschmettert und sein Kopf und seine Arme wiesen üble Platzwunden auf. Ishem packte wieder seinen Kragen und hob ihn hoch.
„Wir müssen uns dringend unterhalten,“ sagte Ishem.
Grieves röchelte. Mit einem erneuten Ruck schleuderte Ishem Grieves durch die Tür in den Flur. Die Tür zerbarst unter dem Aufprall.
„Wehe du blutest auf meine Teppiche,“ brüllte Ishem Grieves nach, ehe er ihm folgte. Drinnen zerrte er den wehrlosen Grieves in den Fahrstuhl.
Auf dem Weg nach oben nahm er wieder sein Telefon zur Hand.
„Hallo Nefala,“ sagte er, als das Klingelzeichen endete, „meine Schöne... sei so gut und bringe mir zwei Gefäße... (er grinste)... zieh Dich nicht zu aufreizend an... Ich könnte Dich sonst nicht wieder gehen lassen... Bis gleich.“
Der Fahrstuhl stoppte.
„Da sind wir wieder,“ sagte Ishem, „wie gesagt, blute mir nicht auf die Teppiche.“
Dann packte er Grieves und trug ihn in den Flur. Dort griff er diesem in den Schritt, drückte zu und entfernte mit einem kräftigen Ruck dessen Genitalien. Grieves schrie auf vor Schmerz. Er war noch immer gelähmt.
„So, jetzt warten wir, bis das Essen da ist.“
Er schaltete den Großbildfernseher ein. Irgend ein schlechter Pornofilm flimmerte über die Mattscheibe.
„Es geht doch nichts über Einen Meter zwanzig Bildschirmbreite,“ bemerkte er stolz, „was meinst Du?“
Grieves stöhnte noch immer vor Schmerzen.
„Du bist doch nicht so´n harter Bursche, was?“
Grieves antwortete nicht. Ishem betrachtete Grieves Geschlechtsteil, das er noch immer in der Hand hielt.
„Was für ein Schwanz,“ stellte er erstaunt fest, „vielleicht hätte ich Dir das Ding lassen sollen, wir hätten beide was davon gehabt. Wäre bestimmt spaßig geworden. Aber Strafe muß sein.“
Er stand auf und warf Grieves Gemächt in den Abfalleimer. Dann wandte er sich wieder dem Fernseher zu. Einige Minuten vergingen.
Es klingelte an der Tür. Ishem ging zur Gegensprechanlage und wies den Ankömmling darauf hin, das die Haustür noch immer offen stand. Kurz darauf betraten drei Personen die Wohnung. Zwei Frauen und ein Mann. Die Frau in der Mitte, war etwas größer als die beiden anderen Personen und deutlich hübscher. Sie hatte glatte, lange Haare, ein vornehmes Gesicht und trug ein rotes Lack-Minikleid.
Die beiden anderen standen offensichtlich unter Drogeneinfluß.
„Ihre Bestellung, der Herr,“ witzelte Nefala, „Ich hoffe Deinen Geschmack getroffen zu haben.“
„Für meine Zwecke wird es reichen,“ sagte Ishem ernst. Er ging zu dem Mann, riß ihm mit seinen scharfen Fingernägeln den Hals auf und legte ihn dann mit der offenen Wunde auf Grieves Mund.
Dann sah Ishem wieder zu Nefala hinüber.
„Sag mal hast Du ein Feuerzeug,“ er deutete zwischen Grieves Beine, „nur um zu vermeiden, das das da aus Versehen nachwächst.“
Sie zückte ein silbernes Feuerzeug und brannte damit den leeren Raum zwischen Grieves Beinen aus. Dieser schrie vor Schmerz, konnte sich aber nicht wehren. Als Nefala ihr Werk vollendet hatte, ging sie mit Ishem und der anderen Frau auf den Balkon hinaus.
„Komm nach, wenn Du hier fertig bist,“ sagte Ishem mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.
Auf dem Balkon begannen die drei sich mit einander zu vergnügen. Einige Zeit später lag die Frau tot auf dem Boden des Balkons.
Grieves trat hinzu. Er wollte es nicht, aber sein Wille war nicht stark genug um sich Ishem zu widersetzen.
„Ich möchte mit Dir über den Unterschied zwischen den Alten und den Jungen sprechen,“ sagte Ishem ruhig zu Grieves, „weißt du, das ist so, die Alten sind mächtig und können befehlen, die Neulinge gehorchen. Nicht umgekehrt, und das hat auch einen Grund. Die Alten sind stark, die Jungen sind schwach.
Eigentlich hatte ich vor Dir auch noch die Zunge herauszureißen, aber davon sehe ich ab, obwohl es mein Recht wäre. Solltest Du Dich mir oder einem der Meinen gegenüber noch ein einziges Mal in irgend einer Form daneben benehmen, werde Ich Dir Dein verdammtes Herz herausreißen und es in der Sonne braten. Und jetzt sag mir welche Nachricht Du für mich hast!“
Grieves antwortete kurz:
„Meine Herrin wünscht, das Du ihr all unsere verbliebenen Agenten schickst, an denen der Fluch noch nicht genagt hat.“
„Gut,“ sagte Ishem, „und jetzt mach, das Du hier verschwindest, und komm nie wieder hierher. Komm in den Club.“
Grieves verließ das Penthouse. Sein Gang sah etwas merkwürdig aus. Er verschwand in den Schatten.
 

deLaval

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10. Kapitel

„Wir haben uns lange nicht gesehen, Eleonora,“ sagte El Paco zynisch während seine Hand über die ledergebundenen Bücher strich. „Wie lange ist das jetzt her?“
Elaine saß in einem mit braunem Kort bezogenen Sessel und ließ die Augen nicht von ihrem alten Bekannten. El Pacos Arbeitszimmer war riesig und enthielt mehr Bücher als so manche gutsortierte Buchhandlung.
„Vierhundertzweiundfünfzig Jahre und sieben Monate,“ antwortete Elaine trocken. Sie hatte wenig übrig für dieses geheuchelte Familiengefühl.
„Ich bin hier im Auftrag Darius Adenevs,“ fuhr sie fort.
„Eleonora, Teuerste,“ unterbrach sie El Paco, „reden wir jetzt nicht über das Geschäft. Dafür bleibt so viel Zeit, später.“
El Paco nahm seinen Hut ab. Darunter kam seine Tonsur zum Vorschein.
Er war seiner Zeit der jüngste Abt Toledos gewesen. Er war kaum über Dreißig gewesen, als er zum Oberhaupt des Dominikanerklosters wurde. Ein Jahr später wurde er zum Vampir (obwohl ihm nachgesagt wurde, er sei es auch vorher schon gewesen), und ein anderer übernahm seine Position. Thomas di Torquemada, der spätere Großinquisitor. El Paco mußte fliehen, ebenso wie Elaine.
„Es geht um eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit,“ beharrte Elaine, doch wieder unterbrach sie El Paco:
„Wir leben seit Jahrhunderten, wenn es etwas gibt, wovon wir zu viel haben, ist es Zeit. Ich möchte Dir gerne etwas sagen, Eleonora.“
„Und was?“ fragte Elaine.
„Ich habe Dir vergeben, werte Schwester. Die Narben des Feuers sind noch immer nicht verheilt, aber die Narben in meinem Herzen sind es.“
Elaine zog eine Augenbraue hoch. El Paco war ein Meister im Verdrehen von Tatsachen. Sicher sie hatte ihn damals die Treppe ins brennende Untergeschoß hinunter gestoßen, aber er hatte das Feuer gelegt. Er hatte sie los werden wollen und ging dabei über die Leiche des Mannes, der sie beide in die Dunkelheit gezogen hatte. Wenigstens um ihn war es nicht schade.
„Wie nett von Dir,“ bemerkte Elaine, „könnten wir jetzt zum Grund meines Besuches kommen? Ich beabsichtige nicht länger als unbedingt nötig in der Stadt dieses Schlangenbeschwörers zu bleiben.“
El Paco lächelte.
„Trink erst ein Glas mit mir,“ sagte El Paco, „Eleonora, ich möchte, das auch du mir vergibst.“
Elaine war erstaunt. Solche Worte hatte sie von El Paco nicht erwartet. Sie beschloß das zu ignorieren und sagte:
„Was weißt Du über den Fluch der uns heimsucht?“
El Paco schüttelte mit dem Kopf.
„Du warst schon immer sehr ungeduldig,“ stellte er fest und reichte ihr ein Glas, in dem Blut war, „ich weiß nichts, was du nicht auch weißt.“
Elaine spürte, das er log. Er war auch nicht der Typ, der ohne weiteres die Wahrheit sagte.
„Also, gut,“ Elaine war genervt, „was willst Du von mir?“
„Trink,“ antwortete El Paco.
Sie hob das Glas.
„Hast du eigentlich schon deinen Höflichkeitsbesuch bei Ishem absolviert?“ fragte El Paco, „Du weißt, er legt großen Wert auf derartige Formalitäten.“
Sie steckte einen Finger in das Glas und leckte diesen dann ab. Zweifellos war es El Pacos Blut. Der Tropfen auf ihrer Zunge genügte, um längst vergangene Bilder des Schreckens in ihr wach zu rufen.
Dieser plumpe Versuch, sie zu korrumpieren machte Elaine wütend. Sie stand auf und warf das Glas auf den Boden. Das Kristall zerbarst in tausend Splittern auf dem groben Steinboden.
„Sag mir endlich was ich wissen will, oder ich...“
„... oder ich was?“ unterbrach El Paco sie lautstark, „Was wirst Du dann tun? Du hast mich verraten. Du hast mir Torquemada auf den Hals gehetzt. Du hast mich ins Feuer gestoßen. Und jetzt wagst Du es, hier aufzutauchen? Du verdammte Hure!“
Sie ließ El Pacos Vorwürfe an sich abprallen, während sie mit ihrem eigenen Zorn rang. Sie setzte sich wieder.
„Laß uns damit aufhören,“ sagte sie, „Ich habe nicht die Kraft noch den Willen diesen Krieg fortzusetzen. Ich bin müde.“
El Paco starrte sie an. Er hätte ihr am liebsten das Herz herausgerissen. Es kostete ihn sehr viel Willenskraft es nicht zu tun.
„Eleonora, Du bist mein Geschöpf. Carlos hat Dich nur zu uns geholt, weil ich dich begehrt habe. Ich hätte alles für dich getan, aber du wolltest nur Macht.“
Elaine stutzte. Das hatte sie nicht gewußt, aber sie spürte auch, das El Paco nicht die ganze Wahrheit sprach.
„Du hast mich nie geliebt. Du wolltest mich nur besitzen wie ein Stück Vieh,“ sagte sie. Ihre Worte hatten getroffen. El Pacos Gesichtsausdruck war leer.
„Die Situation in der Stadt ist gespannt,“ begann El Paco, „die Kinder Ishems beherrschen die Stadt mit Korruption und Gier, weshalb viele Andere diese Herrschaft in Frage stellen. Fremde von Außerhalb haben dadurch großen Einfluß gewinnen können. Ich werde Deine Fragen beantworten, unter zwei Bedingungen. Wirst Du sie akzeptieren?“
Elaine nickte:
„Wenn sie einzuhalten sind.“
El Paco fuhr fort:
„Erstens, Du wirst mir alle Fragen beantworten, die ich Dir dann stellen werde, und zweitens, danach wirst du die Stadt und dieses Land für immer verlassen.“
Elaine stimmte zu.
 

deLaval

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11. Kapitel

Die Villa lag etwas außerhalb der Stadt, in einem der ruhigeren Vororte. Sie war ein wenig extravagant. Das Grundstück auf dem sie lag war riesig und über und über mit wilden Sträuchern bewachsen. Weiter hinten im Garten standen einige Pinien, die sich wie dünne Schilfrohre im Wind bogen. Das Gras war schon seit mehreren Wochen nicht mehr geschnitten worden und bot einer Vielzahl kleiner Tiere Zuflucht. Der Himmel war Wolken verhangen. Nur der Mond schien hier und da durch die schwarze Decke, die den Himmel bedeckte. Eine streunende Hauskatze saß auf dem Ast der alten Eiche, die im hintersten Eck des Gartens stand, und lauerte der einen oder anderen Feldmaus auf.
In der Villa brannte nur in einem einzigen Raum Licht. Von der Vorderansicht wirkte das Herrenhaus, welches wohl am Ende des letzten Jahrhunderts erbaut worden war, völlig verlassen. Es war erst vor einigen Tagen gekauft worden, von einem Europäer, der das Haus in bar bezahlt hatte.
Der Vorbesitzer, ein Mister Willowbee, hatte die Villa möglichst schnell verkaufen wollen, da nur einige Wochen zuvor seine Frau in dem Haus ermordet worden war.
Vor der Villa stand ein langgestreckter, schwarzer Mercedes. In der Straße gab es nur ein weiteres Haus und das lag einige hundert Meter weiter stadtauswärts.
In einiger Entfernung war das Geräusch eines heranfahrenden Autos zu hören. Der Wind pfiff über das Dach der Villa hinweg. Das Auto kam näher. Es war ein Ferrari (nicht nötig zu erwähnen, das er rot war), in dem ein dunkelhaariger Mann Mitte vierzig mit Schnautz- und Kinnbart saß. Er trug einen Rollkragenpullover und darüber einen dunkelblauen Designeranzug.
Der Sportwagen hielt vor der Villa an und der Mann stieg aus, nachdem er mit einem Taschenkamm noch einmal sein Haar in Form gebracht hatte. Er öffnete die Pforte des Vorgartens und ging auf die eicherne Haustür, die sich schon so manchem Besucher geöffnet hatte, zu. Der Ruf einer Eule ertönte. Der Mann drückte auf den Klingelknopf. Es war schon recht spät, weshalb es etwas dauerte, bis eine Reaktion zu bemerken war.
Im Inneren des Hauses auf dem Flur wurde das Licht eingeschaltet. Dann öffnete sich die schwere Eichentür mit einem mittellauten Knarren. Ein älterer Mann in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd stand im Eingang.
„Sie wünschen?“ fragte der ältere Mann, dessen Name übrigens Randolph war.
„Ich möchte mit Herrn Marrison sprechen,“ entgegnete der Ankömmling freundlich, „mein Name ist Pablo DiCara.“
„Sie sind spät,“ bemerkte Randolph, „der Herr erwartet Sie bereits. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“
Randolph führte den Mann durch das Haus ins Arbeitszimmer, das im zweiten Stock lag. Pablo bemerkte, das die Renovierungsarbeiten noch nicht ganz abgeschlossen waren. Im Inneren war die Villa sehr geschmackvoll eingerichtet. Es war eine Mischung aus britisch-edwardianischem Stil und einigen sehr neumodischen Einrichtungsgegenständen. Die Wände waren weiß verputzt, auf dem hellen Parkett lagen hier und da wertvolle Teppiche.
Die beiden blieben vor einer dunklen Holztür stehen. Randolph klopfte an.
„Herr DiCara ist nun eingetroffen, Sir,“ sagte er, nachdem er die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte.
„Soll rein kommen,“ kam aus dem Inneren des Raumes die Antwort.
„Herr Marrison erwartet Sie,“ bemerkte Randolph spitz, ehe er sich zurückzog.
Pablo betrat den Raum.
Hinter dem Schreibtisch in der Mitte des Raumes erhob sich ein junger, gutaussehender Mann in einem sportlich Anzug. Sie reichten sich zur Begrüßung die Hände.
„Schön, das Du es noch geschafft hast, Pablo,“ sagte Alex mit einem Lächeln im Gesicht.
„Gut, das Du Deinen Vornamen nie ablegst, ich hätte sonst nicht gewußt, wer mich eingeladen hat,“ erwiderte Pablo.
Alex grinste.
„Es wäre doch möglich, von von Maringen auf Marrison zu schließen,“ begann er, „wie laufen die Geschäfte?“
„Naja, man nagt nicht gerade am Hungertod,“ antwortete Pablo.
Sie setzten sich zu beiden Seiten des Schreibtisches. Pablo machte eine einladende Geste mit seiner Hand und sagte:
„Und was führt Dich in die neue Welt?“
„Geschäftserweiterung,“ meinte Alex, „ich plane mit Marrison-Enterpises einen Fuß in den amerikanischen Markt zu bekommen.“
Pablo war sich fast sicher, das das nur die halbe Wahrheit war.
„Ich könnte jemanden für meine Sicherheitsabteilung gebrauchen,“ fuhr Alex fort.
Das war eher eine Floskel gewesen, als ein Angebot, da er wußte, das Pablo bereits für das Familienunternehmen „DiCara GmbH“ tätig war. Das „mit beschränkter Haftung“ war in Alex Augen blanker Hohn.
Die DiCaras hatten so ziemlich überall ihre Finger drin. Offiziell gingen sie mit den Gesetzen der Sterblichen konform, aber Alex wußte es besser. Die skrupellose, oft perverse Brut der DiCaras führten ebenso viele illegale Geschäfte wie legale, oder sogar mehr.
„Ich komme zur Zeit nicht aus meinem Vertrag,“ witzelte Pablo, „schließlich leite ich hier in der Stadt das Familienunternehmen.“
„Ich weiß,“ antwortete Alex.
Pablos Hauptgeschäft war die Private Fluglinie der DiCaras, von einigen scherzhaft als „DC-Air“ bezeichnet. Es war eine sehr nützlich Einrichtung, denn es ermöglichte Vampiren sehr einfach und bequem zu reisen, aber die Sache hatte auch ihren Preis. Alex war einer der wenigen, die ihre Reisen nur mit Geld bezahlen mußten.
Alex stand auf und holte aus einem Regal eine Schachtel mit Zigarren. Das das echte Havannas waren, verstand sich von selbst. Er bot Pablo eine Zigarre an und reichte ihm dann ein Feuerzeug. Pablo drehte den Kopf zur Seite und betätigte das Zündrädchen. Dann wandte er den Kopf ganz langsam der kleinen züngelnden Flamme zu bis die Spitze der Zigarre sie berührte und zog einmal kräftig. Alex tat das gleiche, als er von Pablo das Feuerzeug zurück gereicht bekam.
Feuer war eine tödliche Gefahr und sein plötzliches Auftauchen vor den Augen eines Vampirs konnte dieses schon sehr in Angst versetzen. Das war aber kein Grund auf eine gute kubanische Zigarre zu verzichten.
Die beiden führten noch einige Zeit Smalltalk über die Entwicklung ihrer Firmen.
„Die Tiwas-Coorperation beherrscht hier in der Gegend den größten Teil des Waffenhandels,“ erklärte Pablo, „ist gar nicht so einfach da rein zu kommen. Einer Ältesten, Faith, der ein Mitglied des Rates um Jeremias ist, hat da irgendwie seine Finger drin und bekämpft jeden, der versucht dort einen Fuß in die Tür zu bekommen, mit allen Mitteln, allerdings ohne das Gesetz zu brechen. Ich würde mich da nicht ranwagen.“
Alex lehnte sich zurück.
„Hat Dich in den letzten Tagen jemand aufgesucht?“ wechselte er das Thema, „Ich meine einen von uns.“
Pablo sah ihn fragend an.
„Warum fragst Du?“ wollte er wissen.
Alex zuckte die Schultern und sagte:
„Reine Neugier.“
Pablo wußte nie so recht, woran er bei Alex war. Die ganze Zeit hatte er überlegt, worauf Alex hinaus wollte, aber er kam nicht darauf.
„Einer der Jüngeren kam vor zwei Tagen zu mir,“ begann Pablo, „Sein Name war Andrew Ragnar. Ich denke, das Jeremias ihn geschickt hat, da er auch sonst öfters für Jeremias die Drecksarbeit macht. Er stellte Fragen, die ich ihm nicht beantworten wollte.“
„Was für Fragen waren das?“ unterbrach ihn Alex ganz beiläufig. Pablo grinste.
„Netter Versuch,“ sagte er und fuhr fort, „auf jeden Fall war dieser Kerl ziemlich hartnäckig und sprach Drohungen aus. Er ging erst, nachdem mein Sicherheitspersonal ihn mit Blei vollgepumpt hatte.“
Alex schwieg. Sicher, warum sollte Pablo mit einem Vampirlord kooperieren, der ihn mißachtete. Grundsätzlich mochte Alex die DiCaras auch nicht, denn sie mischten sich überall ein, aber er respektierte sie.
„Wenn dieser arrogante Kretin will, das ich ihm helfe,“ begann Pablo erneut, „muß er akzeptieren, das ich einer der ältesten in der Stadt bin und mir einen Sitz im Rat gewähren.“
Armer Pablo, dachte Alex, er ist so leicht zu beeinflussen.
„Ich bin ganz Deiner Meinung,“ gab Alex zu, „Ich würde genau so handeln.“
Das war nicht mal gelogen.
Pablo war ein Störfaktor im Machtgefüge der Stadt. Jeremias herrschte und der Rat unterstützte ihn. Jeremias konnte immer die Mehrheit der Ratsstimmen hinter sich bringen, auf die eine oder andere Weise, außer es ging um die DiCara.
Fragen, die sich mit Pablo auseinandersetzten, wurden im Rat nur sehr selten geklärt. Einige der Ältesten, wie Faith und Thomas, arbeiteten eng mit Pablo zusammen, andere, wie Harris und Blaze empfanden Pablo als äußerst unangenehme Konkurrenz. Violence und Joline änderten öfter ihre Meinung. Olaf hatte sich bisher immer heraus gehalten.
Jeremias selbst mißfiel die Anwesenheit Pablos in seiner Stadt, aber er hatte auch keinen Grund ihm den Aufenthalt zu verwehren, da er auf seine Fairneß sehr stolz war.
„Hast Du etwas über diese weltweiten Ereignisse in Erfahrung bringen können?“ fragte Alex nach einer weiteren kurzen Schweigeperiode.
Pablo lächelte.
„Was gibst Du für die Antwort?“ fragte Pablo gegen.
„Ich liefere Dir Harris,“ sagte Alex trocken.
Das gefiel Pablo.
„Ich hab natürlich ein wenig geforscht, wie alle meiner Familie. Jemand hat versucht mich daran zu hindern,“ er führte den ausgestreckten Zeigefinger an seiner Kehle vorbei, „ist ein ganz schönes Gemetzel gewesen. Ich hatte Glück, das dieser John Blackhawk in der Nähe gewesen ist.“
„Waren die Angreifer unserer Art?“ fragte Alex.
Pablo schüttelte den Kopf.
„Nur Handlanger. Aber einer von denen hatte eine Visitenkarte bei sich.“ sagte er und legte die erwähnte Karte auf den Mahagonitisch.
„Blaze,“ stellte Alex erstaunt fest, „meinst Du, er war der Auftraggeber?“
„Es würde zu Ihm passen,“ antwortete Pablo.
„Darf ich?“ fragte Alex und steckte die Karte ein, ohne die Antwort abzuwarten.
„Wußtest Du, das es nicht einen von diesem verdammten Okkultistenorden, dem auch Blaze angehört, erwischt hat? Ich meine den Fluch,“ merkte Pablo an, „weder hier, noch sonst wo.“
Interessant, dachte Alex, sollten die Mitglieder einer so gut strukturierten und organisierten Loge tatsächlich so nachlässig gewesen sein? Das paßte nicht zu diesen Emporkömmlingen, denen Macht über alles ging.
Alex hatte vor einigen Dekaden ein Angebot bekommen, dem Orden, der sich selbst die Kinder der alten Mystik nannten, bekommen, hatte es aber abgelehnt.
„Wer weiß noch davon?“ fragte Alex.
„Von dem Angriff? Nur ich, John Blackhawk und ich nehme an der Auftraggeber,“ war die Antwort.
Die beiden unterhielten sich noch eine Weile, dann verließ Pablo Alex mit den Worten:
„Also dann, denk an Harris. Es tat gut einen alten Bekannten wieder zu treffen.“
Randolph führte Pablo hinaus und kam dann zurück ins Arbeitszimmer. Alex zündete sich noch eine Zigarre an.
„Sir,“ begann Randolph, „haben sie noch weitere Anweisungen, oder kann ich mich zurückziehen?“
„Ich habe noch eine Verabredung, Sie müßte auch bald hier sein. Eh, nein ich brauche Dich nicht mehr. Besorg mir bitte morgen eine Tabelle der hiesigen Firmenverbindungen. Ich brauche eine genaue Aufstellung der führenden Köpfe.“
Randolph verließ den Raum.
Alex stand auf und ging zum Regal. Er nahm ein altes, ledergebundenes Buch heraus, welches ihn schon seit seiner Zeit in Paris begleitete. Dort war er vor über siebenhundert Jahren zu dem geworden, was er jetzt war. Er war damals ein deutscher Ritter, der als Eskorte für die Gräfin Katharina, aus dem Hause der Staufer, in die Hauptstadt Frankreichs gekommen war. Katharina war auch seine Geliebte gewesen. Er sah heute noch ihr rotes Haar vor sich.
„Weil`s solche Liebe nicht mehr gibt,“ zitierte er Francios Villon, der seiner Zeit ein Freund von Alex war. Was wohl aus dem alten Halunken geworden ist, dachte Alex.
Die beiden hatten sich mit der Zeit auseinander gelebt und das Interesse aneinander verloren, und dann war Francois plötzlich für Vogelfrei erklärt worden. Alex hatte damals mit dem Gedanken gespielt ihn zu einem Vampir zu machen, aber der Gedanke deran, wie die Last der Unsterblichkeit das Feuer der Leidenschaft, welches in Villons Herzen loderte, langsam ersticken würde hatte ihn davon abgehalten. Danach hatte er nie wieder von Francois gehört, aber dennoch waren es seine Schriften, welche die Liebe zu Katharina für alle Ewigkeit an Alex Herz binden sollten.
„Weil`s solche Liebe nicht mehr gibt,“ wiederholte Alex.
Antoine, derjenige, der ihn in die Dunkelheit gezogen hatte, war auch der Mörder seiner einzig wahren Liebe gewesen. Antoine hatte inzwischen dafür bezahlt, aber der Schmerz über den Verlust war geblieben. Katharina hätte er in die Dunkelheit geholt. Ihre Liebe hätte der Ewigkeit stand gehalten.
Es klingelte an der Tür. Alex legte das Buch wieder zurück und ging nach unten. Er öffnete die Tür. Violence stand dort, in einem schlichten schwarzen Kleid.
„Was kann ich für Sie tun, schöne Frau?“ fragte Alex scherzhaft.
Violence berührte ihre Zungenspitze mit ihrem Zeigefinger.
„Die Frage ist, was ich für Sie tun kann,“ erwiderte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals.
Sie küßten sich zur Begrüßung, bevor sie im Inneren der Villa verschwanden. Hand in Hand gingen sie in Alex’ Wohnzimmer.
„Hast Du mit Harris gesprochen?“ fragte Alex, als sie sich gesetzt hatten.
„Ja,“ antwortete sie, „er war froh auf meine Unterstützung zählen zu können, in dieser Sache mit Herrn DiCara. Er sagte, er wolle auf keinen Fall dulden, das der Prinz den Rat hintergehe, und er habe die Unterstützung von Blaze und Olaf.“
„Sehr interessant,“ heuchelte Alex, „kann ich Dir etwas anbieten?“
Violence nickte zustimmend.
Alex ging in die Küche. Er schloß die Tür hinter sich und holte dann zwei Gläser aus dem Schrank. Du naives Püppchen, dachte Alex, schön dass Du immer alles glaubst und tust, was man Dir sagt? Er stellte die Gläser neben den Herd. Dann nahm er ein Messer und schnitt sich in sein linkes Handgelenk. Sein Blut tropfte in das eine Glas.
Als beide Gläser voll waren, leckte er sich über die Schnittwunde, bis kein Blut mehr daraus tropfte. Dann holte er eine Flasche Rotwein hervor und vermengte diesen mit dem Blut. Anschließend nahm er die beiden Gläser in die linke Hand und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Violence nahm das Glas, das er ihr reichte, lächelnd entgegen.
„Auf Dein Wohl,“ sagte Alex und leerte sein Glas.
Sie tat das selbe mit ihrem.
„Ich habe dann noch mit Blaze gesprochen,“ fuhr Violence fort, „der hat alles bestätigt, was Harris gesagt hatte. Ich glaube nicht, das Jeremias auf meinen Rat hören wird und ohne den Rat weiter zu fragen jemanden zu Herrn DiCara schicken wird.“
„Ich auch,“ sagte Alex mit einem zufriedenen Lächeln.
Sein Plan schien völlig reibungslos zu funktionieren. Nicht übermütig werden, dachte Alex bei sich. Jeremias hatte den Rat bereits hintergangen, aber das würde der Rat auch ohne seine Hilfe herausfinden. Zumindest ohne seine direkte Hilfe, das würde er schon einfädeln.
„Hast Du Blaze mal nach den Ereignissen gefragt?“ wollte Alex wissen.
„Ich weiß nur das, was er auf der Ratssitzung erzählt hat, eben das er auch nichts weiß,“ antwortete Violence.
Alex konnte es nicht glauben, das der gesamte Rat diesem Mann so ohne weiteres in einer so wichtigen Angelegenheit vertraute, zu mal jeder wusste, dass er diesem okkulten Orden angehörte. Diese Narren, dachte Alex.
Die beiden redeten noch bis in die frühen Morgenstunden und zogen sich dann in Alex Schlafzimmer zurück.
 

deLaval

Erleuchteter
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12. Kapitel

Karin war aufgeregt, ja geradezu wütend. In den frühen Morgenstunden hatte sie zwei Leichen zur Obduktion bekommen, die sehr interessant zu sein schienen. Die eine, eine Frau in den Dreißigern, vermutlich Prostituierte, hatte nach der ersten oberflächlichen Untersuchung einen äußerst merkwürdigen Wurmbefall. Kleine weiße Maden fand Karin in allen Körperöffnungen, sowie in der eitrigen Wunde, welche die Frau im Bauch hatte. Die andere Leiche, ein älterer Mann, war völlig blutleer.
Karin hatte gerade ein paar Proben ins Labor gegeben, da war Doktor Böhmer, der Leiter der Pathologie im St. Georgsstift, zu ihr gekommen und hatte mitgeteilt, der Fall müsse fallen gelassen werden. Eine tiefgreifendere Erklärung gab es nicht. Stinksauer, ja das beschrieb ihre momentane Stimmung recht gut.
Sie war erst vor zwei Jahren von der Uni gekommen. Man hatte sich geradezu um sie gerissen. Sie war die beste Absolventin ihres Jahrgangs gewesen. Die Pathologie sah Karin seit Jahren als ihre Berufung. Sie wollte die Wahrheit ans Licht bringen, aber statt dessen hatte sie seit sie im St. Georgsstift war bestätigt, das irgendwelche Junkies an Drogenüberdosierung gestorben waren.
Heute hatte sie ihren ersten interessanten Fall, und der sollte eingestellt werden. Nie im Leben wollte sie sich diesen Anweisungen fügen, aber Doktor Böhmer hatte ihr deutlich gemacht, mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen hatte, wenn sie sich seinen Anordnungen widersetzte.
„Nichts zu machen,“ sagte Hannes, der Laborassistent, „Du hast doch gehört, was Doktor Böhmer gesagt hat.“
„Ich möchte doch nur die Auswertungen von diesen paar Proben. Das muß der aufgeblasene Affenarsch von Chef ja gar nicht mitkriegen,“ beharrte Karin.
„Kann ja sein, das dir dein Job egal ist, aber meiner ist mir nicht egal.
Ich würde Dir ja gerne helfen, aber mir sind die Hände gebunden,“ blockte Hannes ihre Einwände ab.
„Findest Du das normal, so einen bemerkenswerten Fall einfach unter den Tisch fallen zu lassen?“ fragte Karin, aber Hannes schien das alles nicht zu interessieren.
Sie wußte was er wollte. Er hatte sie bereits mehrmals gefragt, ob sie mit ihm ausgehen würde, aber sie hatte kein Interesse an Ihm.
„Und wenn wir beide am Sonntag ins Kino gehen würden?“ startete Karin ihren letzten verzweifelten Versuch.
„Da ließe sich drüber reden,“ sagte Hannes, der dieser Verlockung nicht widerstehen konnte.
„Bis wann hast Du die Ergebnisse?“ fragte sie.
Sie hatte was sie wollte. Das hieß, wenn Hannes Wort hielt. Aber da machte sie sich keine Sorgen, denn er war eigentlich ein anständiger Kerl.
„Bis Morgen früh,“ sagte er leise, „Du bezahlst.“

Gegen drei Uhr am Nachmittag verließ Karin das St. Georgsstift. Sie trug eine einfache Jeans und eine dunkelbraune Lederjacke. Ihr Ziel war die S-Bahnstation. Von dort aus fuhr sie zum Berliner Tor. Die S-Bahn hielt. Sie stieg aus. Es war recht kühl und eine steife Brise wirbelte ihr Haar um ihren Kopf. Die Bahnstation war verdreckt. Am Ausgang Heidenkampsweg stand eine Gruppe jugendlicher Ausländer, die einen Joint kreisen ließen.
Karin hatte nichts gegen den Gebrauch leichter Drogen, fand es aber unangemessen, wenn Jugendliche am hellichten Tag in der Öffentlichkeit dieser Form der Unterhaltung nachgingen. Sie ging an dem Grüppchen vorbei, die Treppe zur Straße hinunter.
Sie ging den Heidenkampsweg entlang, bis rechts die Gotenstraße abging, die den Heidenkampsweg mit der Hammerbrookstraße verband.
Bald sah sie von weitem die Telefonzelle, an der die beiden Leichen gefunden wurden. Sie sah sich um. Die Spurensicherung war natürlich längst da gewesen, aber vielleicht hatten sie etwas übersehen. Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit war nicht unbedingt groß. Die Blutflecken auf dem Asphalt waren mit einem Streu abgedeckt worden. Viel mehr wies nicht auf die Vorkommnisse der vergangenen Nacht hin. Ein wenig enttäuscht ging Karin zum Berliner Tor zurück. Hoffentlich findet Hannes mehr raus, dachte Karin. Das könnte ihre große Errungenschaft sein, oder ihr großer Reinfall, aber sie wollte es darauf ankommen lassen.

Als Karin am nächsten Morgen zur Arbeit kam, sah sie einen Streifenwagen vor der Tür stehen. Das war nicht weiter verwunderlich, aber als sie das St. Georgsstift betrat kam ein Polizeibeamter mit einem Block auf sie zu und fragte:
„Sind Sie Karin Reuther?“
„Ja, wieso?“ antwortete Karin verunsichert.
Irgend etwas mußte geschehen sein.
„Ich möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen, über Herrn Hannes Grohe.“
„Was ist mit Hannes?“ fragte sie mit zittriger Stimme.
Der Beamte wurde sehr ernst und sagte:
„Herr Grohe ist vor ein paar Stunden tot im Labor aufgefunden worden. Alles deutet auf ein Verbrechen hin.“
„Oh, mein Gott,“ brach es aus ihr heraus.
„Was ist passiert?“ wollte sie wissen.
„Das wollen wir ja herausfinden,“ sagte der Polizist, „Sie haben ihn doch besser gekannt. Wissen Sie vielleicht etwas, was uns weiter hilft? Hatte er irgendwelche Feinde?“
Karin war sprachlos. Sie wußte, das Hannes nicht unbedingt der höflichste und zuvorkommenste Mensch auf der Welt gewesen ist, aber deshalb wird doch niemand umgebracht.
Sie schüttelte den Kopf.
„Wissen Sie woran er gearbeitet hat?“ hakte der Beamte weiter nach.
Oh, mein Gott, dachte Karin, die Proben.
In dem Moment kam Doktor Böhmer hinzu.
„Frau Reuther, könnte ich Sie kurz sprechen?“ unterbrach er den Polizisten. Er faßte sie am Oberarm und sie entfernten sich von dem Beamten.
„Ist es möglich, das Sie entgegen meinen Anordnungen Herrn Reuther baten die Proben, die Sie den beiden umstrittenen Leichen abgenommen haben, zu untersuchen?“
„Ist das im Moment nicht völlig egal, ob ich Ihre Anweisungen befolgt habe oder nicht. Ein Mensch ist ermordet worden,“ brüllte Karin.
„Sehr richtig,“ sagte Doktor Böhmer leise, „aber es ist anzunehmen, das er wegen seiner Untersuchungen getötet wurde. Die Proben, die Sie ihm gegeben haben, sind das einzige was aus seinem Labor entwendet wurde. Begreifen Sie nicht, das ich nur versuche Sie zu schützen, vor dem, was Sie nicht verstehen würden.“
Er drehte sich um, ging den Flur entlang und verschwand am Ende des Ganges in seinem Büro.
Karin war ratlos. Was hatte Doktor Böhmer nur damit gemeint, was sie nicht verstehen würde.



13. Kapitel

Karin kam zurück in ihre Wohnung. Es war bereits spät am Abend. Der Mond schien zum Fenster herein. Sie hatte sich den Rest des Tages frei genommen, was kein größeres Problem darstellte, da sie mehr als genug Überstunden angesammelt hatte, und hatte ihre Eltern besucht. Das tat sie oft, wenn sie nicht so recht wußte, was sie tun sollte. Sie sprach zwar nicht mit ihren Eltern über persönliche Probleme, aber die Harmonie in ihrem Elternhaus gab ihr häufig die Ruhe, die sie brauchte.
Nicht am heutigen Tag. Die Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden überschlugen sich in ihrem Kopf. Diese mysteriösen Leichen, die Untersuchungen waren unbegründet eingestellt worden, und dann wurde ihr Kollege Hannes ermordet im Labor aufgefunden. Die einzige Stellungnahme, die Doktor Böhmer, ihr Vorgesetzter, ihr gegenüber abgegeben hatte, war, das wohl irgend etwas vorging, das sie nicht verstehen würde.
Unsinn, dachte Karin, Bullenscheiße, die ziehen hier irgend ein Riesending ab. Die frage war bloß wer und was genau.
Sie zog ihre Lederjacke aus und ließ diese auf den Stuhl neben der Wohnungstür fallen. Dann ging sie ins Wohnzimmer und legte eine CD in die Stereoanlage. Mit einem volle Akkord begannen ‚Rage against the Mashine’ loszurocken. Karin drehte den Regler auf, ging dann ins Badezimmer und ließ sich ein Bad ein.
Während das Wasser fröhlich in die Wanne plätscherte zog Karin sich aus.
„Some of those that got forces“, dröhnte es aus den Lautsprechern, „are the same that burn crosses.“
Die Aggressivität der Musik spiegelte ihre Empörtheit perfekt wider.
Sie glitt ins Wasser. Es war sehr heiß, genau so wie sie es liebte. Mit einem Seufzer entspannte sie sich und ließ ihre Gedanken gleiten.
„You gotta take the power back“, krachte es aus den Boxen der Stereoanlage.
Armer Hannes, dachte sie nach einer Weile, das hatte er gewiß nicht verdient. Sie hatte ihn zwar nicht besonders gemocht, aber für ein paar Blut und Gewebeproben ermordet zu werden, fand sie grotesk.
Was ist nur los mit der Welt in der wir leben, dachte sie. Wohin sie sah, sah sie Korruption und Gewalt. Aber sie würde schon dahinter kommen, warum die Dinge liefen wie sie liefen, warum der arme Hannes sterben mußte. Das hatte sie sich geschworen.
Sie griff nach einer kleinen Flasche mit einem exotischen Duftöl, die auf dem Rand der Badewanne stand und ließ ein paar Tropfen des Öls ins Wasser tropfen. Es war eine sehr kostbare Essenz, die ihre Eltern ihr von einer Reise nach Japan mitgebracht hatten. Karin ging sehr sparsam mit diesem Duftöl um, und benutzte es eigentlich nur wenn sie sehr aufgewühlt war. Das letzte mal hatte sie das Öl benutzt, als sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt hatte. Aus irgend einem Grund konnte sie sich mit bestimmten Dingen einfach nicht abfinden.
Das heiße Wasser wirkte sehr beruhigend und die Dämpfe des Öls steigerten diese Wirkung noch. Sie tauchte einmal unter. Das Wasserölgemisch kribbelte angenehm auf ihrer Gesichtshaut. Als ihr die Luft auszugehen begann, tauchte sie wieder auf. Sie glaubte das Klingeln des Telefons durch die laute Musik hindurch zu hören.
„With a bullet in your head“, dröhnte es aus den Boxen.
Ja, das Telefon klingelte. Der Anrufbeantworter würde das Gespräch schon entgegennehmen. Nichts, was ihr jemand mitteilen wollte, konnte wichtig genug sein, um sie aus der Wanne springen zu lassen.
Eine sehr nützliche Erfindung, dachte Karin. Für gewöhnlich haßte sie diese Maschinen. Sie selbst sprach nur im äußersten Notfall Nachrichten auf das Band und hörte die Nachrichten anderer auch nur alle paar Tage ab...
Natürlich, dachte sie. Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie hatte den Anrufbeantworter seit Tagen nicht abgehört. Vielleicht enthielt das Band ja einen Hinweis, der ihr bisher entgangen war.
Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Das ihr das nicht eher eingefallen war.
Sie zog den Stöpsel aus dem Boden der Wanne, stand auf und griff nach dem Handtuch, das an dem Bügel über der Wanne hing. Dann trocknete sie sich notdürftig ab während ins sie Wohnzimmer ging. Von ihren Haaren fielen viele kleine Wassertropfen auf den Teppichboden in Flur und Wohnzimmer.
Karin warf das Handtuch auf einen Sessel und stellte die Stereoanlage ab.
Es waren sechs Nachrichten auf dem Band. Karin drückte den Startknopf.
„Hallo Karin,“ ertönte als erstes die Stimme ihrer Mutter, „komm doch am Sonntag abends zum Essen vorbei.“
Wie passend, das ich Sonntag nichts vorhabe, dachte Karin bitter und betätigte den Weiterknopf.
Der nächste Anrufer hatte einfach aufgelegt. Vermutlich jemand, der Karin besser kannte, und wußte, das sie nur selten Nachrichten abhörte.
„Schönen guten Tag Frau Reuther,“ begann der dritte Anruf, „Hier spricht Anne Koehler, Praxis Doktor Mersmann. Es wäre uns sehr recht, wenn es möglich wäre, Ihren Termin am kommenden Dienstag zu verschieben, da Herr Doktor Mersmann aus persönlichen Gründen am Dienstag nicht in der Praxis sein wird. Am besten Sie rufen bei Gelegenheit zur neuen Terminabsprache an. Herzlichen Dank, auf Wiederhören.“
Eine Standartuntersuchung zu verschieben schien Karin vertretbar zu sein.
„Hi, Karin, ich versuch´s später noch mal,“ lautete die vierte Nachricht, die von Ines, Karins bester Freundin, kam.
Dann ertönte Hannes Stimme aus dem Lautsprecher des Anrufbeantworters:
„Hallo Karin, hier ist Hannes. Ich fang jetzt schon mal an Deine Proben auszuwerten. Es ist sonst wenig zu tun, und ich muß eh Überstunden schieben. Dafür bin ich morgen nicht da. Ich leg dir die Ergebnisse in dein Fach. OK, bis dann. Ach Ja, ich finde wir gehen vor dem Kino noch was schönes Essen, ich lad‘ Dich ein.“
Strike, dachte Karin. Die sechste Nachricht war ebenfalls von Hannes:
„Hallo, ich bin’s noch mal. War ein echter Volltreffer. Das solltest Du dir echt ansehen. Ich hab die Ergebnisse in dein Fach gelegt, die Proben hab ich noch hier. Es hat ein paar Unstimmigkeiten bei der Untersuchung gegeben. Ich bin noch ne ganze Weile hier, am besten, du kommst gleich vorbei. Bis dann.“
Karin drückte auf „Nachrichten löschen“.
Dann wollen wir doch mal sehen, was wir da haben, dachte Karin, als sie sich so schnell es ging anzog. Sie war aufgeregt. Irgendwie genoß sie diese Anspannung. Zum ersten mal in ihrem Leben geschah etwas wirklich aufregendes.
Sie warf sich ihre Lederjacke über und griff nach ihrem Schlüsselbund, das auf der Anrichte neben dem Eingang lag, während sie aus der Wohnung stürmte, die Treppe hinunter, aus dem Haus und zur nächsten S-Bahnstation.
Sie bekam vor Aufregung eine Gänsehaut, als sie in die Bahn stieg. Die Zeit kroch nur so dahin, während Karin in der Bahn saß. Sie schien überhaupt nicht von der Stelle zu kommen. Tatsächlich waren es nur die üblichen zwanzig Minuten, welche die Bahn jeden Tag benötigte um Karin zur Arbeit zu bringen, aber diesmal platzte Karin gerade zu vor Ungeduld.
Endlich erreichte die Bahn die Haltestelle an der Reeperbahn, von wo aus Karin wie immer den restlichen Weg zu Fuß zurücklegte. Einige Minuten später betrat sie den St. Georgsstift.
Leise schlich Karin am Büro von Doktor Böhmer vorbei, der noch immer im St. Georgsstift war und nicht unbedingt mit bekommen mußte, das sie in die Klinik zurückgekommen war. Sie ging dann zielstrebig in den Pausenraum der Pathologie. In ihrem Fach lagen einige Papiere. Sie nahm sie heraus und setzte sich auf einen in der Ecke stehenden Stuhl, wo sie zu lesen begann.
Die Ergebnisse von Hannes Untersuchungen waren erstaunlich.
Er hatte mehrmals die Blutgruppe der Leiche mit dem Wurmbefall getestet und war jedesmal zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Die Organproben dieser Leiche, die Karin entnommen hatte, waren laut Hannes Unterlagen, die einer Frau, die seit über fünf Jahren tot war. Und diese weißen Maden gehörten einer unbekannten Spezies an.
Diese Angaben könnten in der Öffentlichkeit eine Massenpanik auslösen. Die Proben, die Karin der anderen Leiche entnommen hatte, besagten, das der Mann völlig gesund gewesen sein mußte, abgesehen von der völligen unerklärlichen Blutarmut.
Sie ging die Unterlagen noch einmal durch. Es war verblüffend. Absolut unerklärlich, zumindest nach dem Wissensstand der modernen Medizin.
„Interessante Lektüre?“ fragte eine ihr unbekannte Stimme vom Eingang des Raumes.
Karin blickte auf. In der Tür stand ein großer schlanker gutaussehender Mann mit wilden schwarzen Haaren. Er war etwa Mitte zwanzig und trug Motorradstiefel, eine schwarze Lederhose und ein ebenfalls schwarzes ärmelloses T-Shirt. Auf seinem linken Arm waren einige dornenartige Tribles tätowiert.
„Wer sind Sie?“ fragte Karin verwundert.
Ihr fiel auf, das der Mann extrem blaß war. Er kam auf sie zu, seine dunklen Augen nicht von ihr nehmend.
„Weißt Du eigentlich, das unter Deinem unscheinbaren Outfit eine wunderschöne Frau steckt?“ bemerkte er spitz.
Karin wußte nicht so recht, wie sie diese Bemerkung verstehen sollte. War es ein Kompliment oder ein Angriff auf ihren Modegeschmack? Und überhaupt, wer war dieser Mann, und woher wußte er wie sie unter ihrem Outfit aussah?
„Wer bist du?“ fragte sie erneut. Wenn er sie duzen konnte, konnte sie das auch. „Meine Freunde nennen mich Guevara,“ sagte er lächelnd und schloß die Tür zum Flur hinter sich.
Karin wurde unruhig, Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
„Was willst Du von mir?“ platzte es aus ihr heraus.
„Keine Angst,“ beruhigte er sie, „ich will nur ungestört mit Dir reden.“
„Worüber?“ wollte Karin wissen.
„Erst mal wollen wir die rechte Atmosphäre schaffen,“ sagte Guevara, „setz Dich.“
Karin tat wie ihr geheißen. Hinter seinem Rücken holte Guevara einen sehr großen vierarmigen Kerzenleuchter hervor und stellte diesen auf den Tisch, mitten im Raum. Karin war verblüfft. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wo dieser Leuchter herkam.
Guevara ging zurück zum Eingang des Raumes und schaltete das Licht aus. Fast im selben Moment entzündeten sich die Kerzen des Leuchters. Erschreckt stieß Karin einen leisen Schrei aus. Guevara stand noch immer an der Wand.
„So ist es besser,“ sagte er trocken, kam auf den Tisch zu und nahm sich einen Stuhl.
„Wie hast Du das gemacht?“ fragte Karin, noch immer verblüfft.
„Berufsgeheimnis,“ erwiderte Guevara. Er setzte sich zu ihr und blickte ihr tief in die Augen.
„Was bist Du denn von Beruf,“ fragte Karin, „Zauberer oder so was?“ Er grinste.
„So was ähnliches,“ war seine Antwort, „am besten, wir kommen gleich zur Sache. Du hast ein paar Fragen über Dinge, die Du nicht verstehst.“
„Woher weißt Du das?“ unterbrach sie ihn, „und wehe Du sagst wieder Berufsgeheimnis.“
Irgendwie hatte sie den Eindruck, diesen Mann schon lange zu kennen. Er lächelte. Karin konnte den Mann nicht einordnen.
„Wir haben zur Zeit ein Problem,“ überging Guevara ihre letzte Frage, „viele von uns sind gestorben und wir haben selber keine Erklärung dafür.“
„Wer ist Wir?“ Karin wußte nicht im geringsten, wovon Guevara sprach. „Eure negativen Gegenstücke,“ antwortete er.
„Gegenstücke?“ Sie sah Guevara ungläubig an.
„Du hast doch sicher mal die Bibel gelesen?“
„Sicher,“ log Karin.
Natürlich hatte sie im Laufe ihrer Schulzeit hier und da mal eine aufgeschlagen, aber sie interessierte sich nicht besonders dafür.
„Dann erinnerst Du Dich bestimmt an diesen Text mit Gott erschuf die Erde in sieben Tagen. Nun es erstaunt Dich sicher, dass einer von uns diesen Text verfasst,“ erklärte Guevara, „frei aus dem Geiste heraus. Man könnte auch sagen, er hat es sich aus.“
„Wer hat sich was warum ausgedacht?“ wollte Karin wissen.
Guevara wartete kurz, ehe er antwortete: „Die Sterblichen, Menschen, wie Ihr Euch nennt, haben sehr lange Zeit an das geglaubt, was in diesem Buch steht, und viele tun es heute noch“
„Bist Du jetzt hier, mit all dem Firlefanz, den Du hier abziehst um mir zu erzählen, dass es Gott nicht gibt?“ fragte Karin.
Ihre Stimme klang leicht verärgert.
„Das wusste ich auch worher schon.“
„Du wusstest das,“ fuhr Guevara sie an, „ich hätte gewettet, dass du es geglaubt hast, oder hast Du je einen Beweis gesehen?“
„Na toll, dann weiß ich ja jetzt, dass es Gott nicht gibt oder gab, aber das hilft mir auch nicht weiter,“ sagte sie zynisch.
„Seit jeher, gibt es diese Welt so wie sie ist. Nur, dass sich alles entwickelt. Die Menschen entwickeln sich weiter, werden stärker, klüger, besser. Und Wir sind das Negativ dazu. Wir sind unsterblich, jedenfalls beinahe, aber wir sind einer negativen Entwicklung unterworfen. So wie Ihr geboren werdet um zu leben, müssen wir sterben um zu existieren.“
Hier stockte Guevara kurz.
„Was willst du mir jetzt erzählen, was seid Ihr,“ fragte sie, „ich kann dir nicht ganz folgen. Und ehrlichgesagt, verliere ich langsam die Lust dazu.“
„Ihr Menschen würdet uns Vampire nennen,“ erwiderte Guevara.
„Vampire,“ Karin nickte ironisch, „ich hab ja schon ne Menge Blödsinn gehört, aber das ist die Höhe.“
Guevara schüttelte den Kopf.
„Warum können die Menschen heute nichts mehr glauben, ohne das es im Brockhaus steht?“ fragte Guevara rhetorisch, „Du willst Beweise, die kannst Du haben.“
Er stand auf, nahm ihr Handgelenk, führte es an seinen Mund, entblößte für den Bruchteil einer Sekunde seine Fänge und senkte sie dann in ihre Pulsader.
Karin stöhnte auf. Es war ein merkwürdiges Gefühl, zwischen Schmerz und alles verschlingender Lust. Sie spürte, wie ihr Blut in seinen Mund lief. Sein Blick hielt währenddessen den ihren wie gebannt fest. Es war als wäre sie völlig paralysiert. Der Schmerz ließ nach, die Lust verstärkte sich. Sie leckte sich über die Lippen. Ihr gesamter Oberkörper wankte hin und her. In ihrer Brust begann ihr Herz zu rasen. Sie spürte ein Verlangen, sich ihm völlig hinzugeben. Ihre Hand wanderte zum obersten Knopf ihrer Bluse und öffnete ihn. Guevara ließ von ihr ab. Sie sah wie ein kleines Rinnsal ihres Blutes sein Kinn hinab lief. Ihr Handgelenk wies zwei winzige Wundmale wie zwei Nadelstiche auf.
„Dein Mund steht offen,“ bemerkte Guevara trocken.
Als sie sich wieder gefangen hatte fragte sie:
„Wieviele von euch gibt es?“
„Hier in der Stadt leben etwa siebzig,“ beantwortete er ihre Frage, dann sagte er: „Gib mir Deine Hand, ich will die Wunde entfernen.“
Sie gehorchte. Wieder führte er ihre Hand an seinen Mund. Sie zitterte. Dieses mal leckte er allerdings nur einmal kurz über die Stelle und ließ ihre Hand dann wieder los. Sie zog die Hand zurück. Die Wunde war verschwunden. Karin konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ihr gesamtes Weltbild geriet ins Wanken.
„Das ist der Grund, warum die meisten Menschen nicht wissen, dass es uns gibt,“ sagte Guevara.
Karin legte sich die Hand auf die Stirn.
„Wenn Ihr so viele seid, wie kann es sein, das niemand von Eurer Existenz weiß? Ich meine das liegt doch nicht nur daran, dass ihr keine Wunden hinterlasst“ hakte sie nach, nachdem sie kurz überlegt hatte.
„Wir leben in einer strengen Hierarchie,“ begann er, „mit sehr strengen Gesetzen. Das Oberste von diesen Gesetzen besagt, das kein Mensch je von unserem Dasein erfahren darf. Bricht jemand dieses Gesetz, so wird er vernichtet. Außer natürlich er kann seine Spuren verwischen.“
„Vernichtet,“ wiederholte Karin, „So wie in den Filmen, mit Holzpflock durchs Herz?“
„Zum Beispiel,“ sagte er, „oder auch durch Feuer, Sonnenlicht und Enthaupten kann man uns vernichten.“
„Warum erzählst Du mir das alles,“ fragte sie berechtigt, „ich denke das verstößt gegen euer höchstes Gesetz?“ Guevara grinste.
Karin bekam Angst. Nach dem, was er ihr erzählt hatte, würde er sie nun entweder töten oder zu Seinesgleichen machen, wie immer das ging. Ein einfacher Biß schien nicht auszureichen.
„Du mußt keine Angst haben,“ sagte er, „ich werde Dich weder töten, noch zu Meinesgleichen machen.“
Sie stutzte. Er schien ihre Gedanken zu lesen. Wie war das möglich?
„Natürlich lese ich Deine Gedanken,“ sagte er.
Karin war empört. Ihre Gedanken zu lesen ging ihr entschieden zu weit in ihre Privatsphäre.
„Laß das!“ sagte sie herrisch und mußte plötzlich lächeln über die ganze Situation.
„Ich brauche Dich um unser Problem zu lösen,“ fuhr Guevara dann fort, „wie gesagt, viele von uns sind bereits gestorben, und wir wissen nicht warum oder wie.“
„Wer hat Hannes getötet?“ fragte sie gegen.
„Derjenige unter dessen Einfluß dein Chef, der übrigens sehr große Stücke auf dich hält, steht,“ sagte Guevara.
Das reichte Karin nicht aus.
„Ich will Namen hören,“ sagte sie.
„Pervill,“ antwortete Guevara, „hilft Dir das weiter?“
Sie wandte kurz den Blick ab.
„Wer ist dieser Pervill?“ hakte sie dann weiter nach.
Er antwortete:
„Er ist das Oberhaupt meines Ordens.“
Mit diesem Begriff konnte sie nicht viel anfangen. Sie fragte nach.
„Also,“ begann Guevara, „ähnlich wie es bei Euch verschiedene Gesellschaften gibt, gibt es die auch bei uns. Einige von diesen bekämpfen einander um ihre eigene Macht zu vergrößern.“
Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: „Pervill ist der Älteste Vampir in der Stadt. Und er gehört wie ich einem geheimen Orden an.“
„Wie alt ist er denn?“ wollte Karin wissen.
„Etwa achthundert Jahre, zumindest nimmt man das an.“
Sie hob eine Hand und machte eine zurückweisende Geste.
„Ich glaube, ich will gar nicht noch mehr wissen.“
„Kommen wir also zu meiner Bitte an dich. Ich werde dir sagen, wo man die Leichen hingebracht hat, und du sollst sie dort untersuchen. Tagsüber, das ist besonders wichtig. Dann gibst du mir die Ergebnisse.“
„Warum sollte ich das tun?“ fragte sie.
„Weil du es selber willst. Du willst doch die Wahrheit ans Licht bringen. Es wird dich beruflich weiter bringen, dafür kann ich sorgen. Und du lieferst dadurch den Mörder Deines Freundes ans Messer, das heißt du hilfst mir dabei.“
„Hannes war nicht mein Freund,“ stellte sie vehement richtig, woraufhin er aufstand und sagte:
„Du hast also kein Interesse.“ Er schickte sich an zu gehen.
„Ich mach’s,“ rief sie.
Er drehte sich um.
„Gut,“ sagte er ruhig, „das Gebäude, in dem die Leichen aufbewahrt werden ist in Eppendorf und sehr gut bewacht. Du kannst aber die Sicherheitssysteme und die Wachen umgehen, indem Du eine Verbindung zwischen den Kellern des Gebäudes und der Kanalisation benutzt. Ich schicke dir morgen die Adresse und einen Grundriß vom Gebäude.“
„OK,“ sagte sie.
Er trat an sie heran und küßte sie. Sie erwiderte den Kuß und er biß ihr in die Zunge. Gierig trank er noch ein wenig ihres Blutes, während sie lustvoll zuckte.
„Auf gute Zusammenarbeit,“ sagte er noch, bevor er ging.
Sie schaltete das Licht wieder ein. Ihr Blick fiel auf den Tisch, der mitten im Raum stand. Der Kerzenleuchter war verschwunden, ebenso wie die Unterlagen, die Hannes ihr hinterlegt hatte. Der einzige Beweis für den Besuch Guevaras war ein winziger Blutfleck auf dem Ärmel ihrer Bluse.
Karin setzte sich wieder auf den Stuhl, auf dem sie die ganze Zeit gesessen hatte. Sie dachte nach, über das was geschehen war. Dieser Fall schien noch einige Überraschungen zu beinhalten. Das war sicher. Ihre Gedanken kreißten alle um ein Thema, die Wahrheit. Karin würde sie erfahren, die ganze Wahrheit. Es würde sicherlich sehr gefährlich werden, aber die Wahrheit war jedes Risiko wert. Und dann war da noch dieser mysteriöse Fremde. Dieser Vampir, der Blut getrunken hatte. Irgend etwas hatte er an sich, dachte Karin. Sie machte sich auf den Heimweg. Sie war sehr aufgeregt. Die Wahrheit, endlich die Wahrheit!
 

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