Der Steher oder Ordnung muss sein

neun

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18. April 2006
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Der Steher oder Ordnung muss sein

Die Frauen hatten sich im Krankenhaus kennengelernt. Nun war seine von der Anderen eingela-den, nebst Gatten, wie es hieß. Er ging ganz gern mit, denn da gab’s immer was zu essen und zu trinken. Er würde schon dafür Sorge tragen, dass das Geld für die mitgebrachten Blumen wieder reinkam. Mehrmals. Und so kam es auch.
Der Gastgeber warnte vor der Wirkung, des Bergmannschnaps, auch KUMPELTOD genannt. Nicht zu Unrecht, wie sich später noch zeigen sollte. Den Schnaps bekam dieser immer noch, obwohl es schon seit Jahren hier weit und breit keinen Bergbau mehr gab. Das sei eben Tradition und die lasse man sich auch dann nicht nehmen, wenn es den Grund für diese Gabe nicht mehr gab, erklärte der Gastgeber mit Stolz in der Brust; von Staub in dieser keine Spur, der die Schnapsgabe gerechtfertig hätte. Der eigentliche Grund dafür, lag allerdings im Mittelalter, als man den immer hungrigen Bergleuten mit einem Schnaps auf nüchternen Magen die Angst nahm, auf morschen Leitern in die düsterne Tiefe zu steigen. Das wollte aber keiner mehr so recht wissen, denn dieser Grund wäre ja dann schon länger nicht mehr gegeben. Also Schwamm drüber und bei der Staublunge geblieben.
Also gefährlich schmeckte der Schnaps, der nicht mal hochprozentig zu sein schien, nicht gerade, eher etwas fade. Er hätte ruhig herzlos schmecken können, immer noch besser als nach gar nichts. Und so kam es ihm sehr gelegen, zwischendurch auch mit den Frauen und mit deren Li-kör, auf das Wohl von sonst wem und was anzustoßen. Dass an dem Hinweis, der Bergmannfusel würde in die Beine gehen, etwas dran war, zeigte sich auf dem Weg zur Toilette. Genauer, es gab gar keinen Weg. Er stand auf und fand sich augenblicklich auf dem Boden wieder. Die große Bodenvase mit den künstlichen Sonnenblumen im Arm. Nicht zu sagen ist, ob er sie vor seinem Sturz in Sicherheit bringen wollte, oder sie ihm als Rettungsanker diente. Peinlichkeit kam wohl nur bei seiner Frau auf. Denn der Gastgeber, ob der Richtigkeit seiner Warnung, war hocher-freut, lachte sich eins und es keimten in ihm sogar erste Gefühle einer möglichen Freundschaft für den gestürzten Gast auf, begleitet von einem besänftigen Mitleidslächeln für dessen Frau.
Auch die Gastgeberin war erfreut, denn so viel Lob ob seiner redlichen Vorwarnung, wie von dem Bodenvasenhalter, hatte ihr Mann noch nie erfahren, jedenfalls nicht in ihrer Gegenwart. Zumal die Bodenvase ja heil geblieben war. Und so ein Sturz erinnerte auch an die schönen Stummfilme, in denen die Stürze auch immer so ungewollt aussahen, über die sie sich köstlich amüsieren konnte, sogar Tränen lachte. Zumal sie beim Sehen eines solchen, ihren Gatten ken-nengelernt hatte. Bei dem jetzt aber, nahm sie sich zusammen, lachte so mehr nach Innen. Die heimlich aufblitzende Schadenfreude im Augenwinkel ihres Mannes, die in sättigendem Triumph gebettet war, genoss sie sichtlich. So oft kam so etwas nicht vor, dass sie stolz auf ihn sein konn-te.
Also im Großen und Ganzen ein ganz normaler Abend, wie er überall vorkam. Wäre da nicht die Fehleinschätzung des KUMPELTODs gewesen. Der wieder Auferstandene war kein sogenann-ter KAMPFTRINKER (Eine Art Suizid in Slow-Motion), aber ein urischer STEHER, wie die meisten seiner russischen Vorfahren. Einer, dem man es nicht ansah, wie betrunken er war. Er selbst war es ja nie, er befand sich lediglich in einen unterschiedlichen Grat von Müdigkeit, wei-ter nichts. Ein STEHER eben. Ein Russicher. Für so einen, war ein Taumeln schon eine Nieder-lage. Was musste da erst ein Sturz bedeuten. Etwa der Gedanke an Tod? – aber zumindest ein Sturz aus der Riege der Steher, ein Sturz in die Bedeutungslosigkeit der Gewohnheitstrinker. Ein ganz gewöhnlicher Säufer blieb da übrig. Bei dieser Schande konnte man ja nur zur Flasche greifen und zum Trinker werden.
Konnte denn dieser lächerliche Ausrutscher zur Bodenvase nicht auch als heftige Äußerung eines Blumenliebhabers gesehen werden. Die schon fast zärtliche Umarmung der Bodevase mit den künstlichen Sonnenblumen ließe es bei einigem sufffreundlichen Nachsehen doch zu, es so zu deuten.

Also bis hierhin konnte die Welt als in Ordnung angesehen werden. Doch es kam ja noch der Heimweg, und zwischen der Blumenliebkosung und dem Aufbruch hatten noch etliche Promille ihren Weg in bekannte und auch nichtbedachte Gefilde gefunden.
Dem Angebot des Gastgebers, sich als Begleitung zu verdingen, wurde trunkdurchdrungen, höf-lichst und mit stolzer, fast schon empörter Zurückweisung, begegnet.
Auch wies er die Hilfe seiner Frau mit einem einzigen seiner berüchtigten Magierblicke zurück. Alkohol trübte sein Auge nicht glasig, wie bei gewöhnlichen Trinkern, sondern lies es besonders feurig funkeln, was darüber hinwegtäuschte, dass er bedeutend schlechter sah. Man vermutete auf ihren tiefen Grund stets abenteuerliche Geheimnisse. Solche erwarteten ihn jetzt, da er sich auf den Weg machte. Er begriff sofort, warum so oft von e n g e n Gassen die Rede war. Sagte da nicht einer im Wilhelm Tell irgendwas was von, durch diese enge Gassen muss man erst kom-men,oder so? Er wusste schon, dass das Zitat anders lautete, aber in seiner Lage fand er die Än-derung nicht nur künstlerische Freiheit, sondern schlichtweg passender zur anstehenden Herausforderung. Es lag nicht an seinem Grundberuf Maurer, dass seine Hände immer wieder prüfend über den Putz der angrenzenden Häuser strichen. Bei jeder Berührung hörte man einen leisen Fluch von ihm in Richtung Hauswand und eine gemurmelte entschuldigende Begründung für sich.
. Zu Hause angekommen, starrte ihn die Blumenrabatte, die ihn dunkel an Verdrängtes erinner-ten, wie es ihm schien, höhnischgrinsend an. Aber nicht doch, das war ja damals kein Sturz in dem Sinne, sondern eher ein Unfall oder Missgeschick. Das war nämlich so. Als er wieder mal etwas sehr müde nach Hause kam, stellte er fest, keinen Schlüssel eingesteckt zu haben. Auch nieselte es schon seit langem ohne Unterlass. Er musste seine Frau rausklingeln und ihr, als sie aus dem Fenster sah, den Fakt mitteilen. Sie ging den Schlüssel holen und er trat einen Schritt zurück, um ihn besser fangen zu können. Als sie aus dem Fenster sah, war er nicht mehr da. Schon wollte sie rufen, als sie ihn in der Blumenrabatte, einem Käfer gleich auf dem Rücken liegend, entdeckte. Er grummelte nur so etwas wie, was macht die Mauer hinter mir...seit wann ist denn hier eine Mauer..wer hat denn...Nein, dieser Erinnerung gab er sich nicht hin, hatte er sie doch gelöscht aus seinem Leben. Doch der heutige Abend und sein für ihn unbegreiflicher Zu-stand, ließen es zu, dass der Anblick dieser Blumenrabatte, die Erinnerung im Dämmer seines Hirns ein Licht anknipste. Ein kurzes zwar, blitzgleiches, aber es reichte, um die Bilder von da-mals erneut zu sehen. Er löste sich davon und schloss mit etwas mehr Mühe als sonst (Haus, Haustür und das Haustürschloss, alles aus Luthers Zeiten), mit dem selbstangefertigten Riesen-schlüssel, der allemal als Waffe dienen konnte, auf. Die steile Treppe, fast einer Stiege gleich, trieb angstvolle Sorgenfalten in das sorgfältig geschminkte Gesicht seiner Frau und diese sie, ihrem Mann zur Hilfe zu eilen. Welch eine beschämende Beleidigung seiner Selbständigkeit war sie im Begriff ihm anzutun. Daraufhin wurden er etwas lauter und er wies an, vorauszugehen, in einem Abstand, der keine hilfreiche Handlung zuließ. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Jede unregelmäßige Pause zwischen den einzelnen Stufen lies ihr das Herz stocken und ihr Ohr auf ein Aufschlagsgeräusch warten. Er war oben, nach einer Ewigkeit , wie es ihr schien.. Die Kü-chentür, die Wohnung begann gleich mit der Küche, hatte einen kleineren Schlüssel. Großzügig überließ er ihr diesmal die Verantwortung, sozusagen als Wiedergutmachung für seinen barschen Ton auf der Treppe.
In der Küche ging er forsch zum kleinen Waschbecken in der Ecke, einzige Waschmöglichkeit in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung. Um überhaupt eine zu bekommen, waren das Kinkerlitz-chen, die man in Kauf zu nehmen, gern bereit war.
Er musste sich doch seine Hände waschen, sie hatten durch seine „Maurertätigkeiten“ an den Wänden etwas gelitten. Ordnung musste sein. Seine Frau, ob seines Vorhabens in diesem Zu-stand, hilfreich besorgt, trat wohl etwas unerwartet zu nah an ihn heran. Er scheute ein wenig und beim Schritt zurück lies er das Waschbecken nicht los, hatte es noch in Händen, als er einen Me-ter von der Wand zum Stehen kam. Seine Frau drehte geistesgegenwärtig den Wasserhahn zu. Ihr Glück, war sie doch Schuld an dem Desaster. Großzügig erwähnte er dieses nicht, wischte sie gönnerisch vergebend zur Seite und setzte das Waschbecken wieder auf die Konsole. Sein Han-deln und das Blitzen seiner Augen verboten jegliche Einmischung ihrerseits. Er stellte einen Ei-mer unter den offenen Trabs, den er selber einmal montiert hatte. Bückend wusch er seine Hän-de, den Füllstand des Eimers stets im suffwachen Blick und auch seine Frau, von ihr ein Lob erwartend, wegen seiner Übersicht und seines artistischen Geschicks, waren doch seine Hände über dem Waschbecken und sein Kopf darunter. Dieses würde er gleich am nächsten Tag neu montieren. Das hatte es für heute gewesen können, doch Ordnung musste sein und so goss er den gefüllten Eimer in das Becken.
Als seine Frau ihm die Füße trocknete, dachte er angestrengt nach und versuchte verzweifelt zu begreifen. Für einen Außenstehenden wirkte er seltsam abwesend.


schio – 23.04.2006

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